Wenn du geliebt, wenn du gehofft, wenn du gestrebt, gerungen, wenn du mit starkem Willen oft dein blutend Herz bezwungen:
Tann fühlst du, wie zu vollem Wert erwacht dein ganzes Leben, denn jeder Schmerz, der dich beschwert, wird dich nur höher heben. Roquette.
W. W.
Episode aus dem Badeleben von F. v. Minra.
Nachdruck verboten.
Behaglich saß Herr Moritz Wächter mit seiner Gattin vor dem Gasthause, in welchem sie gestern zur Sommerfrische eingetroffen waren.
„Hübsche Gegend hier, was?"
„Ja wohl, Moritz; ich habe mir das Ilmtal nicht halb so romantisch gedacht. Es war ganz recht, daß wir dem staubigen Berlin entflohen sind, um hier in Berka die herrlichste Waldluft zn genießen." „Ja und ich werde vor allen Dingen einige kräftigende Sandbäder gegen meinen Rheumatismus nehmen. Du —"
„O, ich bedarf keiner besonderen Kur, Moritz, da ich hier so gute Luft habe. Außerdem werden wir doch auch an den Zerstreuungen teil nehmen, welche von der Bade- direktion veranstaltet werden."
„Natürlich! M. W. — M. W."
Diese Berliner Redensart, welche dem Nicht-Eingeweihten durch „Machen wir", „mit Wonne" hier übersetzt wird, hatte sich Herr Wächter ganz besonders angewöhnt und versäumte als echter Spree-Athener keine Gelegenheit, sie anzubringen. War er nur halb geneigt, den Wünschen seiner Gattin beizustimmen, ohne doch zu wagen, ihr zu opponieren, so hieß es in etwas brummigein Tone einfach „Al. W ". Kam sie aber seinen Wünschen mit den ihren entgegen, dann ließ er gern das „Mit Wonne" folgen und ries vergnügt: M. W. — M. W.!
Da sein Name zufällig mit denselben Buchstaben begann, fügte er bei ganz besonders guter Laune noch ein drittes „M. W." hinzu.
„Und dann müssen wir auch recht viele Fußtouren machen", fuhr die Dame fort.
„Ist das nötig?" Der dicke Herr zog bedenklich die Stirn kraus.
„Aber, ich bitte Dich! Jeder Arzt wird Dir sagen, daß dies eine Kur wesentlich unterstützt. Und außerdem: Schau' nur einmal hier vom Hardtberge hinab auf die prachtvollen Wälder; es muß ja unwillkürlich jeden Menschen, der ein Auge für Gottes schöne Welt hat, locken, sich da so recht hinein zu vertiefen."
„Hm — ja, aber weißt Du, Lurchen, hier hinterm Hause ist ja Wald genug zum Umherlaufen. Dort sitzt es sich herrlich an den hübsch gedeckten Tischchen beim Glase Bier."
Die Gattin lachte. „Und das nennst Du Spazierengehen? Nein, lieber Mann, bei Deiner Korpulenz sollten wir hier eine andere Methode einschlagen, als das Biertrinken. Jeden Tag wollen rvir in anderer Richtung durch Berg und Wald dringen."
„M. W." klang es gehorsam, wenn auch mit einem Seufzer zurück.
„Aber höre einmal Moritz, was ich noch sagen wollte, Dein alter Hut gefällt mir gar nicht mehr für den hiesigen Aufenthalt. In Berlin bist Du immer noch damit herumgelaufen, und als ich Dich bat, Dir für die Reise einen neuen zu kaufen, meintest Du, in dem kleinen Badeorte kämest Du auch mit dem alten noch aus."
„Na ja, das heißt, ich meinte, die Ausgabe sparen zu können, weil die Reise ja doch schon genug kostet."
Schwarzwälder Sonntagsblatt.
