Protest erhoben hat dagegen, daß ein Dutzend persischer Abgeordneter kurzer Hand gehenkl worden sind. Und die Hinrichtungen anderer Art sind im Osmanen-Reiche kaum so vielfach, wie zur Zeit im Zarenlande, wo es mit Galopp geht. Viel, sehr viel ist morsch in der Türkei, aber der Umstand, daß doch auch einsichtsvolle und kundige Stimmen mancherlei auf absichtliche Entstellung schieben, ist nicht zu vergessen. Bei einem internationalen Zwist der Großmächte könnte somit die Türkei eine ganz andere und viel bedeutsamere Rolle spielen, als meist angenommen wird.
Tagespolitik.
Die Angaben über bevorstehende Begegnungen des Kaisers mit dem Zaren wie mit dem König Eduard haben bisher nicht nur keine Bestätigung, sondern sogar Widerspruch gefunden und letzteren noch dazu von halbamtlicher Seite. Ganz sicher ist es bereits, daß eine Begegnung des Kaisers mit dem Zaren vor Antritt der Nordlandreise nicht erfolgen wird: ferner erscheint es aber auch noch in hohem Maße zweifelhaft, ob der Kaiser nach Beendigung seiner Nordlandfahrt mit dem König Eduard von England, gelegentlich der Reise des letzteren nach Marienbad, in Homburg Zusammentreffen wird.
Die Ratifikationsurkunden zum Nordsee- Abkommen sind gestern vormittag im Auswärtigen Amt in Berlin niedergelegt und das darüber ausgenommeue Protokoll von dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, dem französischen Botschafter, den Gesandten von Schweden, Dänemark und den Niederlanden und dem großbritannischen Geschäftsträger unterzeichnet worden.
Die neuen Dreimarkstücke, deren Einführung in der Bundesratssitzung am letzten Freitag beschlossen wurde, werden völlig in den Maßen des alten Talers gehalten werden. Sie werden aber außer dem Bildnis der Lanves- herren die Aufschrift „Drei Mark" tragen.
Die Frauenrechtlerinnen Englands treiben es täglich toller. Anläßlich der jüngsten Demonstration wurden 29 von ihnen verhaftet. Unerhörte Szenen spielten sich vor dem Parlamentsgebände ab. Eine riesige Zuschauermenge umstand die demonstrierenden Frauen und äußerte sich teis in Beifallskundgebungen, teils in höhnischen Zurufen. Premierminister Asqnith verweigerte den Empfang einer Deputation. Darauf warfen ihm die Damen die Fenster ein. In einigen Straßen gab es Zusammenstöße zwischen Publikum und Polizei; letzterer gelang es aber, die Ordnung aufrecht zu erhalten.
In Teheran ist die Periode des scharfen Kampfes zwischen dem Schah und den Revolutionären augenscheinlich vorüber. Die Erklärung des Kriegszustandes trug in vieler Hinsicht zur Wiederherstellung der Ordnung bei. Tie Erfolge der Regierung in Teheran wirkten auch in der Provinz beruhigend.
Die Unruhen in Marokko leben so sachte wieder auf, was freilich nach dem unqualifizierbaren Vorgehen der französischen Truppen kein Wunder ist. Auch im östlichen Marokko, an der algerischen Grenze, sollen sich feindliche Kundgebungen gegen die Franzosen geltend machen. Ganze Scharen bewaffneter Eingeborener sollen im Begriffe stehen, gegen die französischen Posten vorzurücken und die marokkanischen Grenzstämme an dem Handel mit französischen Märkten zu verhindern.
WLirttemkergischer Landtag.
Kammer der Abgeordneten.
Stuttgart, 2 Juli.
