Würltembergischer Landtag.

Stuttgart, 12. Juni.

Die Zweite Kammer bereitete heute dem Prä- sindenten Payer z,l seinem 65. Geburtstag eine Huldigung und nahm sodann den 5. Nach lragsetat zum Finanzgeschtz unter Ablehn­ung eines Zentrumsantrags zu den Kosten der Tübinger Universitätsbibliothek an. Ein 4. Nach tragsetat über die Gewährung von Zulagen an die Vorstände, Hausväter, Lehrer und Lehrerinnen der Rettungs- und verwandter Anstalten wurde an den Finanzausschuß verwiesen. Eine lange Debatte entspann sich sodann über die Anträge des Fi nanzausschusses zu den Eingaben und^Nesolu tionen wegen Erhaltung der Tierärzst lichen Hochschule oder ihrer Verlegung, nach Tübingen. Der Ausschuß hatte Sic Ueberreichung der Eingabe zur Kenntnisnahme an die Mgierung empfohlen, im übrigen aber die Aufhebung der Tierärztlichen Hochschule beantragt und die Bild ung eines Fonds zur Unterstützung von künftig auf auswärtigen Hochschulen die Tierheilkunde stu dierenden Landesangehörigen, sowie die Bewillig­ung von Mitteln für die Entschädigung der Pro sessoren gewünscht. Außerdem lag ein Antrag Eisele-Haußmann vor, die aus Belastung der Hochschule in Württemberg gerichteten Eingaben zur Berücksichtigung, die übrigen Eingaben zur Kenntnisnahme an die Regierung zu übergeben) Nack dem Referat des Abg. Remboki traten Keß ler (Z.) und Lieschin g (Vp.) für, Mülberger 'natl.i und Ströbel (B. K.- gegen die Erhaltung der Hochschule ein. Darauf ergriff Kultminister von Fleischhauer das Wort zu längeren Ausführungen, in denen er den Nachweis erbrachte, daß die Tier­ärztliche Hochschule in Württemberg eine Notwen­digkeit sei, daß die Ersparnisse von nur .44 000 Mark pro Jahr in gar keinem Verhältnis zu dem Verlust, den Württemberg erleide, ständen und schloß, daß er die Gelegenheit nicht verfehlen wolle, nochmals nachdrücklich für die Erhaltung der Tier -ärztlichen Hochschule einzutreten. Auch der Abg. Locher (Z.) befürwortete namens der Minderheit seiner Partei den Fortbestand seiner Hochschule. Nach einviertel 2 Uhr vertagte das .Haus die Wei terberatung auf morgen. Außerdem Anfrage Kurz betr. den Verkauf des Forsthauses Lichtenstein mit den angrenzenden Grundstücken. Zulagen und Ne benbezüge der in die Gehaltsordnung aufgenom­menen Beamten und Lehrer, Resolution Keil, betr. Aufhebung der Gesandtschaften, Gesetz betr. die is raelitische Religionsgemeinschaft nach den Beschlüs sen der Ersten Kammer und Uebernahme der Volks schullasten auf den Staat.

Lsndrsnschrichtrn.

Illl-nst-ig, 18 . Juni.

* Die Markt- and Klauenseuche ist erloschen

in Rexin gen, OA. Horb. s

* Krombach, 12. Juni. Heute verließ Haupt lehrer Roller die hiesige Gemeinde, um die ihm übertragene Hauptlehrerstelle in Münklingen Bez. Ludwigsburg zu übernehmen. In Hauptlehrer Rol­ler hat der hiesige Ort einen tüchtigen Lehrer und eine Persönlichkeit verloren, die bei den mannig

fachen Anlässen und Vorkommnissen im öffentlichen Leben und in der Familie stets hilfsbereit zur Verfügung stand. Gestern abend Versammeltei sich die Gemeinde imHirsch" um den scheidenden Leh­rer und seine Frau zu einer Abschiedsfeier.

st Lützenhardt, OA. Horb, 12. Juni. Zwei hie sige Männer gerieten am Sonntag ans einem Gang durch die Felder in einen Wortwechsel, in dessen Verlaus der ältere den Revolver zog und seinem Widersacher eine Kugel durch den Kopf schoß. Zwei weitere Schüsse gingen zum Glücke fehl. Der Verletzte mußte ärztliche Hilfe in Anspruch neh men. Der schietzlustige Freund wurde verhaftet.

st Horb, 12. Juni. (Milchvantscherinnen. Vom hiesigen Schöffengericht wurden zwei Milchprodu- zentrnnen von Hochdorf hiesigen Oberamts zu 12 bezw. 20 Mt. Geldstrafe verurteilt. Sie hatten ihrer Milch, die sie an einen Psorzheimer Milch­händler lieferten, 12 -20 Prozent Wasser zugesetzt.

