liehen Erscheinungen der letzten Zeit in Etsaß-Loih ringen können uns zu einer Aenderung in unserer Stellungnahme nicht veranlassen. Die Einverlei bnng in Preußen oder in einen anderen Bundesstaat ist in den letzten Wochen publizistisch vertreten mvr den. Ich werde heute darüber keine Erörterungen anstellen, ob diese Ordnung der Dinge zu Anfang zweckmäßig gewesen wäre. Heute würde sie unzweifelhaft im schärfsten Gegensätze stehen zu der Politik, die bisher Elsaß Lothringen gegenüber beobachtet worden ist. Durch die bisherige Entwicklung ist ein Besitzstand geschaffen worden, der nicht nur für Elsaß-Lothringen eine Existenzfrage ist, sondern auch eine feste Stütze cher Beziehungen bildet, in denen das Reich zu seinem jüngsten Gliede steht. Alle diese Werte geistiger und materieller Art wür den wir vernichten, wenn wir heute daran denken ibollten, Elsaß Lothringen in einen angrenzendeil Bundesstaat einzuverleiben. Rur Gründe zwingender Art könnten uns veranlassen, auf diesen Gedanken zurückzngreifen, den Fürst Bismarck selbst zu Ende der achtziger Jahre durchgedacht und durchgearbeitet hat, den er aber dann völlig fallen ließ. Gegenüber der pessimistischen Beurteilung der Fortschritte des Deutschtums in Elsaß-Lothringen darf doch nicht übersehen werden, daß die Neigung zum Partikula rismns und zur Rechthaberei, verbunden mit einer selbstzerfleischenden Kritik, die die Heimat gegen über dein Auslände herabsetzt, die ursprüngliche Assi milierungskraft des Deutschtunis und die Neigung des Auslandes zu uns wesentlich beeinträchtigen muß. Man kann sich also nicht wundern, wenn der Berschmelzungsprvzeß nicht so schnell vor sich gegangen ist, und es wäre falsch, die Hände darum in den Schoß zu legen. Vielleicht ist es ein Fehler gewesen, daß man in der Politik, mit der Bismarck fest eingesetzt hatte, zu lange einen Stillstand hat eintreten lassen. Wenn einmal der Wunsch nach staatlicher Selbständigkeit anerkannt war, dann hat das lange Zögern Mißmut Hervorrufen müssen. Ich setze mich darum mit Entschiedenheit für die Vortage ein. Aber allerdings würde eine Politik der Nachgiebigkeit gegen die Elemente, die gegen die innere Vereinigung mit Deutschland Hetzen, uns keinen Schritt vorwärts bringen. (Sehr richtig! rechtsZ Diese Elemente müssen vielmehr die Hand des Gesetzes fühlen. Der Versuch, einen Widerspruch zwischen dem Elsaß»-Lvthringen vorgeschlagenen Wahlrecht und dem preußischen Wahlrecht zu konstrnie ren, ist im Grunde eine theoretische Spielerei. Es ist unmöglich, die Stellung, die Preußen in den Angelegenheiten des Reiches überwiesen worden ist, mit der irgend eines anderen Reichsgliedes in Parallele zu setzen. Eine demokratische Neberflutung des preußischen Landtags, die einen Wechsel in den Aemtern der Minister usw. erzwingen könnte, würde eine vollständige Desorganisation des Reiches bedeuten. Unruhe links, sehr richtig rechts., Preu ßen werde sich sein Wahlrecht nach seinem eigenen Gutdünken und ohne dem Muster der anderen Staaten zu folgen so gestalten, daß es als Prä sidialmacht eine konstante Reichspolitik führen kann. Die Frage des elsaß-lothringischen Wahlrechts hat damit nichts zu tun. Ich bemerke indessen, daß die verbündeten Regierungen von der Forderung des Zweikammersystems für Elsaß-Lothringen nicht abgehen werden. Die erste Kammer müsse ein Voll werk sein, die eine jedem Zweifel entrückte deutsche Politik in den Reichslanden gewährleistet. Deutsch
lands Löhne haben nicht dazu auf den Schlachtfeldern von Elsaß-Lothringen geblutet, daß deutschfeindliche Tendenzen sich dort ungestört entwickeln dürften. Aber es handle sich darum, dem Lande zu geben, was des Landes ist, dem Reiche, was des Reiches ist. Wir hoffen, daß die vorgeschlage neu Institutionen das politische Leben in den Reichs landen neu anregen werden und daß jeder Zuwachs an Macht und Stärkeren Elsaß-Lothringen erfährt, auch dem Reiche zu gute kommt. Das ist unser einziges Ziel und ich bitte den Reichstag, an der Erreichung dieses Zieles mitzuarbeiten. tBeisallk) Abg Preiß tEls., bezeichnet? die Vorlage als ein Berlegenheitsprodukt, das nicht genüge. Abg. Lie - bermann von Sonnenderg i'Wirtsch. Vg.> erachtete die Zeit, Elsaß-Lothringen eine Verfassung zu geben, noch nicht für gekommen. Unter großer Unruhe der Elsaß-Lothringer sprach er über die Verhältnisse im Reichslande. Staatssekretär Dr. Delbrück wies die Ausführungen des Abg. Preiß zurück und befürwortete nochmals die Vorlage, die schließlich nach weiteren Reden der Abg. v. Hert ling Ztr. , Bohle Soz, . Gregoire und Wetterte Elsä, Dove (VolkspZ einer Kommission überwiesen wurde. Montag: Petitionen und kleine Vorlagen,.
