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1877.
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Ausgabeort Alteusteig-Stadt.
Sonntag, de« 8. November.
Amtsblatt für Psalzgrafenweiler.
1908 .
Das Sterben der Kinder
Eine grausame Rede, welche auch für viele unserer Leser und Leserinnen von Interesse sein dürste, hält Leonhard Jacob in der letzten Ausgabe des „Türmer". Diese ernste Rede verdient weiteste Verbreitung und ernste Beachtung, weshalb wir sie hier wiedergeben:
Nach den Angaben der Statistik stirbt der vierte Teil aller Menschen im ersten Lebensjahre, und die Hälfte aller Geborenen wird nicht über zwanzig Jahre alt.
Wie viele Tränen, wie viele getäuschte Hoffnungen liegen in diesen Zahlen! Seht den Zug des Todes, wie er lautlos im Morgengrauen über die Heide streift! Voran die Schar der Greise, Männer und Frauen, gebückt und lebensmüde: Kinder und Enkel schauen ihnen nach und gönnen ihnen die ewige Ruhe. Aber dann die Jünglinge, die Hand am Schwert und ums Haupt den Traum eines Lorbeers, und dann die Jungfrauen, halb Kinderspiel, halb Gott im Herzen, und die kaum empfundene große Sehnsucht, und dann — die unermeßliche Schar der unschuldigen Kinder! Das ist ein Anblick, der bricht dir fast das Herz!
In gereckten Jahren, nach mühsamen Kämpfen mit der gemeinen Not des Daseins, trat Lessing in die Ehe. Ein Jahr des reinsten Glücks wurde gekrönt durch bie Geburt eines Sohnes, der jedoch bald darauf starb und nach einiger Zeit auch die Mutter mit sortzog. In bitterer Ironie schreibt der unglückliche Vater: Ich verlor ihn so ungern, diesen Sohn. Denn er hatte so viel Verstand, so viel Verstand. War es nicht Verstand, daß er die erste Gelegenheit ergriff, sich wieder davonzumachen? Ich wollte es auch einmal so gut haben wie andere Menschen. Aber es ist mir schlecht bekommen. — »
Einige Jahrzehnte später, am 1. November 1829, steht auf einem Berliner Friedhose der Theologe Schleiermacher an einem offenen Grabe und hält seinem einzigen Sohne Nathanael die Grabrede: Ich habe Gott zu danken für eine große Fülle von Freuden und Schmerzen; manche schwere Wolke ist über das Leben gezogen, aber was von außen kam, hat der Glaube überwunden, und was von innen, hat die Liebe gut gemacht, nun aber hat dieser eine Schlag, der erste in seiner Art, das Leben in seinen Wurzeln erschüttert.
An seinem Schreibtisch, das Haupt auf die Hand gelehnt, sitzt sinnend ein Dichter. Da ist's ihm, als klopfe ein leiser Finger an die Tür und als frage wie einst ein süßer Schmeichelton: Darf ich hinein, Papa? Aber es war nur der Wind. Des Abends aber, in der Dämmerung, da er am Strand spaziert, fühlt er ein Händchen warm in seiner Hand und sagt ganz laut: Gib acht, daß du nicht fällst! Aber es ist nur ein Traum! —
Doch mögen wir die Beispiele häufen, mögen wir alle Kraft unserer mitempfindenden Phantasie aufbietcn, so glaube ich doch, daß nur der, der selber am Grabe eines Kindes gestanden oder wenigstens am Krankenbett um ein junges Leben gezittert hat, den ganzen Schmerz ermessen kann, den der Verlust eines lieben Kindes bringt. Stark ist das Band der ehelichen Liebe und Treue, aber noch stärker das Band des Blutes und der Liebe, das Eltern und Kinder verbindet, und wo dieses Band zerrissen wird, da wird in der Tat das Leben in seinen Wurzeln erschüttert.
Das Sterben der Kinder ist etwas Gräßliches, Herzzerreißendes! Was sollen wir als Christen davon halten?
An und für sich ist der Tod eine Notwendigkeit, und zwar keine harte, sondern eine freundliche. Adam wäre selbst des Paradieses wohl einmal müde geworden. Wir aber, Kinder der Sorge von Mutterleib an, werden erst recht der Sonne und selbst des Frühlingseinmal müde und verlangen heim gleich schlaftrunkenen Kindern. „Der Tod als Freund" ist der Titel eines Bildes von Alfred Rethel, das ich in jedem Hause sehen möchte.