Die Kammer der Abgeordneten nahm in ihrer gestrigen Sitzung die Schlußabstimmung über deu Entwurf einer Bauordnung vor. Das Gesetz fand mit allen abgegebenen 73 Stimmen Annahme und geht nun an die Erste Kammer, wo gestern eine besondere llgliedrige Kommission zu seiner Beratung gebildet worden ist. Nicht so glatt ging es mit der Annahme des Gesetzentwurfs betr. die Kost- und Pflegekinder. Hier stimmten 48 Abgeordnete mit Ja, während 25 zur Annahme des Gesetzes sich nicht entschließen konnten. Es waren das die Mitglieder des Zentrums, sowie die Abg. Vogt, Wolfs und Nübling, denen der Entwurf zu weit geht, ferner der Abg. Meyer-Ulm, dem das Gesetz nicht weit genug geht. In allen drei Lesungen erledigt wurde ferner der Gesetzentwurf betr. den Postscheck- und Ueber- weisungsverkehr. Hiebei kam es zu einer Auseinandersetzung mir der Regierung, welche das Recht für sich in Anspruch nahm, die Gebühren im Verordnungsweg festzusetzen, während der Landtag daraus beharrte, daß die Einführung des Postscheckverkehrs und im Zusammenhangs damit auch die Gebührenfestsetzung Sache der gesetzlichen Verabschiedung sei. Man einigte sich dann dahin, daß mit Wirkung vom 1. Januar 1909 ab das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten ermächtigt werden soll, den Scheckverkehr im Verordnungsweg einzuführen, daß aber die grundsätzlichen Vorschriften bis 1. April 1912 gesetzlich zu regeln sind. Dringend nahegelegt wurde der Regierung, baldmöglichst auf eine Verbilligung oder Beseitigung der vorgesehenen Gebühren hinzuwirken. Als auch dieser Gegenstand erledigt war, kehrte man zur Generaldebatte über die Volksschulnovelle zurück. Die Sitzung wurde vollends ausgefüllt durch eine großzügige rhetorisch außerordentlich wirksame Rede des Abg. Dr. Hieber, des Führers der Deutschen Partei. Mit dieser Rede ist die wünschenswerte Klarheit über die Situation geschaffen. Die Deutsche Partei hält fest an der Konfessionsschule. Sie will nichts wissen von der Simultanschule, auch nicht von der fakultativen und noch viel weniger von der religionslosen Schule. Sie billigt die Aufsicht der Kirche über den Religionsunterricht, wie sie im Entwurf vorgesehen ist, erklärt aber mit Entschiedenheit im übrigen die Schule für eine Sache des Staats. Die Schule sei, so führte Hieber unter dem Beifall der Linken aus, über die geistliche Schulaufsicht in allen ihren Instanzen hinausgewachsen und könne nicht mehr als ein Annex der Kirche betrachtet werden. Einverstanden ist die Deutsche Partei mit der fachmännischen Bezirksschulaufsicht im Hauptamt (mit oder ohne Prüfungen; das sei eine Zweckmäßigkeitsfrage); bezüglich der Ortsschulaufsicht wird in der Kommission das Nähere zu prüfen sein. Tie Deutsche Partei ist endlich für eine einheitliche Oberschulbehörde und wird an der Schaffung einer solchen Mitwirken. Heute und vielleicht auch morgen wird es Doppelsitzungen geben, da morgen unter allen Umständen Schluß gemacht werden soll.
» * Stuttgart, 3. Juli. In der gestrigen Sitzung der
Ersten Kammer kam es bei der Beratung des Gesetzentwurfs betr. die Landwirtschaftskammer zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Minister v. Pischek und dem Präsidenten Rechberg-Rothenlöwen, der das Präsidium abgab, um sich an der Debatte beteiligen zu können. Während der Regierungsentwurs das allgemeine direkte Wahlrecht vorsieht, hat die Kommission einen Zusatz beantragt, wonach die Landwirtschaftskammer die Vertretung der Landwirtschaftlichen Vereine darstellcu soll. Auch Frhr. v. Wöllwarth sprach gegen den Regierungsenimurf. Nach einein Antrag
lich, die ganze Dienerschaft, alle Knechte und Mägde aus dem Felde vom ersten Inspektor bis zum untersten Stallknecht würden für Herrn Thilo durch F:uc» und Wasser gehen. Darm ist er den armen Pächtern aus den Vorwerken ein so milder Gutsherr. Dem kranken Müller, der die Pacht nicht zahlen konnte, hat er Wein und Fleisch geschickt, und aus seine Kosten einen Arzt rufen lassen. Was würde er wohl sagen, wenn er hörte, daß Sie arbeiten wollten."
„O ja, mein Vormund ist sehr freundlich, aber ich fühle mich hier nicht glücklich — und werde mich nie mehr meines Lebens freuen können. Ich will fort von hier, wo mich niemand kennt und niemand sagt: dort geht ja Fräulein Burckhardt, die reiche Erbin, acht Millionen,
das ist eine Partie, rc. rc., Helene," rief sie dann, sich
plötzlich hoch aufrichtend, „ich habe einen Plan, den ich aussiihren will, und Sie müssen mir Helsen. Ich gebe
Ihrer Schwester die verlorenen 3000 Mark, und eine gleiche Summe aos Hochzeitsgabe, dann kann sie in vier Wochen heiraten, wenn sie mir dafür Ihre Stellung als
Hausmädchen in Königsberg überläßt."
„Fräu'ein Asta!" Helene schlug entsetzt die Hände zusammen; sie fürchtete ihre junge Herrin habe den Verstand verloren.
„Ihre Schwester hat Aehnlichkeit mit mir?" fragte Asta.
