noulmen. Morgen 10 Uhr dritte Lesung sämtlicher übriger Steuergesetze.
Berlin, 10. Juli.
Der Reichstag erledigte am Samstag in einer Sitzung von 10 Uhr früh bis ^7 Uhr abends die Finanz reform endgültig in dritter Lesung. Staatssekretär v. Bethmann-Hollweg erklärte in der Generaldebatte, obgleich der Reichstag den Vorschlägen der Verbündeten Regierungen nur zum Teil gefolgt sei, hätte diese sich einstimmig dahin entschieden, das Gesetz als ein einheitliches Ganzes zur Verabschiedung zu bringen. Eine Reichstagsauflösung hätte die dringend notwendige Reform verzögert — sachlich auch nichts gebessert. Auch sei der Ausblick in die Zukunft weniger wert als die Tat der Gegenwart. Die Forderung der Regierung wiegt schwerer als die Mängel der Vorlage. Regierung und Reichstag haben durch ihre Einigung über die Reform dem Vaterlande einen Dienst geleistet, den ihnen die Verantwortung für das Wohl des Landes auferlegt. Abg. v. Heydebrand (kons.) erklärt, seine Freunde hätten die Erbanfallsteuer abgelehnt, weil diese eine reine Besitzsteuer sei, deren Regelung nicht einer aus dem gleichen Wahlrecht hervorgegangenen Volksvertretung wie dem Reichstage anvertraut werden könne. Fürst Bülow beging einen Fehler, als er den Block unter Ausschaltung des Zentrums bildete. Den Rücktritt des lieben Kanzlers, dem die deutsche Landwirtschaft viel zu danken habe, bedauerten seine Freunde, die den Sturz des Fürsten natür-- lich nicht beabsichtigt hätten. Abg. Singer (Soz.) schwur der Reaktion den Kampf auf Leben und Tod. Abg. Hieber (natlib.) bezeichnet« die Finanzreform als verfehlt und bedauerte den Bruch des Blocks wie den Rücktritt des Reichskanzlers. Abg. v. Hertling (Ztr.) betonte, seine Freunde hätten sich der schwierigen Mitarbeit an der Finanzreform unterzogen, als sich herausstellte, daß der alte Block außer Stande sei, das Werk fertig zu bringen. Sollte es einmal eine große liberale Partei von Bebel bis Bassermann geben, dann würde es auch eine große konservative Partei geben, in der das Zentrum nicht fehlen würde. Nachdem noch die Abgg. Wiemer (frs. Vp.), v. Dirksen (Rpl.), Czar- liuski (Pole), Raab (wirtsch. Vgg.) und Zimmer- mann (Refp.) den Standpunkt ihrer Parteien zu der Reform dargelegt, erfolgen die Abstimmungen, die zum Teil namentliche sind und die Annahme aller Teile des Gesetzes nach den Beschlüssen der Mehrheit ergeben. (Lebhafte Bravos bei den Mehrheitsvarteien). Montag 11 Uhr: 2. Lesung Besoldungsvorlagen.
WürLtembergischrr Landia a.
H Stuttgart, 0. Juli.
Die Zweite Kammer beriet heute in schleppendem Tempo die bisher zurückgestellten landwirtschaftlichen Artikel des Kultetats. Zunächst wurde der landwirtschaftlichen Anstalt in Hohenheim von allen Parteien für ihre Tätigkeit im Interesse der Landwirtschaft volle Anerkennung ausgesprochen. Nur der Abg. Keßler (Ztr.) glaubte, der Anstalt Schuldenmacherei vorwerfen zu müssen. Sommer (Ztr.) bemerkte dazu ausdrücklich, daß Keßler nicht im Namen der Partei gesprochen habe, die davon ausgehe, daß die Anstalt nicht Ersparnisse zu machen, sondern die Jugend auszubilden habe. Eine große Rolle spielte in der Debatte die vor zwei Jahren vom Hause verlangte Anstellung eines Dozenten für landwirtschaftliche Maschinenkunde. Die Mitteilung des Ministers, daß dieser Lehrstuhl später ein Laboratorium mit einem Aufwand von 135 000 Mark erfordern werde, war dem Hause nicht sonderlich angenehm. Allgemein wurde gewünscht, daß der Dozent und Sachverständige insbesondere auch Berater der
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Es gehört zu den Schwächen des Menschen, immer von Wünschen umringt zu sein; und es gehört zu den alltäglichen Täuschungen, die Stunden der Vergangenheit und Zukunft reizender zu finden als die Gegenwart.
Zschokke.
Unter dem Gesetze.
Roman von H. v. S ch r eib e rs h o fe ck.
