Aber die Staatsanwaltschaft in Ulm macht uns den Prozeß wegen Aufreizung zum Klassenhatz und zum Widerstand gegen die Staatsgewalt, weil wir die Aufreizung zum Klassenhatz und zum Widerstand, die die bürgerliche Gesellschaft jeden Tag verübt, geschildert haben. Der Staatsanwalt regte durch seine neueste Tat die Arbeitermassen zum Klassenhatz an, er legt ihr klar, daß sie von keinem Gericht Hilfe gegen die verbrecherische Politik der besitzenden Klassen zu erwarten hat, daß sie nur durch den energischen ununterbrochenen Widerstand gegen die Politik der Staatsgewalt zu ihrem Rechte der Selbstbestimmung kommen wird. Herr Staatsanwalt Frommann aus Ulm! Wir klagen Sie vor dem Gericht des deutschen Volkes an, das Sie aufreizen."
Stuttgart, 6. Juni. Als Ort des nächsten Verbandstages des Deutschen Lokomotivführerverbandes wurde Leipzig bestimmt. Der alte Vorstand wurde wieder gewählt. Erster Vorsitzender ist der Lokomotivführer Sperlbauer-Düsseldorf.
Waiblingen, 5. Juni. Ein 6 Jahre altes Töch- terchen des Schmieds Krautz in Schwaikheim kam so unglücklich unter einen Wagen, daß ihm der Schädel zerquetscht wurde. Bewußtlos wurde das Kind vom Platze getragen und dürfte kaum mit dem Leben davonkommen.
Marbach, 5. Juni. Schultheiß Maulick von Mundelsheim hat nun doch noch die ihm von der Volkspartei angetragene Kandidatur angenommen. Gemäß den Abmachungen bei der letzten Reichstagswahl wird die nationnalliberale Partei ihn unterstützen. Maulick trat schon vor 5 Jahren bei der Nachwahl für den verstorbenen Abg. Stockmayer auf und zwar damals für die Deutsche Partei; dieser Parteiwechsel kommt im ersten Augenblick etwas sonderbar vor, doch nahm Maulick schon damals seinen Stand auf dem äußersten linken Flügel der Deutschen Partei ein. M. hat in seiner Gemeinde Muster- giltiges geschaffen und ist in Fragen des Weinbaus eine Autorität.
Maulbronn, 6. Juni. Ein seltsames Zeugnis hat, wie „Der Landarbeiter" schreibt, ein Landwirt in Dertingen seinem Knecht ausgestellt. Es lautet: „Der ledige Dienstknecht Jakob . . . war vom 16. Juli bis 4. November bei mir in Arbeit . . . war ein treuer und fleißiger Dienstknecht und hat bei mir einen tadellosen Lebenswandel geführt Auch war er ein tüchtiger Fresser und scheute überhaupt keine Kost; Schwartenmagen war seine Hauptnahrung. Ich kann ihn daher jedem Arbeitgeber bestens empfehlen. Dies bezeugt usw."
Böhmenkirch, 7. Juni (Telegr.) Ein schwerer Unglllcksfall ereignete sich gestern vormittag während des Schießens zur Fronleichnamsprozession. Ein Kanonenschuß ging vorzeitig los und riß dem
Tyrann Thre.
59) Roman von K. Lubowski.
(Fortsetzung.)
„Der Herr Leutnant von Wachenhusen hat sie rausgeholt," flüstert ihm ein alter Krieger zu, der sämtliche Offiziere des Regimentes, bei dem er vor sechzig Jahren seiner Militärzeit genügte, kennt.
Tarenberg zuckt zusammen. Seine Augen irren umher. Aber sie finden den anderen nicht mehr. Seine Züge arbeiten in heißem Kampf. Er schlägt die Hände vor das Gesicht. Nun auch das noch.
Die Leute haben plötzlich scheue, verlegene Gesichter. Sie beginnen zu ahnen, daß der deutlich zur Schau getragene Schmerz mit jener gruseligen Geschichte in Verbindung steht, die überall erzählt wird, wo zwei oder drei zusammenstehen.
„Bringt sie in meine Wohnung," sagt Tarenberg letzt laut.