«Ja; sie hat auch dieselbe Größe. Mer geben Sie den Plan auf, Fräulein Asta, bedenken Sie doch, was würden Frau von Warneck und Herr Thilo dazu sagen!"
„Das darf Niemand erfahren, es bleibt unser Geheimnis," lachte Asta in ihrer früheren übermütigen Weise. „Ich verschwind« Plötzlich, und Du hast natürlich keine mywung von meinem Aufenthalt. Was liegt auch daran, daH ich einmal die Arbeit kennen lerne? Sollte mir das neue Leben nicht gefallen, so kehre ich hierhin zurück."
Helene rang in Verzweiflung die Hände, aber ste
kannte ihre junge Herrin zu gut, und wußte, daß es unmöglich war, ste von ihrem Vorhaben abzubringen. Unglücklicherweise war auch Anna Braun, Helenes Schwester so entzückt über diesen Plan, und strahlte vor Freude, ihren Johann dennoch in vier Wochen heiraten zu können, daß Helene jede Einwendung ausgab und mit Tränen in den Augen versprach, für die neue Garderobe und Schürzen, wie ste einem seine« Hausmädchen zukommen, zu sorgen, während Asta Papier und Tinte herbeiholt«, um die Liste ihrer neuen Pflichte» als Dienerin bet Frau Kommerzienrat Posenev in Königsberg aufzuschreiben.
„Jetzt wird man mich nicht mehr meines Geldes wegen lieben," dachte ste nsit Bitterkeit „und Thilo mutz in einem andern Hause anklopfen, mn eine reiche Erbin zu finden.
13. Kapitel.
„Ich mache Dir mein Kompliment, Mutter; mit der Wahl Deines neuen Hausmädchens hast Du Glück gehabt; ste ist ja ein wahrer Schatz! Ich mutz gestehe», ich glaubte eine junge Dome vor mir zu sehen, als sie mir heute Abend die Tür öffnete, so graziös und anmutig waren ihre Bewegungen. Wo hast Du denn diesen seltenen Edelstein entdeckt?"
„Ste diente drei Jahre Lei Frau von Wildt, und ste hat gute Zeugnisse; ste ist zwar nicht so groß und kräftig wie ich gewünscht hätte, auch bemerkte ich, daß ste heute beim Mittagessen die Schüsseln an der falschen Seit« abnahm, aber mit der Zeit wird ste das schon lernen.
„Sie ist sehr hübsch — wirklich eine Schönheit."
„Nun, Franz, ich bitte Dich, vertreibe mir rücht meine Mägde aus dem Hause, wie Du es schon einmal getan hast, als Du das junge Ding beständig anstarrtest; ich werde ja schließlich gar kein Mädchen mehr halten können," ries unwillig Frau Kommerzienrat Posener, «nd warf ihrem Soihne, d>m Referendar Franz Posener, einen bedeutungsvollen Blick zu.
Dekan Müllers und des Malermeisters Schindler und anderer Kammermitglieher soll die Beschlußfassung so lange ausgesetzt werven, bis die landwirtschaftlichen Vereine Gelegenheit gehabt haben, sich über den Emtwurf zu äußern.
Landesnachrichten.
Mtenlleig, 8. Juli.
* Dämmerungserscheinungen. Auffällig lang hielt vorgestern abend die Dämmerung an. Noch nach 10 Uhr war es ziemlich hell. Am wolkenlosen Himmel lagerte am nordwestlichen Horizont ein leuchtend roter Streifen, von dem ein gelblicher Schein bis hoch an den Himmel hinauf ausging. Es war außerordentlich klares Wetter, und man könnte geneigt sein, hierauf das lange Anhalten des Tageslichts zurückzuführen, jedoch hängt dies mit den aus Norwegen gemeldeten Dämmerungs-Erscheinungen zusammen, für die eine wissenschaftliche Erklärung noch nicht vorliegt, man weiß nur, daß das Licht durch einen sehr hohen Sonnen- refler in den oberen Luftschichten hervorgernfen wurde. Gestern konnte die Erscheinung nicht beobachtet werden.
* Nagold, 3. Juli. Am kommenden Dienstag, den 7. Juli, abends 8'-- Uhr wird Handwerkskammersekretär Freytag im Rößle hier über Postscheckoerkehr sprechen.
* Freudenstadt, 1. Juli. Die Lehrerschaft der Bezirke Freudenstadt, Nagold, Herrenberg, Horb, Oberndorf und Sulz veranstaltet am Samstag den 11. Juli hier eine Gau- versammlnng. Landtagsabgeordneter Lochner wird über die dem Landtag z. Z. vorliegende Volksschulnovelle referieren.