Nachdruck verboten.
1 Kapitel.
Gra« und trübe lag der fahle Winterhimmel über Stadt und Land, und ebenso trübe und grau sah es in vem großen Schwurgerichtssaale aus, in dem über Leben und Tod, Freiheit oder Kerkerhast, Sein oder Nichtsein entschieden ward.
Ernst und feierlich blickten die Richter in ihren schwarzen Talaren auf die Unglücklichen, die schweres Verschulden hieher gebracht, und ernst und feierlich, aber häufig bewegter und schmerzlich erregter lagen die Blicke der zwölf Geschworenen auf ihnen, deren Geschick sie entscheiden sollten.
„Stattlicher Mensch! Sieht aus, als könne er der Garde argebürt haben. Schade um den Kerl!"
Nur ein Flüstern, es erreichte aber das Ohr des Vorgefübrten. der sich dabei strammer aufrichtete und mit den- Blick nach dem Sprecher suchte.
Doch der Redende hatte sich schon wieder abge- wcndct. nur der runde Kops mit dem vollen, cmn!"l- bloaden Haar und die breiten Schultern waren zu sehen.
landwirtschaftlichen Bevölkerung sein soll. Ein Antrag betreffend zweijährige Dauer des Kurses der Gartenbauschule und Einrichtung eines mehrmonatlichen Winterkurses mit einem im Sommer stattfindenden mehrwöchigen Wiederholungskurs wurde angenommen und schließlich beim Kapitel Tierärztliche Hochschule ein früherer Beschluß betreffend Ausbildung von Laiengeburtshelfern für Haustiere der Regierung zur nochmaligen Behandlung trotz lebhaften Wiederspruchs des Ministers übergeben. Die Beratung des Kultetats konnte abermals nicht zu Ende geführt werden, da das Haus sich wiederholl in uferlosen Erörterungen verlor, anstatt positive Arbeit zu leisten. Morgen Weiterberatung. Schluß 2 Uhr.
Landesnachrichten.
>. Alterrsteig, 13 . Juli.
" Gestern konnte Gerber Karl Luz und Frau die silberne Hochzeit feiern. Aus diesem Anlaß brachte der Liederkranz am Samstag abend seinem Vorstand ein Ständchen.
An der Gauturnfahrt nach Wildberg nahm auch der hiesige Turnverein teil. Was der Verein für tüchtige, leistungsfähige Turner auszuweisen hat, beweist wieder das günstige Preisresultat, das gestern erzielt wurde. Von den aktiven Turnern erhielt den 1. Preis Karl Köhler mit 85'/2 P., 4. Preis Wilhelm Fuchs mit 76 P., 8. Preis Alfons Hoch mit 61? P., 9. Preis Paul Armbr nster
mit 61 P.; Zöglinge: 2. Preis Alfred Schittler mit 102^ 2 P., 6. Preis Wilhelm Hahn mit 79 P., 8. Preis Adam Braun mit 77 2 P, 9. Preis Paul Ettwein mit 76 P., 13. Preis Paul Köhler mit 69' 2 P. Vom Turnverein Ebhausen, der ebenfalls an der Gauturnfahrt teilnahm, erhielt den 3. Preis Zögling Krauß mit 94° - P., 4. Preis Zögling Musgey mit 88 P.. 7. Preis Zögling Lehmann mit 78° 2 P., 10. Preis Zögling Steeb mit 72° 2 P., 14. Preis Zögling Ziefle mit 68° 2 P., 15. Preis Zögling Mors mit 67° 2 P. Die nach Schluß des Wetturnens geplanten Turnspiele konnten des eingetretenen Regens halber nicht ganz zur Ausführung gebracht werden.
ff Tübingen, 10. Juli. Ein Spezialitätendieb stand gestern wegen verschiedener Einbrüche in Stuttgart, Eßlingen und Tübingen in der Person des Korbmachers August Gun- tert, eines Schweizers, vor Gericht. Er beschränkte seine Diebstähle auf Trinkhallen und ähnliche Buden und stahl daraus, was ihm gut und lecker erschien. Das Gericht erkannte auf 4 Jahre Zuchthaus, welche Strafe er lächelnd entgegennahm. Während der Verhandlung verzichtete er, um die Verhandlung abzukürzen, auf Vernehmung der Zeugen und b a t den Gerichtshof, ihn nicht zu Gefängnis, wie der Rechtsanwalt im Antrag brachte, sondern zu Zuchthaus zu verurteilen.
