Politik gehalten, worin er sehr entschieden die Aufrichtigkeit und Friedlichkeit der Haltung Rußlands betonte und erklärte, daß die russische Regierung dem österreichischen Projekt der Sandschakbahn ohne Neid und Mißgunst gegenüberstehe. Rußland will auch das Einvernehmen mit Oesterreich-Ungarn sesthalten, wenngleich nunmehr alle Mächte zur Beteiligung an der makedonischen Reformaktion herangezogen werden sollen. Die neuen russischen Vorschläge haben bei allen Mächten eine gute Aufnahme gefunden und Jswolkski hofft, daß sie auf ihrer Grundlage eine Einigung erzielen lassen wird. Im allgemeinen hat die Rede einen günstigen Ein­druck gemacht. Sie ist immerhin geeignet, die Hoffnung, daß sich keine ernstlichen Schwierigkeiten ergeben werden, zu stärken.

Landesnachrichten.

js Stuttgart, 24. April. Der Staatssekretär des Reichs­schatzamtes, Sydow, hatte heute vormittag eine längere Be­sprechung mit dem Finanzminister von Geßler. Er setzt heute abend seine Reise nach München und Dresden fort.

js Zuffenhausen, 24. April. Ein hier beschäftigter Arbeiter namens Riedel aus Steyer in Oberösterreich wurde unter dem Verdacht des Raubmordes festgenommen. Er hielt sich seit zwei Jahren unter falschem Namen hier auf.

Die Landtagswahl in Nürtingen.

* Nürtingen, 24. April. Bei der heutigen Landtags­ersatzwahl für den freiwillig zurückgetretenen sozialdemokratischen Abgeordneten Seeger erhielt der Kandidat der vereinigten Liberalen, Werkmeister Gabler-Nürtingen, der schon früher den Bezirk vertreten hat, 1389 Stimmen, der Kandidat des Bauernbundes, Kulturmeister Knapp-Reutlingen, 1710 Stimmen, und der sozialdemokratische Kandidat, Ver­walter Kenngott-Eßlingen, 1382 Stimmen. Von 6711 Wahlberechtigten haben 4683 abgestimmt, 25 Stimmen waren ungültig, 7 zersplittert. Es ist somit ein zweiter Wahl gang nötig.

Neueste Nachrichten.

* Berlin, 24. April. Oberstaatsanwalt Dr. Jsenbiels Stellung gilt infolge der Wendung in der Eulenburgaffäre für erschüttert.

* Berlin, 24. April. Die Einigungsverhandlungen im Baugewerbe haben heute begonnen, führten aber bisher zu keiner Einigung.

* London, 24. April. An der indischen Grenze ist es zwischen den englischen Truppen und Aufständischen zu einem Gefecht gekommen. Die englischen Verluste betragen 60 Mann, lieber die Verluste des Feindes liegen noch keine Nachrichten vor.

* Lissabon, 24. April. Die Republikaner wollen dem König nebst seiner Familie dringend empfehlen, in Frieden der Krone zu entsagen und das Land zu ver­lassen, da die Einsetzung der Republik die ein­zige Rettung aus der Krise sei. Der König will keinesfalls einwilligen, daher sind blutige Ereignisse bei der Totenandacht in Gegenwart des Königs sehr wahrscheinlich. Der Handel und Fremdenverkehr stocken gänzlich.

* Newyork, 24. April. Wirbelstürme haben im Westen, Südwesten und Süden große Verheerungen angerichtet. Einige kleinere Ortschaften sind völlig zer­stört worden. Aus allen Gegenden werden Verluste an Menschenleben gemeldet.

Eine Bombengeschichte.

Ein Intermezzo aus den russischen Unruhen von Alfred Conrad.

