nirgend Rechnung getragen worden war, in der Presse die Rechtsgültigkeit eines im Jahre 1908 mit ihr geschlossenen Vorvertrages in Frage stellen lassen. Darüber erhob sich im Reichstage von rechts bis links ein Sturm der Entrüstung. Man nannte das einen Skandal und forderte, daß das Reich mit allen Mitteln vorgehe. Kolonialsekretär Dern- burg pflichtete dem bei und versicherte, es fehle nicht an wirksamen Mitteln gegen die Gesellschaft. Der Gesellschaft ist es eben jetzt, wo in Südwest­afrika der Diamantensegen aufgetreten ist, unange­nehm, sich in ihren Ansprüchen auf ein erträgliches Maß beschränken lassen zu sollen. An der Berliner Börse sind ihre Aktien an einem Tage um 100 Prozent gefallen, was entschieden keine Kleinigkeit ist. Der viel angefochtene und tatsächlich grund­schlechte deutsch-portugiesische Handelsvertrag wurde am Dienstag doch noch angenommen, weil man einen Zollkrieg vermeiden wollte.

Kaisergeburtstags-Reden.

In Karlsruhe hat sich neulich bei dem von der Bürgerschaft veranstalteten Kaifergeburtstags-Esson ein Zwischenfall ereignet. Der Stadtverordnete Kammerstenograph Frey, der einen Trinkspruch auf den Großherzog auszubringen hatte, spielte aus die schwebende Frage der Schiffahrtsabgaben an und sprach von der Sorge, weil mächtigere, größere deutsche Bundesstaaten aus den eigenen Vorteil be­dacht seien. Dadurch fühlte sich der anwesende preu­ßische Gesandte v. Eisendecherpeinlich berührt" und er verließ nach Beendigung der Rede die Tafel. Unterdessen ist die Sachebeigelegt" worden: man hat dem Gesandten erklärt, daß eine derartige Wir­kung nicht beabsichtigt und nicht vorausgesehen war. In den mancherlei Presseäußerungen, die sich an den Zwij Wenfall geknüpft haben, wird allerdings stark die Meinung vertreten, daß der Gesandte gar keinen Anlaß hatte, sich peinlich berührt zu fühlen, und daß es angebracht gewesen wäre, wenn er da­rauf verzichtet hätte. Auch sonst haben einige Reden zum Kaisergeburtstag Staub aufgewirbelt. Da hat z. B. der braunschweigische Staatsminister v. Otto rund herausgesagt, er bedauere den Aus­gang der Verhandlungen über die Finanzreform: aber man habe sich damit abfinden müssen, denn die Regierung eines bankerotten Staates und auf dem Wege zum Bankerott sei mindestens das Deutsche Reich gewesen - sei wehrlos gegenüber den Parteiströmungen im Volke und in der Volks­vertretung. Die Presse des neuen Blocks ist über diese Aeußerungen arg aufgebracht. Der frühere Kriegsminister v. Einem, der jetzt kommandierender General des 7. Armeekorps ist, hat in seiner Kai­serrede aucb einen Exkurs auf das politische Gebiet gemacht und über die Reichsfinanzreform und die Defizitwirtscbaft gesprochen. Ihm wird vorgehalten, daß Militärs nicht politisieren sollen. Endlich ist noch eine Rede des deutschen Botschafters in London gesprochen, der sehr energische Töne anschlug in der Abwehr der Hetze gegen Deutschland und der Ver­dächtigungen wegen des Ausbaues der deutschen Flotte. Er betonte, das Meer sei frei und nie­manden gehöre es allein. Es tut wohl, von einem deutschen Diplomaten eine solche Sprache zu ver­nehmen.

Die Wahlen in England.

