Aus dem Reiche.
js Berlin, 1.4. Febr. In der Komutissivn des Reichstags für das S ch i f f a h r t s a b g a b e n g e j e tz trat Minister v. Breitenbach der Behauptung ent gegen, daß fiskalische Interessen für die Regierung maßgebend seien. Die Gebühren kämen ausschließlich der Berbessernng der Schifffahrtsstraßen zugute. Auch .rat er der Behauptung entgegen, daß es sich nicht um eine Interpretation, sondern um eine Aendernng der Verfassung handle. Der Bnndesrat habe mit großer Mehrheit die Vorlage für gut gehalten. Von einem Druck seitens Preußens könne nicht die Rede sein. Solange die Frage der Schiff fahrtsabgaben nicht geregelt sei, könne nach Meinung des preußischen Landtags der Allgemeinheit nicht zngemutet werden, weitere große Lasten zu tragen. Von der Besichtigungsreise soll gegenwärtig abgesehen werden.
ß Berlin, 14. Febr. Die Nordd. Allg. Ztg. schreibt: Gegenüber den Angriffen einzelner Blätter auf die Nordd. Allg. Zig. möchten wir bemerken,, daß in unserem Blatte keine Vorwürfe gegen Kom- inissionsmitglieder erhoben worden sind. Wir haben vielmehr und zwar lediglich im Anschluß an die Mitteilungen aus der Schiffahrtsabgabenkommission die Tatsache festgestellt, daß Indiskretionen vorgekommen sind, die, wenn sich diese Gewohnheit ein bürgern sollte, die Vertreter der verbündeten Re gierungen zu größerer Zurückhaltung nötigen würden.
Ter Anlcihebedarf -es Reiches.
i Berlin, >4. Febr. Die Nordd. Allg. Ztg, gib? mit Rücksichr ans Unklarheiten, die in der Presse hervorgetreten sind, einen Usberb lick über den A n l e i he b ed a rf des Reiches. Das Anleihe- Soll betrug 1906 277,9 Mill., 1907 27,9,9 Milk., 1906 260,9 Mill,, 1909 729,7 Mill., 191.0 ,71,6 Mill., 1911 nach dem Elatsentwurf 97 Millionen. Die Nordd. Allg. Ztg. schreibt dazu: Es springt in die Augen, wie für 1910 und 1911 das Anleihesoll znrückgegangen ist zum großen Teil dadurch, daß nach den maßgebenden Gesetzesvvrschriften der Betrag von 97,4 Mill. für 1910 und von 69,6 Millionen für 1911 aus den ordentlichen Einnah men des Reiches zu entnehmen und zur Verminderung des Anleihebedarfs zu verwenden war. Diese Verwertung laufender Mttel für die Verbesserung des außerordentlichen Etats ist ein sichtbares Zeichen für die allmähliche Erstarkung unserer Finanzen. Die dem ordentlichen Etat entnommenen Beträge sollen nach Paragraph 2 des Etatgesetzen^ wnrfs für I9ll entweder zur mechanischen Abschreibung von Anleihesoll oder zum Ankauf bereits ausgegebener Schuldverschiebungen verwendet werden. Damit wird der Grundgedanke der Reichsschnl- denordnung zur Geltung gebracht, der dahin geht, daß das Reich befähigt werden soll, als Käufer seiner allen Tchuldbestände auf dem Markte aufzutreten und so das Ansehen unserer Anleihe zu he ben. Soweit tatsächlich ältere Schuldverschreibungen gekauft werden, steigt das nene Anleihesoll, aber natürlich wird dadurch nicht etwa der Schuldenbestand des Reiches erhöht. Die Besserung der Fi nanzlage des Reiches kommt auch bei dem Schatz anweisungsfonds in fortschreitender Weif? zum Ausdruck. Während dieser am Anfang November des l Jahres 1909 seine höchste Belastung mit 699 Mill. -
erreicht hat, wird er zur Zeit nur mir 70 bis 100 Millionen in Anspruch genommen, obwohl be deutende Anleihereste auf ihm ruhen.
