Drut>cher Reichstag.
Berlin, 31. Januar.
Aus der Tagesordnung steht die dritte Lesung der ReichiSwertzuwachssteuer. Bor Eintritt in di-e Tagesordnung macht der Präsident dein Hanse die Mitteilung von dem yenrr mittag erfolgten Tode des Reichstagsabgeordneten Singer. Das .Haus erhebt sich zum Andenken an den Verstorbenen von den Plätzen. Zur Reichswertzuwachsstenervorlage liegen wieder viele Anträge vor. darunter ein Amende ment der Konservativen ans Steuerfreiheit des Lam dessürsten n. der Landessürstin. Abg. Jäger (Ztr. erklärt namens der Mehrzahl seiner Freunde, die Annahme der als Antrag Trimborn eiagebrächten Kompromißgnträge vorausgesetzt ; Bevorzugung der Festnngsstädte. Zulassung des Rechtsweges bei Rek lamationen wo. fiir die Beschlüsse der zweiten Le sung stimmen zu wollen. Arendt >Rp. st: Wäre eine vierte Lesung möglich, so würde sich die Zahl der Abändernngsanträge eher vermehren als ver mindern. Eine Ertragssteuer war überhaupt erst für später zu erwarten. Süd et um (Sozo: Der Kompromißanträg der sogenannten bürgerlichen Parteien bietet den Agrariern den Löwenanteil. Die Freisinnigen traten ihm bei. lediglich weil sie sich scheuen, mit uns zu stimmen. Ich beantrage namentliche Abstimmung. Die ursprüngliche Vorlage war zwar kein Meisterwerk, aber eine brauchbare Arbeit. Für die Kriegsteilnehmer bleibt nichts übrig. Die Verquickung der Vorlage mit dem Wehrgesetz sehnen wir ab und stimmen ans diesen! Grande, gegen das Gesetz. Staatssekretär Wermuth: Die Partei des Vorredners zieht sich ans die Regie rnngsvorlage zurück. Ihre Zustimmung allein gibt uns aber keine Mehrheit und wir wissen nicht ein mal, ob die ganze Partei für die ursprüngliche Vorlage stimmen würde. Für die Veteranen liegt kein Grund zu Befürchtungen vor. Das Gesetz soll in der Hauptsache eine ruhige ans Jahre hinaus berechnete Finanzpolitik ermöglichen Bravo! . Roesicke (Kons. : Die Kommission ist in zahllosen Beratun gen voll bemüht gewesen aus der Vorlage einen brauchbaren Kern herauszuschälen. Es sind dabei alle Interessen berücksichtigt worden. Wir werden für die Kommissionsfassung stimmen. We b erschall. : Gerade, weil die Zuwachssteuer dazu dienen wird, den Etat zu balanzieren und zu einer gesnn den Finanzwirtschast zu gelangen, sollte man für sie «intreten. Aus der Steuerfreiheit der Fürsten kann man doch kaum eine Prinzipienfrage machen. Wir iverden im ganzen für die Vorlage stimmen. Enno (Fortschritts. Vpb. : Wenn die Steuer jetzt nicht durchgeht, so dürfte es erst recht schwer sein, ein solches Gesetz zum zweiten Mal einzubringen. Für die Veteranen muß etwas geschehen. Das Fürsten Privileg lehnen wir ab. Südekum lSvz.D Als Besitzsteuer ist die Vorlage nicht anzusprechen. Die Spekulanten würden sieb freuen, wenn dieses unbrauchbare Gesetz zustande käme. Gräfe "D. Refp. : Wir stimmen für das Gesetz, da wir es als Schlußl- stein der Reichsfinanzreform ansehen. Damit schließt die Generaldiskussion. Eine Reihe von Paragraphen werden ohne wesentliche Debatte angenommen. Zu Paragraph 22 liegt ein Antrag Normann ÜKons.l vor, die Steuerfreiheit der Landesfürsten und Lau desfürstinnen wieder in das Gesetz aufznnehmen.
Es eirlspinnt sieb hierüber eine lebhafte Debatt".