„Aber Mann, die Saisonbillets sind ja so billig und die Preise Berka's lange nicht so hoch, wie wir sie in andern Badeorten gewöhnt sind, dennoch trifft man hier eine so gewählte Gesellschaft, daß ich mich schämen würde, wenn Du heute Abend zur musikalischen Soiree des jungen Künstlers aus Prag mit diesem alten Hute erschienst, in welchem — schau nur her — fast schon ein Loch in der Krempe ist."
„Das kommt vom vielen Grüßen."
„Freilich, aber außerdem sieh' mal die Flecke hier! Also, Moritz, wandre nur jetzt zur Stadt hinab und kaufe Dir einen neuen, hörst Du!"
»Ja, ja, M. W.! Hoffentlich finde ich dort etwas Passendes."
Bald darauf wanderte er durch die schattige Lindenallee dem nahen Städtchen zu. Er erreichte dort wirklich seinen Zweck, denn waren die Läden auch klein und äußerlich unscheinbar, so bargen sie doch im Jnnnern manchen soliden Gegenstand und der neue Hut sah dem alten so ähnlich, als wenn beide Zwillingsbrüder wären: hellbrauner glänzender Filz mit rundem modernen Kopfteil.
Als Moritz die Promenade wieder heraufschritt, den Einkauf sorgsam in einer großen Papierdüte in der Hand balancierend, sah er unter einem kleinen Pavillon seine bessre Hälfte, die ihm entgegengekommen war.
„Aha, ich sehe schon, Tu hast das Gesuchte gleich mitgebracht; zeige doch her! Ah, recht nett, ganz wie Dein alter Hut. Aber, bitte, sehe doch den neuen gleich auf. Wenn wir jetzt durch den Wald zu unserem Hotel einbiegen, finden nur dort alle Mitbewohner beim Kaffee, und ich möchte gern, daß sie mein Männchen recht nobel aussehend finden."
Ohne Weiteres stülpte sie ihm den Hut auf, während er sich auf der Bank neben ihr ausruhte.
Während dieser Zeit hatte ein im schattigen Gebüsch liegender Mann sie beobachtet, anscheinend ein echter Vagabund in schadhafter Kleidung, ohne jede Kopfbedeckung. Er erhob sich und trat auf das Ehepaar zu: „Ein armer Reisender bittet um eine kleine Gabe und wenn Sie vielleicht den alten Hut dort missen können — die Sonne brennt gar so sehr!"
Frau Wächter, die zuerst etwas erschreckt war, sah ihren Mann bittend an: „Was willst Du noch mit dem alten Ding, Moritz, gib ihn fort!"
„Aber ich könnte ihn doch bei Regenwetter sehr gut tragen."
„Warum nicht gar. Hier, armer Mann, nehmen Sie! Willst Du nicht noch ein Geldstück dazulegen, Moritzchen?" Der folgsame Gatte legte eine halbe Mark in des Bettlers Hand und während dieser in anscheinender Rührung rief: „Der Himmel mag es den edlen Menschenfreunden tausendmal vergelten," wanderte das Paar dem nahen Walde und seiner Wohnung in gehobener Stimmung zu. Nur einmal murmelte Herr Wächter leise: 4 Mark der Hut, 50 Pfennige der Bettler, 4 Mark heute Abend die Billets — 's wird doch ein teurer Tag!"
Das Konzert verlief glänzend und nach demselben bei zwangloser Unterhaltung lernten Wächters verschiedene nette Familien kennen. Die Herren, welche zum Kurkomitee gehörten, ließen es sich angelegen sein, alle Badegäste so viel wie möglich miteinander bekannt zu machen und den Fremden die schönen Touren in die Umgegend zu beschreiben. — So bildete sich bald eine kleine Gesellschaft, welche beschloß, die jetzigen schönen Tage zu weiteren Fußtouren zu benutzen. „Also morgen geht es durch den Buchenwald am Abhange der Berge entlang nach Buchfahrt. Dort essen wir zu Mittag und dann besuchen wir die alte Felsenburg und kehren gegen Abend nach Berka auf einem andern Wege zurück."