So sehr sich auch die guten Rigenser über die Kosaken geärgert, ja entsetzt hatten, als diese barbarischen Steppensöhne anläßlich der ausgebrochenen Unruhen als Friedensstifter in die Stadt gekommen waren und nun bei jedem Auslauf rück­sichtslos mit der Knute einhieben; mit der Zeit gewöhnten sich dennoch die Bürger allmählich an die unliebsame Ein­quartierung, hier und da sprach man schließlich sogar schon vonUnseren Kosaken". Soeben ritt wieder ein Kommando von 6 Mann die Suwarowstraße hinaus und bog dann in eine zur Vorstadt führende Seitengasse ein. Es waren kernige Gestalten, die da auf den stinken, struppigen Gäulen saßen respektvoll blickten ihnen die Leute nach und schauten mit gruseligen Gefühlen auf die durch Bleikugeln beschwerten Nagaiken (kurze Peitschen, deren Riemen durch eingestochtene Bleistücke zu einer furchtbaren Waffe gemacht werden). Scharfen Auges musterten die Reiter alle Fußgänger, wobei sie auch die Häuserreihen entlang bis zu den obersten Fenstern hinaufspähten, war es doch in den letzten Tagen in Riga mehrmals vorgekommen, daß man von den Dächern Bomben mitten unter die vorüber reitenden Patrouillen geworfen hatte. Während sich dann auf der Straße im blutigen Durcheinander ein jammernder Menschenknäuel wälzte, war es in der allgemeinen Panik dem Attentäter regelmäßig ge­lungen, über die Dächer hinweg zu entwischen.

Da ertönte plötzlich der gellende Warnungsruf eines Kosaken; doch bevor sie die Pferde zur Seite reißen konnten, klatschte vor ihnen auch schon ein kleines graues Päckchen auf die Pflastersteine, das von hoch oben mitten unter die Gäule geschleudert worden war.

Von den nervigen Fäusten zurückgerifsen, bäumten die Tiere hoch auf und sprengten unter das aufkreischende Publikum hinein, das entsetzt nach allen Richtungen flüchtete. Im Nu

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war der Schreckensplatz leer zur Verwunderung der Kosaken erfolgte jedoch kein Knall, die Bombe war also, Gott sei Dank, nicht explodiert. Da auf der Straße lag das kleine, in graues Packpapier zusammengewickelte Päckchen, an das sich die abgesessenen Reiter nur mit größter Vorsicht herantrauten. Kaum war der erste Schrecken überstanden, da besannn sich auch einer von der Patrouille, daß er genau gesehen hatte,'aus welchem Fenster die Bombe geschleudert worden war, und auf seinen Zuruf stürmten nun vier der Rache schnaubenden Kosaken in das Haus hinein, zur Treppe hinauf, während zwei von ihnen mit gezogenen Säbeln bei dem gefährlichen Pakete Wache hielten.

Das klapperdürre Schreiberlein Peter Jwanowitsch sputete sich heute gar flugs nach Hause. Die tief in die Hosentasche versenkte rechte Hand hielt krampfhaft das Porte­monnaie mit dem ganzen Reichtum fest, der da drinnen ge­borgen lag. Na, und Spaß, heute war doch der Zwanzigste,*) da hatte ihm der Chef des Advokatenbureaus, in dem er nun schon über neun Jahre von früh bis abends spät als Skribifax tätig war, seine dreißig Rubel ausgezahlt. Das passierte nur zwölfmal im Jahre, kein Wunder also, wenn dieser schöne Tag unser Schreiberlein ganz besonders feierlich stimmte. Während er sich gewandt durch alle die zahllosen von der Arbeit nach Hause hastenden Menschen hindurch­drängte, berechnete er im Geiste seine Ausgaben, die er heute von dem sauer verdienten Mammon zu machen hatte. Da vorerst seine Wirtin für Zimmer und zweimal täg­lich, nämlich früh und abends, den Samowar sechs Rubel. Das heißt, das wollte er der guten Frau denn

*, In R ißland werden die Gagen sowohl in Staats- als auch in anderen Kanzleien an diesem Tage ausgezahlt.

doch heute endlich einmal sagen, daß ihm das Wasser oft­mals nur lauwarm hereingeschickt wurde und dampfen mußte es, dampfen und brodeln, wenn er seinen Tee auf­brühte. Ja, ganz energisch wollte er ihr-hm!

