Aus Laune.
Roman von W. Hey.
(Fortsetzung.)
IX.
Der Samowar dampfte in dem eleganten Wohnzimmer der Gräfin. Eben war die Familie Dunkelmann eingetreten. Die Gräfin, eine anziehende Erscheinung, war ungefähr im Alter der Justizrätin. Sie galt als strenge, aber gerechte Gebieterin ihren Untergebenen gegenüber. Sehr begabt und geistreich verstand sie die Fäden der Conver- sarion zu schlingen und befand sich Kalo in lebhafter Diskussion mit dem Justizrat. Alfred unterhielt sich mit Gustav Werner, der bereits im gräflichen Hause wohnte.
.Ich bin Dir sehr dankbar, liebe Juliette", wandte sich die Gräfin an die Rätin, „daß Du mir in Herrn Werner einen so tüchtigen Lehrer empfohlen hast. Wir haben beide schon über den Unterricht meines Sohnes gesprochen, und ich denke, Edgar wird unter solcher Leitung trefflich gedeihen."
„Edgar ist erst neun Jahre alt," begann Gustav, „er kann viel lernen, besonders da ihm der Trieb dazu nicht mangelt."
„Sie werden auch einen gehorsamen Schüler an ihm finden; der Knabe hat mir nie durch die kleinste Widersetzlichkeit Kummer bereitet. Die Erzieherin meiner Tochter" — fuhr die Gräfin fort — „hatte einen viel schwereren Standpunkt: ich habe die Dame oft bedauert und sie gebeten, mir nie etwas zu verschweigen, wenn Melanie unartig gegen sie gewesen war. Doch sie liebte das wilde Mädchen viel zu sehr und fürchtete meine Strenge: so ließ sie sich lieber quälen, als daß sie eine Strafe meinerseits herbeigeführt hätte. Melanie ist nun bald neunzehn Jahre; sie hat viel Fähigkeiten und ist besonders in der Musik weit vorgeschritten, doch ich habe sie gern noch für einige Zeit auf dem Gute meines Vetters gelassen, weil ich hoffe, daß sie im fremden Hause und im Umgänge mit andern jungen Mädchen sich ein wenig fügen lernt. Mein Vetter hat mir versprochen, sie bis Weihnachten dort zu behalten und Melanie wird gern bleiben, da das Leben im Hause ein sehr geselliges ist und sie außerdem nicht bei jeder Unbedachtsamkeit einen tadelnden Blick zu fürchten hat."
„Du bist sehr hart im Urteile gegen Deine Tochter," entgegnete die Rätin; „sie wird gewiß nicht halb so schlimm sein als Du üe uns schilderst."
„Wollte Gott, sie änderte sich noch," schloß die Gräfin.
In angenehmer Unterhaltung floß der Abend dahin.
Die Stimme der Gräfin war noch frisch, und sie sang recht nett einige Lieder, welche Alfred begleitete.
Gustav benutzte die Gelegenheit, den Freund zu fragen, ob er Elsbeth wieder gesehen habe, und Alfred berichtete, daß er mit dem Vater dort gewesen sei.
„Ich habe wenig mit ihr gesprochen," erzählte er, „und habe auch nicht den Versuch gemacht, sie allein zu sprechen."
„Das ist brav von Dir, Alfred," sprach Gustav, dem Freunde die Hand reichend.
Alfred wurde etwas verlegen. Seine Eltern brachen aber auf und so empfahl er sich.
X.
„Wie nur unser Fräulein jetzt aussieht!" sprach Marie eines Tages zu Christian, als sie, wie gewöhnlich in der Feierstunde, in der Küche zusammensaßen.
„Ja," sprach Christian, „sie ist blaß geworden, ich glaube, sie ist krank."
„Und Mittags, wenn der Pastor und seine Frau schlafen," fuhr Marie fort, dann sitzt sie oft weinend in der Fliederlaube. Sie denkt wohl nicht daran, daß ich sie hier von der Küche aus beobachten kann; die Laube ist kahl geworden und man kann ganz gut hineinsehen."
