Schwarzwälder Sountagsdlatt.
Ein Traum, ein Traum ist unser Leben,
Auf Erden hier;
Wie Schatten auf den Wogen schweben Und schwinden wir,
Und messen unsre trägen Schritte Nach Raum und Zeit,
Und sind, und wissen's nicht, in Mitte Der Ewigkeit.
Durch Kamps zum Sirg.
Roman von G. Struder.
Mit dem Ausdrucke holder Verschämtheit stand Maria Torenno vor ihm und schaute mit bittenden, halb verschleierten Augen zu ihm auf, doch Alfred blieb auch diesen Augen gegenüber völlig kalt. Er glaubte sie in diesem Momente wieder vor sich zu sehen, wie sie in zorniger Miene die Reitpeitsche gegen ihn erhob, und jetzt deuchte der Moment ihm gekommen, um Wiedervergeltung zu üben und für jenen Schimpf sich zu rächen.
Stolz richtete er sich auf, ein trotziger, harter Zug trat um seinen Mundwinkel und in herbem Tone erwiderte er: „Ist Ihre Dankbarkeit wirklich so groß, daß Sie mir eine einfache Bitte gewähren würden?"
„Jede, die zu erfüllen in meiner Macht steht!" ries sie freudig aus, worauf er ruhig fortfuhr: „So bitte ich Sie, Gnädige, Ihren Einfluß bei der Namun geltend zu machen, damit dieselbe einwilligt, mein Weib zu werden."
Bei dieser unerwarteten Antwort wechselten sowohl die Gnädige, wie die Namun die Farbe. Ein Schauer rüttelte den starken Körper der letzteren und ein Strahl grenzenlosen Glückes leuchtete aus ihren Augen, als sie denjenigen Alfreds begegnete, dann aber wandte sie, ohne ein Wort zu erwidern, den Kopf zur Seite.
Einen ganz anderen Eindruck machte jene Aeußerung auf Maria Torenno. Ihr Antlitz wurde erdfahl, und ihre Züge verrieten eine solche bittere Enttäuschung, eine so grausame Verletzung ihrer Gefühle, daß Alfred seine Worte bereits bereute.
„Was in meinen Kräften steht, soll geschehen, damit Ihr Wunsch erfüllt werde", sprach sie mit einer Stimme, die allen Klang verloren hatte, „Sie bekommen eine wackere Frau, wenn sie auch nur eine — Dienerin ist. Und nun hilf mir aufsteigen, Namun, ich muß von hier fort."
In dem Gesichte der Namun, welches wieder seinen unerschütterlichen ernsten Ausdruck angenommen hatte, glaubte Alfred jetzt sogar einen leisen Vorwurf zu lesen, ein Umstand, der ihn noch mehr in den bereits gefaßten Entschlüssen bestärkte, seinen Fehler wieder gut zu machen. „Gnädige", sprach er, indem er dicht an sie herantrat, „wollen Sie mir nicht gestatten, daß ich Ihnen behilflich sei ..."
„Ich bitte Sie, Ihre Liebenswürdigkeiten Ihrer Braut zukommen zu lassen", unterbrach Donna Maria ihn stolz. „Komm, Namun, Du begleitest mich. Vorläufig könnt Ihr ja brieflich die näheren Bedingungen zu der Heirat miteinander abmachen."
Kein Blick wurde Alfred mehr zuteil, weder von der Herrin noch der Dienerin, die mit großen Schritten neben der ersteren einherging.
Noch lange schaute Alfred, von den aufregendsten und widerftrebendsten Gefühlen bewegt, den beiden sich entfernenden Gestalten nach, bis sein bisheriger Reisegefährte ihn aus seinen Träumen aufweckte. „Was wollen wir jetzt mit unserem Gefangenen beginnen," sagte derselbe. „Unsere Pferde sind zu müde, als daß wir heute noch den Weg nach San Jose zurücklegen könnten. Ich schlage daher vor, daß wir den Burschen, der mir gegenüber sein Verbrechen bereits eingestanden hat, nach Rosario transportieren."
„Mir ist alles einerlei, was mit dem Kerl geschieht", entgegnete Alfred in keineswegs freundlichem Tone.
Man setzte nunmehr den an beiden Händen gefesselten Räuber auf sein Pferd, welches der andere Gaucho an dem Zügel nahm, und dann stieg auch Alfred wieder in den Sattel. Nachdem er Hektar, der nach Verrichtung seiner Heldentat als ein stummer, aber aufmerksamer Beobachter der weiteren Vorgänge sich verhalten hatte, zu sich herangerufen, wurde die Rückkehr in der Richtung nach Rosario angetreten.
Sür unsere Jugend.