Lsndesnachrichten.
60 . Januar-
- Der älteste Bürger unserer Stadt, Urgroßvater Karl Kaltenbach, Tuchmacher, ist am gestrigen Sonntag im Alter von nahezu 92 Jahren verschieden. Der Verstorbene war bis in die letzlen Jahre noch recht rüstig und munter. In letzter Zeit machte sich Altersschwäche bemerkbar, und eine hin zngekommene Krankheit führte das Ende rasch.herbei.
* Das gestern nachmittag im ,,grünen Baum" von Paul Schöller aus Stuttgart veranstaltete Konzert erfreute sich eines sehr gnchn Besuches. Die Leistungen des Sängers waren ganz hervorragend und befriedigten die Zuhörer sehr. Hervor- gehoben zu werden verdient auch die ausgezeichnete Klavierbegleitung des Pianisten Karl Hipp aus Stuttgart, welcher wesentlich zum Erfolg des Sängers beitrug. Reicher Beifall belohnte die hüb>chen Darbietungen.
* Znr Lage im Verwaltungsfach. Wie sehr das Verwaltungsfach an überschüssigen Kräften verfügt, beweist die Tatsache, daß nicht nur ungeprüfte, son dern auch geprüfte Leute zurzeit ohne Stellung sind. Von den vielen abgesehen, die sich mit einem Einkommen begnügen müssen, das zu ihrem Alter, ihren Fähigkeiten und ihren Ansbildnngskosten in keinem Verhältnis steht. Leider besteht keine Aussicht, daß sich die Verhältnisse in absehbarer Zeit wieder bessern, denn der Andrang zum Fach war in den letzten Jahren derart, daß der Bedarf ohne weiteren Zuzug auf Jahre hinaus mehr als gedeckt wäre. Manche Angehörige des Faches wenden sich anderen Berufen zu.
* Garnuntersuchung. Zur Untersuchung der für den Kleinhandel bestimmten Garne nach Maß-- gabe der in den Bekanntmachungen des Reichskanzlers vom 29. November 1999 und Vvm 17. Nov. 1992 enthaltenen Bestimmungen ist nunmehr in dem am I. Oktober 19l9 eröffnet?::, dem Technikum für Textilindustrie in Reutlingen angeglieder
ten und der unmittelbaren Aufsicht der K. Zentralstelle für Gewerbe und Handel unterstehenden Prnf- aml für Textilstofse Gelegenheit gegeben. Die Untersuchung erfolgt nach einer voll dem Ministerium des Innern unterm 16. September l9I0 genehmigten Anleitung. Die Polizeibehörden werden angewiesen, erforderlichenfalls die Tätigkeit des Prü- fnngsamts in Anspruch zu nehmen.