„Ich glaube, der junge Herr hat es ihr angetan," meinte Christian, „er ist jetzt lange nicht hier gewesen und kam doch früher so oft."
„Darüber grämt sie sich vielleicht," sagte Marie, „wenn ich sie doch fragen könnte, aber sie will es ja Niemand merken lassen, daß sie weint und ich darf nichts sagen. Ach, Christian, da sind wir doch besser d'ran, wir wissen, daß wir uns gern haben, und die Herrschaft weiß es auch, und wenn wir noch ein wenig gespart haben werden, dann machen wir Hochzeit, Du brauchst Dich nicht zu grämen." —
„Und Du nicht zu weinen. Ja bei uns ist die Sache einfacher wie bei den vornehmen Leuten." —
Elsbeth hatte sich in der Tat verändert. Die frische Farbe war von ihren Wangen gewichen und die Augen sahen trübe aus.
Die Mutier hatte in großer Besorgnis den Arzt gefragt, doch batte dieser kein Krankheitssymtom an Elsbeth bemerken können und meinte, sie sei zu wenig im Freien. Die Stubenlust tauge nicht für sie, und wenn es auch kälter geworden sei, so möge sie sich doch draußen mehr Bewegung machen.
Elsbeth mar bemüht, die Sorgen der Eltern zu zerstreuen, und als eines Tages wieder eine Einladung der Frau Justizrätin kam, da jubelte sie auf und bestürmte den Vater mit Bitten, die Einladung anzunehmen.
Dem Pfarrer schien die Sache nicht gelegen, die Mutter war ganz dagegen.
XI.
„Es ist nichts für Dich mein Kind," sprach der Pfarrer, „auch die Mutter fühlt sich zu Hause wohler als unter
Schwarzwälder Sonntagsblatt.
den vornehmen Damen. Ich plaudere mit meinem alten Freunde; wir kümmern uns nicht um die andern; ihr beide seid aber hier besser aufgehoben."
So fuhr denn der Pfarrer allein in die Stadt.
„Wo bleibt denn Fräulein Walter?" fragte Gustav, als er den Pfarrer allein eintreten sah.
„Sie ist nicht wohl," antwortete Alfred, „sie hat sich entschuldigen lassen."
„Willst Du denn nicht einmal hinaussehen und Dich erkundigen?"
„Es ist mir jetzt zu kalt," erwiderte Alfred, „auf dem Lande ist es nur im Sommer schön."
„Tu bist ein eigentümlicher Mensch. Ist Deine Neigung für das liebe Mädchen schon wieder vorüber? Es hatte den Anschein, als ob es Dir diesmal ein wenig ernster wäre."
„Und wer sagt Dir denn, daß ich den Gedanken an sie schon aufgegeben habe?"
„Dann gieb ihn jetzt auf," bat Gustav, „Du machst das Mädchen unglücklich. Ich hoffe, sie weiß von Deiner Neigung nichts, oder sie erwiderte dieselbe nicht, — das wäre das beste für das reine Herz."
„Ich weiß, daß Elsbeth mich liebt," fuhr Alfred erregt heraus und setzte herausfordernd hinzu: „Erscheint Dir das etwa unmöglich?"
„Nicht das ist es, was ich bezweifle, ich zweifle nur an der Ausdauer Deiner Liebe."
„Ich bitte Dich," erwiderte Alfred gereizt, „laß dieses Thema ruhen. Was ich in dieser Angelegenheit tun will, geschieht doch; — oder bast Du gar selbst die Absicht, um Elsbeths Hand zu werben? Haha! Da kommst Du zu spät. Ich rare Dir: Hole Dir nicht erst einen Korb."
Damit drehte er dem Freunde den Rücken.
„Es steht schlimmer, als ich dachte," murmelte Werner ärgerlich.
William S. Takt.
Die Saison in der Residenz stand in voller Blüte.
Die Gräfin machte ein großes Haus! stets war eine auserlesene Gesellschaft bei ihr vereint.
Natürlich eiferte man, ihre Einladungen zu erwidern, und so schien des Vergnügens kein Ende.