Die Abstimmung über den Anirag Normann ist na menklich, mit Ja stimmen >66. mit Nein 138 Ab geordnete, >7 Abg. enthalten sich der Stimme. Der Autrag Normann ist also angenommen und damit Steuerfreiheit der Landesfürsten beschlossen. Abg; Naumann Hofer (Fortschritts. Vpt. begründet einen Antrag, wonach Ausnahmen von Steuerbefreiung der Landesfürsten zu Gunsten von Gemein den der Gemeindeverbände durch Laudesgejetzge- bnng zulässig ist. Nachdem Staatssekretär ätz e r muth diesem Antrag zugestimmt hat,.wird er fast einstimmig angenommen. Darauf vertagt sich das Hans ans morgen >2 Uhr. Fortsetzung. Petitionen,
Landesnachrichten.
si Dein Metzger Braun in Rotfelden wurde dieser Tage der zwölfte Knabe geboren. Bon diesen zwölf wird nun Heuer einer getauft, einer konfirmiert und drei werden ansgemnstert.
st Horb, 3!. Jan. Ein !2jühriger Knabe aus Sulzen kam gestern früh mit dem 8 Uhr Zug hieran und wollte für sein Leiden Heilung in der Chi rurgischen Klinik suchen. Bei dem Umsteigen überraschte ihn der Tod, er starb in den Armen des Bahnpersonals.
st Lustnau, OA. Tübingen, 3l. Jan. Bei den Grabarbeiten au einem Fabrikneuban wurde ein Ar beiter des Bauunternehmers Hansel durch eine nach stürzende Bodenmasse erschlagen; er war sofort t o t.
ü Rottweil 3l. Jan. In der Nähe der Saline wurde der 7 Jahre alte Knabe des Salinenarbeitcrs Schubaner in der Prim tot anfgesnnden. Das Kind hatte 'sich in einem unbewachten Augenblick aus das dünne Eis des Baches begeben und war eingebrochen. Trotz der geringen Tiefe an der Unglücksstelle konnte sich der Knabe nichr mehr herausarbeiten. Sitzend, in erstarrtein Zustand wurde er im Gebüsch ans gefunden.
* Stuttgart, 3!. Jan. Mil Schreiben des K. Tlaatsministerinms vom 3>>. Januar l'-N ! ist dem .Präsidium der Zweiten Kammer der Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Einkonimensverbäitnisse der Volksschnllehrer eLehrerbesoldungsgesetz, zugegangen. Mit Schreiben des K. Staatsministeriums vom 30. Januar ist dem Präsidium der Zweiten Kammer der Entwurf eines Gesetzes, betrestend Ge Währung von Notstandsdarlehen an Weinbangemeinden zugegangen.
* Stuttgart, 31. Januar. Die Man! und Klauenseuche ist weiter ansgebrochen in Württemberg: in Oettingen und Kirchheim, OA. Kirch- heim: in Bünswangen, OA. Göppingen: in Schorndorf: in Stammheim. OA. Ludwigsburg. Diese Sen chenansbrüche sind ebenfalls aus die Einfuhr norddeutscher Schweine zurückzuführen. Weiter ist die Seuche ansgebrochen in Oedheim, OA. Neckarsulm. in einem Händlerstall und in Schwenningen. OA. Rottweil. In diesen beiden Fällen erfolgte die Ein schleppung wahrscheinlich durch den Personenverkehr.
* Stuttgart, 3l. Jan. Kommerzienrat R. Keller. welcher 37 Jahr? als Direktor an der Spitze der württ. Hypothekenbank gestanden, ist im Älter von 80 Jahren gestorben.
* Stuttgart, 3l. Jan. Die Stuttgarter Fleischerinnung teil mit, daß ab l. Februar-sieb di?
Die Hauptsache ist, das; man eine Seele habe, die das Wahre liebt und die es aufnimmt, wo sie es findet.
Goethe.
Die Bsllmulter.
Novelle von Tea van Husen.
(Fortsetzung.) Nachdruck verboten.
Wäre Ilse jetzt offen gewesen, so hätte er ihr noch verziehen und alles für einen Scherz gehalten, was es anfänglich ja auch war. Aber sie ließ den Augenblick unbenutzt vorüber gehen. Einen Moment bestand ihr Inneres einen harten Kampf, dann sprach sie:
„Ich muß meiner jungen Freundin sagen, was Sie für eine gute Meinung von ihr haben, doch fürchte ich, Sie überschätzen ihren Charakter."