Er will, daß ihn jeder hört. Seine Verzweiflung hat die letzte Schranke der Vorsicht zerbrochen. Nach diesem ist ihm alles gleichgiltig. Das Gesicht seiner Mutter, wie er es in der Sterbestunde sah, erscheint vor ihm und ihre Stimme klingt an sein Ohr, röchelnd im Todeskampf und dennoch mit dem Klang des Vertrauens in seine Liebe zu ihr:
„Behüte sie, Hans Weddo, sie ist mein geliebtes Kind, wie du es bist."
Hat er nach ihren Worten getan?
Die Männer wollen den Weg hinten herum über die Schmiede nehmen, weil der um diese Zeit menschenleer zu sein pflegt. Tarenberg hebt abwehrend die Hand.
„Nicht dort! Durch die Stadt, die Hauptstraße entlang, an der Kaserne vorbei, über den Marktplatz in meine Wohnung!" sagt er hart.
Da kehren sie wieder um und gehen mit langsamen, schweren Schritten den bezeichnten Weg.
Als Nora endlich aus der dumpfen Bewußtlosigkeit erwacht und in einem Zustand, der zwischen
33 Jahre alten, verheirateten Taglöhner Joseph Knoblauch die linke Hand vollständig weg. Der schwer verunglückte Mann, der ungeheure Schmerzen erdulden mußte, fand im Krankenhaus Göppingen Aufnahme.
Bodelshausen, 6. Jnni. Heute nacht gegen 2 Uhr brach in dem von den drei Familien Peter Schlotterer, Kaspar Steinhilber Witwe und Bernhardt Nill,, Fabrikarbeiter, bewohnten Doppelhaus in der Bahnhofstraße, in der Nähe des letzten Brandplatzes, Feuer aus, das mit so großer Schnelligkeit um sich griff, daß das ganze Gebäude in kurzer Zeit ein Raub der Flammen wurde. Leider wird der Bewohner Peter Schlotterer, ein älterer Mann, vermißt, und man vermutet, daß er in den Flammen umgekommen ist. Brandstiftung liegt zweifellos vor.
Voll, 6. Juni. Der Gipser Wahl hier, von dessen Unfall an der elektrischen Hochspannungsleitung wir v. I. berichteten, ist nun vom Stuttgarter Krankenhaus als gänzlich arbeitsunfähig entlassen worden. Da er nur 45 Mk. Monatsrente erhält, wurde ihm die Erlaubnis erteilt, einen kleinen Kramladen einzurichten, um seine zahlreiche Familie ernähren zu können. Der folgenschwere Unfall mahnt unsere Gipser zu äußerster Vorsicht bei ihren Arbeiten an Häusern mit Hochspannungsleitung.
Schramberg, 6. Juni. Die bürgerlichen Kollegien hatten seinerzeit als Mietzinsentschädigung für die ständigen Lehrer 500 Mk. und für die ständigen Lehrerinnen 280 Mk. festgesetzt, während die Lehrer 550 Mk. bezw. 300 Mk. verlangten. Die Lehrer wandten sich dann an das gemeinschaftliche Oberamt für Schulsachen, das entschied, daß dem Verlangen der Lehrer Recht zu geben sei. Hiergegen erhoben die Gemeindekollegien Rechtsbeschwerde an das Ministerium für Kirchen- und Schulwesen, das die Beschwerde an den Oberschulrat zurückverwies mit dem Wunsche, nochmals eine gütige Einigung zu versuchen. Der Vorschlag der Oberschulbehörde geht dahin, die Entschädigung für ständige Lehrer auf 530 Mk., für ständige Lehrerinnen auf 300 Mk. festzusetzen. Die Kollegien stimmten gestern in geheimer Sitzung diesem Vsorchlag zu, und da auch die Lehrer damit einverstanden sein können, wird der unerquickliche Streit wohl aus der Welt geschafft sein.
