Immer wieder wird der allerdings völlig aussichtslose Versuch unternommen die Schuld an dem Sturz des Fürsten Bülow von den Konservativen abzuwälzen. Das Neble für die Konservativen ist, daß sich in den eigenen Reihen eine hochgradige Unzufriedenheit regt, die bisher allen Beschwichtigungsversuchen getrotzt hat. Besonders bezeichnend dafür ist, daß sogar der „ungekrönte König von Preußen" Abg. v. Heydebrand und der Lase, der oberste Führer der Konservativen bei ihrem Feldzug, in seinem eigenen Wahlkreise in offener Versammlung seiner Wähler auf heftige Anfechtung gestoßen ist. Wenn das am grünen Holz ge- schiehet, was will am dürren werden? Jedenfalls macht die konservative Partei gegenwärtig eine schwere Krise durch, die schwerste seit Jahrzehnten. Die neue Regierung lebt unterdessen ein ruhiges Dasein. Reichskanzler v. Bethmann Hollweg — es ist in einer bedeutenden Erörterung festgestellt morden, daß er seinen Namen ohne Bindestrich schreibt — ist eifrig dabei, sich in die Geschäfte einzuarbeiten, namentlich in die auswärtigen. Fürst Bülow sitzt auf der Insel -Norderney; er wird wohl nun, da der Strom der Depeschen und Kundgebungen ebbt, allmählich inne werden, daß viele, die sich zu ihm drängten, als er noch Reichskanzler war, es nun weniger dringlich haben — eine Erfahrung, die keinem erspart bleibt, der einer großen Machtfülle entledigt ist.
Ministerwechsel in Frankreich.
Die Ministerkrisis, die in Frankreich in der vorigen Woche so ganz plötzlich ausgebrochen ist, hat ein rasches Ende gefunden. Es pressierte eben: denn mitten im Sommer sind derartige Sachen äußerst störend. Man will in die Sommerfrischen und läßt, wenn es geht, in der Politik fünf eine gerade Zahl sein. Außerdem brauchte man in Frankreich auch deswegen schnell ein neues Ministerium, weil der Kaiser von Rußland in diesen Tagen in Cherburg zum Besuch eintrifft. Uebrigens wäre es nicht zu der Krisis gekommen, wenn Ministerpräsident Clemenceau sich nicht zu einem persönlichen Ausfall auf seinen alten Feind Delcasse hätte verleiten lassen, der ihm von der Kammer übel genommen wurde, nicht wegen der Person Delcasses, sondern wegen der Erinnerung an die schlimmen Tage der Marokkokrisis. Delcasse ist denn auch, obgleich er der eigentliche Sieger war, bei der Bildung des neuen Ministeriums ganz leer ausgegangen. Man hat eben in Frankreich offenbar ein Gefühl dafür, daß dieser Mann, der als Minister des Auswärtigen mit kaltem Blute Frankreich um ein Haar in einen Krieg mit Deutschland verwickelt hätte, keinen Platz in der Regierung erhalten darf, wenn es nicht eine Herausforderung an Deutschland sein soll. Mit der Bildung des neuen Kabinetts ist der bisherige Justizminister Briand betraut worden, und es ist ihm gelungen, ein Ministerium zu bilden, das im allgemeinen, abgesehen natürlich von den Porteseuillejägern, die sich enttäuscht fühlen, eine günstige Aufnahme gefunden hat. Das ist eigentlich insofern merkwürdig, als die Regierung einen stark sozialischen Einschlag hat. Drei Minister sind Sozialisten, allerdings Sozialisten, die sich seit ihrem Einrücken in die Reihe der regierenden Männer erheblich gemausert haben. Der Ministerpräsident Briand selbst war ehedem furchtbar rot ; aber er ist stark abgeblaßt. Uebrigens ist er ein außerordentlich begabter, kluger, besonnener und geschickter Mann, der in hohem Maße alle Eigenschaften des Staatsmannes besitzt. Er hat seinen Freund Millerand, der schon einmal Minister war, als Post- und Bautenminister ins Kabinett übernommen; auch dieser ist Sozialist, nennt sich wenigstens noch so. Außerdem ist der Sozialist Viviani, bisher Arbeitsminister, im Kabinett geblieben. Bemerkenswert ist sonst noch, daß der bisherige Minister des Auswärtigen Pichon sein Amt behalten hat. Kriegsminister ist der bisherige Generalstabschef General Brun, und als Marineminister ist der Admiral Lapeyrere berufen worden, seit langer Zeit der erste Fachmann an der Spitze dieses Ministeriums. i
Aus England.
