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Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

122 .

Dienstag, den 28. Mai 1912.

87. Jahrgang.

Parlamentarisches.

Stuttgart, 24./25. Mai 1912.

Württembergischer Landtag.

Die Erste Kanymer setzte heute die Beratung über den Entwurf eines Ausführungsgesetzes zur Reichsversicherungsordnung fort. Staatsrat von Mosthaf berichtete über die Or­ganisation der Behörden, welche neben den Trgern der Versicherung die aus der Kranken- Unfall-, In­validen- und Hinterbliebenenversicherung sich er­gebenden Geschäfte zu behandeln haben. Im Plenum der Zweiten Kamer wurde eine Resolution ange­nommen: 1. das für das Königreich Württemberg errichtete Landesversicherungsamt bestehen zu lassen; 2. an Stelle der seitherigen fünf Schiedsegrichte für Arbeiterversicherung vier Oberversicherungsämter zu errichten; 3. die Oberversicherungsämte als selbstän­dige Aemter einzurichten und sie nicht an die Kreis­regierungen anzugliedern.." Der Berichterstatter stellte folgenden Antrag: 1. den Ziffern 1 und 2 der vom andern Haus beschlossenen Resolution beizu­treten; 2. für den Fall der Beibehaltung der Kreis­regierungen die Oberversicherungsämter an diese an­zugliedern. Graf v. Adelmann stimte dem An­trag des Berichterstatter zu, ebenso Dekan Müller. Präsident von Zeller beantragte, die ganze Reso­lution der Zweiten Kammer abzulehnen, auch Staatsrat Freiherr v. Ow befürwortete die An­nahme des Entwurfs und die Aufhebung der Kreis­regierungen. In entschiedener Weise verteidigte Staatsminister v. Pischek den Regierungsentwurf. Der Antrag des Präsidenten von Zeller, die Reso­lution des andern Hauses in allen Punkten abzuleh­nen, wurde mit einer Stimme Mehrheit ab ge­lehnt. Angenommen wurden die Resolutionen Anstelle der seitherigen fünf Schiedsgerichte für Arbeiterversicherung vier Oberversicherungsämter zu errichten", fernerfür den Fall der Beibehaltung der Kreisregierungen die Oberversicherungsämter an diese anzuglieden". Der Gesetzentwurf wurde schließ­lich an den Ausschuß zurückverwiesen.

Die Erste Kammer nahm in ihrer Samstagsitzung ohne Debatte das Ausführungsgesetz zur Reichsver­sicherungsordnung mit den durch die gefaßten Be­schlüsse notwendig gewordenen Aenderungen in der Organisation nach den Anträgen des Berichterstat­ters, Staatsrat von Mosthaf, an.

*

Als Nachfolger des verstorbenen Domkapitulars Dr. v. Moser ist Domkapitular F. T. Reck zum Ver­treter des Bischöflichen Ordinariates für die Erste Kammer mit sechs von sieben abgegebenen Stimmen gewählt worden.

Stadt und Bezirk.

Calw. 28. Mai 1912.

Pfingsten, dasliebliche Fest", war recht un­lieblich. Am ersten Feiertag.trank man den Morgen­kaffee im geheizten Zimer und fuhr in den Eisen­bahnwagen mit hochgeschlagenem Kragen. Besser zu­frieden konnte man mit dem Montag sein, die Kühle des Sonntags hatte nachgelassen. Trotz dem anfecht­baren Pfingstwetter aber herrschte auf der Eisenbahn ein lebhafter Verkehr und namentlich Calw soll nicht schlecht abgeschnitten haben. Der Pfingstreisenden, also derer, die unbekümmert um das launische Baro­meter ihre Wanderstiefel schnürten, waren es im ganzen Land immerhin recht viele, wennschon die Be­sucherzahl auf unsern Aussichtstllrmen, Bergen,Schlös­sern und Burgen kaum die wie an schönen Pfingst- feiertagen erreicht haben dürfte. Wer nicht Wanderer aus Leidenschaft ist, ließ andere wandern. Und wer

von den Unbeweibten keiner Heimat oder keiner guten Freunde Einladung erhalten hatte, blieb lieb zu Hause. Wer aber irgendwo seine mehr oder weni­ger offizielle Braut wußte, den hielt's natürlich nicht und wenn er auf den Skiern in ihre Arme hätte eilen müssen. Daß nun heute Dienstag die Sonne scheint, tut einem ordentlich wohl, man fühlt erst recht, wie schön es gewesen wäre, wenn sie's über Pfingsten getan hätte