LuslLndrLcheL.
i Paris, 14. Febr. Der für Petroleum-Heizung eingerichtete Turbinentorpedojäger Cavalier hat dem Journal des Debats zufolge für die Fahrt Cher bonrg-Oran-Tvulon für etwa 90 000 Francs Pe troleüm verbraucht, während der Kohlenverbrauch nur etwa 97,00 Francs gekostet hätte.
ff Paris, 14. Febr. Die irrenärztlichen Sachsverständigen sprachen sich heuce für die Unzurechnungsfähigkeit Gizolmes aus, der am l 7. Januar in der Deputierteukammer zwei Revolverschüsse auf Briand abgegeben hatte. Das gerichtliche Verfahren gegen Gizolme wird demnächst eingestellt und Gi zolme einer Irrenanstalt überwiesen werden.
ff Petersburg, 14. Febr. Auf der Halbinsel Krim herrscht eine ungewöhnliche Kälte. Der Schnee liegt so hoch, daß viele Dörfer vom Verkehr abgeschnftten sind. Der Gouverneur, der nach Jalta reisen wollte, mußte sich durch 9 Meter tiefen Schnee einen Weg bahnen lassen. Viele Schafherden erfrieren. Obstbäume werden von den Einwohnern als Brennmaterial verwandt. Die Kohlen lager 'im Dvney-Gebiet können den Bedarf nicht decken.
st Teheran, 14. Febr. Am Sonntag wurden alle Mitglieder des Medschlis zun; Regenten berufen, der sich über die pvlitis ch e L ag e äußerte. Seine Auslassungen sind nicht veröffentlicht worden. Aber es besteht Grund, zu glauben, daß er die Abgeord neten beschwor, angesichts der ernsten Lage des Landes ihre Meinungsverschiedenheßcn bei Seite zu lassen. Man glaubt ferner,' er habe erklärt, daß er den Eid erst ablegen werde, wenn sich eine feste Mehrheit im Medschlis gebildet habe. Der Premierminister hat dem Regenten ebenfalls seinen Besuch äbgestattet.
ff Saloniki, 14. Febr. In der Umgegend von Taarz kam es zu einem Gefecht zwilchen den dort lagernden türkisch?» Truppen und den Arabern. Auch Iahia hatte verschiedene blutige Kämpfe mit den Türken, wobei die Araber 900 und die Türken 100 Mann verloren. Unter den Arabern herrscht die Cholera. Der Gesundheitszustand der Türken ist gut.
st Buenos Aires, 14. Febr. Durch eine Feners- brunst sind hier in der vergangenen Nacht mehrere Zollspeicher niedergebrannt. Der Schaden beträgt e'wa 1 Million Master in Papier.
Tie Kronpr'nzenreise.
7 Calculta, 14. Febr. Der deutsche Kronprinz besichtigte heule vormittag ein? große Iulefabrik. Nachmittags begab sich der Kronprinz mit dem deutschen und englischen Gefolge auf di? „Gneisenau", wo ein Abschiedsmahl stattfand. Die „Gncisenau" und die „Leipzig" gingen sodann nach Osten ab. Der Thronfolger wird den Rest seines Aufenthalts in Indien in Sunderbunds verbringen, um einen weiteren interessanten Teil des Landes kennen zu lernen. Die Rückkehr nach Calculta erfolgt am 22. ds. Mts.
Eine Eisenbnhnkatastrophe in Frankreich, st Paris, 14. Febr. Der nachmittags gegen 5 Uhr von Paris nach Brest abgehende Expreßzng stieß gegen Oeinviertel Uhr in Station Gonrville bei Chartres mit einem Güterzng zusammen. Beide Züge singen Feuer und verbran n t en voll st ä n - dig bis auf den Speisewagen des Expreßzuges. Bisher sind acht Leichen geborgen. Die Zahl der Verwundeten ist sehr groß.
Die Pest in China.
st Chardin, 14. Febr. Gestern starben an der Pest 29 Personen. Heute starb ein unbekannter von der Straße aufgehobener Russe. Die Zahl der Todesfälle in Fndsiadjan ist in der letzten Woche gesunken. Sie betrug 49'. Bisher sind dort gegen 7000 Leichen verbrannt worden. In Quangtschventze ist der chinesische Taotai >vegen seines Verhaltens 1 in Bezug ans die Pestmaßregeln abgesetzt und durch eiiren Beamten ans Nänkden ersetzt worden. Die Zahl der Todesfälle in der Stadt steigt. Bisher wurden 2500 Leichen verbrannt. Viele sind noch un- bestcittet.
Merke!.