Die heftige Flottenagitation in England hat bewirkt, daß die liberale Regierung sich nun entschlossen hat, statt vier, acht „Dreadnoughts", das sind die neuen Riesenschlachtschiffe zu bauen, die bis 1912 fertig sein sollen. Begründet wird das mit den Schiffsbauten „anderer Mächte", das heißt Deutschlands. Die Angst Englands, wegen einer Gefährdung seiner Herrschaft zur See hat eben eine Ausdehnung angenommen, gegen die einfach der gesunde Menschenverstand nicht mehr auskommen kann. Sehr bemerkenswert ist auch, daß die auswärtige Politik Englands, namentlich in der Balkanfrage dieser Tage im Unlerhause von einem hervorragenden und sachkundigen Alaune, Sir Charles Dike, einer gründlichen und wirksamen Kritik unterzogen worden ist. Was demgegenüber der Staatssekretär des Auswärtigen Sir Eduard Grey zu erwidern wußte, war merkwürdig schwach. Es ist eben Tatsache, daß die englische Politik der neueren Zeit nicht einwandfrei gewesen ist und viel dazu beigelragen hat, Schwierigkeiten zu schaffen.
Spaniens Marokko-Abenteuer,
Spanien hat sich in Marokko in ein böses Abenteuer gestürzt, das ibm lener zu stehen kommt. Es hat in der Gegend seiner nordmarokkanischen Besitzung Melitta mit den Eingeborenen angebändelt und ist dabei in schwere Kämpfe geraten. Mit Mühe und Not haben sich die spanischen Truppen der Angriffe der Eingeborenen erwehren können.
Schwarz Wälder Sonn tagsblatt.
Die Verluste an Toten und Verwundeten aus spanischer Seite zählen nach Hunderten. Um die „Ehre" Spaniens wiederherzustellen, müssen starke Truppenmengen nach Marokko geschafft werden; nicht weniger als 40 000 Mann sollen aufgeboten werden. Das tostet ein Riesengeld, und an Geld herrscht in Spanien Mangel an Uebersluß. ' Das Schlimme ist dabei, daß das spanische Volk von dem Abenteuer nichts wissen will. In vielen Städten haben heftige Volkskundgebungen stattgefunden und es ist gelegentlich zu Zusammenstößen gekommen, da das aufgeregte Volk die Abfahrt der Militärzüge zu verhindern suchte.
Landesnachrichten.
* Pfalzgrafenweiler, 31. Juli. Äm morgigen Sonntag begeht der hiesige Radfahrerverein sein diesjähriges Rad- fahrerfest verbunden mit Banner weihe, worauf wir auch an dieser Stelle Hinweisen möchten. (Programm siehe Inserat.)
jj Hcrrenberg, 30. Juli. Der geflüchtete Tarlehens- kassier Lutz von Altingen soll sich seither in der Bodenseegegend aufgehalten haben und in Ravensburg verhaftet worden sein.
js Stuttgart, 30. Juli. Gestern abend fand ein Straßen- wart auf der Straße Degerloch—Echterdingen in einem Sandhaufen vergraben eine Pappdeckschachtel, in der ein totes, ca. acht Tage altes Kind mit Windel und Kittelchen bekleide!, lag. Die vermutliche Täterin wurde einige Tage vorher von einem Degerlocher Bewohner in der Nähe des Tatorts gesehen und wie folgt beschrieben: ca. 24 Jahre alt, macht einen guten Eindruck und sieht einem besseren Dienstmädchen aus der Stadt gleich.
