Ä> Bad Liebenzell, 28. Mai. Pfingsten brachte uns einen äußerst lebhaften Fremdenbesuch, der umso mehr überraschte, als die zweifelhafte Witterung des Samstags die Hoffnungen ziemlich nieder spannte. Umso größer war die Befriedigung unserer Gasthofbesitzer, als der Zuzug von auswärts immer mehr anschwoll.
! Bad Liebenzell, 28. Mai. In einem hiesigen Easthof wurde eingebrochen und ein größerer Geldbetrag gestohlen.
^ Möttlingen, 26 .Mai. Ueber die Pfingstfeier- tag benützten, wie alljährlich, zahlreiche Vereine und Touristen die Frühzüge von Stuttgart nach Weilder- stadt; um von dort aus zu Fuß über Möttlingen direkt in das romantische Monbachtal zu gelangen. Das Monbachtal bietet den Besuchern einen schönen, trockenen Waldgehweg. Es wäre erfreulich, wenn das schöne Monbachtal auch künftig den gesteigerten Besuch der letzten Jahre aufzuweisen hätte.
Pforzheim, 24. Mai. Ein Landwirt aus Pforzheim suchte einen landwirtschaftlichen Arbeiter.. Der erste, der sich meldete, war zu seinem Erstaunen ein junger, stellenloser Kaufmann aus Stuttgart, der sofort extra nach Pforzheim gereist war, um die Beschäftigung anzunehmen. Ein Beweis für die Ueber- flutung des kaufmännischen Berufes. Leider nützte dem armen Teufel seine Bereitwilligkeit nichts. Der Landwirt, der gerade im Kleefeld mähte, forderte den jungen Kaufmann auf, mit der Sense seine Brauchbarkeit zu beweisen. Als der Kandidat nun bald mit der Sense zu hoch, bald mit derselben zu niedrig und in den Boden fuhr, erklärte der Landwirt den Prüfling als „nicht bestanden", sodaß er wieder fortziehen mußte. — Etwas Geduld wäre hier vielleicht besser am Platze gewesen, denn Mähen lernt man nicht auf das erstemal.
Württemberg.
Wieder ein Todesfall im Königshaus.
Stuttgart, 26. Mai. Herzogin Amalie von Urach, Gemahlin des Herzogs Wilhelm von Urach starb heute nachmittag kurz nach 5 Uhr an Embolie. Die Embolie war die Folge eines vor kurzem überstandenen Wochenbettes, von dem sich die Herzogin noch nicht erholt hatte. Es war das achte Kind, das die Herzogin nach beinahe 20jähriger Ehe ihrem, Gemahl geschenkt hatte. Geboren am heiligen Abend des Jahres 1866 in München als älteste Tochter des Herzogs Karl Theodor in Bayern, aus dessen erster Ehe mit der Prinzessin Sofie von Sachsen, hatte sich die Verewigte am 4. Juli 1892 in Tegernsee mit dem Herzog Wilhelm vermählt, und mit ihm, zumeist in Stuttgart oder zumeist auf Schloß Lichtenstein, in überaus glücklicher, geradezu vorbildlicher Ehe gelebt, als eine rechte, gute Lebensgefährtin und unübertreffliche Mutter einer blühenden Kinderschar, die nun mit dem Vater in unsäglichem Kummer und Schmerz den Heimgang der nur 461/2 Jahre alt gewordenen Toten betrauern.
Stuttgart, 27. Mai. Am Pfingstsonntag morgen hatten sich wieder viele Tausende auf den Cann-
Tyrann Ehre.
Sv) Roman von K. Lubowski.
(Fortsetzung.)
Da drinnen regt sich etwas. Ein Knistern, wie es leichte Seide gibt, tönt an sein Ohr. Darnach ein Wimmern, als wenn ein Kind weint, das sich seiner Tränen schämt.
Er weiß nicht, wie es gekommen ist. Er steht in dem Hellen, duftigen Mädchenstübchen, dicht vor dem Lager, auf dem Adda von Wachenhusen im losen Morgengewand ruht.