die Dame zog aber so wie so immer ein bitterböses Gesicht und konnte verflixt kurz angebunden sein lieber noch ein paar Tage warten! Bei diesem weisen Entschlüsse war er vor einem Fleischerladen stehen geblieben und liebäugelte schmunzelnd mit den so verführerisch im Schaufenster liegenden Würsten ah und erst das Eisbein da unten auf dem Teller Herrgott, das Wasser im Munde lief einem da ordentlich vor Appetit zusammen. Sollte er oder sollte er nicht nervös fuhr der Zeigefinger in die rechte Westentasche hinein, wo noch ein Zwanziger steckte, den er sich vom heutigen Mittagessen abgeknapst hatte. Aus lauter Diensteifer hatte nämlich das biedere Männchen heute wieder einmal zur Freude des Herrn Bureauchess durchgearbeitet und somit die Mahlzeit erspart. Wenn er sich nun hiefür mit diesem prächtigen Eisbein belohnte mehr wie die zwanzig Kopeken, die er da mit dem Zeige­finger in der Westentasche hin und her schob, würde das lukullische Mahl wohl nicht kosten. Also, mal riskieren schon hielt er auch bereits die Türklinke in den Händen, als ihm gerade rechtzeitig einfiel, daß. ja noch vom gestrigen Abendbrote zu Hause ein Stück Wurst in der Kommode lag und nun heute das Eisbein dazu nein, das wäre doch wohl pure Verschwendung gewesen. Mit diesem Entschlüsse schob er den Zwanziger in die tiefste Tiefe seiner Westen­tasche zurück, indem er sich vornahm, das Geld lieber heute abend in die Möbelkaffe zu werfen. Hierbei muß der Leser ja nicht etwa auf den Gedanken kommen, daß diese sogenannte Möbelkaffe eine Sparbüchse war, deren Inhalt an irgend einem vergnügten Tage vermöbelt werden sollte, dem guten Peter Jwanowitsch würde man mit einem solchen Zweifel an seiner Solidarität bitter Unrecht tun nein, das Schrei­berlein sparte fleißig, um einstmals seinen höchsten Wunsch, ein Zimmer mit eigenen Möbeln zu besitzen, in Erfüllung gehen zu sehen.

Eiligen Schrittes kletterte er also die vier Treppen zu seiner Wohnung hinauf, händigte der gestrengen Wirtin gleich im Korridor die Miete ein und schlüpfte dann seelenvergnügt in sein Zimmer, um sich's dort nach des Tages Plage ur­gemütlich zu machen. Bedächtig zog er den alten Hausrock an, die schief getretenen Filzpantoffeln wurden unter dem Bette hervorgeangelt, und da brachte auch schon die Magd den Samowar, kochend und brodelnd, wie er mit Genug­tuung konstatierte. Also nun flugs Tee aufgebrüht. Danach schlurfte der stillvergnügte Peter zur wackeligen Kom­mode und öffnete kundiger Hand oie oberste Schublade, in­dem er mit der Messerklinge in das durch solchen stetigen Gebrauch mächtig erweiterte Schlüsselloch Hineinsuhr einen Schlüssel besaß das alte Ding nämlich schon seit dem vori­gen Jahrhundert nicht mehr und den Kasten, in dem er seine Fressalien aufbewahrte, herauszog. Ein recht muffeli­ger Geruch schlug ihm da auf die Nerven. Mißtrauisch nahm er das kleine Paket heraus, in das er den Wurstrest von gestern abend gepackt hatte, und mußte nun leider zu seinem Kittern Aerger sehen, daß da bereits ein paar kleine weiße Würmchen herumkrochen.Schafskops, das konntest Du Dir bei der Hitze denken! Schade, ich hätte alles gestern abend aufessen sollen!" Mit diesem zartfühlenden Monolog wickelte der so schnöde um sein schönes Abendbrot Geprellte die leb­hafte Wurst wieder ein und schleuderte sie ingrimmig zum Fenster hinaus. Ta hatten nach seiner Meinung doch wenigstens die Hunde noch einen fetten Bissen. Ja, ja, der gute Peter Jwanowitsch besaß leider trotz aller sonstigen Tugenden die üble Angewohnheit, alles was ihn an I Papierstücken, Bindfadenresten, Aepfelkriepsen usw. im Zimmer I genierte, den kürzesten Weg zum Fenster hinauszubefördern.