ss Bad Mergentheim, 30. Juli. Wie es heißt, soll während des Kaisermanövers, bezw. während des Aufenthalts des Kaisers auch ein Zeppelinsches Luftschiff hierher-
Arisiide Briand.
kommen. Baumeister Greiner wurde damit beauftragt, auf dem kleinen Ererzieiplatz, hart an der Tauber, zwei Zemenl- blöcke mit Ringen zum Verankern des Luftschiffes anzubringen.
jj Heilbronn, 31. Juli. Auf dem Festplatz des Kreisturnfestes ereignete sich gestern ein schwerer Unfall. Der Wind warf einen Balken um, der die fünfzehnjährige Fabrikarbeiterin Willi auS Böckingen so unglücklich traf, daß sie einen Schädelbruch erlitt unh hoffnungslos darniederliegt. Zwei weitere Mädchen erlitten leichtere Verletzungen.
jj Friedrichshafen, 30. Juli. Das Luftschiff Z. 2 machte heute nachmittag eine Rundfahrt um den See und manöve- rierte dann über Friedrichshafen. Im Luftschiff befanden sich außer Pro essor Hergesell, Hauptmann George, Oberingenieur Dürr und Ingenieur Stahl, als Gast Adolf Daimler aus Unierlürkheim, Graf Zeppelin führt das Steuer.
jj Friedrichshafen, 30. Juli. Das Wetter ist recht un- sreundlrch geworden. Ein scharfer Nord westwind peitscht den See und wnd, wenn er sich nicht bis heute abend legt, die Fahrt des Zeppelinschen Luftschiffes, das ihm direkt entgegensteuern muß, jedenfalls verzögern. Der Antritt der Fahrt erfolgt unter allen Umständen im Laufe dieser Nacht. Aber die bis jetzt berechneten Ankunftszeiten über den einzelnen Orten auf dein Wege werden angesichts der Windverhältnisse voraussichtlich später fallen, und man hat damit zu rechnen, daß die Fahrt mehrere Siunden länger dauert, als bei ruhigem Wetter. An der Fahrt nehmen teil Graf Zeppelin, Oberingenieur Dürr, Ingenieur Stahl, die Lustschiffkapiläne Lau und Hacker, 2 Monteure, ein Reservemonteur und als Gäue Hauplmann George, sowie Direktor Colsmanu.
„Z 2" a»f d,W Weg Aach Frankfurt.
jj Stuttgart, 31. Juli. (Telegr.) Das Luftschiff ist in Manzell um 3 Uhr 40 Min. aufgestiegen. Es fuhr zunächst mit günstigem Wind nach Ravensburg, wo es um 4 Uhr eintraf, 4 Uhr 40 Min. passierte es Biberach, 4 Uhr ög i Min. Laupheim, 5 Uhr 15 Min. Ulm. Seither ist die ! Fahrt erheblich langsamer geworden. Das Luftschiff passierte ! dann 7 Uhr 15 Min. Geislingen und 8 Uhr 15 Minuten ! Göppingen. ,
Stuttgart, 31. Juli. (Telegr.) Das Luftschiff hat ' zwischen D-z und ^ 10 Uhr das Neckartal bei Cannstatt ! passiert, ohne Stuttgart selbst zu berühren.
Die Spanier irr Marokko :
jj Paris, 30. Juli. Wie die Agence Havas aus Malaga ! erfährt, wurden nach Privatnachrichten aus Melilla, die ^ amtlich zu bestätigen sind, am 28. ds. die spanischen Ver- ! luste auf zwanzig Offiziere tot oder verwundet und 200 ! Mann tot, sowie 800 verwundet angegeben. Es ist jedoch ^ nicht bekannt, ob diese Angabe eine Berichtigung der bereits ! gemeldeten Verluste in dem Kampf am 27. d. bedeutet oder j ob es sich dabei noch um einen neuen Kampf handelt.