* Neue l 0 0 - M a r k--S ch e i u e werden in der nächsten Zeit zur Ausgabe gelangen. Sie sind in bläulichem Kupferdrnck ausgeführt, 20,7 Zentimeter lang und 10,2 Zentimeter hoch und sind aus geschöpftem Papier hergestellt. Auf der linken Vorderseite zeigen sie als Wasserzeichen das Brustbild Kaiser Wilhelms l. und darunter ein von lichten Punkten umgebenes, dunkelnmrandetes Oval mit der Hellen Zahl lOO. Aus der linken Hälfte der Rückseite befindet sich ein Streifen aus purpurrvten und grünen Pflanzenfasern. Die Nummer der Note erscheint auf der Vorderseite zweimal, auf der Rückseite dreimal.
* Ju Ober! lallen sind neuerdings starke Schneefälle eingetreten, die den Eisenbahnverkehr sehr erschweren.
* Vor dem Nachlaßgericht in London wurde vorgestern die von der Schwester der ermordeten Frau
Crivpen angefvchtene Einsetzung der Miß Leneve I als Testamen^svollstreckerin Dr. Crippens zugunsten ! der Schwester entschieden. In der Begründung HBU es, daß ein Verbrecher aus seinen; Verbrechen keinen Nutzen ziehen dürfe.
* Am Tage der Beerdigung des Barons Rothschild werden in Wien 200 000 Kronen und in Budapest ! 00 000 Kronen an die Armen verteilt werden.
* Der Nachlaß des verstorbenen Wiener R o t h -----
schilds wird ans ungefähr 1200 Millionen Kr. : geschätzt. Dem Staat? wird eine Erbsteuer von 25 Millionen Kr. zufallen. Da von dieser Steuer ein I
gewisser Prozentsatz für die Wiener Krankenanstalten ^ abgeführt werden muß, wird die seit langen Iah- i ren schon schlimme Lage der Wiener Spitäler und Krankenanstalten gebessert werden.
* Unter den 200 englischen Mädchen, die dieser Tage als H e i r a t s k a n d i d a ti n n e n nach Kanada abreisten, befand sich auch Frl. Leneve, die Geliebte des Gattenmörders Crippen. Ihr Bild nnd mehr noch ihre dramatische Liebesgeschichte hat es einem reichen kanadischen Farmer so nachdrücklich angetan, daß er das Mädchen zur Ehe begehrte.
Wir fassen alles Ueberirdische nicht durch den Begriff, sondern durch den Glauben.
De.thold Auerbach.
Welche von beiden?
Novelle von Adolf Stern.
(Fortse-ung.)
Nachdruck verboten.
„Das ist meine Sache, Herr Holters, ich werde Sie und Ihre Frau hinüberführen und der Wirtin drüben empfehlen!" rief Klara Addenhofen. Jetzt, wo sich der Landsmann emporgerlchte: hatte und ganz nahe vor den beiden Hit:reichen üand, sah Fräulein Klara noch deutlicher als Friedrich Gerland, daß Frank Holters doch vielmehr verwildert und trotzig, als krank und elend erschien. Er hatte das Geld, das Gerland seinem Weibe gegeben hatte, aus der Hand Francescas genommen und mir nachlässiger Hand- beweguna in die Tasche seines braunen Mantels versenkt, er beantwortete den Eifer der Dame mit einer Art Verbeugung, aber wandie sich dann doch zu dem Tische unter den Säulen zurück, um mit einem tiefen durstigen Zuge den Rest des Weines zu trinken, den man ihm hingesrellt harte. Danach gönnte er einer der Schwestern vom Kreuz, die in diesem Hos zur Bedienung der Pilger zurückgeblieben war, ein paar gemurmelte Worte, die sie für einen Dank an das Haus nehmen mochte, rückte sich den großen ursprünglich schwarzen, jetzt grauv.awctterten Schlapphut zurecht und gab seinem Weibe einen Stoß mit dem Ellenbogen, als Zeichen, daß er zunr Gehen bereit sei. Fräulein Addenhofen hatte inzwischen eines der Zimmermädchen nach dem vorderen T ile des
Hauses entsendet, sich ihren Hut und ein Tuch bringen zn lassen und wandte sich nun an das seltsame Paar mit den Worten: „So lassen Sie uns gehen, Herr Holters. Mut, Signora, — Ihr Mann wird gesund werden, wenn er nur erst eine bessere Wohnung hat, als in der Campagna. Guten Abend, Herr Doktor, I'e gehen wohl auf Ihr Zimmer und ich sehe Sie morgen?"
