ss Stuttgart, 8. Ott. Zu dem bereits gemeldeten Ausbruch der drei Verbrecher aus der Untersuchungshaft ist noch nachzutragen. Der erste der Ausbrecher ist der angebliche Bauführer Siegfried Engel, dessen Name noch nicht einmal bekannt ist. Er ist ein internationaler Hochstabler, der kürzlich wegen Heiratsschwindels zu 2 Jahren 3 Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Zerbach hat erst am Samstag eine Gefängnisstrafe von anderthalb Jahren erhalten, weil er sich auf dem Wege der Wechselfallen Geld verschafft hatte. Er ist u. a. mit Zuchthaus vorbestraft. Der dritte' Allsbrecher ist der Kaufmann Weiß, der sich wegen betrügerischen Bankerotts in Untersuchungshaft befand. Die drei hatten sich nacheinander krank gemeldet und waren deshalb gemeinsam in einem besonderen Raum untergebracht. Erst gestern, am Morgen, wurde der Ausbruch bemerkt. Die Ausbrecher hatten das Fenstergitter herausgemeißelr, eine Arbeit, die sicher eine Reihe von Nächten iü Anspruch genommen hak, und sind dann, nachdem sie das Gitter vollends herausgebrochen, in den Hof gestiegen. Von hier aus gelangten sie ins! Freie. Zu Hilfe kam ihnen dabei die völlige Dunkelheit, die die ganze Nacht auf dem Gefängnis- Hofe herrschte. Vorerst fehlt noch jede Spur von den Ausbrechern. Es ist sehr verwunderlich, daß man drei solcher schweren Jungen in einen und denselben Raum gesperrt hat und daß es ihnen gelingen konnte, ohne Verdacht zu erwecken, an ihrer Befreiung zu arbeiten. Man hat es ihnen vrdentlich leicht gemacht zu entkommen.
ss Eßlingen, 8. Okt. Oberbürgermeister Dr. Mülberger von hier wurde gestern vom Präsidenten der Bereinigten Staaten, Taft, in Washington empfangen. Dr. Mülberger hatte die Absicht, sich, am 8. Oktober in Newyork wieder einzuschiffen und über Gibraltar und Neapel heimzukehren.
s! Neuhausen, OA. Eßlingen, 8. Okt. (Sherlock.« Der gefürchtete Stuttgarter Polizeihund Sherlock mußte auch hier seine feine Nase in Tätigkeit setzen. Anläßlich eines großen Wäschediebstahls in dem Garten einer hiesigen Brauerei wurde er hierher requiriert. Er nahm sofort an einer dem Dieb verloren gegangenen Wäscheklammer Witterung und fand auch bald die Spur, die in eine Gärtnerei führte. Dies war wohl die richtige, denn hier hatte der Dieb für die Familie Gemüse gekauft, aber sie führte noch zu keinem Ergebnis. Als Sher- lock wieder an den Tatort zurückgeführt wurde und wiederholt Witterung nahm, kam er auf eine zweite Spur, die sich mit der ersten gekreuzt hatte. Hier hatte der Dieb am vergangenen Tag auch verkehrt. Sherlock kam nach eifrigem Suchen nun in das Nachbarhaus des Täters. Als der Dieb auf die Tätigkeit des Polizeihundes im Nachbarhause aufmerksam wurde, verpackte er die gestohlenen Gegenstände in einen Sack und führte diesen auf eineü kleinen Handwagen dem nahe beim Hause befindlichen Wasserbache entlang, gegen Plieningen zu. In dem Nachbarhause konnte naturgemäß nichts gefunden werden und man gab schon die Hoffnung auf. Aber Sherlock nahm, als die Begleitmannschaft das Nachbarhaus verließ und sich nochmals an den Tatort begeben wollte, sofort die neue Fährte des Täters auf. Es war eine Freude zuzusehen, wie er nun arbeitete. Der ihn begleitende Schutzmann Wißmann mußte seine Kräfte anstrengen, den Polizeihund zurückzuhalten. Lherlock ging der fri
schen Spur des Täters nach und fand auch bald denl ausgeflogenen Vogel, der sich, als er merkte, daß Sherlock hinter ihm her war, in einem Busche am Bache verstecken wollte, doch Sherlock stellte ihn sofort, worauf die Festnahme erfolgte. Als Mittäterin in Betracht kommt ein lSjähriges Mädchen, das ohne Zweifel die gestohlenen Wäschegegenstände seinem Schatz, der Heuer zum Militär einrücken muß, zur Aussteuer beiseite schaffte. Mit diesem! Diebstahl hat sich aber auch ein schon vor 2 Monaten begangener aufgeklärt. Auch hiebei kommt dieses Mädchen als Täterin in Betracht.