Riedlingen, 6. Juni. Der sechsjährige Knabe des Monteurs Merkle in der Zwiefalterstraße stürzte kopfüber 6 Meter tief ab und blieb auf dem Zementboden bewußtlos liegen. Glücklicherweise fiel der Kleine zuerst auf einen zum Sonnen aufrecht am Hause angelehnten Bettrost, was den Fall so abschwächte, daß er mit einer Quetschung im Gesicht davonkam. — Kurze Zeit nachher fuhr der 13jährige Knabe des Seilers Krämer auf dem Rad, ohne zu bremsen, den Kreuzberg hinunter. Der vierjährige
Halbschlummer und Mattigkeit schwankt, die Augen öffnet, merkt sie die veränderte Umgebung gar nicht. Sie sieht nur das ernste Gesicht des alten Generalarztes über sich geneigt und Schwester Ulrikes bllltenweiße Haube. Sie lächelt dankbar und schließt die Augen wieder. Die letzten Stunden sind nicht in ihrem Gedächtnis hasten geblieben. Ihr ist es, als läge sie noch in dem wohligen Stadium der Genesung, draußen im Jnspektorhäuschen und wartete auf das Kommen des Bruders. Das Gefühl des Friedens, das damals in ihrer Seele gewesen, schwebte wieder auf sie herab. In ihrem Innern war es wie Glockenklang, der den Tag der Erlösung einläutet und des Herzens Angst durch seine Feierlichkeit still macht. Wie ein Kind, das ausging, die Sehnsucht zu kühlen, erscheint sie den beiden ernsten, gereiften Menschen, die auf ihre Atemzüge horchen. Wie ein Kind, das man dicht vor einem Ziel zurückreißt, weil man ihm die Ruhe mißgönnt, nach der es Verlangen trägt. Noch ist ihre Seele im Dämmern und die Empfindung schläft. Erst wenn das Licht und mit ihm das Erwachen kommt, wird sie merken, daß ihre Sehnsucht weiter brennt. Glühender und verzehrender wie zuvor, weil die Flamme der Scham noch hinzuschlägt. Jetzt träumt sie noch.
„Hans Weddo," murmelt sie, „setz' dich doch nicht dorthin! Nahe zu mir her — noch näher — so! Weißt du, was mir heute zum erstenmale an dir auffällt? Du hast ja dieselben Augen und das nämliche goldene Haar, wie die Mutter es hatte. Komm her, ich möchte einmal mit der Hand darüber streichen! Du willst nicht? O, es tut ja gar nicht weh."
Dann ist sie ein Weilchen still. Die Traumbilder scheinen nicht mehr so friedlich und sanft zu sein. Ihre Hände zucken und ihre Stimme ist voller Qual.
„Er hat mich an sein Herz genommen und geküßt," wimmert sie. „Und dennoch hat die andere das schreckliche Wort für mich — ich will ins Wasser — laß mich los!"
Fliegende Röte jagt über ihre schmalen Wangen. Das unbarmherzige Leben kommt und stößt sie aus dem Traumland in die Wirklichkeit mit den spitzen
Bube des Küfers Rothmund konnte nicht rasch genug ausweichen und wurde überfahren, während der Radler selbst abstürzte. Beide erlitten nur unbedeutende Verletzungen. — Es fuhr ferner letzte Woche ein Lehrbube auf einem Handkarren, der mit einem gefüllten Eüllenfaß beladen war, den Rosenberg herab, indem er, vorne sitzend, mit der Deichsel lenkte. Beim Stadtpfarrgarten sprang er ab und ließ den Karren laufen. Die Deichsel fuhr mit aller Wucht gegen die Gartenmauer, wo kleine Kinder standen. Nicht. 10 Zentimeter fehlten und eines der Kleinen wäre gerade in Brusthöhe erdrückt worden.
Giengen, a. Br., 6. Juni. Der Haushaltplan der Stadtverwaltung sieht an Einnahmen vor 75 82b Mk., an Ausgaben 156 871 Mk. Der Abmangel von 81050 Mk. wird gedeckt duch den Ertrag der Ee- meindeeinkommensteuer (40 Prozent der staatlichen Einheitssätze) und durch eine sechsprozentige Umlage auf das Grund-, Gebäude-, Gefäll- und Gewerbekataster.
Friedrichshafen, 6. Juni. Die Meldung eines Stuttgarter Abendblattes, daß „Z. 3" morgen früh hier erwartet werde, ist nicht richtig. Die ungünstige Witterung gestattet die Rückfahrt von Hamburg vorerst noch nicht.
