die der Stadtgemeinde Marbach. Hierauf hielt Amtmann Dr. Klumpp-Levnberg einen Vortrag über „Staatsbürgerliche Erziehung und Wohlfahrtspflege". Nach einem Hinweis auf die Ideen des Freiherrn von Stein und Humboldts führte Redner aus, daß das Verlangen nach staatsbürgerlicher Erziehung nicht von den Regierungen, sondern von den liberalen Parteien ausgegangen sei. An die Stelle des Untertanen fei der Staatsbürger getreten. Bei den rücksichtslosen Kämpfen der heutigen Zeit fehle uns die innere Einheit, das Pflichtgefühl und Verantwortlichkeitsgefühl gegenüber dem großen Ganzen. In der Sorge um die Heranwachsende Jugend bilde die staatsbürgerliche Erziehung ein wichtiges Ziel. Drei Hauptrichtungen feien dabei zu unterscheiden: l. das Jugenderziehungsproblem, 2. die Erziehung tüchtiger Politiker, 3. diejenige Methode, die sich an die Erwachsenen wende. Staatsbürgerliche Erziehung und Wohlfahrtspflege verfolgten dasselbe Ziel: die Wohlfahrt und innere Kräftigung unseres Voltes. In der sich anschließenden Diskussion erklärte sich Ober regierungsrat Lang mit der Ausschaltung der nationalen Idee ans der Erziehung nicht einverstanden, denn damit schalte man die Grundlage unserer nationalen Gestaltung aus dein Erziehungsproblem aus. Der Chauvinismus sei zu bekämpfen, nicht aber der Krieg überhaupt, der doch eine Phase in der Entwicklung eines Volkes bilde. Parteisekretär Fischer Heilbronn weist auf den absoluten Gegensatz zwischen schulmäßiger Darstellung und den realen Parteiverhältnissen in der Schulmethode hin. Man solle die Menschen so erziehen, daß sie erkennen, daß der Staat um des Volkes und der Bürger Willen da ist. Gewerbelehrer Frank bemängelte es, daß der Vortragende so geringschätzig über die parteipolitische Tätigkeit geurteilt habe. In der Jugenderziehung sei die Schweiz vorbildlich. Staatsbürgerliche Erziehung in der Schule und Pflege staatsbürgerl. Bildung seien erstrebenswerte Ziele. Pfarrer Kappus-Gönningen bezeichuete die Jugendfürsorge als wesentliches Stück des Vereinsprogramms. Die Jugend zwischen 14 und 18 Jahren dürfe kein Objekt für politische Einfangungs- künste werden, aber auch nicht für solche einer kirchlichen oder religiösen Richtung. Die Kräfte der Jugend müßten sich frei entfalten. Die staatsbürgerliche Erziehung gehört mit zu den Aufgaben des Vereins. Nach einem Schlußwort des Referenten folgte ein Vortrag über „Ländliche Musik- pflege", den Pfarrer Beuder-Rotenberg hielt.
* Berlin, 11. Okt. Die Kommission für die Reichsversicher un gnsordnung nahm einen Antrag an, der als Paragraph 1273 eingefügt wird und lautet: „Hat der Empfänger der Invalidenrente Kinder unter >5 Jahren, so erhöht sich die Invalidenrente für jedes Kind um ein Zehntel bis zu dem höchsten anderthalbfachen Betrage."
js Köln, l2. Okt. Wie der Köln. Ztg. auA San Salvador gemeldet wird, hat der Stadtkommandant von Amapola in Honduras, von dem berichtet worden ist, daß er gegen amerikanische und britische Vertreter Gewalt gebraucht habe, dis Ueber- gabe der Stadt verweigert. Amerikanische Seestreitkräfte vom Kreuzer „Princetowne" schicken sich daher zur Landung an.
- Dortmund, 12 . Okt. In dem heute stattgehabten Prüfungstermin im Konkurs des früheren
Stadtrates Maiweg in Dortmund wurde von der Konkursverwaltung der Niederdeutschen Bank eine Regreßforderung in Höhe von 55 Millionen, geltend gemacht. Die Konkursverwaltung der Niederdeutschen Bank macht gegen die sämtlichen Mitglieder des Aussichtsrates Forderungen in dieser Höhe geltend.
js Zarsinghausen, 12. Okt. 23 seit gestern nachmittag im Bulterbachschacht eingeschlossene Bergleute sind heute nachmittag gegen 5 Uhr gesund zu Tage gefördert worden.
