denken wir andererseits, daß die Sünden der Eltern und zwar ganz bestimmte Sünden in besonderem Maße heim­gesucht werden an den Kindern, so kommen wir zu dem be­trübenden Resultate, daß das Kindersterben eine Folge der menschlichen Sünde ist. Nicht als ob in jedem einzelnen Falle eine bestimmte Sünde nachzuweisen wäre. Gott be­hüte uns vor dieser Meinung! Das ganze Geschlecht ist vielmehr entartet, vergiftet und vervestet. »Wer seiner Knospe Kraft verpraßt, wie möcht' er Früchte bringen!" Die Menschheit hat ihre Lebenskraft verpraßt, und so sinken die Kinder ins Grab wie die Blüten vom Baum.

Aber das soll nicht so sein. Und Jesus will, daß es anders wird. Und es kann anders werden. Dazu tritt der Herr noch heute zu uns im Geiste und spricht: Weine nicht, sondern arbeite und kämpfe gegen die Sünde in jeder Form! Hinweg mit der Ungerechtigkeit, die einen Teil der Menschen ihre Kraft in Ueppigkeit vergeuden läßt, während der andere, größere Teil, in Armut verkommt. Schafft Gerechtigkeit, schafft Licht nnd Lust und gesunde Wohnungen. Eine reine Jugend, ihr Jünglinge, und eine reine Ehe, ihr Männer, damit die Pest erstirbt, die am Marke unseres Volkes zehrt. Weg mit den törichten Moden, den aus­schweifenden Tänzen und Vergnügungen, ihr Frauen, die die Gesundheit eures Geschlechts untergraben. Zurück, ihr Mütter, in die Kinderstuben, die geheiligte Stätte eurer Wirksamkeit. Der höchste Ruhm einer Mutter ist, tüchtige Söhne zu erziehen, die einst den Geschichtsschreibern zu schassen machen!

Wo Jesus ist, wo sein Geist die Herzen ergreift und erzieht zur Gerechtigkeit, zur Liebe und zur Reinheit, da weht frische Bergeslust, da bricht ein Strom der Gesundheit hervor, da ersterben die ansteckenden Krankheitskeime, da wird der Organismus der Menschheit von innen heraus er­neut und gekräftigt, da heißt es : Jüngling, ich sage dir: stehe auf, da ist das Gesicht des Propheten erfüllt: Es sollen nicht mehr da sein Kinder, die ihre Jahre nicht erfüllen.

Das Sterben der Kinder ist keine unabwendbare Not­wendigkeit. Es ist insbesondere des Christentums nicht würdig, die Tatsache einfach hinzunehmen und religiös zu verklären, es ist vielmehr die große Ausgabe des Christen­tums, diese Taffache aus der Welt zu schaffen. Groß ist diese Aufgabe, und sie wird nicht von heute auf morgen gelöst, aber die Lösung ist möglich, und wir glauben an ihre Vollendung, sofern wir überhaupt an den Sieg der Sache Gottes glauben und selber die Hand ans Werk legen.

Inzwischen wird noch manche Blüte vom Baume der Menschheit fallen, und die Stimme des Weinens und die Stimme des Klagens wird in Jerusalem nicht aufhören, nnd manches Mutterherz wird fast brechen vor Schmerz, und manches Vaterauge wird die Tränen nicht unterdrücken können. Weinet nur, ihr Geliebten, aber klaget Gott mit eurem Weinen nicht an, werfet euer Vertrauen nicht weg, erhebt euch zu jenem kühnendennoch", das es trotz allem und allem mit Gott wagt.Und doch, brennt auch mein Haupt von Schmerz, dir, meinem Schöpfer, vertraut mein Herz."

Ihr aber, ihr Eltern, denen Gott gesunde und tüchtige Kinder gegeben hat, vergeht nicht, daß es anvertraute Pfänder sind, seid dankbar für die unverdiente Gottesgabe, die euer Leben erfrischt und ach so lieblich macht, beweiset diesen Dank dadurch, daß ihr eure Kinder erzieht zu einen: gesunden, tüchtigen und gottesfürchtigen Geschlecht. In unseren Kindern liegt die Zukunft, die Größe unseres Volkes, ja noch mehr, das Reich Gottes ist in ihre Hand gegeben, sie sollen helfen jene große Zeit heraufzuführen, die wir nicht mehr sehen, sondern nur glauben können, die Zeit, wo die ganze Welt durchdrungen und verklärt ist von dem Leben und Seligkeit schaffenden Geiste Jesu Christi.