Solche Menschen soll es nämlich zuweilen geben! Aber zu seinem Lobe muß ich es nun hier gleich hinzufügen, er hatte einen großen Geist, der ihm über alle Schicksals­tückenhinweghalf. Schnell getröstet, hotte er die Salzbüchse und setzte sich mit seinem Schwarzbrot an den Tisch, um sich wieder einmal, wie es öfters aus Sparsamkett geschah, hiermit zu be­gnügen. Doch das hä­mische Schicksal gönnte ihm offenbar nicht einmal dieses frugale Abendbrot; denn schon bei den er­sten Bissen hörte er einen Höllenlärm die Treppe heraufpoltern, als ob das Haus einstürzen sollte, und starr, vor Schrecken ganz gelähmt, sah er, wie durch die aufgerissene Stubentür Soldaten hereinftürzten, ihn packten, zu Boden warfen, wie einen Mehl­sack auf den Korridor hinausschoben und ihn dann trotz -es fürchterlichsten Zeter­geschreis das er in seiner Todesangst erhob, die Treppe hinunter bis auf die Straße zerrten, wo ihnen ein inzwischen herbeigeeilter Pristaw (Polizei-Offizier) Halt gebot. Gebrochen mit schlotternden Gliedern hing das arme Schreiberlein, zwischen den nervigen Fäusten der Kosaken und ivußte nicht, ob es noch lebe oder bereits in der Hölle umgekommen sei. Tu Hund von einem Bombenwerfer," schnaubte ihn der Offizier an,haben wir Dich endlich erwischt! Na, freu Dich nur, Brüderchen, das gibt den Strick um den Hals!"

Verständnislos sta:rte der zitternde Arrestant auf den Gestrengen, indem seine Augen dem ausgestrecklen Arme des Offiziers, der auf die Bombe wies, folgte. Ta da sein Päckchen mutterseelenallein auf der Straße! Das soll eine Bombe sein ? Im Nu ging ihm hinter den Beulen, die er sich bei dem unfreiwilligen Treppenrutsche auf der Stirn geholt hatte, ein Licht auf; ehe es sich die Kosaken versahen, war er ihren Händen entschlüpft, und auf das unheilvolle Päckchen losstürzend, hob er es im vollen Ge­fühle seiner weißgewaschenen Unschuld in die Höhe, indem er mit ganzer Lungenkrast schrie :Das soll eine Bombe sein, meine stinkige Wurst ist es, die ich zum Fenster hinaus­geworfen habe!" Tableau!' Nun gab es doch eine Explosion: Eine Heiterkeitssalve nach der andern ging jetzt im Publikum los, das sich vor Lachen über das erschreckte, jetzt triumphierende Schreiberlein, sowie auch über die ver­dutzten Gesichter der Soldaten am liebsten gekollert hätte. Ein bärtiger Kosak schritt bedächtig auf Peter Jwanowitsch zu, nahm ihm die Wurst aus der Hand, roch bedächtig daran, roch roch nochmals und schnob schließlich das ganze Wurstende mit einem Ruck unter seinen kräftigen Schnurrbart hinein, schwang sich dann behend aufs Roß und sprengte seinen Kameraden nach, indem er noch zum Abschiede dem Schreiber als Dank für diesen Leckerbissen einen Knutenhieb über die Kehrseite zog. Ter aber rieb sich wehmutsvoll die schmerzende Stelle und schwur sich beim Hinaufsteigen der Treppen Stein und Bein zu, nie­mals wieder etwas zum Fenster hinauszuwerfen.

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