Othmar sah sie groß und fragend an und die Gräfin uhr fort: .Bei jenem Verhör in derPost", dem Sie sich au neiuem Hochzeitstag, um Ihres tollen Streiches willen, muer- verfen mussten, beanspruchten Sie trotzig das Recht auf Ihre Heimath. Damals hielt mich das Borurthcil noch in der gleichen Verblendung wie Sie, aber seither lernte ich Ihre verzweifelte Stimmung verstehen und Ihr feindseliges Verhalten vergeben, seine weist ich, daß mein Gatte Ihr gutes Recht wirklich ver- iimmert hat, und ich bin gekommen, um Ihnen die ersehnte Heimath gewinnen zu helfen. Othmar werfen Sie endlich alles Nißtranrn von sich gewähren Sie mir die stolze Freude, Zhuen die verlorene Mutier ersetzen zu dürfen reichen Sie nir vertrauensvoll die Hand!"

Sie hatte in mühsam verhaltener Bewegung gesprochen nid die Vibrationen ihres eigenen Herzens theilten sich Othmar n solcher Stärke mit, daß ein Schauer nach dem andern durch ein Blut rann und daß ihn schließlich die Thräneu zu ersticken irohten- Als ihm Maria mm die Hand entgegeustreckte, ergriff r diese in leidenschaftlicher Bewegung, küßte sie und stammelte: .Sie sind so gut so beschämend gut . . ." Er wandte sich ,ästig ab, schlug die Hände vor das Gesicht und versuchte seiner Erregung Herr zu werden.

Auf der Gräfin Hand ivar eine Thräne gefallen und auch hre Augen wurden feucht, aber mit dem Finken im Käfig, der »ie Wintersonne durch jubilirende Triller grüßte, hätte auch sie roh locken mögen. Rach einer Weile trat sie ans Othmar zu, egte ihre Hand auf seine Schulter und sagte inweichem, herz- ichem Tone:

Wollen Sie sich jetzt meiner Führung anvertrauen

Da fuhr er hastig herum, sah chr tief in die schimmernden Lugen und rief:Blindlings! Ich hoffe Ihnen beweisen zu Armen, daß Sie'Ihre Güte an keinen Unwürdige« verschwenden."

.Das weiß ich schon jetzt.

Nehmen Sie dort die unförm­liche Pelzmütze und den Plaid und jbekleiden Sie sich damit.

Mein Schlitten hält draußen.

Ich stand eben im Begriff nach Sillach zu fahren, als wir Herr Linz begegnete und mir sagte, daß Sie zahlreicher Anschaffungen bedürften. Las­sen Sie uns dieses Geschäft sofort in Ordnung bringen.

Ihre äußere Erscheinung ist nicht ganz salonfähig."

.Gott sei's geklagt!" ries Othmar unter Thränen lächelnd.

.Das wüthende Gekläff der Hofhunde hat mich gestern schon darüber aufgeklärt, "s

.Nun so kommen Sie. Der Morgen ist schön und die Fahrt kann erquickend werden."

Othmar sah verlangend durchs Fenster, dann auf den Schreib­tisch und sagte in gepreßtem Ton: .Ja, der Morgen ist herrlich, allein meine Ueber- setzung Ich müßte doch erst'

.Für alle Unterlassungs­sünden dieses Tages ist Ihnen im Voraus Absolutton ertheilt," bemerkte die Gräfin u. reichteihm fröhlich die Pelzmütze, welche Othmar dann derart über

Sen Kopf stülpte, Saß sie Stirn find Ohren bedeckte. Ais beide aus dem Pfarrhaus traten, schweiften ihre Blicke über die sonnbeglänzte Winterlandschaft zn der stolzen Schloßfassade hin­über. Eine Weile schwiegen sie, dann wandte sich die Gräfin an ihren Schützling und sagte:Hoffentlich wird bald die Feil kommen, in der Sie auf Sonneck wieder heimisch werden."

Othmar schaute sie dankbar an und erwiderte:O, es genügt mir schon das Bewußtsein, daß in nieinem Vaterhaus wieder ein Schutzengel wohnt."