' Tübingen, 2. Juli. Die Schwurgerichtssitzungen des 3. Quartals fallen in Tübingen aus.
ff Tübingen, 2. Juli. Den Schatzgräber machte die Polizei und hob in drei Taschentücher gewickelte etwa 100 Mark Nickelmünzen, die der ungetreue Hansbursche der Bahnhofrestauration nach und nach entwendet und der Sicherheit wegen im Hühnerhos vergraben hatte. — Die im Waldhörnle aus. der Schaukel gestürzte Buffetdame hat den Halswirbel gebrochen und ist gestorben. Es war 'eine korpulente Witwe, die mit großer Wucht am Boden aufschlug.
ff Oberndorf, 2. Juli. Der Schwarzw. Bote berichtet: Die Volkspartei beabsichtigt das Oberndorfer Landtagsmandat dem Arbeitssekretär Fischer in Reutlingen anzubieten.
ff Stuttgart, 2. Juli. Die Bauausstellung ist bereits von mehr als 100 000 Personen besucht worden. Die Stuttgarter Straßenbahnen haben während der Landwirtschaftlichen Ausstellung 8—900 000 Personen befördert.
ff Stuttgart, 2. Juli. Durch Ueberhitzen eines Abzugrohres des Schmelzofens ist heute früh in der K. Münze Feuer ausgebrochen, welches durch die Hauptfeuerwache gelöscht wurde.
ff Stuttgart, 2. Juni. Laut Mitteilung des K. Statistischen Landesamts haben die Eheschließungen im Jahre 1907 etwas abgenommen und zwar von 8,03, auf das Tausend der mittleren Bevölkerung gerechnet, auf 7,95. Die Geborenen einschließlich der Totgeborenen zeigen eine nicht unbeträchtliche Abnahme, indem sie um etwa 1000 auf 77 815 zurückgegangen sind. Tie absolute Abnahme der Geborenen in Württemberg ist umso bemerkenswerter, als in dem Vorjahre die Neuehen einen verhältnismäßig hohen Stand erreichten. Unter den Geborenen sind 2091 gleich 2,7 o/g Totgeborene, was eine erfreuliche Verminderung bedeutet. Die 6364 unehelichen Kinder machten i. I. 1907 8,2 aller geborenen Kinder aus. In den Jahren 1857—1865 war die Rate der unehelichen Kinder noch doppelt so groß. In den letzten 11 Jahren ist der Prozentsatz der unehelichen von 10,6 ununterbrochen auf 8,2 gesunken. Die Gestorbenen haben um 800 abgenommen und betragen nur noch 9,7 der mittleren Bevölkerung, eine Ziffer, die im ganzen
Sie war eine starke, fast robuste Frau, mit markierten Zügen, hochroten Wangen, ausfallender Toilette, und der ganzen Erscheinung, sowie dem überladenen Luxus im Salon sah man deutlich an, daß diese Familie zu, den Emporkömmlingen gehörte. Neben ihr auf dem Sofa laß ihre älteste Tochter und am Piano stümperte die kleine zwölfjährige Mitth, der Liebling der Mutter, sonst aber die Plage des ganzen Hauses.
„A propos, Irma," rief Frau Posener gereizt, M za ihrer ältesten Tochter wendend, „hast Du vergessen, der Frau Genecalin von Arnheim die Antwort zu senden? O, wie fatal, ich versprach, sie frühzeitig zu schicken, jetzt ist es die allerhöchste Zeit, warum erinnertest Du mich nicht?"
„Ich dachte gar nicht daran," entgegnete Irma leichthin. „Es ist aber noch früh genug. Anna kann ja sofort gehen."
„Nun gut, ich will schnell ein Briefchen schreiben und sagen, daß wir die Einladung für morgen annehmen.' Dabei drückte sie auf den Knopf der elektrischen Schelle.
Ein schüchternes Mädchen erschien aus der Schwelle. Anna war sehr einfach und sauber gekleidet, und dos Helle Kattunkleid mit der schneeigen Schürze ließen ste nöch bleicher erscheinen, als sie in Wirklichkeit war.
„Haben Sie geschellt, gnädige Frau?" fragte ste jetzt
leise.
„Ja, Anna. St« müssen sofort der Generali« do« Arnheim ein Brieschen bringen. Sie wohnt in der Vorstadt, LMraße 6, eine Antwort ist nicht abzuwarten, beeilen Sie stch also mit der Rückkehr. Doch warten Sie, erst bringen Sie noch den Tee herein."
„Noch heute — und so weit — bis zur Vorstadt?" stammelte verwirrt das neue Mädchen und sah erschreckt und hülsesuchend ihre Herrin an. „Muß ich denn allein gehen, gnädige Frau?"
„Allein? Natürlich! Warum denn nicht allein?" höhnte die Gestrenge. (Fortsetzung folgt.)