Sie wußte ihre Stimme so zu beherrschen, daß der ehrliche Oelsbach nicht begreifen konnte, wie ihm auch nur für einen Moment der lächerliche Gedanke hätte kommen können, Ilse habe sich als alte Frau verkleidet. Das liebe kleine Geschöpf war viel zu eitel, um nicht stets so hübsch als möglich zu erscheinen. So führte er, vollständig wieder beruhigt — denn der Gedanke halte ihn im höchsten Grade unangenehm berührt — Frau Rabenow wieder an ihren Platz. -
Es ward spät, und schon sing der Saal an, sich bedeutend zu leeren, als Ilse plötzlich einfiel, daß sie sowohl wie Nora vergessen hatten, den Wagen wiederzubestellen.
„Nora," lispelte sie dieser zu, „wir haben den Wagen nicht bestellt, was fangen wir jetzt an s"
Die Freundin machte ein sehr betroffenes Gesicht.
„Jetzt werden wir sicher entdeckst" klagte Ilse, „ach, ich wünschte, wir wären zu Hause geblieben."
„O, sage das nicht!" erwiderte Nora errötend, — „Ilse, ich muß Dir etwas anvertrauen."
Der halb schüchterne, halb glückstrahlende Blick, den sie dabei aus ihren lebhaften hübschen Augen dem eleganten Straßenränder znmarf, verrieten mehr als ihre Worte.
„Wie, Nora!" rief Ilse, „hast Du Dich mit ihm verlobt? und noch dazu ohne meine Einwilligung?" setzte sie mutwillig hinzu.
In dem Augenblicke trat Oelsbach mit seinein Freunde Herlenbeck heran, und die Damen klagten ihnen ihre Not wegen des Wagens, woraus Herlenbeck diensteifrig davoneilte.
„Es int mir leid, Herrn Herlenbeck so viel Mühe zu machen," sagte Ilse.
„O, die Mühe ist nicht groß — wenn nur überhaupt ein Wagen zu bekommen ist," entgegnete Oelsbach. „Es herrscht heute zu später Stunde ein solches Leben in den Straßen, wie ich mich seit dem Schloßbrand nicht erinnere. Weißt Du noch, Nora, wie Du und Ilse durchaus hingehen und das Feuer sehen wolltet, und wie Tante Aurora Euch in Jlse's Zimmer einschloß.
Da lachte Frau Rabenow plötzlich mit so Hellem, bekanntem Klange auf, daß Oelsbach zu träumen glaubte: aber das Lachen verstümmle schnell, und als er sie wieder ansah, saß sie fein sittsam auf ihrem Stuhl und blickte sehr ernst durch ihre schützenden Brillengläser.
Nach wenigen Minuten meldete Herlenbeck, es sei ein Wagen da. So fuhren die Vier zusammen. Nora und Herlenbeck waren sich selbst genug, die anderen Zwei mochten ihrem Beispiel folgen.
Fleijchpreise folgendermaßen gestalten: Ochsenfleisch 88 Pfg., Rindfleisch l. Qualität 85 Pfg., Rindfleisch 2. Qualität 8<» Pfg., Rindfleisch 3. Qualität (Kuhfleisch 75 Pfg.. Kalbfleisch l. Qualität 05 Pfg.. Ktalbfleisch 2. Qualität Ü0 Pfg/) Schweinefleisch, abgedeckt, 80 Pfg., Schweinefleisch, nnab gedeckt. 75 Pfg., Hammelfleisch 75 Pfg. und Schaf- fleijcl) 05 Pfg.
j! Stuttgart, 3l. Jan. Die hiesigen Flaschner und Installateure sind in eure Lohnbewegung eingetreten. Sie haben in einer gestern abend im Gewerkschaftshaus stattgehabten Versammlung neue Forderungen an die Meister ausgestellt. Der vor drei Jahren mit den Arbeitgebern abgeschlossene Tarifvertrag läuft am 28. Februar all.
st Bückingen, OA. Heilbronn, 3l. Jan. Gestern wurden hier einige Frauen unter dem Verdacht des Berbreckpors gegen das keimende Leben verhaftet. Desgleichen wurde ein Malergehilfe, der den Frauen zu dem Verbrechen Beihilfe geleistet haben soll, ebenfalls in Untersuchung genommen. Die Verhaftungen erregen hier großes Änssehen.
st Baihingen a. E., 3!. Jan. Ein'Böhme, dermo einem l 6jährigen Mädchen von Oberriexingen Beziehungen angeknüpft hatte, sehr elegant austrat und viel Geld ansgab, wurde in Großfachsenheim unter dem Verdacht des Mädchenhandels verhaftet uns ans hiesige Amtsgericht eingeliefert.