Wir schauen in die Stube eines Türmers. Durch Fenster und Luken grüßen uns Dachreiter und Kreuzblumen und versetzen uns in lustige Höhe.
Der Türmer, der hier seiner einsamen Arbeit oblag, sitzt jetzt wie im friedlichen Schlafe, die Hände auf den Schoß gebettet, in seinem Sessel. Der Tod ist zu ihm hinaufgestiegen, er hat Wanderstab und Muschelhut beiseite gestellt und läutet nun freundlich helfend dem wartenden Volke unten die Abendglocke.
Draußen geht die Sonne eines schönen Frühlingstages zur Rüste und übergießt Berge und Täler, Kreuzblumen und Dachreiter, den friedlichen Schläfer und seinen Freund, den Tod, mit purpurnem Lichte. Am Rande des Fensters aber singt ein Vogel sein Abendlied hinauf zu dem Schöpfer aller Dinge und dem Geber aller Güter. Bist du in Angst und Sorgen, unruhig, abgehetzt und müde, so schaue auf dieses Bild, es predigt dir besser als irgendeine Predigt: Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes! Der Tod unser Freund, eine Notwendigkeit, aber keine harte.
Ist's mit dem Sterben der Kinder ebenso bestellt? Ist's eine unbedingte Notwendigkeit, wenn auch nicht gerade eine freundliche? Vielen dünkt es so. Und der erste Anblick der Wirklichkeit scheint ihnen recht zu geben. Wie nicht alle Blüten eines Baumes zur Reife kommen, so scheinen auch am Baume der Menschheit durch ein dunkles Verhängnis eine bestimmte Anzahl von Blüten von vornherein zum Verderben bestimmt.
Jedes Jahr, insbesondere jeder Sommer verlangt mit der unheimlichen Sicherheit eines Naturgesetzes so und so viele der unschuldigen Opfer. Und ein großer Teil der Menschen läßt das über sich ergehen wie etwas, das eben einmal so ist. „Weine nicht!" ruft der Leichtsinn, vergiß, was nicht zu ändern ist, die Zeit heilt jeden Schmerz, siehe, das Leben ist immer noch schön. „Weine nicht!" so spricht andrerseits eine falsche Tapferkeit. Unterdrücke die Tränen, das Unvermeidliche muß man mit Würde tragen. So spricht ein falscher Stolz und läßt die Hand des Todes über sich ergehen, wie ein gefesselter, starknackiger Sklave die Streiche eines tyrannischen Herrn. Andere haben versucht, dem Sterben der Kinder, dieser scheinbar unvermeidlichen Notwendigkeit, einen einigermaßen freundlichen Sinn abzugewinnen.
Einige sagen, es sei nationalökonomisch, vom Gesichtspunkt der Volksernährung aus angesehen, eine große Erleichterung. Deutschland z. B. sei ohnedies kaum mehr imstande, seine wachsende Volkszahl zu ernähren, es sei jetzt schon aus die Einfuhr von Lebensmitteln angewiesen oder müsse den Ueberschuß seiner Bewohner an das Ausland abgeben. Aber das ist ein ganz häßlicher Gedanke und eine ganz unwahre Erklärung. Keine einzige Familie ist noch durch reichen Kindersegen zugrunde gegangen, und kein einziges Volk ist dadurch etwa verarmt. Siehe, diese Welt ist groß und weit und reich, sie birgt unermeßliche Schätze, die nur der Hände warten, um gehoben zu werden. Eine Schöpfung, die nicht imstande wäre, ihre fleißigen Kinder zu ernähren, wäre nicht das Werk eines guten Gottes, sie wäre nicht wert, auch nur einen Tag in ihr zu verweilen.
Wieder andere haben das Sterben der Kinder religiös begründet und so verständlich zu machen gesucht: „Wen die Götter lieben, der stirbt jung." Kinder, jung hinweggenommen, werden allen Gefahren und Versuchungen dieses Lebens entrückt und zeitig in den sicheren Hafen gerettet. Aber diese Ansicht, so tröstlich sie auch den ersten Augenblick zu sein scheint, hält doch nicht stand vor der Schärfe des Gedankens. Dazu stellt uns Gott ja gerade in diese Welt, daß wir unter Gefahren und Versuchungen, unter Fallen und Aufstehen hindurchdringen zu Kraft und Leben, und was wir vermögen, das hätten wohl auch unsere Kinder vermocht, sich durch dieses Leben in der Kraft Gottes kühn
durchzuschlagen, täglich zu wachsen an Reinheit und Heiligkeit, bis dem Starken und Bewährten die Ruhe winkt und der Friede ohne Kampf.