Das Weihnachtsfest stand vor der Tür. Schon traf man Vorbereitungen zum Empfang Melaniens. Ihre Zimmer waren geschmackvoll hergerichtet und als Feslgeschenk hatte ihr die Mutter einen neuen Flügel darin aufstellen lassen.
Am heutigen Abend traf sie ein. Die Gräfin hatte ihr einen herzlichen Empfang bereitet. Die schönsten frischen Blumen dufteten ihr entgegen, vor den Fenstern wirbelten die Schneeflocken, aber in den Zimmern glaubte man sich mitten in den Sommer versetzt.
Melanie flog in dem Hause immer hin und her wie ein Schmetterling; die Gräfin hatte Blühe, sie endlich zu bewegen, zu berichten, wie es ihr gegangen sei und wie sich die Verwandten befinden.
„Der Onkel und die Cousine grüßen Dich auf's Beste," erzählte Melanie, „im nächsten Sommer wollen Sie uns Alle in Eibendorf besuchen."
„Und Ottmar?" fragte die Gräfin.
„Ja, Mamachen, der wollte gar zu gern das Weihnachtsfest hier mit uns feiern, aber ich habe es ihm nicht erlaubt. Seine Probezeit ist noch nicht um."
„Das ist nicht hübsch von Dir," tadelte die Mutter. „Es ist wieder eine Deiner unbegreiflichen Launen; da Du Dich aber einmal entschlossen hast —"
„Ich bitte Dich, Mamachen, quäle mich nicht. Ich habe mich ja noch gar nicht entschlossen. In einem halben Jahre — habe ich ihm gesagt — soll er sich meine Antwort holen. Bis dahin ist er verpflichtet, gegen Jedermann das tiefste Stillschweigen zu beobachten. Ist das nicht drollig ?"
Sie umarmte vor Vergnügen die Mutter; die Gräfin aber schob sie sanft zurück und schüttelte den Kopf.
„Und Du, Mamachen," fügte Melanie hinzu, „darfst auch zu Niemanden über diese Angelegenheit sprechen, — hörst Du wohl? Ich bin so frei wie ein Vogel; — kein Mann hat einen Anspruch an mich."
Damit war sie aus der Tür. Nach wenigen Minuten klang aus ihrem Zimmer der Ton des Flügels, eine klangvolle Altstimme sang dazu.
Die Gräfin blieb in Gedanken zurück.
„Sie hat sich nicht geändert," sprach sie zu sich selbst. „Es hat bei ihrer Erziehung die starke männliche Hand gefehlt. Vielleicht gelingt es Ottomar, ihren Sinn zu beugen. Er liebt sie und läßt sich darum von ihr Vieles gefallen, aber er hat einen festen Charakter; eines solchen Haltes bedarf meine Melanie für's Leben."
XII.
Am ersten Feiertage fand im Hause der Gräfin eine kleine Gesellschaft statt.
Die Gräfin und die Rätin plauderten vergnügt von längst vergangenen Zeiten; der Justizrat unterhielt sich mit Gustav Werner, den die Gräfin wie einen lieben Hausgenossen behandelte.
Eugen, ein freundlicher, blondlockiger Knabe, hatte seinen Lehrer schon sehr lieb gewonnen. Heute durste er im Salon erscheinen. Vergnügt sprang er umher und erzählte Alfred von allen seinen schönen Weihnachtsgeschenken, die er auch herbeiholte und bewundern ließ.
Plötzlich trat Melanie ein. Sie war in der Tat eine majestätische Erscheinung. Die volle Figur paßte zu der Größe ihrer Gestalt; lange dunkle Locken umgaben ihren Kopf, den ein Diadem von Brillanten zierte. Die schönen, dunklen Augen schauten so gebieterisch umher, als wüßten sie, daß ihnen kein Wunsch versagt werden könne. Ein elegantes schwarzes Sammtkostüm, mit Brüsseler Spitzen garniert, erhöhten den Eindruck ihrer Erscheinung.
Die Gräfin stellte ihre Tochter vor und Melanie war bald im eifrigsten Gespräch mit der Rätin.