* Hörschweilrr, >2. Juni. Heute früh brannte das Hans von I. G. Schübel jr. bis ans den Grund nieder.

st Tuttlingen, 12. Juni. In mehreren Be zirtsgemeinden, so in Mühlhausen, Fridiugen und namentlich in Neuhausen, entlud sich gestern nach mittag ein furchtbares Hagelwetter, sodaß an Obstbäumen, Gemüsegärten und Feldfrüchten be­trächtlicher Schaden angerichtet wurde. Prasselnd fielen Ziegelplatten und.Fensterscheiben zu Boden. Die Hagelkörner sielen in Größe von Tauben- u. Hühnereiern.

st Schramberg, 12. Juni. (HagsklschlagZ Ein schweres Gewitter entlud sich gestern abend 6 Uhr über unsere Gegend. Der Hagel fiel stellenweise in Haselnußgröße und richtete auf den Feldern und Gärten sowie Bäumen großen Schaden an. Die Häufigkeit der Gewitter ist Heuer besonders stark und es vergeht fast kein Tag. ohne solches.

st Stuttgart, 12. Juni. Im städtischen Elek­trizitätswerk in Cannstatt stürzte am Montag nach­mittag ein Ingenieur von einer Leiter etwa 1 einhalv Meter hoch ab. Er erlag den erlittenen Verletzungen nach kürzer Zeit.

st Stuttgart, 12. Juni. (Ziehung.) Bei der heute nachmittag vorgenommenen Ziehung der Geldlotterie zu Gunsten der Ausstellung für Reise und Fremdenverkehr fiel der Hauptgewinn von 8000 Mk. auf Nr. 38039, der zweite Gewinn von 3000 Mk. ans 32 263, der dritte Gewinn von 1000 Mt. aus 41219, je 500 Mk. fielen ans 49 969, 38 571, je 100 Mk. ans 38 370,, 8371, 5024, 5037, 44 309. .

st Ludwigsburg, 12. Juni. (Zur Landtags­wahl.! Der Landtagsabgssordnete Hofsmeister hat die natwnalliberale Kandidatur für den Landtag wieder angenommen.

st Welzheim, 12. Juni. In letzter Nacht brach in dem D'oppelwohnhaus der Brüder Karl und Friedrich Schallenmüller Feuer aus, dem das ganze Anwesen samt der Scheune vollständig zum Ovfer fielen. ' ! . ^

st Jagstseld, 42. Juni. Gestern nachmittag er­eignete sich auf dem hiesigen Bahnhof ein schweres Unglück. Dem Wagenrevidenten Kolb wurden beim Rangieren beide Füße und ein Arm abgefahren. Er wurde ins Heilbronner Krankenhaus übergesührt, wo er seinen schweren Verletzungen bald darauf erlag. ^

st Mergentheim, 12. Juni. Am Sonntag! pas­sierte ein Extrazug unsere Stadt, der den Frank­furterTaunus-Club" in sich barg. Den Insassen, die einen sehr guten Humor zeigten, als sie an der Endstation Creglingen ankamen, merkte man mcyst an, daß sie einer großen Gefahr entgan­gen waren und nur durch die Besonnenheit "des Lokomotivführers vor einem Zusammenstoß bewahrt wurden. Nöttingen Stadtbahnhof und Nöttingen Bahuhvs haben eine derart kurze Kurve, daß die Strecke von dem anfahrenben württ. Zuge aus nicht übersehen werden kann. Als der Sonderzng diese passiert hatte, sah der Führer plötzlich den Zug der Gaubahn Ochsenfurt-Röttingen vvr sich aus dem Hauptgleis stehen. Er bremste mit Macht und es gelang ihm, ungefähr zwei Wagenlängen vor dem bayerischen Zuge den Sonderzug zum Halten zu bringen. , ,

st Ulm, 12. Juni. Am Sonntag vormittag siel ein Ojähriges Mädchen in die z. Z. tief mit Wasier gefüllte Kiesgrube in der Friedrichsau. Ans seine Hilferufe eilte Aufseher Bolz beim Tiefbau­amt sofort herbei und es gelang ihm, das Kind aus den, Wasser zu ziehen, ohne daß es Sekunden genommen hätte.