In England sind die Wahlen nun so gut wie beendet. Das Ergebnis ist, daß die Liberalen mit der Arbeiterpartei zusammen eine Mehrheit über die Unionisten von 40 Sitzen haben, und wenn die Iren dazu gerechnet werden, sind es rund 120. Das ist zu wenig zum Sterben, aber knapp genug zum Leben. Immerhin können die Liberalen einstweilen weitereregieren. Es wird sich indessen fragen, ob sie den Kampf gegen das Oberhaus unter diesen Um­ständen in der angekündigten Weise durchführen kön­nen. Sie werden jedenfalls ein paar Pflöcke zurück­stecken müssen. Auf der anderen Seite ist es frei­lich den Unionisten auch nicht gelungen, das Ziel ihrer Hoffnungen und Wünsche zu erreichen. Der große und beispiellos heftige Wahlkampf ist un­entschieden geblieben. Dis Entscheidung bleibt der Zukunft Vorbehalten, und wie nahe und wie ferne sie ist, steht dahin.

Wieder ein sozialdemokratischer Wahlsieg.

Bei der Rsichstagsersatzwahl im Wahlkreise Eisenach haben die Sozialdemokraten das Mandat im ersten Wahlgange mit einer Mehrheit von etwa über hundert Stimmen erobert. Gegen die letzte Wahl haben sie rund 2500 Stimmen gewonnen, und fast ebensoviel haben die autisemistischen Deutsch- nationalen, die das Mandat bisher besaßen, verloren. Die vereinigten Liberalen haben nur rund 150 Stimmen eingebüßt. Es ist also ein großer Sieg der Sozialdemokratie, der Hand in Hand geht mit einem förmlichen Zusammenbruch der Deutschnatio-

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Sonntagsblatt.

yalen. Das hat dieTriolen"-Geschichte des bis­herigen. Vertreters Schack und die Finanzreform ge­macht. Wenn die Regierungen sich vergegenwärti­gen, wie die Sozialdemokratie bei den Ersatzwahlen Erfolg an Erfolg reiht, so muß ihnen unheimlich werden, namentlich wenn sie an die allgemeinen Neuwahlen im Jahre 1911 oder 1912 denken.

Landesnachrichten.

>s Freudenstadt, "4. Febr. Eine ztveite demo­kratische Landtagskandidatur kündigt ein Blatt an, indem es berichtet, Gemeinderat Ne st len sei von Wählern aller Berufsstände veranlaßt worden, die Kandidatur als Landtagsabgeordneter im Bezirk Freudenstadt anzunehmen. Nestlen habe aber bis jetzt noch keine Erklärung darüber abgegeben. Auch bei der letzten Landtagswahl im Bezirk Frsuden- stadt standen sich zwei volksparteiliche Kandidaten gegenüber. (Es ist kaum anzunehmen, daß tatsäch­lich Nestlen noch als zweiter Kandidat der Volks- Partei auftritt bczw. aufgestellt wird.)

st Tübingen, 4. Febr. Bei der gestrigen Vor­lesung in der chirurgischen Klinik gab es sine pein­liche Szene. Als die Zöglinge des Misfions- instituts in den Saal eintraten, um an der Vorle­sung teilzuuehmen, verließen sämtliche Kliniker den Hörsaal bis auf den Vorsitzenden der Klinik'erver- einigung, der sich zu Staatsrat Professor Dr. von Bruns begab und ihm mitteilte, sie würden die Klinik nicht besuchen, so lange die Missionszöglinge, die keine richtigen Mediziner seien, an der Vorlesung teilnehmen.

st Laitdorf, OA. Tübingen, 4. Febr. Vorgestern vormittag konnte man in der Nähe des Orts eine große schwarze Wolke beobachten, die aus Staren, die nach Norden zogen, bestand.