Wochen-Rundschau.

Eine Kanzlerkrisis.

Die Berichtswoche hat der Welt eine Sensation ge­bracht, wie sie in dieser Art seit Menschengedenken nicht er­lebt worden ist, und das Schlimme, das Traurige dabei ist, daß sie Deutschland angeht. Ein Londoner Blatt, der Daily Telegraph, veröffentlichte am Mittwoch voriger Woche einen längeren Artikel, der Aeußerungen Kaiser Wilhelms gegen­über einer englischen Persönlichkeit wie sich später heraus­stellte, sind es mehrere gewesen über die deutsch-englischen Beziehungen wiedergab. Diese Aeußerungen sind teilweise derart, daß sie allenthalben Verblüffung erregten, und nicht nur das, sondern zugleich, wenigstens in Deutschland, die peinlichsten Empfindungen. Der Kaiser sollte sich nach dem Artikel bitter darüber beklagt haben, daß er in England trotz aller seiner Bemühungen noch immer verkannt werde, obgleich er stets ein aufrichtiger Freund des englischen Volkes gewesen sei und seinen Herrscher durch die Bande des Bluts verwandt fühle. Zum Beweise für seine freundlichen Gesin­nungen gegen England erzählte er, daß, als zu Beginn des Burenkrieges Rußland und Frankreich an Deutschland mit der Anregung zu einer gemeinschaftlichen Einmischung heran­getreten seien, um England zu demütigen, er diesen Plan nicht nur sogleich zurückgewiesen, sondern auch seinen Oheim, den damaligen Prinzen von Wales, jetzigen Königs von Eng­land, davon in Kenntnis gesetzt habe. Ja noch mehr: der Kaiser berichtete, daß er einen Feldzugsplan für die englische Armee in Südafrika entworfen und diesen, nach Begut­achtung durch den Großen Generalstab, der Königin Viktoria,

Schwarzwälder Sonntagsblatt.

seiner Großmutter, mitgeteilt habe. Feldmarschall Lord Roberts habe seinen Operationsplan später ähnlich gestaltet, wie ihn der Kaiser vorgeschlagen habe. Weiter versicherte der Kaiser, daß der Ausbau der deutschen Flotte keineswegs gegen England gerichtet sei, vielmehr dem Schutze des deut­schen Handels diene, sodann aber auch der Rücksicht auf die Gefahren entspringe, die früher oder später von Ostasien her drohen könnten. Für diesen Fall, für die große Aus­einandersetzung im Stillen Ozean, müsse Deutschland gerüstet sein. Schließlich erklärte der Kaiser noch, daß die Mehrheit des deutschen Volkes England feindlich gesinnt sei und daß er sich mit seiner Engländer-Freundlichkeit in der Minderheit befinde. Der Kaiser verfolgte mit seinen Aeußerungen den Zweck, zur Besserung der deutsch-englischen Beziehungen bei­zutragen, und die englische Persönlichkeit, von der die Ver­öffentlichung im Daily Telegraph ausging, erklärte, damit demselben Zwecke dienen zu wollen. Aber es ist gestattet, daran zu zweifeln. Denn die Veröffentlichung im gegen­wärtigen Augenblick, wo die internationale Lage voller Schwierigkeiten ist, läßt nicht gerade auf gute Absichten schließen. Aber auch sonst war die Veröffentlichung ein Bärendienst, weil die mitgeleilten Aeußerungen derart sind, daß, wenn der Kaiser sie getan hat, ihr Bekanntwerden in der Oeffentlichkeit im höchsten Grade bedenklich sein mußte. Die Veröffentlichung hat denn auch wie eine Bombe einge­schlagen. In Frankreich und Rußland war man aufge­bracht über die Hervorholung der Jnterventionsgelüste zur