10. Kapitel.
Ohne ein bemerkenswertes Ereignis langte man in Rosario an, wo der Gefangene der Polizei übergeben und gleichzeitig derselben von dem Tode Enriques und des dritten Mitgliedes der Bande Meldung gemacht wurde. Aus der Stelle begab sich eine Kommission auf den Weg nach der Estanzia, um an Ort und Stelle den Tatbestand auszunehmen. Der Arzt, welcher zu derselben hinzugezogen wurde, suchte Alfred vorher in seinem Hotel auf, um sich noch einige Mitteilungen über den Verlauf des Abenteuers machen zu lasten, sowie auch, um bei dieser Gelegenheit für den weiten Ritt sich zu stärken.
Während die beiden Männer in lebhafter Unterhaltung hinter einer Flasche Wein zusammensaßen, richtete der Arzt an Alfred die Frage, ob er die Nacht über hier bleiben würde, und als die Frage bejaht wurde, meinte derselbe, so würden sie sich diesen Abend ja hoffentlich Wiedersehen und dabei noch ein Stündchen verplaudern können. Alfred, der heimlich den Wunsch hegte, bei dieser Gelegenheit auch Nachrichten über die Estanzia und deren Bewohnerinnen zu erhalten, war mit diesem Vorschläge gern einverstanden und er versprach, am Abend den Gasthof nicht zu verlassen.
Seine Zeit benutzte Alfred zunächst dazu, Herrn Hartung von der Beendigung seiner Mission schriftlich Mitteilung zu machen und dabei seine baldige Rückkehr, voraussichtlich schon am nächsten Tage, in Aussicht zu stellen. Nachdem der Brief beendigt, trug er ihn zur Post und inachte dann noch einen Spaziergang durch Rosario. Aber der langweilige Ort vermochte ihm, zumal in seiner jetzigen Gemütsfassung, nicht das geringste Interesse abzugewinnen, weshalb er schon nach kurzer Zeit in das Hotel zurückkehrte, wo er sich in sein Zimmer begab.
Von dem Wirte hatte er sich ein Buch geben lassen, um sich etwas zu zerstreuen, doch es war ihm unmöglich, seinen Geist nur aus fünf Minuten in den Inhalt des Buches zu versenken. Immer wieder traten die Ereignisse des heutigen Tages vor seine Seele. Er glaubte die Herrin vor sich zu sehen, wie sie so innig seine Verzeihung erflehte, und wie dabei in ihren Augen ganz offen ein zärtliches Gefühl zu Tage trat, welches er in brutaler Weise
Wie Engelchen und Teuselchen sich Flügel suchten.
Ein Märchen von M. M. Behrens.
Da war einmal ein Engelchen sehr vorwitzig gewesen! Es wollte so schrecklich gern wissen, was wohl hinter der großen, großen Mauer lag, die ganz weit hinten den Himmelsgarten abgrenzte. Da war's denn nun hinaufgeklettert mit großer Mühe, hatte aber nicht hinübergucken können, denn die Mauer war zu breit. Von der andern Seite aber — da lag nämlich die Hölle — hatte ein Teuselchen auch gerade einmal herüberschauen wollen und sah mit Engelchen zu gleicher Zeit oben über den Rand. Wie aber die zwei sicherblickten, erschraken sie so, daß beide rücklings hinunterpurzelten, gleich durch alle Wolken hindurch, hinunter bis auf die Erde. Da lagen sie nun!
Als sie sich beide aufgerappelt und ein bißchen besonnen hatten, wischte einer dem andern die Tränen ab, und wo Engelchens Finger wischten, wurde Teufelchens Gesicht weiß, und Teufelchens Fäustchen machten schwarze Streifen auf Engelchens Backen.
„O sieh," schluchzte Engelchen, „bei dem Plumps sind mir meine Flügelchen abgebrochen, und nun kann ich nicht wieder in den Himmel. Huhuhu!"
„Meine Hörnchen sind auch ab," sagte Teufelchen. „So darf ich auch nicht wieder nach Haus."
Weil weinen ansteckt, weinte Teufelchen zur Gesellschaft mit, lauter kleine, schwarze Bäche, denn er färbte ab.
„Ist es hübsch bei dir zu Haus?" fragte Engelchen. „Bei uns ist es so wunderschön; ich wollte, ich wäre wieder da!"
Und Engelchen schluchzte immer mehr. Teufelchen wischte ihm sein Gesicht ab — aber es wurde mehr schwarz als trocken — und sagte: „Na, weißt du, so sehr hübsch ist es nun bei uns eigentlich nicht. Ich hatte gerade einmal Zusehen wollen, ob es wohl bei Euch schöner wäre, als ich herunterfiel."
„Und ich war neugierig, wie es wohl bei euch aussah," meinte Engelchen, „und es war uns doch so streng verboten."
„Du," sprach Teuselchen ganz, ganz leise, „ist bei euch alles so hübsch und weiß, wie du und dein Kleid? Ich — ich möchte wohl mit zu euch!"
Engelchen ließ das Weinen sein und sah sich Teufelchen näher an: „Ja, ich kann aber ohne Flügel nicht nach Haus, und du bist so eklig schwarz, und fliegen kannst du auch nicht!"