st Münsnigcn, 3l. Jan. In Hansen an der Lanchert ist der Sohn eines Fischers mit Pferd und Schlitten des Vaters auf Reisen gegangen. Der Vater fürchtet, daß der junge Fischer beides versilbert hat und das Geld verjubelt.
st Ulm, 3l. Jan. Außerhalb des Bahnhofes Neu Mm entgleiste infolge Gleisdefekts die Lokomotive eines Rangierznges und stürzte den Bahndamm hinab: Heizer und Führer wurden verletzt, jedoch nicht lebensgefährlich. Dec Betrieb ist nicht gestört.
Aus dem Reiche.
* Berlin, 3!. Jan. Der Reichstagsabgeordnete Paul Singer ist heute mittag gestorben. — Paul Singer war schon längere Zeit leidend. Er ist 07 Jahre alt geworden.
st Berlin, 31. Jan. Die „Nationalzeitnng" meldet: Heute stieß, auf dem Flugplatz Johannisthal Boutard, ein Schüler Ponlains, auf einem Poulain- apparat infolge mangelhaften Stenerns gegen einen Baron. Die Maschine begrub Boutard unter den Trümmern. Er erlitt eine schwere Rückgratsverletzung und wurde nach dem Krankenhaus in Britz transportiert.
Ter Dank des Kaisers.
st Berlin, 3l. Jan. Der „Reichsanzeiger" veröffentlicht nachfolgenden Erlaß, des Kaisers an den Reichskanzler: Mit herzlicher Freude habe ich auch an meinem diesjährigen Geburistag erfahren dürfen. wie sehr mir alle deutschfühlenden Herzen im Baterlande zugetan sind. Durch die Erinnerung an die vor 40 Jahren erfolgte Begründung des deutschen Reiches hat die Feier meines Geburtstages noch eine besonder? Weihe erhalten. Ueberall in deutschen Landen, wie in fernen Erdteilen, wo Deutsche diese Tage festlich vereinigt haben, hat
Als sie fast an Elgcrshoff's Wohnung angelangt waren, bog Oelsbach sich zu seinem Gegenüber und sagte: „Wollen Sie so freundlich sein, Frau Rabenow, und an Ilse einen Auftrag von mir ausrichlen?"
Diese neigte den Kops und er fuhr fort: „So, bitte, sagen Sie ihr, daß ich sehr eniiäuscht gewesen sei, sie heute nicht hier zu sehen, und daß ich morgen nur komme, um sie noch zu sprechen, und sagen Sie ihr — nein," unterbrach er sich selbst, „das Weitere will ich ihr lieber selbst sagen," schloß er lachend, als Frau Rabenow sich in ihre Wagenecke zurücklehnte und Oelsbach gewahr ward, wie er auf dem besten Wege war, sich selbst lächerlich zu machen.
„Da sind wir am Ziel!" rief er, als der Wagen hielt, , „vielen Dank, Frau Rabenow, daß Sie sich meiner-Schwester so angenommen haben."
Herr Herlenbeck sprang hinaus und eilte mit Nora davon und überließ es Oelsbach, Frau Rabenow behilflich zu sein. Beim Aussteigen stieß dieselbe mit dem Kopf oben an den Wagen, dadurch gerieten Haube und Locken in Unordnung, die Brille fiel zu Boden und da stand — Ilse! Trotz der herrschenden Dunkelheit erkannte Oelsbach sie sofort, und von seinen widerstreitenden Gefühlen getrieben, ließ er unwillkürlich ihre Hand los und bot ihr mit einer steifen Verbeugung den Arm.
Nie vergaß Ilse den ticfschmerzlichen Ausdruck, der sich über sein Gesicht ergoß, als er erkennen mußte, wie die, die er für das Spiegelbild reinster, fleckenlosester Wahrheit gehalten hatte, so „Theater gespielt" und noch dazu ihm gegenüber gespielt hatte. Sie hatte ihn getäuscht, wie konnte er ihr jemals wieder glauben? Sie hatte schweigend zugehört, wie er von seinem Vertrauen zu ihr gesprochen hatte, und selbst als es ihr fast seine Liebe verraten, hatte sie stillgeschwiegen.