Ueberaus tief und schön ist ein letzter Versuch, uns das Sterben der Kinder als eine göttliche Liebestat verstehen zu lassen. Gott hat sie nötig, sagt man, die Krankenbetten, an denen tränenfeuchte Augen wachen, er hat sie nötig, die Kindersärge, an denen schier die Herzen der Eltern brechen, die frühen Gräber auf dem Kirchhofe, die so manche schöne Hoffnung bergen, er hat sie nötig, um die Herzen der Eltern zu prüfen, zu stärken und auss Unsichtbare zu richten. Es ist eine harte Hand, mit der uns Gott anfaßt, aber es ist Gottes Hand. Wir werden schwer geprüft, aber es ist Gott, der uns prüft. Welche Heldengröße, welcher Glaube m einer schwachen Frau lebt, das wird erst offenbar, wenn sie am Sarge ihres Kindes steht!
Es ist sehr wahr, daß Gott uns auch durch Leiden segnet. Das Gold wird nur durch Feuer geläutert, und zum edelsten Marmor braucht man den schärfsten Meißel. Aber, so fragen wir, warum müssen zu diesem Zweck gerade die unschuldigen Kinder geopfert werden? Warum muß, um ein Menschenleben zu prüfen und zu stärken, ein anderes ebenso wertvolles vernichtet werden? Gott hat dazu ganz gewiß tausend andere Mittel und Wege. Und so manches Herz wird durch Leiden und gerade durch dieses Leid nicht gesegnet, sondern trotzig und verbittert. Wohl gedeihen einige Pflanzen nur auf feuchtem Boden, aber andere brauchen Sonne, viel Sonne. So brauchen etliche Herzen, es mögen wohl schwache Herzen sein, damit sie fromm sein können, den Sonnenschein des Glücks. Und gar manches Mutterherz ist durch den Tod eines Kindes schon mit Gott zerfallen, wollte sich nicht „trösten" lassen und wählte sich den Kummer zum steten Genossen.
Alle diese Erklärungen und Trostgründe sehen in dem Sterben der Kinder ein unabwendbares Verhängnis und suchen es nur in ein mildes Licht zu stellen. Sie stehen sozusagen vor einer unheilbaren Krankheit, bei der sich's nicht mehr um Rettung, sondern nur noch um Schmerzstillung handelt. Das Christentum ist ihnen eine Arznei, nicht um das Leid zu heilen, sondern es zu vergessen. Aber das ist eine falsche Auffassung des Christentums. Das echte Christentum ist Errettung von der Krankheit zum Tode, wirkliche Rettung und nicht täuschender Trost.
Wie stellt sich doch Jesus zum Sterben der Kinder? Wir lesen: Und er trat hinzu und berührte den Sarg; die Träger aber standen füll, und er sprach: Jüngling, ich sage dir: stehe auf!
Jesus hat damit nicht die Naturordnung Gotts ausgehoben. Er hat nicht den Tod überhaupt aus der Welt geschafft. Er hat bezeichnenderweise niemals einen Greis aufgeweckt. Es heißt vielmehr immer: Jüngling, Jungfrau, ich sage dir, stehe auf! Das waren programmatische Handlungen, d. h. Handlungen, aus denen die Lebensgesetze des Reiches Gottes erkannt werden sollten. Jesus erklärt hier öffentlich und feierlich: Das Sterben der Kinder ist keine unabwendbare Notwendigkeit, es ist nicht in der Schöpsungs- ordnung Gottes begründet, es ist etwas, was nebeneingekom- men ist, etwas, was nicht sein sollte.
Wenn der Prophet Jesaias die Herrlichkeit des mesli- anischen Reiches schildert, so ist ein hervorstechender Zug darin dieser, daß das Kinderfterben aufhört. Jesus bringt das messianische Reich. Darum heißt es: Jüngling, stehe auf, hinfort soll der Tod über die Jugend keine Gewalt haben.
Nach den Angaben der Statistik ist die Kindersterblichkeit in den sogenannten niederen Ständen gerade doppelt so stark als in den oberen. Der Grund dafür liegt offenbar in den ungesunden Lebensverhältniffen, in der Unwiffenheit und Vernachlässigung, der Armut und dem Leichtsinn. Nehmen wir hinzu, daß wir alle daran teil haben, und de-