Frau Wächter war sehr entzückt von diesem Plane, sie unterhielt mährend des ganzen Rückweges ihren Gotten davon, der ziemlich stumm und müde an ihrer Seite das Städtchen kreuzte, um nachher zu seiner waldumkränzten Anhöhe hinauf zu klimmen. Der Mond schien voll und mild auf die sanft ansteigenden dunklen Berge.
„Er hat einen Hof", unterbrach Moritz plötzlich sein redseliges Linchen.
„Wer — was?"
„Na, der Mond natürlich, Du wirst sehen, es regnet morgen!"
„Unsinn! Komm jetzt schnell, es ist spät geworden, wir wollen gleich zu Bette gehen."
„M. W. — M. W.", rief der Gatte und stieg neu belebt zum Walde empor, wo das Bett im behaglichen Zimmer ihm winkte.
„Siehst Du," sagte Linchen am anderen Morgen, „daß Du Unrecht mit Deiner Prophezeiung hattest? Die Sonne scheint klar und hell."
„Aber sie- sticht sehr, das bedeutet —"
„Ach was, verdirb uns nicht den schönen Tag mit solchen Reden. Komm rasch, wir müssen eilen, das Zusammentreffen am Kurhause einzuhallen."
Sie beschritten denselben Weg, den sie gestern genommen, welcher romantisch am User der Ilm entlang und dann durch den Kurgarten führt. Bor'ui Hause wartete schon eine große Gesellschaft; lachend und plaudernd stieg man direkt auf hübschen Fußwegen in den Laubwald empor. In Gruppen ging es vorwärts und oft standen alle stille, um die lieblichen Blicke in das Tal hinunter zu genießen. Auch Moritz vergaß ganz, daß er marschieren mußte und daß die Sonne in der Tat recht warm schien. Er gab sich dem Zauber des schönen Sommertages fröhlich hin und lüftete nur zuweilen den neuen Hut, um sich verstohlen die Stirn zu trocknen. Ein Herr, den er abends zuvor kennen gelernt hatte, unterhielt ihn von den Erinnerungen an die gute alte Zeit, als Göthe mit seinem fürstlichen Freunde Karl August an diesen Stätten geweilt und dadurch auch dem Jlmtale den Stempel des Historischen ausgedrückt hat. Mitten in seiner Rede unterbrach ihn Moritz: „Hier sind auch wohl Steinbrüche in der Nähe?"
„Nicht, daß ich wüßte, weshalb denn?"
„O, hörten sie nicht auch schon ein dumpfes Rollen, als wenn in der Gegend Sprengungen vorgenommen würden ?"
„In der Tat, soeben meine ich so etwas zu vernehmen."
Sie traten jetzt aus dem Walde; der Weg zum Dorfe Buchsahrt, welches man dicht vor sich sah, führte über eine Wiese in dasselbe hinein.
Alle blieben erstaunt stehen, eine mächtige Wolkenwand präsentierte sich vor ihnen und den beiden Herren wurde sofort klar, woher das Rollen gekommen war. Soeben machte es sich wieder stärker vernehmbar.
„Ein Gewitter! Es giebt ein Unwetter! Schnell nach Buchfahrt hinunter! Wer hätte das gedacht!" lönte es durcheinander.
Die Gesellschaft setzte sich in Trab. Linchen erbarmte sich ihres korpulenten Hausherrn und zog ihn am Arm mit sich fort.
„Siehst Du", keuchte er, „Hab' ich's nicht gesagt? Er hatte einen Hof und sie stach fürchterlich."
„Laß doch nur, Moritz. Kannst Du nicht ein bischen schneller laufen? Wir haben ja keine Regenschirme."
„Hätte ich doch wenigstens noch den alten Hut heute auf!"
„Ach, den hat ja doch der Bettler. Sieh, da ist das Gasthaus, Alle sind schon drin, wir sind die letzten. Hu, wie es blitzt! Lauf doch, lauf!"