Calw, 29. Januar. Die politische Tätigkeit der Parteien hat mit aller Kraft eingesetzt. Heute fanden in Ealw 2 p o l i t i s ch e V e r s a m m l u n g e n, eure der Fortschrittlichen Volkspartei und eine, der deutschen Partei, und in Altbnrg und Alzenberg 2 sozialdemokratische Versammlungen statt. Die Fortschrittliche Bolkspartei hatte eine Wahlkreisverstammlnng des 7. Reichstagswahlkreises einbernfen. In der Versammlung wurde die Kreis- vrganisativn beraten und der seitherige Reichstags- abgeordnete S ch w e i k h a r d t wieder als Reichs- tagstandidat ausgestellt. Parteisekretär Stau den- nreyer hielt einen Bortrag über die politischen Fragen der Gegenwart. In der Versammlung der Deutschen Partei sprach Parteisekretär Ketil a t h über die gegenwärtige politische Lage im Reich und Land. Als die Volkspartei in einem Schreib^' der deutschen Partei am Ende des Vortrags die Mitteilung gemacht hatte, daß Reichstagsabgeordneter Schweikh a r d t die Kandidatur für den Wahlkreis wieder ange n v m m e u habe und daß die Bolks- parkei erwarte, daß in dem heißen Wahlkampf die Deutsche Partei Schulter an Schulter mit der Volks- Partei kämpfen werde, entspann sich eine lebhafte Diskussion über das Wahlabkvmmen zwischen den beiden Parteien. Schließlich gelangte folgende Resolution zur Annahme: Die nationalliberale Partei, Ortsgruppe Calw,, erklärt sich bereit, das Wahlabkommen zu halten und die Kandidatur Schweikhardt nachdrücklichst zu unterstützen. Sie knüpft daran aber den Vorbehalt, daß das Wahlabkommen auch von Seiten der Bolkspartei in allen Wahlkreisen, und besonders in dem benachbarten 4. Wahlkreis (Böblingen, Leonberg, Baihingen) streng und aufrichtig eingehalten werde. Beide Versammlungen waren sehr gut besucht.
!! Tübingen, 29. Jan. Im hiesigen Schlacht- Hause wurde der Ausbruch der Maul- und Klauenseuche amtlich festgestellt. Diese soll von Mannheim durch zwei hiesig? Schweinehändler einge- fchleppj worden fein.
j! Bebenhaufen, OA. Tübingen, 28. Jan. Oberförster Pf izen mayer ist heute früh nach langem Leiden im Alter von 7,6 Jahren gestorben. Er mar in Leonberg geboren, erhielt 1899 die Ober- sörsterei K l o st e r reich e u b a ch und kam l 896 hierher, um das gleiche Revier zu übernehmen, das sein Vater, der ihm erst vor zwei Jahren (im Del- zember !998 in Ulm' in: Tode vorangegangen war. lange Jahre vermaltet hatte.
i! Stuttgart, 28. Jan. Die Maul- und .Klauenseuche ist weiter ansgebrochen in Waldenbuch, Oberamts Stuttgart, und in Nürtingen in einem Händlerstall.
!! Stuttgart, 28. Januar. Der Staatsanzeiger schreibt: Die über den Gesundheitszustand Seiner Majestät des Königs ans Kap Martin bisher ein- geä'vffenen Nachrichten lauten günstig. Dank der dort herrschenden milden und schönen Witterung sowie der ruhigen nnd zurückgezogenen Lebensweise
M -B«s«x»»,chr. M.
Genieße, was du hast, als ob du heute Noch sterben solltest; aber spar es auch,
Als ob du ewig lebtest. Der allein ist weise. Der, beides eingedenk, im Sparen zu Genießen, im Genuß zu sparen weiß.
Wieland.
Die Ballmutter.
Novelle von Tea van Husen.
Nachdruck verboten.
Es war ein rauher, feuchter Morgen im Februar. Doch io unfreundlich draußen alles aussah, so traulich mar es drinnen bei dem Hellen Kaminfeuer und dem einladenden Frühstückslisch. Und um . das Bild vollständig zu machen: am Kamin steht, einen Brief lesend, ein junges Mädchen mit halb ärgerlichem, halb trotzigem Ausdrucke in ihrem hübschen Gesicht.
„Aber Ilse, was hast Du denn?"
Ilse hatte Nora Oelsbach's Eintreten nicht eher bemerkt, als bis jene die Frage an sie richtete.
„Was ich habe t" erwiderte sie, „allen Grund, außer mir zu sein! So etwas hat mir noch niemand angetan; höre nur diesen Brief von Tante Aurelie: „Liebe Ilse, — Enttäuschung, sagt man, ist das Los der Menschheit. Du wirst diesem Ausspruch beistimmen, ivenn ich Dir zu meinem Bedauern mitteile, daß ich noch nicht heimkehre, um Dich und Deine Freundin morgen abend auf den Kostümball zu begleiten."