Der Arzt hat gewollt, daß sie sich schonen soll. Sie ist viel zu schwach, um ungehorsam zu sein. So liegt sie nun den ganzen Tag und weint.
Ihr Gesicht sieht er nicht. Das hält sie tief in die Kissen gepreßt. Nur das dunkle, weiche Haar und das Zittern des losen Kleides, in der Gegend, wo das Herz ruht. Er kann sich nicht still von dannen schleichen. Er muß zuvor ein Wort von ihren Lippen hören, und ihre Hand muß er haben, die über dem Rand des Lagers hängt, weiß und schmal, als hätte sie die Kraft verloren, das Glück zu halten. Er stürzt zu ihr hin und legt die Hand auf seine brennenden Augen.
„Jürgen," sagt sie ganz leise, ohne sich zu rühren, denn sie meint, daß die Zeit gekommen ist, die ihr die Entscheidung durch den Mund des Bruders bringt. Jene Entscheidung darüber, ob der Mann, dem sie ihr Herz gab, nur ein haltloser, irrender Menscb oder auch ein ehrloser ist. „Bist Du endlich da? Was hat der Vater gesagt?"
„Adda," flüstert er, „ich bin es. Verzeih, daß ich zu dir kam! Ich mußte dich sehen. Hören, daß
statter Wasen begeben, um den vom Verein für Zeppelinfahrten zum drittenmal angekündigten Besuch des Luftschiffs Schwaben" aus Baden-Baden zu erwarten. Man war früh aufgebrochen, nachdem ein hiesiges Abendblatt mit ganz besonderem Nachdruck darauf hingewiesen hatte, Ankunft und Wiederabfahrt werden vor Beginn des Gottesdienstes vor sich gehen. Das erwies sich als eine verhängnisvolle Irreführung. Mancher hätte sich sonst mit dem Aufbruch nicht so sehr beeilt und den Anschlag der Blätter abgewartet. So waren gewaltige Menschenmaf- sen bereits ins Neckartal und auf die Höhen gezogen, als die Nachricht eintraf, daß das Luftschiff der Wind- und Wetterverhältnisse wegen abermals an seinem Besuch in Stuttgart verhindert sei. Es war diesmal eine harte Enttäuschung.
Stuttgart, 26. Mai. Der Verband der Land-, Wald- und Weinbergarbeiter, Gau Südwestdeutschland, hat, wie die Blätter melden, den Molkereibesitzern und landwirtschaftlichen Arbeitgebern von Stuttgart und Umgebung einen Minimallohntarif unterbreitet. Außerdem wird von Zeit zu Zeit ein freier Sonntag, die Einführung wöchentlicher Lohnzahlungsperioden und achttägige Kündigungszeit verlangt.
Nufringen OA. Herrenberg, 26. Mai. 60—70 Prozent der jüngeren Schüler liegen zur Zeit an den roten Flecken darnieder. Die ältere schulpflichtige Jugend zeigt mehr Widerstandskraft gegen die Epidemie, die auch in andereen Bezirksorten zum Ausbruch gekommen ist. Die hiesige Schule mußte vorläufig geschlossen werden.
Horb, 26. Mai. Wie der „Reutl. Gen.-Anz." erfährt, werden die beiden Zentrumsabgeordneten Keßler-Horb und Schach-Rottenburg nicht wieder kandidieren. Das Landtagsmandat Rottenburg soll von Zentrumsseite dem Reichstagsabgeordneten Bolz-Aalen angetragen werden. Bolz ist geborener Rottenburger. Um das Horber Mandat wird sich von Zentrumsseite der Abg. Andre bewerben.
Göppingen, 25. Mai. Der frühere Reichstagsabgeordnete des 10. Wahlkreises, Schreinermeister Georg Wieland, beging heute seinen 70. Geburtstag, wozu ihm aus Freundeskreisen zahlreiche Ehrungen zuteil wurden. Wieland hat sich Verdienste als Feuerwehrkommandant, Bezirksobmann der Kriegervereine und Mitglied der bürgerlichen Kollegien erworben, besonders aber als Vorstand der Kampfgenossenschaft, die ihm auch ein Ständchen brachte.