Vom Bodensee, 6. Juni. Der „Thurgauer Volksfreund" erzählt folgende seltsame Geschichte: Ein Grenzaufseher fand am Ufer eine verschlossene Bierflasche. Die Ueberraschung nach dem Oeffnen war groß, denn neben einem Zettel befanden sich darin 7000 Mk. in Noten. Der Zettel enthielt die Aufzeichnung, daß 1000 Mk. dem Finder der Flasche gehören, 6000 Mk. dem Finder des Leichnams. Es handelt sich um jenen deutschen Herrn, der vor ungefähr drei Wochen über die Rheinbrücke in den Rhein gesprungen ist. Bekanntlich setzte auch die Frau des Unglücklichen 2000 Mk. auf die Auffindung der Leiche aus.
Aus Welt und Zeit.
Berlin, 6. Juni. In der Dr. Edelschen Heilanstalt in Charlottenburg starb am Dienstag der Bildhauer Max Levi im Alter von 47 Jahren. Er war ein geborener Stuttgarter.
Hamburg, 6. Juni. Heute abend stürzte auf dem Flugplatz Fuhlsbüttel bei einem Probeflug für den übermorgen heginnenden Hamburger Flugwettbewerb der Flieger Eottlieb Rost ab und erlitt tätliche Verletzungen.
Königsberg i. P., 6. Juni. In den Neubau des Krllppelheims schlug heute nachmittag der Blitz ein. Durch den Schlag wurde das Gerüst zertrümmert und 3 Arbeiter stürzten 2 Stockwerke hoch herab. Sie erlitten sämtlich schwere Verletzungen.
London, 6. Juni. Das von Sir Julius Wern- Her hinterlassene Vermögen wird vorläufig mit fünf
Steinen und Untiefen herunter, an denen sich ihr Herz wund geschlagen hat.
Von ihren Lippen kommt ein gellender Schrei. Sie richtet sich im Bett empor. Schreckensbleich, mit leeren, verängstigten Augen. Da wissen die beiden, daß ihr die Besinnung wieder völlig zurückgekehrt ist. Wieder hat sich der Zeiger, der die Stunden schafft, um ein paar Ziffern weiter geschoben. Nora kauert im Lehnstuhl und beobachtet den Bruder, der an seinem Arbeitstisch sitzt und unentwegt auf einen Punkt starrt. Sie ist ganz gesund, hat der Generalarzt versichert. Die natürliche Schwäche würde sich ohne jedes Zutun allmählich verlieren. Schwester Ulrike hat endgiltig Abschied genommen. Sie packt jetzt ihre Sachen im Jnspektorhaus und fährt morgen früh der alten Heimat entgegen. Nora darf sie nicht begleiten. Tarenberg hat in letzter Stunde seine Erlaubnis zurückgezogen. Er ist jetzt über alles, was der heutige Tag und der fernliegende, der sie mit Wachenhusen züsammenführte, an ihr verschuldete, unterrichtet. Nun ist ihre Seele ganz frei und leicht und so müde, daß sie keinen eigenen Willen mehr kennt, abe auch keinen Schmerz mehr. Ob das, was Tarenberg jetzt hören mußte, ihn noch tiefer verwundete oder ob es ihn wirklich so kalt und ruhig ließ, wie es den Anschein hatte — wer wußte das? Er verliert kein Wort darüber. Er läßt seinen Blick weiter auf dem nämlichen Punkte ruhen. Ein Stückchen Manöver in goldenen Rahmen gefaßt. Was hatten sie doch damals, als das Bild entstand, nach jener sieghaften Attacke, in der er mit seiner Batterie dem Feind in den Nacken fuhr, gesungen:
Gewappnet zum Streiten,
So will ich reiten.
Das Schwert in der Rechten,
So will ich fechten.
Dem Kaiser mein Streben,
So will ich leben.
Mein Herz voller Gluten,
So will ich bluten.
Mit Stolz und mit Freuden,
So will ich leiden.
Um Ruhm zu erwerben.
So will ich sterben.
(Fortsetzung folgt.)