der Bundesrat befugt, einzelne Orte in höhere Orts­klassen einzureihen. Zm vorigen Zahr sind 67 Orte her­aufgesetzt worden. Abgeordneter Neumann-Hofer (Fortschrittliche Volkspartei): Bei der Revision sollte man darauf Rücksicht nehmen, Unstimmigkeiten zu be­seitigen, die durch Versetzung von Beamten in Orte mit höherer Steuerlast entstehen. Die gesamte Zollver­waltung sollte aufs Reich übernommen werden. Staats­sekretär Kühn: Eine Vereinheitlichung des Zoll­wesens dürfte kaum erreicht werden. Wir müssen uns auf den realen Boden der Reichsverfassung stellen und haben im allgemeinen nur darüber zu wachen, daß in den einzelnen Bundesstaaten die durch Reichsgesetz vor­geschriebenen Abgaben erhoben werden. Erzberger Z.): Die Bezüge der Altpensionäre müssen dahin auf­gebessert werden, daß die Unterschiede zwischen den früher und den heute gezahlten Gehältern ausgeglichen werden. Zimmermann (natl.): Starke Finanzen sind für das Reich ebenso notwendig wie ein starkes Heer und eine starke Marine. Ein möglichst seltener Wechsel in der Leistung des Reichsschatzamtes ist hiebei erwünscht. Nach weiteren Bemerkungen des Abg. Vietmayer (Wirtsch. Vgg.) ml m m m ml ml got erwünscht. Die Resolution wird angenommen und der Gehalt des Staatssekretärs bewilligt. Einige weitere Titel werden darauf erledigt. Beim Titel Allegemeine Fonds tritt Prinz Schönaich-Carolath (natl.) für Aufbesserung der Veteranenbeihilfe ein. Zn den nächsten Jahren werden große Summen frei durch die Vollendung des Nordostseekanals und durch die Erledi­gung des alten Pensionsgesetzes. Diese sollte man für die Veteranen bestimmen, sonst sollte man zur Einfüh­rung der Wehrsteuer schreiten. Staatssekretär Kühn: Dadurch, daß 5 Millionen in den Fonds mehr eingestellt sind und zufriedenstellende Ausführungsbestimmungen des Bundesrats ergingen, dürfte die Frage der Vete­ranenbeihilfe erledigt sein. Die Unterstützung soll auch gewährt werden, wenn nach der Bestätigung des Orts­vorstehers Familenglieder zur Unterstützung nicht ge­eignet sind. Es soll wohlwollend und weitherzig dafür gesorgt werden, daß die bereitstehenden Mittel den Ve­teranen auch wirklich zugute kommen. Abg. Belzer (Z.): Von einer Milde in der Verwendung des Ge­setzes kann keine Rede sein, das zeigen die vielen Peti­tionen. Die Ausführungsbestimmungen müssen revi­diert werden. Die Offizierspensionen werden gar zu leicht bewilligt. (Lebh. Sehr richtig!) Da sollte man den Veteranen erst recht entgegenkommen. Hieraus ver­tagt sich das Haus auf morgen nachmittag l Uhr. T.-O.: Fortsetzung der Etatsberatung, außerdem kleine Straf­gesetznovelle. Schluß nach 6X> Uhr.

Stuttgart, 8. Mai 1912.

Württembergischer Landtag.

Die Zweite Kammer setzte die schon gestern in größ­ter Breite geführte Debatte über die Art. 3 und 5 des Gesetzentwurfs über die Dienstverhältnisse der Ober­amtsärzte samt den zahllosen dazu vorliegenden Ab­änderungsanträgen und Resolutionen auch heute stun­denlang fort, wobei insbesondere der Kultusminister gegen die sozialdemokratische Resolution über die zwangsweise Einführung des Heilverfahrens auftrat. Der MinisterdesJnnern sprach besonders gegen den Antrag Ströbel, dein ur eine fakultative Zulassung der schulärztlichen Untersuchungen will, und erklärte, mit der obligatorischen Einführung stehe und falle der