^ Heilbronn, 8. Okt. (Der Zuckerpreis.) Von dem Einkaufsverein Heilbronner Kolonialwarenhändler (E. G. m. b. H.) wird geschrieben: Entgegen den irreführenden Gerüchten, die auch ihren Weg in die Zeitungen fanden, nämlich daß eine enorme Steigerung von Zucker, Salz, Zündhölzer u. dergl. in nächster Zeit zu erwarten sei, können wir dem Publikum mitteilen, daß dies nicht der Fall sein wird, sondern das Gegenteil trifft wenigstens bei Zucker zu, wir können sicher in Aussicht stellen, daß in etwa 10—14 Tagen der Zuckerpreis um 2 3 Pfg. per Pfund billiger wird.
ss Oehringen, 9. Okt. Die Dreherei und das Wohnhaus von E. Knödel sind binnen anderthalb Stunden vollständig n i e d e r g e b r a u n t. Bei der Verarbeitung von Zelluloid war in das feuergefährliche Material ein Funken gesprungen, der im Handumdrehen die ganze Werkstatt in einen Feuerherd verwandelte. Man kann von Glück sagen, daß dabei nicht, wie schon oft in ähnlichen Brandfällen, Menschenleben zu beklagen sind.
ff Gammerdingen, 8. Okt. Im benachbarten Harthausen a. d. Sch. brach Feuer aus, dem zwei Häuser und drei Scheuern zum Opfer fielen.
ff Gmünd, 8. Okt. (Lohnbewegung. Die Einig' ungsvorschläge der Kommission des Arbeitgeberverbandes und des Deutschen Metallarbeitervsrbandes in den schwebenden Lohnbewegungsfragen haben die Zustimmung der Generalversammlung der Arbeiter in einer gestern abend abgehaltsnen Versammlung des Deutschen Metallarbeiterverbandes gefunden. Damit dürfte die hiesige Lohnbewegung ihr End? erreicht haben.
n Heldenheim, 8. Okt. Gestern s'nd sämtliche Brauereiarbeiter von Heidenhsim in den Streik getreten. Sie fordern Lohnerhöhung und eins Halbe Stunde Arbeitszeitverkürzung.
Crailsheim, 8. Okt. (Schmuggler. Auf dem hiesigen Bahnhof wurde ein S a c ch a rin s ch mu g g- ler verhaftet, der mit dem Ulmer Zug ankam und vermutlich nach Bayern Weiterreisen wollte. Er trug 25 Kilogramm Saccharin bei sich.
st Gerabrnon, 6. Okt. Der Gutsbesitzer Preuß von E h r i n g s h an s en wurde im Wälde bei Gam- mesdorf erschossen auf gefunden. Er war morgens auf den Anstand gegangen und lag in der Nähe eines Grabens. Man nimmt an, daß. ihm beim Ueberschreiten dieses Grabens das Gewehr losgegangen sei. Der Schuß saß im Kopf und muß Preuß sofort getötet haben.
st Linach, 8. Okt. (Eine Hundertjährige.) Am 28. November feiert die ledige Jakobine Kleister hier ihren lOO. Geburtstag. Die Jubilarin ist der letzte Sproß ihres Geschlechts. Noch vor
einigen Jahren besuchte das Geburtstags„kind" beinahe täglich den Gottesdienst in Schönebach und ist auch heute noch rüstig und imstande, ohne Brille zu lesen.
st Schere, OA. Saulgau, 8. Okt. Gestern morgen sind in dem benachbarten Sig marin gen- dors Stall und Scheuern des Bauern Remens- perger, die die ganzen Erntevorräte enthielten, vollständig niedergebrannt. Auch ein Pferd kam in den Flammen um.
Die Ortsvorsteherwahl in Baiersbronn.
