ft Tuttlingen, 16. Juli. Um in der Frage der Aussperrung in der Schuhindustrie eine Einigung zu erzielen, fanden gestern erneut Verhandlungen statt. Das Ergebnis mußte diesmal befriedigend ausfallen, da der Fabrikantenverein den Forderun­gen der Arbeiter in weitgehender Weise entgegen- tam und außer einem 25prozentigen Lohnzuschlag für Ueberstunden bezüglich der vielumstrittenen Mit­tagspause beschloß, daß die Arbeitszeit bis zum 1. September nachmittags von einviertel 2 Uhr bis 6 Uhr und vom 1. September ab von halb zwei Uhr bis sechs Uhr dauern soll. Damit haben die Arbeiter einen vollen Erfolg erzielt. Die Aus­sperrung ist aufgehoben und die Arbeit wird am Montag wieder ausgenommen

ft Tumngen, OA. Tuttlingen, 16. Juli. Bei der Schultheißenwahl haben von 292 Wahlberech tigten 27l abgestimmt. Schultheißenamtsverweser Haugstetter wurde mit 260 Stimmen gewählt.

ft Stuttgart, l6. Juli. Der Staatsanzeiger schreibt: Das heftige Wiederauftreten der Cho­lera in Rußland - die hetzte amtliche Mittei­lung der russischen Regierung weist für die Woche vom l9. bis 25. Juni 1910 3566 Erkrankungs­und 1420 Todesfälle in 23 Gouvernements und Territorien nach zwingt, die Möglichkeit der Ein­schleppung der Seuche nach Deutschland ins Auge zu fassen. Es hat deshalb das Ministerium des In­nern durch Verfügung vom 14. Juli die Melde­pflicht für aus Rußland zureifende Personen wie­der -eingesührt.

ft Stuttgart, 16. Juli. Die Einweihung des Württemberg er-Denkmals bei Cham- pignh findet am 11. Oktober statt. Die Abfahrt der Teilnehmer an der Einweihungsfeier erfolgt am 8. Oktober abends von Stuttgart.

ft Stuttgart, 17. Juli. Auf die unter dem 15. Juli 1910 an ihn gestellte Anfrage ist vom Staats­minister des Innern von Pischek folgende Antwort eingelaufen: Soweit die aus Kapitel 38 Titel 26 des Etats zur Verfügung stehenden sehr beschränk­ten Mittel es zulassen, werden behufs der Ermög­lichung eines Besuches der Weltausstel­lung in Brüssel auch einzelnen bedürftigen Arbeitern, von welchen angenommen werden kann, daß sie nach ihrer Ausbildung und ihrem Kön­nen durch den Besuch der Ausstellung eine wesent­liche Förderung erfahren werden, angemessene Un­terstützungen gewährt werden. Von der Aufstel­lung einer besonderen Forderung zum Zweck der Gewährung von umfangreicheren Beihilfen zum Be­suche der Weltausstellung in Brüssel wurde mit Rücksicht auf die derzeitige Finanzlage abgesehen. Bei der Auswahl der zu unterstützenden Arbeiter wird auf die verschiedenen Landes- und Jndustrie- kreife .tunlichste Rücksicht genommen werden. Gez. Staatsminister des Innern Pischek.

* Stuttgart, 16. Juli. Die seit 4. ds. Mts. aus dem Truppenübungsplatz Münsingen formierte Referve-Feldartillerie-Abteilung wurde heute wie­der aufgelöst; die aus dem Beurlaubtenstande ein- berufenen Mannschaften wurden in ihre Heimat ent­lassen. Die Regimenter der 54. Infanterie-Bri­gade (120, 127 und 180), wurden heute mit der Bahn in ihre Garnisonen lUlm bezw. Tübingen und Gmünd - zurückbefördert. ' s

ft Heumaden, OA. Stuttgart, l6. Juli. Bei der ! gestern hier stattgefundenen Schultheißenamtswahl !

wurde Schultheißenamtsassistent Martin Gruhler von Hedelfingen mit 94 Stimmen gewählt.

ft Göppingen, 17. Juli. Im nahen Salach ist gestern in der Fabrik von Schachenmayr, Mann u. Co. infolge Selbstentzündung im Trockenraum ein Schadenfeuer ausgebrochen, das, obgleich es an­fangs eine gefährliche Entwicklung zu nehmen drohte, nach dreiviertelstündiger Arbeit auf seinen Herd beschränkt werden konnte. Die zur Hilfe ausge­rückte Göppinger Feuerwehr konnte unterwegs wie­der umkehren.