Alfred hatte sie mit sprachlosem Erstaunen betrachtet.
„Gustav," wandte er sich endlich an seinen Freund, „das ist eine gefährliche Hausgenossin für Dich."
„Für mich?" fragte Gustav erstaunt. „Wie meinst Du das?"
„Nun, wenn Dir solch eine Erscheinung kein Interesse einflößt, dann hast Du überharrpt gar kein Verständnis für die Vorzüge des weiblichen Geschlechts."
„Du weißt, ich bemesse die Vorzüge beider Geschlechter nicht nach der äußeren Erscheinung," sagte Gustav, „ich halte mehr von dem inneren Wert eines Menschen."
„Nun, in einem solchen Körper muß auch eine schöne Seele wohnen."
„Ich bin weit entfernt," erwiderte Gustav, „dem jungen Mädchen, das ich erst seit wenigen Tagen kenne, irgend welche geistigen Vorzüge abzusprechen; aber soviel ist mir schon klar und durch die Mitteilungen der Mutter bestätigt worden: Die Komtesse wäre im Stande, aus reiner toller Laune die heiligsten Gefühle und Empfindungen zu verspotten, ich bin überzeugt, wolltest Du in Bezug auf Deine eigene Unbeständigkeit und Launenhaftigkeit einen Wettkampf mit ihr eingehen, an ihr fändest Du Deinen Meister."
„Das müßte ja höchst interessant sein," spöttelte Alfred, „mir wäre ein solcher Kamps schon recht; ich glaube, sie versteht die Waffen des Geistes zu führen."
Es gelang Alfred bald, mit Melanie ein Gespräch an zuknüpfen und mehr als einmal schwieg er, überrascht durch' die Schlagfertigkeit ihrer Antworten, betroffen still.
Der Rat bat Melanie, ein Lied zu singen und sie tat es mit angenehmer, geschulter Stimme. Alfred trug noch ein bekanntes Duett mit ihr vor und beide ernteten den Beifall der Zuhörer.
Da fiel es der Justizrätin ein, daß in einigen Tagen ein neuer Gast in der Oper singen werde und man beschloß, der Vorstellung beizuwohnen.
Als man sich trennte, küßte Alfred der Gräfin die Hand, als er aber Melaniens Hand eben an die Lippen führen wollte, da enlzog sie dieselbe mit fröhlichem Lachen und machte ihm eine komische graziöse Verbeugung. Alfred war etwas verlegen. Die Gräfin warf der Tochter einen verweisenden Blick zu; Melanie aber eilte hinweg, um, wie sie sagte, einer Strafpredigt zu entschlüpfen.
Sie begab sich auf ihr Zimmer und klingelte ihrer Zofe.
Lisette trat ein und schien das Gesicht ihrer Herrin auf heiteres Wetter oder Sturm prüfen zu wollen. Sie verstand es, sich den Launen Melaniens zu fügen; wußte sie doch, daß Zeiten kamen, in denen Melanie sie reichlich entschädigte.
Heute war Melanie in der heitersten Stimmung.
„Kommt der junge Herr Assessor öfter in unser Haus?" fragte sie.
„Nein, gnädiges Fräulein," erwiderte Lisette, „er war nur hier, wenn große Gesellschaft war."
„Dann werde ich dafür sorgen, daß er öfter kommt, er gefällt mir."
„Aber gnädiges Fräulein — wenn das Gxaf Ottomar hörte?"
„Lisette, ich verbiete Dir ein für allemal, von ihm zu sprechen. Es ist ja gerade, als dürfe man sich keinen anderen Mann ansehen und nicht wagen, ihn angenehm zu finden. Herr Werner, der Kandidat, ist auch eine sympathische Erscheinung. Aber sag' einmal Lisette, ist er immer so ernst?"
„Der Herr Kandidat macht immer ein ernstes Gesicht, aber er ist auch gütig und freundlich."
«Ja, ja, aber langweilig ist er auch; aber mit dem Assessor, da läßt's sich prächtig plaudern."
(Fortsetzung folgt.)