Erdb«b«rr in Mexiko.
jj Mexiko, 30. Juli. Die Stadt ist von 2 heftigen ! Erdstößen heimgesucht worden. 5 Personen sind getötet und eine große Anzahl verletzt. In den ärmeren Stadtteilen sind viele Häuser zerstört. !
jj Mexiko, 31. Juli. Die Stadt Acalpulco ist ha/ö i zerstört. Aus Santa Julia werden 15 Tote gemeldet.
Die Verbindung zwischen der Westküste und dem Innern ist unterbrochen.
jj New-Nork, 31. Juli. Das Erdbeben hat in verschiedenen Teilen Mexikos große Verheerungen eingerichtet.
?-u Miseren Vildern.
Detlev Freiherr v. Liliencron
In Detlev v. Liliencron ist wohl der größte zeitgenössische Lyriker Deutschlands gestorben. Der Dichter wurde am 3. Juni 1844 in Kiel geboren. Er hat ziemlich spät zu dichten begonnen; in seiner Jugend war er mit Leib und Seele Soldat. Er nahm an den Feldzügen von 1866 und 1870 teil, die er später in seinen köstlichen Kriegsnovellen verherrlicht hat. Nach seiner Verwundung im Nationalkriege nahm er als Hauptmann seinen Abschied. Später wirkte er als Kgl. Hardesoogt und Deichhauptmann auf der Insel Pellworm und der Halligen und als Kirchspielvogt in Kellinghusen. Seine reiche dichterische Produktion setzte nach dem Verlassen des Militärdienstes ein. Die deutsche Literatur verdankt Liliencron einige ihrer besten lyrischen Gedichte, außerdem eine bunte Fülle von Balladen, Novellen, Dramen und das sonnige Epos Poggfred. In den letzten Jahren seines Lebens wurde der Dichter allgemein anerkannt und verehrt. Er lebte auf seinem Gute Alt- Rahlstedt bei Hamburg und schuf bis zu seinem Tode an neuen, stets jugendfrischen Werken.
Die Hitze in Nordamerika.
Nordamerika leidet unter einer furchtbaren „Hitzwelle", wie sie seit einiger Zeit allsommerlich wiederkchrt. Die Bevölkerung kann bei der argen Hitze ihren Beschäftigungen kaum nachgeben. Wenn die Nacht kommt, ist es in den dumpfen Wohnungen unmöglich zu schlafen. Tie arbeitenden Klaffen legen sich einfach an geschützte» Stellen der Straßen, z. B. in dem überdachten Porticns des Rathauses, schlafen. Hunderte übernachten am Meeresstrande. Leute, die sich scheuen, ihr Haus in der Nacht zu verlassen, nächtigen auf ihren Balkons. Selbst die eisernen Notüiegen, die für den Fall einer Feuersbrnnst an den Häusern angebracht sind, müssen als Nachquarlier dienen.
Nette Familie. Fremder: „Junge, bessere Dich in Deinen Jugendjahren." B e t t e l j u n g e: „Do ist später aa noch Zeit, mei Vater is au erst neulich in a Besserungsanstalt 'kommen."
Enfant terrible. Vater: „Guten Tag, liebe Frau Rätin! Bitle nehmen Sie Platz; meine Frau wird sehr erfreut sein, Sie zu sehen. Sie wird gewiß gleich kommen." (Zu seinem Töchterchen gewendet): „Nun, Anna, hast Tu es Mama gesagt, daß die Tante da ist?" Anna (eifrig): „Ist das alte Klatschmaul schon wieder da ? ja, das sagte sie."
Nichts gebessert. Pfarrer: „Na, lieber Sepp, jetzt habt Ihr eine eigene Pfarrkirche, da seid Ihr wohl froh, daß ihr Sonntags nicht mehr drei Stunden weit zu laufen habt, wenn Ihr einmal in die Kirche wollt?" Sepp: „Ach, Herr Pfarrer, 's war auch schön früher. Da Hamm mer so unterwegs in jedem von die drei Wirtchäuser, die am Wege liegen, Einkehr gehalten und das hat nun seit der neuen Kirche ganz ausgehört."