* Am Samstag war in Baiersbronn Ortsvorsteherwahl, bei der Landtagsabg. Gai- s e r mit großer Stimmenmehrheit gewählt wurde. Der Wahl für die größte Gemeinde des Landes ging eine sehr lebhafte Propaganda voraus u. die Gemüter haben sich dabei in Baiersbronn ordentlich erregt. Die Abstimmung war auch eine sehr lebhafte. Von 1291 Wahlberechtigten haben 1073 abgestimmt. Es erhielten Stimmen: Landtagsabg. Gaiser 468, Oberamtssekretär Hufnagel-Kirch- cheim 235, Stadtpfleger Dreher-Calw 219, Kontrolleur G ai se r-Freudenstadt (Sohn des bish. Schultheißen Gaiser« 108, Armenverwalter We- zel Stuttgart 26, Ratschreiber H o r > ch - Stuttgart 15, Polizeikommissär Wagner-Eßlingen 1. Vor der Wahl gab Landtagsabg. Gaiser folgende öffentliche Erklärung ab: „Aus eine private Anfrage der Gemeindebehörde Baiersbronn, wie ich mich zur Wahl des Ortsvorstehers stelle, da mein Name in der Öffentlichkeit genannt werde, erklärte ich, daß ich die Wahl nicht annehme, soferne mir von einer Anzahl Bürger oder durch den privaten Wunsch der Herren Gemeinderäte bedeutet werde, daß die Nichtannahme im Interesse der Gemeinde oder aus sonstigen Gründen gewünscht fei. Eine Antwort an !mich im Sinne einer gewünschten Nichtaunahtne mir dem Hinweis auf Erhaltung des Landtags- Mandats ist erfolgt und erkläre hiemit, daß: ich! die Wahl nicht annehme, also meine Person, außer Betracht kommt. Für das mir zugedachte Vertrauen danke ich aufs beste."
Wie verlautet, hat Landtagsabg. Gaiser die Wahl angenommen.
Der Wnrttembcrgische Obstbautag in Hcilbrou».
st Heilbronn, 9. Okt. Gestern und heute hat der 4. W ü r tt e mb e r g i s ch e Obstbautag seine Beratungen hier abgehalten. Der Bezirksobstbau- verein Heilbronn hatte damit einen großen Tafek- obstmarkt im Wollhaus und eine Obstausstellung in der Harmonie verbunden. Beide legten ein gutes Zeugnis von dem trefflichen Stand des Obstbaues im Heilbronner Bezirk und in dessen weiterer Umgebung ab. Dem eigentlichen Obstbautag ging am Samstag eine Zusammenkunft des Ausschusses des Württembergischen Obstbauvereins voraus, an der die Vertrauensmänner des Vereins und Freunde des Obstbaues zahlreich teilnahmen.. Der Vorsitzende des Vereins, Fischer-Stuttgart, leitete dis Versammlung. Vereinssekretär Schaal regte die Herausgabe eines Grundblattes der empfehlenswertesten älteren und neueren Apfel- und Birnensorten Württembergs an und legte einen Entwurf dafür vor, der eine allgemeine Ausivahl der besten Sorten bietet, ohne die Lokalsorten zü verbieten. Das Merkblatt führt 40 Apfel- und 57 Birnensorten auf. Der Referent hielt diese Auswahl für durchaus ausreichend und warnte vor
Keiner geht zum Himmel ein. Der nicht war auf Erden; Weise will ein jeder sein. Niemand will es werden.
Der Franzose.
Erzählung aus der neuesten Zeit von M. Reinhold.
(Fortsetzung.) Nachdruck verboten.
Mit einem tiesen Knir verließ Liese das schwergetäfelte, wunderschöne Wohnzimmer, indem sie empfangen worden war, aber das Gold brannte in ihren Fingern wie Feuer. Sie hätte es am liebsten der stolzen Dame zurückgegeben, das hätte sie indessen nicht gewagt. Doch den „netten Menschen", den sie so wohl leiden konnte, gleich wieder aus ihrem Vaterhause hinaus zu drängen, das tat sie nicht, das stand bei ihr felsenfest.
Ganz verstört ob des ihr gewordenen Auftrages ging sie die breite Freitreppe hinunter, um von da ab zur Küche einzubiegen, wo sie sehr willkommen war, und die Köchin stets noch einen guten Bissen für sie aufgehoben hatte. Bevor sie heute jedoch so weit kam, fühlte sie sich von oben her leise angerufen. Sie schaute empor und war mit ein paar flinken Sätzen oben.