ganze Entwurf, soweit er sich auf diese Tätigkeit über­haupt beziehe. Die Abstimmung ergab, nachdem sich die Sitzung bis gegen halb zwei Uhr ausgedehnt hatte, die Annahme einer von dem Abg. Schick beantragten Re­solution, die K. Regierung zu ersuchen, Maßnahmen in Erwägung zu ziehen, durch welche die Verwendung der Schüleruntersuchungen bei den Musterungen gesichert werde. Abgelehnt, bezw. zurückgezogen wurden die Re­solutionen der Deutschen Partei und der Sozialdemokra­tie betr. die Wehrordnung. Der Antrag Ströbel, die Schularzttätigkeit fakultativ zu gestalten, wurde mit 49 gegen 27 Stimmen abgelehnt, dagegen der Antrag des Zentrums betr. die Entkleidung bei der Unter­suchung von Mädchen mit 39 gegen 35 Stimmen bei 2 Enthaltungen angenommen. Wesentlich ist dann noch, daß der Antrag der Sozialdemokratie betr. zwangs­weises Verfahren mit 41 gegen 14 Stimmen abgelehnt wurde. Schluß der Sitzung 2)4 Uhr. Morgen Fort­setzung.

Stadt und Bezirk.

Calw. 9. Mai 1912.

* Der Liederkranz kann auf seine gestrige General­versammlung als auf eine in der Geschichte des Vereins denkwürdige Tagung zurückblicken. Es handelte sich um nicht mehr und nicht weniger als um den Abschied seines Vorsitzenden, Präzeptors Bäuchle, der seit 25 Jahren in umsichtigem, hingebendem Schaffenseifer den Verein führte. Seine Erbschaft wird nun auf einmütigen Wunsch der Generalversammlung Stadtpfleger Dreher an- treten. Dem erstgenannten Herrn wurde aus der Mitte der Versammlung herzlicher Dank für sein treues Wir­ken an der Spitze des Vereins ausgesprochen. Der neue Vorstand aber wird des Vertrauens aller Vereinsmit­glieder sicher sein dürfen.

L. Von der Post. Die Einnahmen aus dem Post-, Telegraphen- und Fernsprechbetrieb im Monat März d. I. beliefen sich auf 1940 550,54 -K (gegen das Vor­jahr mehr 101 674,30 -K). Vom 1. April 1911 bis 31. März 1912 wurden insgesamt vereinnahmt 25 409 241,26 -Ä (mehr 1 629 802,92 .ll).

8cb. Mutmaßliches Wetter. Das von Nordwesten herannahende Tiefdruckgebiet, an dessen Rand wir uns jetzt befinden, hat den Einfluß des Azorenmaximums gebrochen und die erwarteten Niederschläge gebracht. Auch für Freitag und Samstag ist noch zeitweilig trü­bes und regnerisches, dann aber wieder aufheiterndes Wetter zu erwarten.

H- Unterreichenbach, 9. Mai. Gestern wurde von der Nagold eine Leiche gelandet. Bei näherer Untersuchung ergab sich, daß es sich um den seit Dezember vor. Jahres vermißten 86 Jahre alten Pensionär Haußele aus Hirsau handelt. Eine Barschaft von über 500 Mk. wurde bei ihm vorgefunden. Man wird sich erinnern, daß Saußele seinerzeit Hirsau verließ, mit der Absicht, in Stuttgart auf der Bank Geld zu erheben. Auf dem Heimweg geriet er offenbar in die Nagold und der Um­stand, da das erhobene Geld bei ihm vorgefunden wurde, läßt mit ziemlicher Bestimmtheit den Schluß ziehen, daß ein Verbrechen ausgeschlossen ist. Das Ge­richt war bereits gestern an Ort und Steue.

Pforzheim, 8. Mai. Während der Eoldarbeiter Emil Kasper von Dill-Weißenstein an dem Neubau des Hotels Post vorüberging, fiel ca. 24 m hoch ein eiserner Schneeschützerhaken vom Neubau herunter und traf Kasper

direkt auf den Kopf, wodurch er eine sehr schwere Ver­letzung erlitt, sodaß er ins Krankenhaus verbracht wer­den mußte. Oben auf dem Dach lagen mehrere solcher Haken zum Anbringen auf einer Diele, und es fiel, ver­mutlich durch Schwanken dieser Diele, der Haken her­unter.

Württemberg.

Stuttgart, 8. Mai. Der König ist heute nachmittag zu kurzem Besuch des Freiherrn Heyl zu Herrnsheim nach Worms abgereist.

Stuttgart, 7. Mai. Wie nun mit ziemlicher Be­stimmtheit verlautet, ist der Plan, den sozialdem. Land- tägsabgeordneten für Göppingen, Dr. Lindemann, durch den radikalen Führer Fr. Westmeyer zu ersetzen, jetzt endgültig fallen gelassen worden. Herr Westmeyer ist dafür als einer der sozialdemokratischen Landtagskandi­daten für Stuttgart in Aussicht genommen.