st Jsny, 12. Juni. Gestern nachmittag zwi­schen 23 Uhr gingen Mehrere schwere Wetter mit starken elektrischen Entladungen über unserem 'Hochtale nieder. Besonders schwer betroffen wür­den die bayerischen Orte an der Linie JsnyKemp­ten. Der Hagel siel in der Größe von Tauben­eiern, und in kurzer Zeit war die ganze Gegend in eine Winterlandschoft verwandelt. 45 Zen­timeter hoch lagen die Schloßen. Die Wiesen sehen wie zerstampft aus. Die Feld- und Gartengewächse wurden vernichtet. Zu allem Unglück ging» zwi­schen Moos und Hellengerst ein Wolkenbruch nie­der, der den Bahndamm auf eine Länge von eaj. l 00 Metern unterspültestsüdaß die Züge von Kemp­ten nach Jsny umparkiert werden mußten, was eine zweistündige Verspätung zur Folge hatte. Der Verkehr mußte durch Umsteigen aufrecht erhalten werden. Ebenso wurden die Delephonleitungen durch Blitzschlag zerstört.

Lus dem Leiche.

* Berlin, 12. Juni. . Am Tiefen See auf der Havel bei Potsdam unternahmen gestern abend drei Gardefüsiliere und zwei Mädchen eine Kahn­fahrt. Beim Wechsel der Plätze kenterte das Boot; zwei Füsiliere «nd ein Mädchen eritran- ten.

* Berlin, 12. Juni. Me dieNorddeutsche Allgemeine Zeitung" hört, ist für den Gesandten­posten in Lissabon, der durch das Ausscheiden des Freiherrn von und zu Bodman seit einiger Zeit unbesetzt ist, der bisherige Gesandte in Bukarest, Dr. Rosen, in Aussicht genommen. An dessen Stelle trist der Wirkliche Geheimrat, Gesandter von Waldthausen, der in Kopenhagen durch den bisherigen Generalkonsul in Budapest, Grafen v. Brockdorsf-Rantzau, ersetzt werden wird. Ms Nach­folger des Wirklichen Geheimrats Gesandter von Bülow in Bern, der bekanntlich nach dem Besuch des Kaisers in der Schweiz den Posten des preu­ßischen Gesandten in Dresden übernimmt, ist der derzeitige Vortragende Rat im Auswärtigen Amt, Freiherr von Romberg, ausersehen.

Betrachte dich zu jeder Frist,

Sieh, was du warft, und was du bist.

Und was aus dir noch werden soll.

So hüt'st du dich vor Sünden wohl.

Sebastian Vrant.

Melita.

Roman von Rudolf Elcho.

(Fortsetzung.) Nachdruck verboten.

Das Erdgeschoß des Tastles war mit grünem Blattwerk und leuchtenden Blumen ganz überdeckt, seine Marmor­flüchen aber hatten Wind,und Wetter mit einem weichen, zarten Krau überhaucht.

In der durch Wandskulpturen geschmückten und durch gedämpftes Oberlicht erhellten Vorhalle herrschte geheimnis- voue Stille, die durch leises Plätschern eines Spring­brunnens nicht durchbrochen, sondern nur fühlbarer ge­macht wurde. Hier empfing sie der Hausmeister mit der Herablassung und Gömiermiene eines verantwortlichen Ministers und geleitete sie zu ihren,Apartement", einem hübsch ausgestatteten und geräumigen Zimmer; er sprach zu / ihr im Flüsterton, und die beiden Melitas Gepäck tragenden Diener bewegten sich aus den mit dicken Teppichen belegten Gängen geräuschlos.

Die junge Erzieherin konnte sich der Vorstellung nicht erwehren, als dringe sie in ein Dornröschen-Schloß ein. Der erste, der die mysteriöse Stimmung verscheuchte, war Lord Ärchibald Leigh. Er begrüßte sie laut und führte sie den Proctors zu.

Sie fand die Familie in einem lauschigen, im Stil Louis' XVI. gehaltenen Salon. Als sie die prüfenden Blicke von vier sie kickst begrüßend.', Personen auf sich

gerichtet sah, befiel sie. trotz der jovialen Einführung seitens des gütigen Lords, eine starke Verlegenheit. Sie empfand es als eine Erleichterung, daß sie den Fächer ausheben konnte, der gleich nach der Vorstellung den mit kostbaren Ringen besetzten Händen der Hausfrau entfallen war. Sie erinnerte sich) daß sie Frau Proctor mit ihren Töchtern wiederholt in Ryde begegnet war, aber nie­mals haste sie den Hausherrn erblickt.