Das Jubiläum der Berliner Universität.
In Gegenwart des Deutschen Kaisers und zahlreicher Abordnungen von allen Bildungsstätten der alten und neuen Welt fand das hundertjährige Jubiläum der Berliner Universität statt. In der Zeit von Deutschlands Erniedrigung nach den Vorschlägen Wilhelm von Humboldt's durch König Friedrich Wilhelm III. von Preußen, den Vater Kaiser Wilhelms I., errichtet, hat die Berliner Universität, nachdem ihr Sitz Reichshauptstadt geworden ist, die größte Zahl von Studierenden unter den deutschen Hochschulen au sich zu fesseln gewußt. Berlin hat nicht eben allzuviel gute Freunde in Deutschland, aber für diese akademische Feier wird es ihr nirgendwo an Glückwünschen fehlen. Haben doch zahlreiche große Männer, deren wissenschaftliche Taten der ganzen Welt zu gute gekommen sind, bahnbrechend an ihr gewirkt. Für die Gründung der Universität vor hundert Jahren ist maßgebend namentlich die Tatsache gewesen, daß der Staat durch geistige Kräfte ersetzen wollte, was er durch den unglücklichen Krieg von 1806 an physischen verloren hatte. Preußen besaß nach diesem Feldzuge nur di? wenig bedeutende Universität zu Frankfurt a. d. Oder und dann die weit entfernt im Osten liegende zu Königsberg. Darum ward Berlin Sitz der neuen Anstalt, während die Frankfurter nach Breslau verlegt wurde.
lieber die Jubiläumssestlichkeiteu gibt folgender Bericht ein übersichtliches Bild: -
* Berlin, 11. Okt. Mit dem Festakt in der neuen Aula hat heute die eigentliche Jubiläumsfeier begonnen. In der Aula vereint? sich schon lange vor zehn Uhr eine glänzende Versammlung. Die. Behörden des Reiches, des Staates, der Stadt, die Vertreter der Kunst, der Wissenschaft, die Deputationen der Universitäten und der Akademien aus der ganzen weiten Welt. Die Professoren, nicht nur die deutschen, sondern auch die ausländischen, waren in ihren Amtstrachten und Talaren erschienen. Vor dem Portal versammelten sich allmählich der Reichskanzler, die Minister, Generäle, einige Prinzen, Mitglieder des Bnndesrats. Dann erschien die Kaiserin in dunkler Toilette. Bald folgte, ihr in Husarenunisorm, vom Militär mit Musik begrüßt, der Kaiser, an seiner Seite Prinz Rupprecht von Bayern. Das kaiserliche Paar wurde am Portal vom Rektor Magnificus Erich Schmidt empfangen und trat, vom Rektor und den Dekanen geleitet, von der ganzen unten versammelten festlichen Luite gefolgt, durch das Spalier der Studenten in den Saal ein. Bei seinem Eintritt ertönten Fanfaren, die in bekannten Studentenmelodien ausklangen. Im Saale entzündeten sich die Lichter. Der Hof und das Gefolge saßen vor dem Rednerpulte, von dem
aus Erich Schmidt, ein formvollendeter und gedankenreicher Festredner, wie er nicht besser gedacht werden kann, eine offenbar mit Rücksicht auf die Anwesenheit des Hofes knapp gedrängte Begrüßungsansprache hielt. Dann hielt der Kaiser eine längere Ansprache. Als der Kaiser feine Ansprache beendet hatte, bestieg Erich Schmidt wieder das Rednerpult und dankte dem Kaiser im Namen der Universität für das große Interesse, das er jederzeit bewiesen habe, wie überhaupt die Universität Berlin immer eng verbunden sei mit dem Hause Hohen- zollern. Ohne jeden Byzantinismus müsse er wahrheitsgemäß bekennen, daß der Kaiser aus innerem Drängen heraus stets ein Förderer der Universität u. der Wissenschaft u. Forschung gewesen sei, das bewiesen auch seine Worte am heutigen Tage: „Und so wollen wir rufen, wie es im Götz von Berlichingen heißt: Es lebe die Freiheit, es lebe der Kaiser!" Stürmischer Beifall folgte diesen Worten und unter den