' Stuttgart, 10. Juli. Das große Los der diesjährigen Stuttgarter Geld- und Pferdelotterie mit einer Gewinnsumme von Mk. 40,000 kam bei der Ziehungin den Besitz von vier Arbeitern. Wie wir berichtet haben, erklärte ein Bäckermeister in Bückingen das Los als sein Eigentum mit der Begründung, daß er es gekauft habe und daß es ihm abhanden und in den Besitz der Arbeiter gekommen sei. Daraufhin wurde vom Gericht die Auszahlung des Gewinnes vorläufig untersagt. Heute hat ^>ie Zivilkammer das Urteil dahin gefällt, daß der Bäckermeister verurteilt wird, in die Auszahlung der 40,000 Mk. an die Arbeiter einzu- will ig en.
js Stuttgart, 10. Juli. Einem Scheckschwindler ist eine hiesige Bank zum Opfer gefallen. Der angebliche Agent
Dw Verhandlung war kurz — der Verbrecher gab alles zu, die Schuld lag klar zu Tage, und die Geschworenen fällten ihr Urteil sehr schnell. Es lauteie auf schuldig. Einbruch, versuchter Totschlag bei der Ueberrastbung durch Hausbewohner — mehrjährige ZuchchauSsUasc wurde von den Richtern verhängt.
Cs war die letzte Sache gewesen, das Publikum verlies sich,,du Geschworenen hatten ihr heutiges Tagewerk hinter sich
Da näherte sich der Verteidiger, ein junger, eifriger Mann, einem der Herrn mit der Bitte, ob er dem zuletzt Verurteilten einen Augenblick gönnen möge zu einer kurzen Unterredung. „Tun Sie ihm den Gefallen, Herr v. Warnitz, der Mensch ist unglücklich, aber nicht schlecht."
„Was will der Kerl von mir? Ich kenne ihn nicht," war die Antwort. Augenscheinlich widerstrebte es Herrn v. Warnitz, sich mit dem soeben von ihm für lange Zeit aus der menschlichen Gemeinschaft Ausgestoßenen noch einzulassen. Der vornehme Edelmann richtete sich zu seiner ganzen stattlichen Größe auf, seine blauen Augen blitzten unwillig, und er schüttelte ablehnend den Kops.
„Sie haben doch gesagt, der Mann sähe aus, als habe er bei der Garde gedient, und es sei schade um ihn, nicht wahr?"
„Kann sein, aber darum" —
„Darum möchte er Sie aber so gern sprechen. Tun Sie ihm den Gefallen, Herr v. Warnitz. Sie können ihm sein Los durch ein gutes Wort vielleicht erleichtern — aus Barmherzigkeit."
Herr von Warnitz zuckte mit den Achseln. „Schlimm genug, daß ein Mann, der bei der Garde gestanden hat, so tief fallen kann. Na, sei's drum! Wo ist er denn?"
Sava Trefanov von Kovno (Rußland) erhob bei der Bank mit einem anscheinend gestohlenen Scheckbuch der Firma Cook und Sohn in London eins größere Summe. Dem Gauner ist man auf der Spur, er scheint sich in München ! oder dessen Umgebung aufzuhalten.
jf Stuttgart, 10. Juli. Aus Kreisen der süddeutschen Seifenindustrie wird uns mitgeteilt, daß sich die Verhältnisse in dieser Industrie im Jahre 1909 außerordentlich verschlechtert haben dadurch, daß zwar die Preise der Rohmaterialen (Oele und Fette) eine Steigerung um 15—20 Prozent erlitten, die Verkaufspreise der Fabrikate aber trotz aller Bemühungen sich nicht heben ließen. Dieser Uebel- ; stand, der in ernstester Weise die Existenz einer ganzen An- ^ zahl von Fabriken bedroht, hat es dahin gebracht, daß der ! größte Teil der süddeutschen Seifenindustrie neuerdings be- j schloß, die Preise vorerst um 2 Mk. die hundert Kilo zu f erhöhen. Um direkte Verluste zu vermeiden, wird es jedoch ° nötig werden, nach dem Vorgang der nord- und mitteldeutschen Seifenindustrie in Bälde eine weitere Preiserhöh- ung eintreten zu lassen, denn die Speisefettindustrie zahlt für ! die Rohfette andauernd die höchsten Preise, so daß für die Seifenindustrie eine förmliche Fettknappheit einzutreten droht, ' die eine weitere noch größere Teuerung der Rohfette zur Folge haben dürfte.