Zeit des Burenkrieges und witterte darin die Absicht, das englisch-russisch-französische Einvernehmen zu stören. Auch in England zeigte man sich aus gleichem Grunde erbost; außerdem aber empfand man es höchst unangenehm, an die Niederlagen des Burenkrieges erinnert zu werden, und den britischen Stolz verletzte es, daß der Kaiser sich als Ratgeber und Lehrer der englischen Armee ausgespielt hat. Sv schlug der Zweck, den der Kaiser im Auge hatte, in's gerade Gegen­teil uni, und aus dem Auslande ergoß sich eine Flut bös­artiger Bemerkungen gegen Deutschland nnd den Kaiser. Statt der Ausbreitung der Ueberzcugung von der guten Ge­sinnung Deutschlands mußte man sehen, daß in der englischen Presse nun erst recht die Verstärkung der Flotte gefordert wurde unter Berufung auf die Aeußerung des Kaisers, daß die große Mehrheit des deutschen Volkes England feindlich gesinnt sei. All das löste in Deutschland einen Sturm der Klage und des Widerspruchs aus, wie er nie zuvor zu ver­zeichnen war. Es hat unzählige Kundgebungen des Kaisers gegeben, die auf Einwendungen stießen; aber so stark und so einmütig ist nie ein Protest gewesen. Von der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken erging man sich in bitteren, ernsten, ja leidenschaftlichen Worten gegen diese Kaiser-Gespräche und ihre Veröffentlichung. Und die Presse hat sich dabei zweifellos in einer seltenen Uebereinstimmung mit der Auffassung des Volkes befunden. Man empfand es als etwas schier Unerträgliches, daß der Kaiser, der ehe­dem in einem Telegramm an den Präsidenten Krüger, das Burenvolk zur Abwehr des Jameson-Einfalls beglückwünscht hatte, für die Engländer einen Kriegsplan zur Niederwerfung der Buren ausgearbeitet hat; man fand es schlimm, daß er eine vertrauliche Mitteilung fremder Mächte sofort jener Stelle bekanntgab, gegen die sie gerichtet war und fragte, wer wohl der deutschen Regierung noch irgend etwas an­vertrauen wolle und könne, wenn man auf so etwas gefaßt sein müsse. Und man bemängelte, daß der Kaiser die Be­merkung von der Englandseindlichkeit der großen Mehrheit des deutschen Volkes als sachlich unrichtig und taktisch ver­fehlt. Ueberhaupt fühlte man sich durch die ganze Art und

Weise, um die Gunst und Freundschaft der Engländer zu erwerben, sehr unliebsam berührt. Nicht zuletzt aber wurde der Ruf nach Vorkehrungen gegen die Wiederholung der­artiger politischer Handlungen des Kaisers über den Kopf der verantwortlichen Stellen erhoben. Man vermutete näm­lich, daß es sich auch diesmal wieder um einen selbstherr­lichen Akt des Kaisers handelte. Alle diese Vermutung er­wies sich als irrig. Nach einigen Tagen verlegenen Schweigens wartete nämlich die Nordd. Allg. Ztg. mit einer amtlichen Erklärung aus, die eine Darstellung des Sachverhalts der Veröffentlichung brachte und zwar eine Darstellung, die alle Welt dazu brachte, die Hände über dem Kops zusammen­zuschlagen. Man erfuhr daraus und aus dem was sonst noch offiziös herauskam daß der Kaiser, als er von einemenglischen Privatmann" das Manuskript des Artikels über die kaiserlichen Aeußerungen mit der Bitte um die Genehmigung zur Veröffentlichung unterbreitet bekam, das Manuskript durch den Gesandten v. Rücker-Jenisch, der damals beim Kaffer war, dem Reichskanzler zur Begutacht­ung übersenden ließ. Es ist wohl anzunehmen, daß der Kaiser den Artikel durchgelesen hat. Aber der Hr. v. Rücker- Jenisch hat sich diese Mühe anscheinend nicht gemacht, sondern einfach die Absendung vollzogen. Reichskanzler Fürst Bülow fand es nicht für nötig, den Artikel zu lesen, sondern ließ ihn an das Auswärtige Amt zursorgfältigen Prüfung" senden. Im Auswärtigen Amte aber war Staatssekretär v. Schön auf Urlaub, der zuständige Dezernent ebenfalls,