Klängen des „Heil dir im Siegerkranz" erhob sich die Versammlung. Es folgte der Kultusminister mit einer Ansprache, dann Oberbürgermeister Kirschner, der unter großem Beifall verkündete, daß die Stadt 200 000 Mark dem Senat zur freien Verfügung gibt zum Zwecke der Unterstützung von jungen Gelehrten, die auf der Berliner Universität studiert haben und zur weiteren Ausbildung ins Ausland gehen. Nun folgte eine gedankenreiche Danksagung des Rektors Erich Schmidt und es begann die große Gratulationscour der Vertreter der in- und ausländischen Universitäten und Akademien, ein langer Zug von Trägern berühmter Namen, interessante Erscheinungen, alle in ihren zum größten Teil altertümlichen Amtstrachten, nur die Russen in moderner Uniform mit Degen, die Japaner in europäischem Gesellschaftsanzug. Die berühmtesten unter diesen Delegierten wurden von der Versammlung stürmisch akklamiert, durch Beifall während ihrer kurzen Ansprache unterbrochen. Sämtliche überreichten eine Adresse und gratulierten durch Handschlag dem Rector Magnificus, der dabei laut die Namen der Universität u. Akademie verkündete, die die einzelnen vertraten. Besonders mit Zurufen begrüßt wurden Poincare Paris, der Vertreter ver pvrtugies. Universität Ceimbra und der in seiner türkischen Tracht erschienene Vertreter auS Konstauti- nopel. Stürmischen Beifall fand der Rektor der Universität Athen, als er hervorhob, daß griechische Kunst und Wissenschaft ihre beste und edelste Stätte au den deutschen Universitäten gefunden hätten. Die Vertreter der japanischen Universitäten rühmten in ihren Ansprachen, daß der grösste Teil der japanischen Professoren ihre Ausbildung an deutschen Universitäten genossen habe. Erich Schmidt dankte allen Gratulanten. Dann wurde eine große Reihe von Stiftungen verkündet. Mit dem allgemeinen Sang Gaudeamus igitur schloß die Feier.
Das Festmahl, zu dem sich heute nachmittag die Professoren und Dozenten der jubilierenden Universität mit ihren gelehrten Gästen aus denk Reiche und allen Kultnrstaaten und mit den Spitzen der Reichs- und Staatsbehörden der Städte Berlin und Charlottenburg in den Restaurationsräu- men des Landesausstellungspalastes vereinten, war eine Art Familienfest der Wissenschaft, und in dieser frohen und geselligen Vereinigung illustrer Geister und bedeutender Männer kam das heitere Selbstbewußtsein der Gelehrten und Forscher und das
M M.
Mußl du Gram im Herzen tragen Und des Alters schwere Last,
Lade dir aus jungen Tagen Die Erinnerung zu Gast.
Kußmaul.
Der Franzose.
Erzählung aus der neuesten Zeit von M. Reinhold.
(Fortsetzung.) Nachdruck verboten.
»Ich sollte nieinen, Sie müßten mich wieder erkennen, Herr Polizei-Sergeant/ sagte Klaus Bertram so fidel, als ob ihn die ganzeGeschichte auch nicht das Allergeringste anginge. „Wissen Sie wohl noch, wie wir zusammen als Jungen aus dem Landrats-Garten heimlich Aepfel mausten, und ich Ihnen beim Entkommen über die Schulmauer, die daran stieß, behilflich war. Sie behielten die Aepfel, und ich bekam die Prügel. Na, wenn sie auch damals nicht zum Besten schmeckten, sie haben mich nicht tot gemacht. Und nun wollen wir alle die Zankereien von vorhin auf sich beruhen lassen und lieber auf die Vergangenheit und auf die wichtige Jugend-Freundschaft ein volles Glas trinken. Einverstanden?"
Der Beamte sah den Fremden, der ihn so formlos anredete, verdutzt an, und die Umstehenden machten erst recht lange Gesichter. Ganz offenbar kannte dieser hereingeschneite Mensch die Verhältnisse ganz genau, er mußte also in der Tat hier früher ansässig gewesen sein.