fj Stuttgart, '10. Juli. (Strafkammer.) Ein umfangreicher Prozeß wegen Vergehens gegen das keimende Leben bezw. Beihilfe dazu, beschäftigte heute die Strafkammer. Es waren zehn Angeklagte, meistens Dienstmädchen, von denen zwei zur Verhandlung nicht erschienen waren. Die Haupttäterin, eine ledige Fabrikarbeiterin von Eglosheim, erhielt 2 Jahre Gefängnis unter Anrechnung von 6 Monaten Untersuchungshaft. Die übrigen Angeklagten wurden zu Gefängnisstrafen von 2 Wochen bis zu drei Monaten zehn Tagen verurteilt, die bei der Mehrzahl durch die Untersuchungshaft verbüßt erachtet wurden.
ss Stuttgart, 10. Juli. (Strafkammer.) Ein Dienstmädchen beauftragte ihren Geliebten, den Friseur Baisch von hier, für sie auf der Sparkasse 25 Mark zu erheben. Baisch führte den Auftrag aus, lieferte aber dem Mädchen den Betrag nicht ab, sondern verbrauchte es für sich, auch das Sparkassenbuch behielt er. Einige Tage darauf erhob er mit einer gefälschten Vollmacht von der Einlage des Mädchens noch weitere 25 Mark und verschwand dann unter Mitnahme des Sparkassenbuches. Baisch ist trotz seiner Jugend wiederholt vorgestraft. Die Strafkammer verurteilte ihn zu sieben Monaten Gefängnis abzüglich 15 Tage Untersuchungshaft.
L Künzelsau, 10. Juli. Zwei Frauen hielten dieser Tage ihr Plauderstündchen auf der Straße und klagten über das schlimme Regenwetter. „Das ist kein Wunder", sagte die eine, „seit der Zeppelin mit seinem große Kaste durch die Wolke rennt, klappt's nimmi!
js Tailfingen, 10. Juli. Beim Schaukeln verwickelte sich ein 1°*ft Jahre altes Mädchen, ein Kind des Friedrich Mott, und blieb hängen. E>ie anderen Kinder liefen fort, um die Mutter zu holen, doch als sie kam und das Kind befreite, war es bereis erstickt.
js Blaubeuren, 11. Juli. Am Freitag abend hat der in Schelklingen wohnhafte Zementarbeiter Josef Fraider seinen Vater, einen Witwer von etwa 60 Jahren, der bei ihm wohnte, totgeschlagen. Der alte Mann ist, wie man hört, mit der Frau seines Sohnes nicht ausgekommen und hat sie öfters mißhandelt. So auch am Freitag. Darüber wurde der Sohn, ein 32 Jahre alter solider Mann, so aufgebracht, daß er seinen Vater schwer schlug und an den Ofen warf. Der Alte war bald darauf tot. Die Leiche trägt schreckliche Spuren von Mißhandlung.
Der Blick des Verteidigers leuchtete auf, er nickte sehr befriedigt und zeigte dem andern den Weg. § Herr von Warnitz folgte ihm mit festen, dröhnen- ^ den Schritten und schnellen, energischen Bewegungen i — ein Mann, der genau wußte, was er wollte, zu ! befehlen gewöhnt war und unbedingten Gehorsam er- z > wartete. Ein kräftig entwickeltes Kinn und eine ge- ! rade vorspringende Nase sprachen für Charaktereigen- i schäften, die seine ganze Persönlichkeit nicht Lügen strafte. Aber selbst beim oberflächlichen Verkehr muhte ! man empfinden, wie ernst es Herr von Warnitz mit ! seinem Leben und dessen Pflichten nahm, wie er stets ^ nach dem Rechten suchte.
Der Verurteilte fuhr von seinem Schemel auf, schlug die Hacken zusammen und legte die Hand an den Kopf — der militärische Gruß.
Herr von Warnitz nickte. „Sie waren Soldat?' „Im Kaiser Franz-Regiment," war die prompte Antwort. !
„Tut mir leid, daß sich ein alter Gardist so schlecht benimmt. Das Regiment hätte Besseres von Ihnen ^ erwarten können." Herr von Warnitz sah den Mann ! mit strengem Vorwurfe an. „Der Ehrbegriff ist Ihnen ° schnell wieder abhanden gekommen." !
Scham und Verlegenheit prägten sich auf dem Ge- ! sichte des Delinquenten aus. „Es ist lange her, daß j „Einerlei, Sie hätten nie vergessen dürfen, welch ! ein Licht durch Ihre Schlechtigkeit auf das Regiment ° fällt. Das Gefühl, ihm angehört zu haben, hätte Sie ! halten und Ihnen Kraft gegen jede Versuchung geben sollen," unterbrach ihn Herr von Warnitz. „Aber ich hoffe, es tut Ihnen wenigstens aufrichtig leid." .
Dem Verurteilten wurde es offenbar schwer, seine Scheu und Beschämung zu überwinden, aber er wollte etwas sagen. „Herr, es ist — ist seit langem das erste-