-o-. Zugzwischenfälle. Der große Pfingstverkehr ist nicht ohne jede Störung vor sich gegangen. Am Pfingstmontag erlitt die Maschine des Personenzuges 917 auf der Strecke Calw-Nagold (Calw ab 3 Uhr 45) eine Störung. Der Zug mußte von einer Hilfs­maschine in Nagold abgeholt werden. Da der Per­sonenzug 740 Jmmendingen-Stuttgart den Anschluß des Nagolder Zuges abwarten mußte, ergab sich für den Stuttgarter Zug eine dreiviertelstündige Ver­spätung. Aehnliche Nachrichten über Maschinen­defekte, die Zugverspätungen im Gefolge hatten, lie­gen auch aus Eutingen vor. Dort erlitt die Ma­schine des Personenzuges 269, als sie abfahren wollte, eine Störung. Der Versuch, sie zu beheben, mißlang, weshalb eine Hilfsmaschine in Anspruch genommen werden mußte. Der Zug fuhr mit einstündiger Ver­spätung von Eutingen nach Freudenstadt.

Der Pfingstausflug desWandervogel". Die

Wandervögel", jene frischen, leichtfüßigen Gesellen, die des Sonntags mit dem pollbepackten Rucksack auf dem Rücken Wälder und Auen durchziehen, Musik und frischen Jugendgesang auf ihrem Wege erschal­len lassend, sind in unserer Gegend bereits bekannt. An dem Pfingstausflug der Ortsgrupe Calw als Neuling unter den Wandervögeln beteiligt, möchte ich den Verlauf desselben kurz schildern. Als es am Sonntag morgen vier Uhr schlug, war die erwar­tete Mannschaft, wie festgesetzt, schon versammelt zum Abmarsch. Im Calwer Nest hatten sich am Freitag 20 Teilnehmer angemeldet; und keiner fehlte, wenn auch das Wetter nicht gut zu werden schien. Pünkt­lich wurde abmarschiert auf das Ziel: Baden- Baden. Natürlich waren die schönsten Wege aus­gewählt; sie wurden stramm zurückgelegt und die Augen konnten dabei in das Schöne schweifen, das sich ihnen mannigfach darbot. Die Musik, aus Vio­linen und Guitarren bestehend, spielte unermüdlich und begleitete die volkstümlichen fröhlichen Lieder aus den jugendfrischen Kehlen. Nachmittags vier Uhr kam die Schar schon in Neuhaus an. Eine Scheuer war hier als Nachtquartier bestimmt. Man machte sich an die lustige Arbeit des Abkochens. Hier wie auf allen Wegen begeisterte Zuschauer und Zu­hörer. Nach der Sättigung wurde auf Baden-Baden losmarschiert und zwar auf das Alte Schloß. Was rauschte da plötzlich in den Lüften so sonderbar? Ah! Zeppelin ! Hurra, Hurra! Und nun gings über Stock und Stein im Sturm auf den Turm des Alten Schlosses hinauf. In aller Ruhe wurde von dort aus der Anblick des manöverierenden Luftschiffes ge­nossen und auch photographisch festgehalten. Sodann wurde zum Schlafengehen nach Neuhaus zurückmar­schiert. Wir schliefen in unserer Scheune auf Stroh und es dauerte lange, bis die Schwätzer und Spaß­macher in dem dunklen Raume stille wurden. Wir froren und recht hart war das Lager auch. Da be­grüßten wir mit Freuden den Morgen. Um fünf Uhr des neuen Tages wurde äufgestanden und nach dem Morgenkaffe abermals nach Baden-Baden zu marschiert. Auf dem Wege begegnete uns Zeppelin wieder. Nach kurzem Bummel in Baden-Baden folgte der Antritt des Heimwegs. Ueber Gernsbach, Herrenalb, Dobel nach Rötenbach ging unser Marsch, der natürlich da und dort matt und mätter und durch viele Rasten unterbrochen wurde. Aber die Musi­ker schienen unermüdlich. Recht müde, aber sonst lustig und munter, kamen wir in Rotenbach endlich