1s Stuttgart, 4. Febr. Das Heräbfallen eines Reisekoffers in einem Eisenbahnzug, das, wie jüngst gemeldet, einem Reisenden eine schwere Gehirner­schütterung bcibrachte, ist, wie die W. Z. meldet, darauf zurückzuführen, daß der betreffende Zug, nämlich der Bormittags-D-Zng nach Rottweil, aus der Fahrt zum Westbahnhof durch einen Anprall der Schiebmaschine eine starke Erschütterung erlitt, so daß alle Reisenden entsetzt aufsprangen, da sie glaubten, eine Katastrophe Habs sich ereignet. Bei dieser Gelegenheit ist nun auch der Unfall mit dem Koffer passiert. Es ist aber noch einem Rei­senden ein Unfall zugestoßen. Einer wurde nämlich am Knie ziemlich stark verletzt; andere wurden von den Sitzplätzen herabgeschleudert, ohne Schaden zu nehmen. Von den Mitreisenden wurde auch darüber Klage geführt, daß das Zugpersonal erst nach einigem Drängen sich bereit erklärt habe, den Zug auf dem Westbahnhof anhalten zu lassen, um den verunglückten Reisenden abzusetzen.

st Stuttgart, 4. Febr. (Strafkammer.) Der Mehlreiseude Karl Geßwein war beschuldigt, in­nerhalb sechs Jahren zum Nachteil einer Eßlin- ger Firma 24 000 Mark, die er bei Kunden einge­zogen hatte, unterschlagen zu haben. Der Ange­klagte machte geltend, er sei durch unzulängliches Einkommen zu den Unterschlagungen veranlaßt worden. Er habe mit seinen Spesen nicht auskom- men können, da er viele Wirte habe besuchen müs­sen. Er durfte täglich 4,50 bis 4,80 Mark Spe­sen verbrauchen. Die Strafkammer erkannte gegen ihn auf 1 Jahr sechs Monate Gefängnis, abzüg­lich zwei Monate Untersuchungshaft.

ss Ludwigsburg, 4. Febr. Seit Montag ist der Dragoner Mistete bei der 5. Schwadron ab­gängig. Seinen Dienstanzug fand man vorgestern in den Wöhrwiesen (Markung Asperg); er war zu- sammengebunden und, mit Steinen beschwert, in den dort durchfließenden Bach gelegt.

ss Berlin, 4. Febr. Dem Reichstag ist der vom Bundesrat beschlossene Entwurf eines Gesetzes über den Absatz von Kalisalzen mit Be­gründung zugegangen.

* Berlin, 4. Febr. Im Befinden des Reichs­tagspräsidenten Grafen Stolberg hält die Besse­rung an. Die Aerzte haben begründete Hoffnung, den Patienten am Leben zu erhalten, wenn keine neuen Komplikationen eintreten.

Deutscher Reichstag.

* Berlin, 4. Febr. Zur Erörterung stand heute der Etat des Reichstags. Es wurde zunächst über die eingebrachten Anträge auf Abänderung der Geschäftsordnung und über den Antrag auf freie Eisenbahnfahrt für die Abgeordneten wäh­rend der ganzen Legislaturperiode de­battiert, sämtliche Anträge der Geschäftsordnungs- kommisfion überwiesen und der Etat des Reichstags genehmigt. Der deutsch-portugiesische Han­

delsvertrag wurde darauf nach kurzer Debatte in dritter Lesung mit knapper Mehrheit de­finitiv angenommen. Es folgte die Bera­tung der Reichseinnahmen und -Ausgaben für 1908. Am Samstag Tagesordnung: Handelsvertrag mit Amerika. >

Die preußische Wahlrechtsvorlage.