und der Unterstaatssekretär Dr. Stemrich, der die Geschäfts­leitung hatte, sah sich den Kaiser-Artikel ebenfalls nicht an, sondern gab ihn weiter. An wen, weiß man nicht. Man erfährt nur, daß sich schließlich im Auswärtigen Amt ein Menschenkind fand, der den Artikel wenigstens durchlas. Aber dieser Mann befindet sich politisch offenbar noch im Stadium des Säuglings, denn er fand an dem Artikel, der eine Wellsensation geworden ist, der geradezu staatsgefähr­lich war, nichts auszusetzen, sondern schrieb einen Bericht, daß die Veröffentlichung kein Bedenken habe. So wanderte das Schriftstück wieder nach Norderney zum Reichskanzler zurück und dieser setzte einfach seine Unterschrift hin, ohne einen Blick auf den Artikel zu werfen. Er hatte, so hört man, zu viel zu tun, und außerdem sei das Manuskript schwer lesbar gewesen. Hr. v. Müller, Gesandter in Haag, der um jene Zeit an Stelle des beurlaubten Chefs der Reichskanzlei Dienst beim Reichskanzler hatte, machte'.den Fürsten Bülow auch nicht auf­merksam, aus dem einfachen Grunde, weil er sich halt auch das Lesen erspart hatte. Und so ging das Manuskript nach England und erschien im Daily Telegraph. Der Skandal war fertig. Nun fühlte sich Fürst Bülowpeinlich überrascht", und wahrscheinlich andere auch. Er ging hin und erklärte dem Kaiser, daß er den Artikel nicht selbst gelesen habe, andernfalls würde er der Veröffentlichung wioerraten haben. Er betrachte sich aber als allein verantwortlich und decke die ihm unterstellten Ressorts und Beamten. Gleichzeitig unterbreitete er sein Rücktrittsgesuch. Der Kaiser lehnte es jedoch ab, und genehmigte die Veröffentlichung des Sachverhalts,damit den ungerechten Angriffen aufden Kaiser der Boden entzogen werde", hat man so etwas wohl schon erlebt? Ein Artikel mit hochpolitischen Aeußerungen des Kaisers wandert von einer Stelle zur andern, ohne daß sich irgend jemand bewogen fühlt, :hn pflichtgemäß durchzulesen, und derjenige, der das schließlich tut, ist ein Ignorant! Und der verantwortliche Reichskanzler, obgleich er durch schlimme Erfahrungen gewitzigt sein könnte, kümmert sich nicht weiter darum, als wäre es die gleich­gültigste Sache von der Welt! Eine solche Sorglosigkeit, eine solcheBummelei" schreit zum Himmel! Die deutsche Diplomatie hat ja schon reichlich ihren Tiefstand gezeigt, aber dieser Vorfall läßt alles weit hinter sich. Ein Schrei der Entrüstung geht durch Deutschland und ein Schrei nach einer gründlichen Ausrottung dieser haarsträubenden Wirt­schaft. Die schuldigen Beamten müssen rücksichtslos entfernt, es muß dafür gesorgt werden, daß Unfähigkeit und Nachlässigkeit im Auswärtigen Dienste sich nicht mehr breit machen können. Dem Reichstag, der am Mittwoch wieder znsammengetreten ist, liegt die Pflicht ob, gegen diese Zustände ein Veto ein­zulegen. So kann es nicht weiter gehen. Deutschland ist in der Welt zum Gespött geworden und die deutschen Interessen haben einen tödlichen Schlag erhalten. Es ist ein uner­träglicher Gedanke, daß das Schicksal eines großen, tüchtigen, arbeitsamen und opferfreudigen Volkes zum großen Teil abhängt von einer Diplomatie, die solcheSachen macht. Fürst Bülow selbst wird schwerlich in der Lage sein, diese Schärte auszuwetzen und die Einbuße an Autorität und Ansehen, die ihm dieser

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