st Welzheim, 16. Juli. Die Nachwahl für die Landtagsersatzwahl ist auf 28. Juli fest­gesetzt worden.

j s Brackenheim, 16. Juli. In Sternenfels wurde bei dem Gewirter am Mittwoch eine Frau vom Blitz getroffen, als sie einen Zuber unter die Dachrinne stellte. Sie wurde am Kopf verletzt und erlitt am Gehör not. Auch ein dabeistehender Knabe erlitt Verletzungen.

st Geislingen, 16. Juli. Für Pferde des kalt blütigen Schlags fand heute hier im Stadtpark die staatliche L a n d e sp f e rd e p r ä m ierung statt. An Preisen waren ausgesetzt für Hengste 1200 Mark, für Zuchtstuten und Familien 1600 Mark, für Foh­len 1400 Mark, zusammen 4200 Mark. Zur Vor­führung wurden gemeldet sieben Belgierhengste, dreißig Zuchtstuten, fünf vierjährige, einundreißig dreijährige und dreizehn zweijährige Stutfohlen, so­wie sechs Familien. Im allgemeinen konnte das vorgeführte Material als gut bezeichnet werden.

st Friedrichshofen, 16. Juli. Der hiesige Ver­kehrsverein wendete sich an die Luftschiffbau-Zep­pelin G. m. b. H. mit einer Anfrage bez. Auf­nahme der Passja gier führten mit L. Z. 6, der müßig in der Halle liegt, in Friedrichs Hafen und Umgebung. Es wäre dies im Interesse des sehr flauen Fremdenverkehrs am Bodensee und für alle ,Uferstädte am see sehr zu begrüßen. Pas­sagiere, die 200 Mark für eine ein- bis zweistün­dige Fahrt ausgeben können, scheuen sich auch nicht die Kosten zu einer Reise an den schönen Boden­see, der mit seinen Wechselpollen Bildern für eine Luftreise mehr bietet, als das schornsteinreiche west­fälische Kohlengebiet.

Zur Landtagswahl im Oberamt Welzheim,

st Stuttgart, 16. Juli. Die Blätter sind bei Besprechung der Welzheimer Landtagsersatzwahs darüber einig, daß die Stimmenzunahme der So­zialdemokratie nicht überraschend kommt, da diese zweifellos die beste Organisation im Bezirke be­sitzt und auch die rührigste Agitation im Bezirke entfaltet hat. Außerdem wird allenthalben noch ins Feld geführt, daß einzelne Bezirksorte, wie Plüder- hausen und Lorch, eine starke Zunahme der Jn- dustriebevölkerung und damit der sozialdemokrati­schen Stimmen aufweisen. Im übrigen gehen die Anschauungen der Blätter über die Bedeutung der Wahl und über die Gründe ihres Ausfalls natur­gemäß nach dem Parteistandpunkt auseinander. Die zur Volkspartei gehörigen oder ihr nahestehenden Zeitungen des Landes drücken ihre Meinung nach der Parteischablone aus, indem sie sich auf die Wie­dergabe einer offiziellen, durch die Parteikorrespon­denz vermittelte Kundgebung beschränken, die na­turgemäß das Ergebnis für die Volkspartei durch­aus lobenswert findet und auch dem notwendig ge­