Ulm, 27. Mai. Die Donau ist infolge der unaufhörlichen Regengüße vor den Feiertagen wieder stark gestiegen . Da die Iller Hochwasser führt, ist mit einem weiteren Steigen zu rechnen.
Giengen a. Br., 26. Mai. Ein Maurer, der bis gegen Mitternacht gut gevespert hatte, wollte mangels einer Brücke, um den Umweg zu ersparen, die Brenz auf einer Leiter überschreiten. Er war sehr stolz auf seine Erfindung und beschritt sie guten Mutes, bis in der Mitte das viele Bier vom Vesperschoppen seine Wirkung tat und der kühne Akrobat in eine wankelmütige Verfassung geriet. Das machte, daß er zu einem ungewollten Bade kam und ihn die
du an mich geglaubt hast, troß allem, womit sie dein! Herz gemartert haben mögen." ^
Sie schreit auf.
„Hans Weddo, um Gvtteswillen, geh fort! Wenn Jürgen käme! Es könnte ein Unglück daraus kommen."
„Warum soll ich vor ihm fliehen, Adda? Meinst du, ich fürchte mich? Wir sind beide eins bis in alle Ewigkeit. Dagegen darf auch er sich nicht auflehnen.
Sie richtet sich aus und sieht ihn an. Ihre Augen haben immer noch den leeren, jammervollen Blick, der ihren Bruder zur Verzweiflung treibt. Sie zeigt zur Tür hin.
„Hinaus!" sagt sie tonlos und hart.
„Und wenn ich nun trotzdem bleibe, mit dem heiligen Recht, das mir meine Liebe gibt?"
„Du wirst gehen. So viel Ehre hast du doch wohl noch?"
"Adda, — warum glaubst, du jenen, die mich verlästerten, mehr wie mir?"
„Muß ich nicht, wenn sie mich doch dazu zwingen?"
Er sinkt in die Knie und legt sein Haupt in ihren Schoß. Sie soll nicht sehen, daß er weint.
„Glaubst — du — denn, daß ich heute zu dir gekommen wäre, wenn ich mich dessen schuldig fühlte, was die Menschen sagen? Daß ich alles vergessen würde, die Heide draußen, die das gehört hat, was wir uns sagten, unsere Schwüre und deine Frauenwürde? Denkst du noch an den Vogel, Adda. der aus dem Nest gefallen sein mochte und sich verirrt hatte? Du hast geglaubt, ohne zu wissen, daß er einen Platz in jenem Nest zu beanspruchen hatte. Du hast ihn ausgenommen und ihn hineingesetzt, dorthin, wo er von rechtswegen hingehörte. Hast du denn für den nackten, halb verhungerten Vogel mehr war-
starke Strömung, während ec jämmerlich um Hilfe schrie, soweit mit sich fortriß, bis er an der richtigen Brücke sich halten und aufs Trockene klettern konnte. Er sah nun ein, daß er diesen Weg gleich hätte gehen sollen und trollte vollends heimwärts.
Hechingen, 27. Mai. Die Milchhändler haben hier den Milchpreis von 22 auf 20 Pfg. für den Liter herabgesetzt.
Vom Bodensee, 26. Mai. Nachdem in den letzten Tagen infolge der anhaltenden starken Regengüsse eine Wasferzunahme im Vodensee am Pegel um 7 <?ni festgestllt wurde, ist der See jetzt von 404 auf 455 ein Pegelhöhe weiter gestiegen.
Vom Bodensee, 27. Mai. Aufrecht in den Binsen unter dem Wasser stehend, aber tot wurde im Min- delsee bei Radolfzell der schon bejahrte Fischer Stubenbaum aus Meersburg aufgefunden. Er wollte in betrunkenem Zustand von Möggingen Markelfingen zufahren und ist anscheinend beim Besteigen des Kahns infolge eines Fehltritts ertrunken.
Aus Welt und Zeit.
Freiburg i. Br., 27. Mai. Auf den Höhen des Schwarzwalds fiel gestern nachmitag und nachts Schnee. — Bei einem Bau in der Heilbronner Straße fiel ein Balken vom Gerüst auf die Straße und traf einen Arbeiter mit solcher Wucht, daß er sofort getötet wurde.