Durch die Angaben über dessen Herkunft und Berus hatte sie sich zu der Annahme verleiten lassen, sie werde einem vierschrötigen Manne mit groben Zügen und den, dünkelhaften Gebaren eines Emporkömmlings begegnen, statt dessen fand sie den Typ eines englischen Gentlemans.- James Proctor war von hoher, hagerer Gestalt. Sein stark gelichtetes Blondhaar ließ eine mächtige Stirn frei, die sich wie eine Gedankenburg über buschigen Brauen und einem melancholisch blickenden Augenpaar wölbte. Sein von zwei langen Bartkoteletten flankiertes Gesicht wurde zu­weilen durch ein nervöses Zucken verzerrt.

Einen frappierenden Gegensatz zu ihrem einfach ge­kleideten Gatten bildete Frau Proctor, die sich gern ihrer Abstammung aus einer aristokratischen Familie rühmte. Für die Erhaltung ihrer derben Jugendschönneit führte sie mit allen ihr zu Gebote stehenden kosmetischen Mitteln einen erbitterten Kamps, der aber von Jahr zu Jahr aus­sichtsloser wurde. Ihre überquellende Leibesfülle engte sie durch ein französisches Korsett derart ein, daß ihr das Atmen schwer wurde, lieber ihr breites, rotes Gesicht türmte sie einen Lockenbau, der im Verein mit einer prun­kenden, aber geschmacklosen Robe ihrer Erscheinung einen grotesken Zug gab.

Ihre ältere Tochter, Lady Alice Leigh, glich durch die schlanke Gestalt und seine Gesichcsbstdung ein wenig dem Vater; ihr -bunteres, liebenswürdiges Wesen ließ die junge Frau erkennen, die sich im Besitze eines geliebten Mannes, vollkommen glücklich suhlt.

Edith, ihre jüngere Schwester, besaß eine fatale Ähn­lichkeit mit der plumpen Mutter. Zwischen ihren mn-»»

Backen war die kleine Rase völlig eingeklemmt. Ihre mittelgroße Gestalt war rundlich, aber ihr Gesicht trug nicht die Farbe der Gesundheit.

Melita erkannte an Merkmalen, aus die sie durch den Arzr der Stcmfordschen Anstalt wiederholt aufmerksam gemacht worden war, daß ihr Zögting bleichsüchtig sei. Als daher Frau Proctor sie fragte, welche Methode sie bei Edith anzuweuden gedenke, die oft an Kopfschmerzen leide und großer Schonung bedürfe, erwiderte sie bescheiden, aber bestimmt, sie werde vorläufig von einem Lehrplan absehcn. Sie sehe vollkommen ein, wie berechtigt dis mütterliche Besorgnis sei, und hege die lleberzcugung, daß mehr Wert ans die Körperpflege, als auf den wissen­schaftlichen Unterrichi zu legen sei. Nur in einem ge­sunden Körper lasse sich eine kräftige Entwicklung geistiger Fälligkeiten erzielen, sie schlage daher zur Bekämpfung der Bleichsucht kräftige Bewegung in guter Luft uuü Sonne, turnerische Uebungen bei leichter, die Blutbildung fördernder Kost, bequeme Kleidung und Lungengymnastik durch Gesangsübung vor. Was die geistige Nahrung be­treffe, so werden sie sich bemühen, der Schülerin durch Ge­legenheitsunterricht Anregung und Belehrung zu bieten. Spöttisch lackend bemerkte Lady Alice: ,

Ihre guten Absichten werden an der Trägheit meines

Schwesterchens scheitern." . ....

Ich halte diese nur für eine Folge ihres üblen körperlichen Befindens; sie wird sich be. etwas gutem

Willen überwinden lassen." c ^ w

Sie sprachen von einfacher Kost," warf Frau Proc­tor ein und zog die Brauen hoch.Ich kann Edith an unserer wohlbesctztenTasel doch nichtfortgesetztEntbehrungen auserlegen. bas wäre ja grausam. ^

Sebr richtig, gnädige Frau. Ich schlage daher vor, daß Ihrem Töchterchen und mir die einfachen Mahlzeiten in meinem Zimmer aufgetragen werden."

Und welche Speisen hasten Sie für zuträglich?"

Melita führte niedrere an' als sie aber geendet hatte.