Die Fahrt nach Sillach gewährte der Gräfin und Othmar einen großen Genuß. Die feurigen Rappen jagten im fchä- fsie» Trab über die Landstraße und so glitten die weiten L-chnee- flächen, die Bergkuppcn und dunklen Wälder wir im Flug vorüber. Die reine Winterlust rölhete ihre Wangen. Sie spr achen lange kein Wort, .denn beide hatten das Empfinden, als sei nun die Feit seligen Friedens angebrochen. Othmar hatte den Plaid des Pastors nm seine Schultern geschlungen und drückte sich in die Ecke des weich ausgepvisierten Schlittens, denn er wagte die Gräfin nicht zu berühren. In ihrem hell­grauen und mit Chinchilla gefütterten und besetzten Mantel traten der Adel und die Aumuth ihrer südlichen Schönheit so gewinnend hervor, daß er sich nach einer Weile sagte: Wo hattest Du Verblendeter Deine Angen? Ein einziger Blick in dies Gesicht Hütte Dir sagen müssen, daß ihr Gemüth voll Un­schuld und Güte ist. Er schloß die Augen, und während in der rasche» Bewegung die Luft ihn umfächelte, hatte er das Gefühl, als verrausche in seinem Innern ein wilder Sturm und tauche eine lichte rosige Frnblingslandschaft vor' ihm auf, über welche Gräfin Maria als Friedensengel schwebe.

Das Gespann war bei einer Anhöhe angelangt und schlug eine langsame Gangart a». Othmar sah wieder auf, denn die Gräfin deutete auf die kahlen Linden einer im Schatten liegenden Allee, die der Rauhsroft mit Millionen von Schneelristallen über­zogen hatte.Sehen Sic doch, Othmar," bemerke sie scherzend, die Natur feiert schon Weihnachten. Die Bäume sind alle überzuckert."

Ach, richtig Weihnachten ist vor der Thür! In der Wild- niß vergißt man die Festtag und Zeitabschnitte ganz und doch bildet in meiner Erinnerung der Weihnachtsbaum die herrlichste Erscheinung meiner Blindheit."

O, sie soll wiederkehren! Ich bin heute ansgefahren, um die letzten Weihnachtseinkäufe zn besorgen. Herr Linz, dann der Lehrer zn Raüweiler und ich haben eine WeihnachtSbefcheernng für die Schulkinder des Orts geplant; sie wird in der Schule

stattfinden. Wollen Sie sich an der Veranstaltung betheiligen?'

Mit Freuden, aber ich fürchte nur, daß ich zu ungeschickt bin, um Ihnen viel nützen zn können."

'Nun, das werden wir ja sehen. Es gieüt eine Menge Dinge zu thun. Die Bescheerung in der Sckuile soll früh am Abend statifiuden. Später folgen -Lie, der Pastor und dessen Mutter mir auf's Schloß. Ich gedachte dort nur die Dieustleitte zu beschenken, aber nun, da Sie heimgetehn sind, soll »ns der Weihnachtsabend zn einem stillen Fest werd n. Ach, mich freut's, Saß ich an dem Abend nicht mutterseelenallein bin!"

. Ms der Schlitten die ersten .Emitter von Sillack erreicbte. drückte sich Othmar des Pfarrers weite Pelzmütze so tief ins Gesicht, daß nicht viel mehr als seine Nasenspitze und Kinn daraus hervorragten.

Die Götz'sche Kleiderhandlung, vor welcher der Schlitten inhielt, bildete eine Zierde der breiten Schloßstmße. Ihre großen Ladenfenster und gefällig angeordnete Waarenauslage ließen erkennen, daß das Geschäft nach modernen Prinzipien geleitet wurde. Personen feden Alters und Geschlechts fanden hier Alles, was zur Bekleidung ihres Körpers von nöthen war. Als die Gräfin mit Othmar den Laden betrat, war dieser völlig leer, denn eben hatte die Mittagsstunde geschlagen und in dieser nahm fast die ganze Bevölkerung von Sillach ihre .Hauptmahl­zett ein. Handel und Wandel ruhten in dieser Stunde.

Kaum hatte der Geschäftsmbaber die Gräfin erblickt, so eilte er in den Laden und fragte nach ihren Wünschen. Sie verlangte zwei Anzüge für ihren Begleiter. Als dieser die Pelzmütze ab­aahm, ries Götz mit allen Zeichen eurer grvßeu Ueberraschung

aus:Wie, der junge Herr Baron . . .aus Amerika zurück? Ei, der Tausend, ei, der Tausend! Wollen der Herr Baron gefälligst den Plaid ablsgen, damit ich Maß nehmen kann?"