Leipzig, 26. Mai. Der Musketier Henker in der 11. Kompagnie des 107. Infanterieregiments erhielt die Mitteilung, daß er als Erbe eines in Südamerika verstorbenen Onkels in Betracht komme. Die Militärbehörde ermittelte, daß es sich um einen Anteil von 6 000 000 Mk. handle, für den der Musketier als Erbe in Betracht kommt. Die ganze Erbschaft beträgt 125 Millionen Mark. Es nehmen an ihr etwa 20 Erben teil.
Konstantinopek, 25. Mai. Hier verlautet, daß die italienische Flotte noch immer bei den Inseln Chios, Mytilene und Lemnos kreuze. Die türkische Garnison auf Rhodos soll deshalb kapituliert haben, weil die Italiener die ihnen von Spionen verratenen Munitionsdepots mit Beschlag belegten, sodaß die türkischen Truppen ohne Munition blieben.
Gerichtssaal.
Herrenberg, 24. Mai. Der Milchhändler Maier von Gültstein wurde vom Schöffengericht zu vier Wochen Gefängnis, seine Frau zu 30 Mk. Geldstrafe und zur Tragung der sehr beträchtlichen Kosten des Verfahrens verurteilt. Ueberdies wurde die Bekanntmachung des Urteils verfügt. Es war M. durch die polizeiliche Nahrungsmittelkonirolle in Stuttgart nachgewiesen worden, daß er seine dorhin gelieferte Milch immer wieder durch bedeutende Wasserzusätze verfälscht hatte. Nicht wenger als dreimal hintereinander mußte er der Fälschung überführt werden. Anfänglich betrug der Wasserzusatz bei seiner Milch nach den Feststellungen des städtischen Laboratoriums in Stuttgart etwa 11 Prozent, an den Kontrolltagen des zweiten Falles etwa 8 Prozent, an denen des dritten Falls noch weniger. Für einen der Kontrolltage berechnete der Sachverstän-
mes Gefühl übrig, wie für mein zuckendes Herz?"
Sie ist fast ohnmächtig vor Schreck und Angst. Die Liebe, die sie in Qual und brennender Scham gestorben wähnte, ist gar nicht tot. Nur der Stolz will haben, daß sie im Grabe bleibt. Und dieser Stolz gibt ihr auch jetzt die Kraft zu sprechen:
„ Warum — hast du deiner Mutter nicht von mir gesagt? Ich weiß es jetzt. Die Andere stand dazwischen. Warum wolltest du das Geheimnis unserer Verlobung auf jeden Fall wahren? Aeltere Verpflichtungen geboten es. Und ich habe dich doch so lieb gehabt — so lieb, wie man seinen Gott hat. Seit du da warst habe ich alles andere vergessen müssen. Das war wohl sündig. Jetzt aber ist der Zauber, der mich an dich band, zerrissen. Und nun geh. Ich schäme mich so sehr für dich."
Er will sich Hochringen. Es muß alles ein Ende haben, auch sein Betteln. Da geht die Tür. Ein Mann kommt herein. Jürgen!
Er sieht das totenblasse Gesicht der Schwester und die ausgestreckte Hand, die sie zurückzunehmen vergaß — und ihn, der das Veste seiner Jugend und das Heiligste seines Mapnesalters vertan und weggeworfen hat, nahe bei ihr.
Da weiß er nicht möhr, was er tut. Ein rotes Flammenmeer ist vor seinen Augen. Er springt vorwärts und reißt den Knieenden mit der tollen Kraft des Verzweifelten empor, so daß er gegen den spitzen Drahtknopf des Ruhebetts taumelt.
Dann sagt er ganz ruHig und kaltblütig:
„Du hast zwar soeben meinem Vater das Ehrenwort gegeben, daß du rein! und schuldlos bist. Aber das macht bei mir nichts. Ich glaube deinem Ehrenwort nicht. Du bist ein L'ump."
(Fortsetzung folgt.)