„Ich werde im Porderhof Ihre Rückkehr erwarten, Fräulein Klara!" sagte der Gelehrte und fügte leiser hinzu: „Sie sehen, wieviel Barmherzigkeit sich auch außerhalb dieses Hauses üben läßt."
Fräulein Addenhofen blickte von ihm hinweg und antwortete aus seine letzte Bemerkung nicht, sondern winkte dem Künstler und seiner römischen Frau, die mit scheuer Erwartung, aber nicht ohne ein hoffnungsreiches Lächeln, dos manchen entschlummerten Reiz ihres Gesichts wieder wachrief, dem Weggang entgegensah. Durch eine Seiteiipforie verließen die Helferin und ihre Ichutzbeöhlenen den Hos, Friedrich Gerland sah noch, daß der Maler in plötzlich auftauchender Erinnerung an vergessene Sitte Fräulein Addenhofen und sogar seine Frau oorarrgehen ließ, ehe er selbst die Schwelle überschritt. Am halberschrockenen Blick des jungen Weibes ermaß Gerland, daß der Landsmann seine Frau nicht verwöhnt habe, und erriet ein gutes Stück der Geschichte von Frank Halters. Er selbst begab sich dann über die Gänge und Treppen, die er vorhin geführt worden war, nach dein gartenähnlichen Hofe vor dem Speisesaal zurück. Indem er sich in dem völlig einsamen, aber hell beleuchteten Hofe eine Zigarre arrzündete, summte er vor sich hin: „Die kleine Schönheit, die uns den Wildling so inständig empfahl, rvird sich wundern, wenn sie merkt, welch ein Bündel sie uns aufgepackt hat." Und dann dachte er, an den dunklen Wänden des großen Hauses emporsehend, wo nur wenige Fenster Licht ausstrahlten, wie seltsam das Heim sei, das ec sich in
der ewigen Stadt ausgesucht habe. Er warf seine Zigarre wieder weg. als die Glocke vom Haupttor und das Geräusch des eisernen Pförtchens ihm ankündigte, daß Fräulein Addenhofen zurückkehre, und eilte der Dame bis zum Aufgang der Treppe entgegen. Sie begrüßte ihn lächelnd, ihr Gesicht rvar von dem geschäftigen Eifer gerötet, den sie bei Unterbringung des armer, Künstlerpaares erusaltet hatte.
„Es machte keine Schwierigkeiten, den Leuten die Wohnung zu verschaffen, da die Vermieterin mich kennt," sagte sie schlicht. „Frank Holters nnd Cccca haben ein großes Zimmer, das nach römischen Begriffen sogar hübsch und bequem ausgestattet ist, der Frau sah man an, daß sie niemals auch nur soviel Luxus gekannt hat. Er bekam eben wieder einen Fieberanfalk und wartete kaum ab, daß ich die Tür schloß, um sich krachend aufs Bett zu werfen. Soweit es sich um sein Fieber und vielleicht um die Frau handelt, tun wir recht, erfüllen nur eine Pflicht: im übrigen, lieber Freund, flößt mir der Mann geringe Hoffnung ein, daß ihm wirklich zu helfen sei. Wer weiß, ob er je ein Maler gewesen ist, oder wenn, ob er sich noch einen nennen darf!"
„Nicht doch, liebes Fräulein!" antwortete Friedrich Gerland. „Seinen Namen habe ich gehört und noch vor zwei oder drei Jahren ein paar Blätter von ihm gesehen, wild eigentümliche Skizzen, die freilich die Campagna anders darstellen, als es Lindemann-Frommel tut. Vielleicht ist er doch ein wenig zu heben, wär's auch nur um der Frau willen, die mit ihm sicher seit der ersten Liebschaft keinen guten Tag gesehen hat."
„Gute Nacht für heute. Und — und," setzte er zögernd hinzu, „und ich hoffe, Fräulein Addenhofen, Sw nehmen doch das wunderliche Erlebnis dieses Abends für ein Zeichen, Ihren Entschluß noch einmal, noch vielmal zu bedenken. Sie sahen, wie viel besser und freier wir Draußenstehenden unserem Mitleid folgen türfen, als die Schwestern vom Kreuz."
..Ei:..-