Ulm, 7. Mai. Heute vormittag 10 Uhr trafen die Majestäten mit Gefolge auf dem Paradefeld, wo die Ulmer Garnison Aufstellung genommen hatte, ein. Der König stieg in der Au zu Pferde und ritt auf den rech­ten Flügel des 1. Treffens. Die Truppen begrüßten den König mit einem dreifachen Hoch, präsentierten und die Musik spielte die Königshymne. Die Königin fuhr mit der Palastdame in einem Viergespann die Front der Truppen ab. Der kommandierende General Her­zog Albrecht erstattete, den Frontrapport. Die Trup­pen wurden von dem Kommandeur der 27. Division, Generalleutnant Graf von Pfeil und Klein-Ellguth, kommandiert. Im 1. Treffen standen die Jnfanterie- regimenter König Karl (5. württ.) Nr. 123, das In­fanterieregiment Nr. 127, die Maschinengewehrabtei­lung und das Pionierbataillon 13 unter dem Kom­mando des Generalmajors von Auwärter. Das 2. Tref­fen bestand aus dem Ulanenregiment König Karl (. württ.) Nr. 19, das 3. Treffen aus der 1. Abteilung Feldartillerieregiment König Karl (1. Württ.) Nr. 13, dem Feldartillerieregiment Nr. 49. Das 2. und 3. Tref­fen kommandierte Generalmajor v. Knörzer. Die In­fanterie war in Breitkolonne, die Kavallerie in Eska­dronfronten, die Artillerie in Batteriefronten aufge­stellt. Der erste Vorbeimarsch bei der Infanterie voll­zog sich in Kompagniesronten, bei der Kavallerie in Es­kadron-, der Artillerie in Batteriefronten. Der zweite Vorbeimarsch bei der Infanterie in Regimentskolonne, bei der Kavallerie im Trab. Das Erenadierregiment König Karl, sowie das Feldartillerieregiment König Karl Nr. 13 führte der König beidemale selbst der Kö­nigin vor. Nach der Parade versammelte der König die Generale und das berittene Offizierskorps, hielt Kritik und verlieh verschiedene Ordensauszeichnungen. Nachher fand Paradetafel im Russischen Hof statt, «pobei eine große Anzahl der in Parade gestandenen Gene­rale, Stabsoffiziere, älteste Hauptleute und Leutnants Einladung erhalten hatten. Nach 4 Uhr fuhren die Majestäten wieder nach Stuttgart. Bei der Ankunft wie bei der Abfahrt wurden sie von der Bevölkerung stürmisch begrüßt. Die Parade war vom Wetter gut begünstigt. _

Die Häuteverwertung in Württemberg.

Dem Geschäftsbericht über die Häuterverwertungs- Vereinigungen ist zu entnehmen: Der Häutemarkt war im verflossenen Jahr ein befriedigender. Das trifft be­sonders auf die Großhäute zu, welche gegenüber dem günstigen Jahr 1910 eine Erhöhung der Durchschnitts-

Tyrann Ehre.

38) Roman von K. Lubowski.

(Fortsetzung.)

Tarenberg war sehr blaß geworben.

Und was tatest Du da, Nora?" fragte er, in der Angst, etwas Schreckliches hören zu müssen.

Ich ging eines Abends nach langem Kampfe mit mir in das Zimmer, aus dem das Gewirr der Stimmen bis zum grauen Morgen zu ertönen pflegte. Sie waren sich so sicher, daß sie nicht einmal abgeschlossen hatten." Sie zitterte und barg ihr Ant­litz in dem Sammet des Lehnstuhls.Es war schrecklich, Hans Weddo, unsagbar schrecklich, was ich da gesehen habe. Aber das war noch nicht das Schlimmste. Sie sprangen zwar entsetzt von ihren Sitzen empor, aber die Schelling beruhigte sie so­gleich wieder mit häßlichen Worten, deren Sinn ich nicht verstand. Da legte der jünoste der bei­den Männer seinen Arm um meine Taille und ver­suchte mich an sich zu ziehen. Verzweifelt flehte ich ich die Schelling um Hilfe an. Sie half mir nicht. Sie lachte nur spöttisch und rief mir zu:Was hat Sie denn hierher getrieben? Hm, der blasse Neid. Na, nun will ich Ihnen auch großmütiq erlauben, mit uns zu genießen." Dann verschwand sie mit dem älteren der beiden in das Nebenzimmer. Nun war ich mit jenem und meiner Todesangst allein. Ach, Hans Weddo,wenn ich da nicht solche Riesenkräfte gehabt hätte, stände ich heute nicht vor Dir. Ich läge irgendwo im Wasser und kein Mensch brauchte mehr für mich zu sorgen.