* Berlin, 4. Febr. Die Umrisse der preußischen Wahlrechtsvorlage werden jetzt halbamtlich bekannt. Heute abend wird dieNordd. Allg. Ztg." sie ver­öffentlichen. Es bestätigt sich, daß der bisherige Modus der Abstimmung, also in öffentlicher Ver­sammlung zu Protokoll, beibehalten wird. Als Basis der Wahlausübung wird, wie bisher, die Abstufung nach drei Klassen aufrecht erhalten. Die Mißstände, die sich nach der Wahlrechtsstatistik aus der bis­herigen Abgrenzung der drei Klassen lediglich nach den Steuerleistungen ergeben haben, sollen in der Weise bekämpft werden, daß zunächst Steuerzah­lungen über 5000 Mark bei der Klassenbildung keine Berücksichtigung finden. Die Abgrenzung nach Steuerdrittsln soll außerdem durchbrochen werden durch eine Verteilung bestimmter Wählergruppen, welche ihrer Steuerzahlung nach der dritten Klasse angehören müßten, auf die erste und zweite Klasse. Wähler mit akademischer Bildung und Reserveoffi­ziere in Heer und Marine, bestimmte Ehrenbeamte aus der Kommunalverwaltung sollen der zweiten bezw. ersten Abteilung zugewiesen werden. Bei man­chen Gruppen wird, wie verlautet, das Aufsteigen in höhere Klassen davon abhängig gemacht, daß ein Jahrzehnt vergangen sein muß nach Hervor­treten ihres Anspruches auf eine Bevorzugung im Wahlrecht. Die Zugehörigkeit zur zweiten Abtei­lung wird bei den gehobenen Wählern durch sine Steuerleistung von einem mittleren Einkommen be­dingt. Hier wird außerdem der Bildungsnachwsis in Höhe des Einjährig-Freiwilligen-Examens ge­fordert werden. Vielfach ist die Meinung ver­breitet, daß der Uebergang zur direkten Wahl mit der bisherigen Klasseneinteilung unvereinbar sei. Tatsächlich jedoch wird die Wahl in den bisheri­gen Stimmbezirken trotz der Dreiteilung einheitlich sein. Das Wahlergebnis wird dadurch gefunden, daß die im ganzen Bezirk für einen Kandidaten ab­gegebenen Stimmen getrennt nach Abteilungen zu- sammengezählt werden. Die prozentuale Beteilig­ung in Verbindung mit der Stimmenzahl des Kan­didaten wird alsdann unter Zusammenrechnung aller Abteilungsstimmen für das Ergebnis maß­gebend sein.

Das deutsch-amerikanische Handelsabkommen.

* Newyork, 4. Febr. Die Bekanntmachung des Staatsdepartements über die Vereinbarung mit Deutschland über die gegenseitige Gewäh­rung der Minimaltarife ist im herzlichstem Tone gehalten und hebt Deutschlands Wohlwollen und die Bedeutung des deutschen Handels hervor. Das Staatsdepartement erklärt, die Vereinbarung werde beide Teile befriedigen und die Lösung sei lediglich der freundschaftlichen Gesinnung der deutschen Regierung zu danken. Die Fleisch- und Schlachtviehfrage sei bis auf weiteres verschoben.

Ausländisches.

* RoM, 4. Februar. Mehrere italienische Kriegsschiffe haben den Befehl erhalten, sich bereit zu halten, nach dem Orient abzufahren. Man glaubt, daß dieser Befehl der Vorläufer einer Trup­penlandung auf Kreta sein soll.

1s Paris, 4. Febr. Der Temps verzeichnet unter den ersten der gestern bekanntgegebenen Spenden für die Hochwasseropfer die Berliner Diskonto­gesellschaft, die Deutsche Bank und die Dresdener Bank mit je 25 000 Mark.

* London, 4. Febr. Die Ursache der Gru­ben k ata st rophe in Las Esperanzas in Mexiko ist heute sestgestellt. Ein Mann, der schwer ver­letzt zu Tage gefördert wurde, erzählte, kurz ehe er seinen Verletzungen erlag: Ein neu angestell- ter Bergmann, der sich Wohl nicht darüber klar war, in welche Gefahr er sich und seine Kamera­den brachte, hatte Tabak und Streichhölzer hinein­geschmuggelt und zündete sich unter Tags eine Zi­garette an. Im selben Augenblick geschah die Ex­plosion, die alle zerschmetterte.

ss Rewyork, 4. Febr. Nach hierhergelangten Meldungen sind bei Boaco (Nikaragua) 3 00 Auf­ständische gefangen genommen worden. Das Gefecht, das gestern stattfand, dauerte zwei Stunden.