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Statt dieser Aufforderung zu entsprechen, zog Othmar daS Tuch so hoch am Halse hinauf, als wolle er sein glühendes Gesicht verbergen. Die Gräfin verstand seine peinliche Lage und kam ihni zu Hilfe. Sie ersuchte Gütz, dcn kletderbedürftigen jungen Burschen in ein Nebenzimmer zu führen, damit er sich dort nugescheut umkleiden könne. Sie werde seine Rückkehr erwarten. Nach einer Weile trat Othmar völlig umgewandelt in den Laden zurück. Er trug einen dunkelbraunen Lvdenauzng mit Jägermütze und sah aus wie ein Forsteleve. Es lag etwas in seiner Erscheinung, das die Gräfin überraschte und befremdete. Ihr war es, als sei ein Knabe in das Ankleidezimmer hiuein- gegangen und ein Mann wieder herausgetreten. Er gemahnte sie an jene Jünglinge aus der Hohcnstanfenzeit. welche in Othmars Alter Heere über die 'Alpen führten oder auf dem mittelländischen Meer Flotten kommandirten.

Als Götz die Gräfin fragte, ob der Anzug ihren Beifall habe, antwortete sie nach kurzer Musterung:Dutzendwaaren gegenüber darf man nicht zn anspruchsvoll sein. Um einen besser sitzenden Rock und Ueberzieher aus feinerem Stoff zn er­halten, wird es wohl nöthig sein, daß Sie diese Kleidungsstücke nach genauem Maß anfertigen."

Othinar bemerkte mit einer abwehrenden Geste, daß ihm ein Anzug vollkommen genüge, Götz aber schlug sich vor die Stirne und rief seiner eben in den Laden tretenden Frau zu:Das trifft sich ja famos der Chcviotanzug für den Herrn Leutnant!"

Frau Götz warf ihrem Gatten einen warnenden Blick zu, worauf dieser schlau blinzelnd seine Stimme dämpfte:Diskretion Ehrensache! Selbstverständlich! Der Anzug wurde für einen seinen jungen Herrn vor vierzehn Tagen bestellt, aber nicht ab­geliefert, weil es mit der Bezahlung haperte; er muß, wenn ich mich nicht sehr irre, dem Herrn Baron paffen."

Othmar mußte nochmals ins Ankleidezimmer treten. Als er nach einer Viertelstunde wieder herauskam, rief Götz stolz lachend:Na, was sagen die Frau Gräfin nun? Kleider machen Leute. Obgleich der junge Herr, für den dieser Anzug bestimmt war, mehr als zwanzig Jahre zählt, sitzt doch Alles wie angegossen! Der Herr Baron haben wie wir Schneider zu sagen pflegen einen Kleiderleib. Für solche Kunden zu arbeiten, ist 'ne Lust."

Wie alt sind Sie eigentlich?" fragte die Gräfin ihren Schützling.

Ich werde im Frühjahr schon achtzehn Jahre alt."

Die junge Frau betrachtete ihn mit ähnlicher Verwunderung,

wie man "am Morgen eine voll aufgeblühte Rose anzusunmeu pflegt, die man am Abend zuvor noch als Knospe gesehen. Sie sagte sich, daß sie schwerlich Bekehrungsversuche miß diesem Othmar angestellt haben würde. Start des verwilderten Knaben den sie zähmen wollte, stand ihr ein junger Mann gegenüber" Doch nein! Als Othmar verschämt lächelnd zu ihr herüber­blickte, war etwas Knabenhaftes in seinen Zügen. Seine Hellen Augen besaßen noch den arglosen Blick und feuchten Glanz von llinöeraugen, auf seinen rotheu Lippen lag der erste Flaum, .md wenn er sie öffnete, schimmerten die weißen Zähne wie Lhantropfen daraus hervor. Seine leichtgebräunten, rosig über­hauchten Wangen aber waren weich wie die Haut einer Pfirsich. In dem eleganten Anzug erschien seine Haltung freier und näunlicber als zuvor, aber in Bewegung und Sprache verrieth 'ich die Schüchternheit seines Wesens.

Gräfin Maria erklärte, daß ihr der Anzug gefalle; sie ver- ivllständigte dann noch die Ausstattung ihres Pslegesohnes, wzahlte die Rechnung und ließ die Erwerbungen nach dem Hotel ,ur Post bringen, wo sie mit Ochmar Zu Mittag speiste. JuüuS Me, der sie respektvoll begrüßte, hatte Mühe, in ihrem Begleiter ie» jungen Souneck wieder zu erkennen. Er stand dem Paar vie einem ungelösten Räthsel gegenüber, allein seine brennende peugierde fand nicht die leiseste Befriedigung. Die Gräfin hatte bald ihren Hunger gestillt und erhob sich mit der Be- nerknng, Othmar möge während der nächsten zwei Stunden Schulfreunde nussuchen oder einen Spaziergang machen, Pa sie inen kurzen Bestich im Hause des Majors' nnd eine Fülle von Vesorgnngen erledigen müsst.