Wie ich es fertig gebracht habe, mich der rohen Kraft zu erwehren, weiß ich heute nicht mehr. Ich habe geschlagen, gebissen und gekratzt. Aber zuletzt erlahmte ich doch. Wir waren in hartem Kampfe an jenem Tisch, auf dem, neben den Resten einer

üppigen Mahlzeit, Gläser und Flaschen umherstan­den gekommen. Da ergriff ich eine der Flaschen und schlug auf ihn ein, in jähem Entsetzen, ohne zu wissen wohin meine Schläge trafen. Er ließ von mir ab. Ich glaube, er blutete. In diesem Augen­blick bin ich zur Tür hinausgestürzt, auf die Straße und zum Bahnhof weiter. Fünfzig Mark hatte ich in der Tasche. Die reichten gerade für das Bittet, das Zacket und den Hut, die ich mir irgendwo unter­wegs kaufen mußte, denn ich hatte nur ein Tuch um die Schultern.

Nicht wahr, Hans Weddo, ich konnte doch nicht anders, als zu Dir kommen! Wo sollte ich in meiner Angst und Verzweiflung denn sonst wohl hin­gehen?"

Tarenberg war von der schlichten Darstellung, die einen Abgrund von Schlechtigkeit barg, erschüt­tert. Das Herz tat ihm weh und in seine Augen stiegen heiße Tränen.

Ja, ja, wohin hätte sie sonst auch gehen können, wenn nicht zu ihm? Höchstens noch in das Unglück in die Schande. Es wäre ihr gar kein anderer Aus­weg geblieben.

Das rüttelte an ihm. Es warf die Verurteiler mit starker Hand in Scherben und zerbrach im vor­aus alles, was Menschenwort und Menschentücke ge­gen ihn aufbauen könnten. Die, welche ihn lieb hätten, würden auch dann an ihn glauben, selbst wenn sich die Verleumdung mit dunkeln, schmutzi­gen Geschichten zu ihnen wagte.

Es galt nur noch die Frage zu beantworten, wo er die Schwester unterbringen sollte. Daß er sie bis zu des Sanitätsrat Dunkers Rückkehr in Trauten­berg behalten würde, stand bei ihm fest. Das kleine, zurzeit unbewohnte Jnspektorhaus hinter der Stadt, für das der Besitzer seit langer Zeit einen Mieter suchte, fiel ihm ein.

Ja, das würde gehen. Die spätere Zukunft

müßte ihr dann einen Beruf geben, der ihr junges Leben ausfüllte und ihre Kraft in Anspruch nahm, einen Beruf, dem sie gewachsen war und dessen Aus­übung ihr Freude machte. Das würde das Nich- tioste sein.

Für heute mußte sie natürlich bei ihm bleiben. Es ging nicht anders. Er mußte ihr nach dem trost­losen Umherirren eine Nacht voll ruhigen Schlafes gönnen. Vielleicht erlosch dadurch die Fieberhitze in ihrem abgezehrten Gesicht und der stoßweise und aufgeregt über die Lippen kommende Atem wurde in den stärkenden Stunden, in denen er über ihre Ruhe Wache halten wollte, wieder ruhig.

Er begleitete sie bis an die Schwelle seines be­haglichen, eleganten Schlafgemaches.

Nun schlaf gut, kleine Nora," sagte er weich.

Und Du, Hans Weddo, wo wirst Du bleiben?"

In dem schönen, weichen Lehnstuhl, Schwester­lein."

Laß mich doch lieber dort."

Nein, Kind, geh' nur. Du brauchst eine ruhige Nacht sehr nötig, damit Du morgen mit Hellen Au­gen in Dein einstweiliges Heim einziehen kannst."

Sie sieht ihn scharf an.

Wenn ich nun aber krank würde, Hans Weddo?"

Er erschrickt. Vorher, als bei ihrem veränder­ten Aussehen der gleiche dunkle Gedanke in ihm auf­blitzte, hat er ihn nicht zu Ende denken können. Nun sie ihn anrührt muß er es tun.

Ihr entgeht sein plötzliches Erblassen nicht. Es tut ihr so leid, daß sie ihn geängstigt hat.

Es wird schon wieder vorüber gehen," sagt sie tröstend,und nun gute Nacht, lieber, guter Hans Weddo."

Aber sie glaubt nicht an das, was er soeben gesagt hat.

(Fortsetzung folgt.)