wordenen zweiten Wahlgang mit größter Zuver­sicht entgegenfieht, indem eine offizielle Vereinba­rung zwischen der Volkspartei und der Deutschen Partei mitgeteilt wird, wonach die in der Minder­zahl bleibende Fraktion sich verpflichtet hat, für den Kandidaten der nummerisch stärkeren von bei­den einzutreten. DerBeobachter" unterstreicht die­ses Abkommen noch durch einen kräftigen Wink mit dein Zaunpfahl, indem er sagt, die Deutsche Partei werde die Abmachung schon jm Hinblick auf die kräftige Unterstützung ihres Kandidaten im zweiten Reichstagswahlkreis von Seiten der Volkspartei strikte einhalten. DerSchwäbische Merkur", dessen Partei von der ersten auf die vierte Stelle oder' wenn man die rein demonstrative Zählkandidatur des Zentrums ausnimmt, auf die letzte Stelle ge­rückt ist, sucht die Gründe für diesen Ausfall zu einem erheblichen Teil in einer Verstimmung dar­über, daß Dr. Hieber nicht erneut als Kandidat .ausgetreten ist. Das Blatt spricht sich über die Stellungnahme der Partei beim zweiten Wahlgang sehr zurückhaltend aus und gibt das Abkommen mit der Volkspartei mit keiner Silbe bekannt. Es be­schränkt sich darauf zu sagen, der zweite Wahl­gang könne sich so vollziehen, daß Deutsche Partei und Volkspartei Zusammengehen. Ein Sieg scheine ihnen dann sicher, da ja der Bund der Landwirte so selbstmörderische Gedanken nicht aufkommen las­sen werde, seine Leute zur Sozialdemokratie zu kommandieren. Das Blatt redet ferner dem Bunde zrr, seine Kandidatur überhaupt nicht aufrecht zu er­halten. Das offizielle Organ des Bundes der Land­wirte, dieDeutsche Reichspost", weist auf die Tat­sache hin, daß der regenlose warme Wahltag viele Wähler von der Urne wegen Erntearbeiten fern­gehalten habe und daß von den 1700 Ferngeblie­benen Per der zweiten Wahl noch eine schöne Zahl für den Kandidaten des Bundes zu erhoffen ist. Demnach ist der Bund entschlossen, die Kandidatur auch im zweiten Wahlkreis aufrecht zu erhalten), DieSchwäbische Tagwacht" freut sich über das Emporschnellen der sozialdemokratischen Stimmen an die erste Stelle und meint, am schmählichsten sei der Wählausfäll für die nationalliberale Par­tei, die auf 517 Stimmen herabgesunken sei, ob­gleich sie einen allgemein geachteten Mann aus dem Bezirk den Wühlern empfahl, der in seiner Hei­matgemeinde Rudersberg sogar zahlreiche '.sozial­demokratische Wähler an sich fesselte. Jm übrigen sei es für die Sozialdemokratie ziemlich gleichgil- tig, was die Gegner tun. Das Welzheimer Ergeb­nis zeige, daß es in Württemberg für die Sozial­demokratie bald keinen aussichtslosen Bezirk mehr gebe. JmDeutschen Volksblatt" wird festgestellt, daß die schlechte Wahlbeteiligung insbesondere in den Orten zu konstatieren war, in denen das Zen­trum in Betracht kommt.Ist schon bei allen Nach­wahlen eine schwächere Beteiligung zu finden, so war dies um so eher für das Zentrum zu erwarten', da es ernstlich nicht in Betracht kam und deshalb nur eine Zählkandidatur aufgestellt hatte." Das Blatt meint weiter, wenn die Deutsche Partei ihre frühere freundliche Haltung zum Bauernbund fort­erhalten hätte, so wäre ihr 'jedenfalls Welzheim verblieben, so aber räche sich die Bekämpfung des fchwarzblauen Blocks durch die Nationalliberalen an jihnen Helbst.

st Stuttgart, 17. Juli. Der Schwäbische Merkur bestätigt nunmehr die Verpflichtung des Deutschen

Sei im kleinen treu und lern dich sputen In Sekunden auch und in Minuten:

Jedes Gut trägst du von Gott zu Lehen; Lern den Wen der Zeit auch wohl verstehen.

Aus Mitleid.

Novelle von I. Heimfelsen.

Er war schön und jung; hatte einen neunundsiebenzig- jährigen Onkel, der zu den reichsten Männern von Palermo gehörte. Trotzdem stand in der langathmigen Anklageschrift, I welche den Assissen vorgelesen wurde, das fürchterliche Wort Betrug! Die ersten Sätze des Schrifttertes lauteten:Gio­vanni Carlo Maria del Vai, 27 Jahre alt, römisch-katholisch, entlassener Offizier der königlichen Armee, ist angeklagt, ver­schiedenen Parteien durch listige Vorspiegelungen höhere Geld­beträge, welche im Laufe von nur zwei Jahren die nam­hafte Summe von 12 100 Lire erreichten, entlockt zu haben. Obwohl nun der genannte Delinquent bereits cum infamia von den Listen des Heeres gestrichen wurde, so erübrigt es trotzdem auch mir noch, ihn der gerechten Bestrafung zuzu­führen."

Bei der Stelle cum infamia sing der schlanke, bild­hübsche Mann an zu zittern. Seine kohlschwarzen großen Augen sprachen von einer bis ins Innerste gekrankten, stolzen Menschenseele. Als der Präsident den Angeklagten mit leichter Handbewegung zum Niedersetzen auffordsrte, wankte dieser wie gebrochen seinem Platze zu.