»Gnädiges Fräulein befehlen ?"
»Komm ein paar Augenblicke in mein Zimmer, Liese," sagte eine weiche Stimme flüsternd; »aber sei vorsichtig,
wenn du wieder hinab gehst, es ist nicht nötig, daß Jemand weiß, Du warst bei mir."
Geschwind wie ein Wiesel schlüpte das Mädchen unter einer dicken Portiere hindurch in ein nicht sehr geräumiges Zimmer, welches in den einen Eckturm von Mariengrund hineingebaut war. Eine junge Dame in den zwanziger Jahren erwartete sie dort, von hoher, blonder Schönheit, aber viel zu ernst für ihr sonniges Alter. Um den roten Mund zeigte sich eine Linie, die an erlebte trübe Stunden erinnerte, denn Kummer und Sorge waren in diesem reichen Hause doch wohl ausgeschlossen.
Die Aehnlichkeit mit der Schloßherrin Frau Eleonore Bertram war so groß, daß ein Jeder in den beiden Damen Mutter und Tochter erkennen konnte.
Ernst wie die ganze Erscheinung der jungen Dame war such die Einrichtung ihres Gemaches. Da war kein Stickrahmcn, keine Staffelei oder sonst ein Zeitvertreib für junge moderne Mädchen zu erschauen, sondern nur einige schwere Bücherschränke, deren Inhalt nach seinen Titeln zu schließen erst recht nicht für eine vornehme junge Dame geeignet war, d.nn sie behandelten fast ausschließlich Naturgeschichte, Physik, Chemie und verwandte Gebiete. Und die Bewohnerin dieser Räume widmete sich in der Tat diesen schwierigen Wissenschaften; durch eine Seitentür schaute man in ein vollständig eingerichtetes Laboratorium. Das war Fräulein Margot, die Tochter des Hauses.
Als Liese den ihr nicht fremden Raum betreten hatte, zog sie Margot weit fort von der Tür bis ans Turmfenster. Das junge Dorfmädel war ihr eine halbe Vertraute durch allerlei kleine Dienste geworden, und so duzte sie sie, zur großen Freude Liese's, die darin eine besondere Ehre erblickte. Die ganze Dienerschaft des Hauses hing überhaupt weit mehr an der schönen ernsten Tochter, wie an der Mutter,
deren Freigibigkeit all' ihren Hochmut nicht vergessen lassen konnte.
Fräulein Margot atmete ein paar Male tief auf, bevor sie nur sprechen konnte. Sie war augenscheinlich auf das Höchste erregt. Ein paar Tränen perlten aus ihren Augen.
»Liese, Du mußt mir feierlich etwas versprechen," sagte sie endlich, nur mühsam ein lautes Schluchzen unterdrückend.
»Alles verspreche ich, gnädiges Fräulein, was Sie mir befehlen," antwortete das Mädchen verwundert, der solche Gefühls-Ausbrüche bei der sonst so ernsten jungen Dame ganz ungewohnt waren.
Aber es schien Fräulein Margot trotz dieser Bereitwilligkeit doch sehr schwer zu werden, auszusprechen, was sie bedrückte. Dann aber sagte sie mit einem Mal: »Liese, hast Du schon Jemanden so recht von Herzen lieb gehabt?" Und als die Kleine mit einem verschämten „Ja!" antwortete, fuhr Margot fort: „Dann wirst du verstehen, was ich jetzt zu Dir spreche. Seit mehr denn sechs Jahren habe ich heute zum ersten Male einen Mann wieder gesehen, den ich recht lieb gehabt habe, den ich noch heute von Herzen liebe. Ich möchte wohl einige Minuten mit ihm sprechen."
Die Aufregung überwältigte die junge Dame von Neuem, sie sank auf eine vor dem Turmfenster angebrachte Lederbank und schlug beide Hände vors Gesicht. Liese sah, wie jetzt die Hellen Tränen zwischen den Fingern Margots herabrollten. Beinahe erschrocken stand sie da, sie wußte nicht, was sie von diesem heftigen Schmerzensausdruck denken, dazu sagen sollte.
»Aber das können Sie doch, gnädiges Fräulein; soll ich eine Bestellung ausrichten und an wen? Aber seien Sie mir nicht böse für meine Dreistigkeit, was sollte ich dummes Ding wohl bestellen können?" (Fortsetzung folgt.)