Kanal harte sie den Speisesaal mit amnutlngem Gruß ver­rissen, sv nahm der Posthaltcr Othinar gegenüber Platz und ;inige Beamte des Städtchens, die in der Post zu speisen und lann beim Kaffee Skat zu spielen pflegten, ließen die Karten allen und rückten dem interessanten jungen Alaune näher. Dieser war eben dabei einen Apfel ;u schälen, als er die Spitzen rer Sillacher Gesellschaft näher rücken sah, mit der unverkenn- iaren Absickt, ihn gründlich ausznpumpen. Er steckte den Apfel n die Tasche und erhob sich hastig mit der Entschuldigung, laß er einen Freund besuchen müsse.

Fortsetzung folg:.

Allerlei.

Was ich von unseren; Kaiser weiß. In Köln ließ jüngst ein Lehrer aus dem Siegreif in einer Realslasse ein Anssätzchen mit obiger Ueberschrift arnerlägen, um sestzustellen, was zwölf- vis l3jäh- rrge Knaben, die in der Schule von dem Thema noch nicht gehört hatten, aus ihrer auf ande­rem Wege erworbenen Kenntnis über unseren Kai­ser zu sagen wüßten. Einige Stichproben:Un­ser Kaiser ist 1860 geboren, sein Großvater ist Kaiser Friedrich I, sein Urgroßvater der alte Fritz. Er studierte zu Karlsruhe, auf der Universität Kassel und der Universität zu Köln. Er studierte aus der Universität Straßburg und erwarb sich bald die Beliebtheit der Professoren. Sein Vater Friedrich starb an einer schweren Krankheit in Salerno. Die Hohenzollern stammen ans Baden; unser Kaiser besitzt eine Burg in der Schweiz^ Seine Frau heißt Viktoria Luise, sein ältester Sohn Heinrich". Auch hübsche Stilblüten fanden sich :Er wurde streng erzogen und in der Schule wegen seiner edlen Abstammung nicht von seinen Mit­schülern abgesondert. Bei seiner Konfirmation las er einen von ihm selbst verfaßten Glaubensar­tikel vor. Er liebt den Frieden; nebenbei hat er auch die Buchbinderei erlernt. Er hat sich im­mer vor dem Krieg gehütet, und wenn er schon nahe daran stand, wußte er sich immer wieder her- auszuhelsen. Wir wissen es wohl zu würdigen, wenn er sich nicht in Zänkereien mit anderen Bölkern entläßt. Im März fährt der Kaiser als nach Korfu". Eines der Aufsätzchen schloß mit dem gutgemeinten Wunsche:Möge er noch lange seine Herrs cherka te n verüben".

ZU unseren Bildern.

Herma»« Freiherr v. Erffa ch.

Der Präsident des preußischen Abgeordnetenhauses Frei­herr v. Erffa ist bald nach dem Schluffe der Session, in der­er unter aussehenerregenden Konflikten mit den Sozialdemo­kraten die Verhandlungen des Hauses geleitet hat, nach einem Schlagansall verschieden. Herr v. Effra wurde am 31. Juli 1845 zu Ahorn geboren. Er studierte Nationalökonomie, Jura und Landwirtschaft, machte den Krieg gegen Frankreich mit und übernahm im Jahre 1872 das Majorat Wernburg und die Güter Derlsdors und Rohhof. Als Vorstand der sächsischen Landwirtschastskammer, des deutschen Landwirt­schaftsrates und des Landesökonomiekollegiums, sowie anderer Körperschaften gehörte er zu den Führern der deutschen Land­witte. Im Abgeordnetenhause vertrat er den Wahlkreis Erfurt; er gehörte der deutsch-konservativen Pattei an.

Der Fernflug Wie»Berlin

hat mit einem glänzenden Sieg des deutschen Fliegers Hel­mut Hitth geendigt. Der ernsteste Konkurrent Hitths unter den am Wettfluge beteiligten österreichischen Aviatikern, der k. u. k. Oberleutnant Bier, schied infolge elnes bedauerlichen Unfalles aus. In Groß-Muckerow, in der Nähe von Fried­land, stürzte der Marseindecker Biers ab und der Pilot, sowie Leutnant Steffen, sein Passagier, erlitten schwere, wenn auch nicht lebensgefährliche Verletzungen.

Verantwortlicher Redaürur: L. Lank, Altrnski,.

Druck «- Verla» der W. Rtekettschen Buchdruckers L. Lauk, Alteaßet«.

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