um sechs Uhr abends an. Die Heimreise wurde von hier mit der Bahn fortgesetzt, denn weiter ging es doch nicht mehr: Die Wanderer hatten in den zwei Tagen gut über 100 Kilometer abgelaufen! Mit dem Wetter war man sehr zufrieden; überhaupt war der ganze Wanderzug erfolgreich. Es wird wohl jeder, der dabei war, von schönen Pfingsttagen er­zählen können und eine dauernde Erinnerung davon behalten. Lu.

sob. Mutmaßliches Wetter. Die Hochdruckwetter­lage hat sich befestigt. Eine gleichzeitig im Nord­westen erscheinende Depression dürfte aufheiternd wirken. Für Mittwoch und Donnerstag ist deshalb vorwiegend trockenes und wärmeres Wetter zu er­warten.

Heimatzauber.

Ein aus Hirsau gebürtiger, in Schwäb. Hall wohnender Herr bat uns, dieses Gedicht aufzunehmen, in dem er seine Empfindungen für seinen Heimatort in nicht ungewandter Form wieder gibt:

Ich seh im Geist die schöne Stätte,

Seh, wie der Waldbach sich ergießt,

Wie in dem sanft gewundnen Bette Durchs grüne Tal die Nagold fließt:

Dort, wo die Wandrer sinnend lauschen,

Wo Friede durch die Herzen zieht,

Wenn jene dunklen Tannen rauschen Ihr altes, sagenhaftes Lied.

Im Tale seh ich Türme ragen Wie Trümmer einer alten Welt,

Die einst nach ihren Blütentagen An einem andern Geist zerschellt;

Wer liebt euch nicht, ihr grauen Mauern,

Wer kennt nicht eure Zaubermacht,

Wen rührt nicht euer stilles Trauern Um eine längst verschwundne Pracht?

Da, wo die Pilger gern verweilten,

Wo hell ertönt' der Becher Klang,

Wo Mönche zu der Hora eilten,

Der Priester seine Messe sang

Nichts blieb zurück, aus keinem Munde Wird es der Nachwelt offenbar,

Ihr Steine nur, ihr gebt uns Kunde Bon dem, was diese Stätte war.

Wo nach der Jagd die hohen Gäste Sich pflegten gern bei Spiel und Schmaus,

Da breitet ihre Riesenäste Die vielbesungne Ulme aus

O stolzer Bau, du bist zerfallen,

Zerstörung war dein kläglich Los,

Doch zeigen auch die öden Hallen:

Noch als Ruine bist du groß.

Wer dich, du trauter Ort gefunden,

Dich in dem stillen Tal erblickt,

Wer deine Schönheit je empfunden,

Den hält dein Zauber stets umstrickt:

Stets liebt' ich dich und lenk ich gerne Zu deinen Mauern meinen Fuß,

Drum ruf' ich heut auch aus der Ferne:

Dir, Kloster Hirsau, meinen Gruß!

6. x.

c?o Stammheim, 25. Mai. Am Freitag fand die Generalversammlung des Darlehenskassenvereins statt. Aus dem von dem Vorsitzenden vorgetragenen Verwaltungsbericht ist zu entnehmen, daß der Geld­umsatz der Kasse im Jahre 1911 die stattliche Höhe von 390 000 Mk. erreicht und daß die Jahresrech­nung für das vergangene Jahr mit einem Reinge­winn von 1338 Mk. abgeschlossen hat. Der Verein hat im abgelaufenen Jahr an Mostobst, Kraftfutter, Kunstdünger und Kohlen bezogen und an seine Mit­glieder abgegeben für rund 18 OM Mk. Die infolge Ablaufs der Wahlperiode ausgeschiedenen Vorstands­und Aufsichtsratsmitglieder wurden sämtlich wieder­gewählt.