„M. W.", rang er sich atemlos von den Lippen.
Nach fünf Minuten hatten auch Wächters das schützende Portal erreicht; in demselben Augenblicke goß es los, was nur vom Himmel herunter wollte. Da aber Alle ungefährdet iin Trocknen waren, richteten die im großen Gastzimmer für das vorher bestellte Mittagessen sauber gedeckten Tische bald die gute Laune wieder auf. Im Nebenzimmer, wo hinten in einer Ecke unbeachtet nur noch ein einzelner Mann saß, den das Gewitter wohl auch hierher getrieben, wurde abgelegt und dann ging es zu Tische. Beim fröhlichen Tafeln und guter Verpflegung hörte und sah fast Niemand mehr auf den Regen, der mit ununterbrochener Wucht hernieder rauschte. Endlich, als die Gesellschaft schon längst beim
Sür unsere Jugend.
Wiegenlied.
Die Wellen und die Winde Die flüstern meinem Kinde Ganz leise, leise zu:
Du sollst die Aeuglein schließen, Die Englein lasten grüßen,
Nun schlaf in süßer Ruh!
Der Himmel und die Sterne, Die winken aus der Ferne, Ganz leise, leise, sacht — Wir wollen Frieden machen,
Die Englein wollen wachen, Nun gute, gute Nacht!
Liselotte And.
Größe.
Von I. Bergmann.
Worin die Größe eines Menschen bestehe, darüber hört man die verschiedensten Ansichten, die sich nicht selten sogar widersprechen. Was aber unbedingt dazu erfordert wird, um groß genannt werden zu können, sollen die Aussprüche einiger Dichter und Denker darlegen.
„Gewonnene Schlachten, gewonnene Milliarden, ein glänzender Handel machen ein Volk noch nicht wahrhaft groß und glücklich; die wahre Größe des Volkes liegt — im Glauben an Gott," sagt Hofprediger Dr. Stöcker. Damit decken sich ungefähr die Worte der Mutter Judas in Ben Hur 1): „Ein großer Mann, mein Kind, ist derjenige, besten
1) Wallace, Ben Hur, 17. Ausl. S. 97.— 2) Herm. Grimm, Unterh. Beil. d. Reichspost (Wien) v. 11. Juni 1905. — 3) Bittner, W. Z. Ressels .Ged-, Brüx, 1887, ll. — 4) Predigtsamml. I, 126. — 5) W. in: Meggend. Nr. 763. — 6) A. E. in: Meggend. Nr. 577. — 7) O. E. W. in: Fl. Bl. Nr. 2593. — 8) Uz, bei: Friedrich, Belletrist. Jahrb. 136. — 9) Meggend. Nr. 336.
Leben den Beweis liefert, daß er von Gott — wenn nicht ausdrücklich berufen — so doch in seinem Streben gesegnet wurde."
In Leistungen allein liegt die wahre Größe nicht. „Es gibt Naturen, die durch das groß sind, was sie erreichen; andere durch das, was sie verschmähen." 2) — „Der hervorragende Mann ist nur dann eine wirkliche Größe, wenn geistige und sittliche Potenz (— Beschaffenheit) sich in ihm die Wage halten. "3) — Also hat jener Seeräuber ein wahres Wort zu dem mazedonischen Könige Alexander, der den Namen des Großen trägt, gesprochen, als er diesen anredete: „Was für ein Unterschied ist zwischen mir und dir? Ich nehme kleinere Schiffe und ihre Ladung weg; du dagegen raubst Flotten und Länder. Darum heiße ich Räuber, dich aber nennt man König." 4)
Einen sogenannten „großen Mann" darf man nicht immer ganz nahe betrachten, will man nicht enttäuscht sein. „Willst du ein stolzes Bauwerk seh'n Und würd'gen einen großen Mann,
Dann rat' ich dir als guter Freund:
Geh nicht zu nah heran!" 5)