Nora tat einen Ausruf der Enttäuschung, und Ilse fuhr mit fliegendem Atem zu lesen fort: „Meine lieben
, Freunde drängen mich so sehr, bis nächsten Dienstag hier zu bleiben, und ich bin um so weniger gewillt, ihre Einladung abzuschlagen, als ich von vornherein eine wahre Abneigung vor diesem Kostümballe hatte und es nur als eine Bestimmung des Schicksals ansehe, daß wir nicht hingehen sollen. Ich hoffe Dich und Fräulein Oelsbach nach meiner Rückkehr für diese Enttäuschung dadurch zu entschädigen, daß ich Herrn Selten zu einer Partie Whist einlade. Bis dahin Dir und Fräulein Oelsbach herzlichen Gruß von Deiner Tante Aurelie Elgershoff."
„Ist Dir schon so etwas vorgekommen? Hast Du je einen so herzlosen, kalten Brief gelesen?" rief Ilse mit
flammendem Blick, während ihr doch die Tränen in den Augen standen.
„O, es ist schändlich!" sagte Nora entrüstet, während sie an ihre elegante Toilette dachte, was für einen hübschen „Winter" sie abgeben würde. Während des Frühstücks war Ilse sehr schweigsam und mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt ; kaum aber waren sie fertig, so nahm. sie die
Freundin um die Taille, walzte mit ihr in der Stube
herum und rief: „O, ich habe da eine köstliche Idee! Das wird herrlich! und Tante Aurelie wird außer sich sein, wenn sie davon hört!"
„Was hast Du denn so Schönes ausgesonnen?" fragte Nora lächelnd.
„O, etwas sehr Einfaches —- ich führe Dich auf
den Ball."
„Du? — wie soll ich das verstehen?"
„Ich kleide mich vollständig alsjlDame mit Perrücke, Brille und Strickbeutel. Was ist dabei ? Und sollte ich es nur Tante Aurelie zum Aerger tun — dieses kaltblütige Geschöpf!" entgegnet« Ilse mit bitterem Spott, während sie der Tante Aurelie an der Wand mit der Faust drohte.
„Was sollen aber die Leute dazu sagen?" fragte Nora etwas ängstlich über Jlse'ä Plan.
„Was sie wollen!" antwortete diese achselzuckend.
„Und jetzt werde ich einen Bnef an Tante Aurelie schreiben, nach dessen Empfange sie sich sofort von „ihren lieben Freunden" verabschieden und zurückkommen wird — aber erst, wenn wir unseren Scherz gehabt haben. Es geschieht ihr schon recht! — daß ich mein schönes griechisches Kostüm nun nicht tragen kann!"
Darauf machten sich die zwei jungen Mädchen daran, den Brief an Tante Aurelie abzufassen; derselbe gelang so gut, daß die boshafte Ilse froh aufjubelte und Nora einen Ausruf der Bewunderung entlockte.
„Meine liebe Tante Aurelie," lautete der Brief. „Vielen Dank für Deine herzlichen, teilnehmenden Zeilen. Ich freue mich, daß Du Dich bei Deinen Freunden so wohl fühlst. Unsertwegen beschleunige Deine Rückkehr ja nicht; denn glücklicherweise hat die Erfahrung mich noch nicht die Wahrheit des von Dir zitierten Ausspruchs gelehrt — wir beabsichtigen keineswegs den Kostümball aufzugeben. Unmöglich kann ich doch meine Freundin so enttäuschen; ich bin entschlossen, mein eigenes Vergnügen zu opfern und anstatt in meinem griechischen Kostüm als ältere Dame auf dem Ball zu erscheinen. Mit etwas Geschick wird es mir nicht schwer fallen, mich so alt wie Du aussehend zu machen. Ganz unerwartet hat auch die Schneiderin heute morgen Dein neues schwarzes Atlaskleid geschickt — das möchte ich fast für einen Wink des Schicksals ansehen, daß ich es tragen soll. Wenn ich mir dazu noch Deinen schwarzen Spitzen- shawl leihe, wirst Du mir wohl beistimmen, daß meinem ehrwürdigen Aussehen dann nichts mehr fehlt. Auch habe ich mit gewissem Vorbedacht einen Namen gewählt, der Dir Ehre macht — ich werde als „Frau Rabenow" auf dem Ball erscheinen. Uno nun, meine liebe Tante, muß ich