Unter solchen Umständen wäre es wohl für den Polizisten am besten gewesen, er hätte alles, was hier passiert war, auf sich beruhen lassen, zumal auch die Gemüter sich beruhigt hatten, aber er fühlte sich in seiner Würde gekränkt und bestand nun unnachsichtlich auf Klarstellung.
„Noch einmal, wer sind Sie? Ich verlange Ihre Legitimation. "
„Aber Sie kennen mich doch," gab Klaus Bertram ironisch zurück. „Hattest mir ja bei der Apfelgeschichte geschworen, alter Freund, daß Du es mir nie vergessen würdest. So etwas vergißt man doch nicht?"
Der Polizist ward bei diesem offenkundigen Hohn braun und blau vor Aerger. „Zum letzten Mal frage ich, sonst muß ich Sie als Landstreicher verhaften."
„Sachte, sachte, Freundchen," erwiderte Klaus Bertram mit einer plötzlich auffallend scharf gewordenen Stimme; „das Wort Landstreicher ist denn doch eine Beleidigung, zumal ich bei Frau Rose Wuddicke hier aus Klein-Friedingen festes Quartier habe Nicht wahr, Frau Rose, es ist doch so? Aber es kommt mir ja nicht im Geringsten darauf an, vor dieser ganzen ehrenwerten Oeffentlichkeit meinen Namen zu nennen. Ich heiße Klaus Bertram und stamme aus dem alten Hause da drüben." Damit wies er auf das Geschäftshaus der Firma Christoph Bertram und Sohn.
Ein allgemeines Gemurmel der Verwunderung folgte, jeder schaute scheu auf den Mann, der vor einem halben Dutzend Jahren als der tolle Klaus Bertram in der ganzen großen Stadt bekannt gewesen, voller Lanne und verschwenderisch, als ob es nie einen Umschlag in diesem Erdenleben zum Schlimmeren geben könme. Vor ihnen stand der Spröß- ling der reichsten Familie der ganzen Stadt, und so lüfteten sich viele Hüte.
Andere freilich schauten mißtrauisch auf den fremden Mann, der hier geraume Zeit wie ein ganz gewöhnlicher lustiger Bruder mit einer Bäuerin getanzt hatte. Und zu denen, die die größten Augen machten, gehörte nicht zum wenigsten Frau Rose selbst. Das war ja doch gar nicht möglich, daß jemand aus dem reichen Hause Bertram, und nun gar der Bruder des Chefs der Firma, als halber Vagabund in ihrem. bescheidenen Hause in Klein-Friedingen Unterkunft gesucht hatte. Der Name Bertram war ja in der ganzen Gegend allbekannt, aber daß sich unter dem „Franzosen" ein Mitglied der Familie verbarg, das war ja kaum zu denken. Anton und Karl Wuddicke arbeiteten in der Bertramschen Fabrik, der „Franzose" hatte selbst gesagt, er wolle sich dort Verdienst suchen, und nun war er mit einem Male der nächste Anverwandte des Fabrik-Direktors selbst? Da hörte in der Tat doch alles auf, das war genau so wenig zu glauben, wie das Gerede, er sei schon verheiratet und noch dazu mit einer vornehmen Frau in einer Equipage.
Alles hatte sich von dem rätselhaften Menschen zurückgezogen, der auch jetzt Frau Rofe's Hand nicht losließ und stolz erhobenen Hauptes die Umstehenden musterte. Der Polizeimann hatte inzwischen sein Notizbuch hervorgezogen und darin emsig geblättert. Geraume Zeit war sein Suchen vergebens gewesen, jetzt hatte er entdeckt, was ihn am meisten interessierte.
„Sie sind also wirklich der Sohn des verstorbenen Kommerzienrates Bertram und der Bruder des jetzigen Geschäfts-Inhabers Herrn Christoph Bertram?"
„Der bin ich, Klaus Bertram!"
„Dann verhafte ich Sie wegen Fahnenflucht im Namen des Königs!" Und damit legte der Mann des Gesetzes seine Hand auf die Schulter des Franzosen.