Die Verhandlung begann, wie alle derartigen Proze­duren staatlicher Gerechtigkeit, mit dem Zeugenverhör.

Zuerst erschien der einzige Anverwandte: Cavaliere Raphaelo del Vai, nach Kleidung unv Gesichrsausdruck zu schließen eine typische Figur der Habsucht.Mir", sagte derselbe und schaute schielend nach dein Platze, wo sein Neste saß,hat er nichts herauszulocken bekommen. Ich war auf meiner Hut. Er kam wohl einigemale und bat um Geld, allein ich gab ihm keines. Wozu auch. Mein von mir selbst erspartes Vermögen hat ja nicht den Zweck, mit dem­selben leichtsinnige Lebemänner zu unterstützest. Ich möchte einem geehrten Gerichtshof weiter kurz und bündig erklären, daß man auf den Familiennamen absolut keine Rücksicht zu nehmen braucht. Was auch geschieht, ich bin mit Allem einverstanden, ja, ich bitte sogar um drakonische Strenge im gegebenen Falle."

Durch das Auditorium ging bei diesen Worten ein Murren, welches bewies, daß der Angeschuldigte in dem­selben noch einige ihm freundlich gesinnte Mitmenschen be­sitzen mußte. Ja, als der Alte unter mehrfachen Bücklingen den Saal verließ, da hörte man sogar das Wort Nieder­tracht lauter als es der Umstand erlaubte, aussprechen.

Nun kam ein Anderer an die Reihe.

Von ihm hatte der junge Mann unter dem Vorwände: dringendste Spielschulden begleichen zu müssen," fünftausend Lire geliehen. Später stellte sich heraus, daß die Angabe gänzlich falsch gewesen sei. Del Vai hatte gar keine Spiel­schulden. Zu was war aber dann das viele Geld verwendet worden?

Aus die Frage des Präsidenten, wieso der Kläger denn eigentlich so mir nichts, Dir nichts, einem ja ganz vermögens­losen Manne eine so bedeutende Summe Geldes habe leihen können, erwiderte der Gefragte:Ich konnte ja nicht ahnen, daß der ehrenwerte Cavaliere Raphaelo so wenig auf seine Familie halte, um selbe wegen einer, für ihn so verhältnis­

mäßig kleinen Summe selbstsüchtig in Schande und uns um das Geld zu bringen.

Aehnlich waren die Angaben der nachfolgenden drei Gläubiger. Auch sie hatten im guten Glauben und Ver­trauen aus des ehemaligen Offiziers Namen größere und kleinere Beträge vorgestreckt. Der Letzte, ein beleibter, mit nicht verkennbarem Wohlwollen auf den zu Verurteilenden blickender Mann, fügte seiner sachlichen Ausführung noch hinzu:Signor Giovanni del Vai war mir persönlich sehr sympathisch. Ich lernte ihn in vielen Lagen als einen herzensguten, offenen Charakter kennen. - Wäre nicht sein Onkel Rcwhaelo zu mir gekommen, und hätte mich versichert, daß das Offizierskorps ja unbedingt für den Schuldner zahle, wenn auch ich mich der Klage anschlösse, und, daß dem Herrn Leutnant sicherlich nichts von Belang geschehen werde, so würde ich mich unter keiner Bedingung dazu her­gegeben haben-, mitzuhelfen, den jungen Mann ins Unglück zu stürzen. Ich verzichte daher auch heute aus jeden Rechts­anspruch der an dieser Stelle geltend zu machen wäre."

Ein lautes, kaum endenwollendesHört, Hört" kam von den hintersten Reihen der Zuhörerbänke. Erst die Glocke des Präsidenten brachte wieder die satzungsmäßige Ruhe in die Halle der Gerechtigkeit zurück.

Zwei Stunden später, die Anklage hatte mit allem rhetorischen Raffinement die Schuld zu beweisen versucht, begann der interessanteste Teil der Verhandlung: die Ver­teidigung. Auf selbe war man umso gespannter, als del Vai sie selbst besorgte.Wie konnte," so meinte ein altes Mütterchen, das fast unausgesetzt ein großes, geblümtes Taschentuch an Nase und Augen führte,der junge Mann nur so unvorsichtig sein und sich keinen Advokaten nehmen. Er muß auf diese Art ja unterliegen." Derselben Ansicht waren auch noch Andere. Ein lautesPst, hört, er be­ginnt," unterbrach die von Mitleid herbeigeführte Schwatz-