Teuselchen sah sehr betrübt aus, und das tat Engelchen leid: „Vielleicht kann man dich abwaschen, du hast schon ein paar weiße Streifen an dir, und am Ende kriegen wir beide Flügel geschenkt von einem Vogel oder Schmetterling !"
„Ach, schnell!" Teuselchen sprang vor Vergnügen über diesen Gedanken auf einem Bein in die Höhe. „Laß uns das gleich versuchen, du, wir wollen schnell in den Wald gehen und fragen!"
Die beiden faßten sich an der Hand und trotteten in den nahen Wald. Gleich auf dem ersten Baum saß eine weiße Waldtaube, der sie ihr Leid klagten.
Die war sehr mitleidig, aber als sie die zwei um ein Paar abgelegte Flügel baten, lachte sie: „Ihr glaubt wohl, wir ziehen unsere Kleider einfach aus, wenn sie schlecht sind und kriegen so oft neue wie die Menschenkinder? Nein, mit dem einen Paar Flügel müssen wir unser ganzes Leben aus- kommen. Aber ich will euch einen Rat geben. Ganze Flügel kann euch kein Tier geben, aber wenn ihr recht schön bittet, kriegt ihr sicher von einigen Vögeln einzelne Federn, die sammelt ihr, bis ihr jedes zu einem Paar Flügel genug habt. Fertig machen wird sie dann euch wohl der gute, alte Einsiedler, der ganz tief im Walde wohnt. Hier, zum Anfang schenke ich Euch jedem eine Feder."
Etwas getröstet und mit vielem Dank zogen Engelchen und Teuselchen weiter. Zunächst trafen sie eine große schwarze Krähe, bei der sie schüchtern und bescheiden ihre Bitte anbrachten.
Die war aber sehr unliebsnswürdig: „Freches Kindergelichter, als ob ich meine Federn nicht selber brauchte! Aber ich will großmütig sein und dem kleinen Schwarzen da eine Feder schenken, weil er mir so hübsch ähnlich sieht!"
Aber Teuselchen dankte. Wenn Engelchen keine Feder bekam, wollte er auch keine.
Es war Abend und einsam und dunkel wurde es im Wald. Die liebe Sonne schien nicht mehr, und der Mond kam auch nicht. Engelchen, das so hell gewohnt war im strahlenden Himmelssaal, fing an zu weinen.
Teuselchen faßte es tröstend um: „Komm, ich führe dich."
Aber schließlich konnten beide nicht mehr weiter und setzten sich ins weiche Moos.
„Huhu!" schrie eine dicke Eule, die über ihnen ihm Gezweig saß. „Wen haben wir da?"
„Ach, liebe Eule, bitte, bitte, tue uns nichts, wir sind so müde!"
„Wenn ihr artig seid, will ich euch wohl nichts tun", sprach die Eule ganz freundlich und zeigte ihnen sogar noch ein besonders schönes, weiches Moosbett. Daß in der Nacht ein warmer, feiner Regen herniederging, konnte sie auch nicht ändern, und die müden Kinder merkten auch gar nichts davon. Erst als am Morgen die Sonne sie über die Bäckchen streichelte, sprangen Engelchen und Teuselchen auf.
Als sie sich ansahen, schrie Engelchen laut auf: „O Teuselchen, Teuselchen, du bist ja schon so viel Heller geworden ! Nun glaub' ich gewiß, daß wir beide wieder in den Himmel kommen!" Richtig war Teuselchen von dem nächtlichen Regen ganz hellgrau gewaschen.
Gerührt über der Kinder Freude, schenkte die Eule jedem von ihnen eine besonders schöne Feder. Zwar nicht aus ihrem eigenen Federkleid, das täte ihr zu weh, meinte sie — aber diese Federn hatten einer verstorbenen Urahne gehört, waren wegen ihrer Schönheit aufbewahrt und die Eule sagte, es iei etwas ganz Besonderes.
Fröhlich zogen Engelchen und Teuselchen weiter. Vom Finklein bekam jedes eine Feder. Dompfäsflein wollte zwar
erst nicht recht gern, mochte sich aber schließlich nicht von der Meise beschämen lassen. Die zwei Federpäcklein wuchsen, und zudem — o Glückseligkeit — wurde Teuselchen weißer und weißer, je länger die Sonne auf das feuchte, graue Bengelchen schien. Freilich, lauter Freude gabs auch nicht. Alle Vögel waren längst nicht bereit, Federn abzugeben, viele wollten auch nur eine verschenken, und weder Engelchen noch Teuselchen nahm etwas an, wenn das andre nichts bekommen sollte. Einmal gab's eine sehr große Enttäuschung. Zwei große, tote Falter lagen am Weg, und selig stürzten sich die Kinder auf die Flügel. Aber ach ! sie waren zu leicht und trugen sie nicht. Nicht ein bischen konnte man sich damit in die Höhe schwingen! Betrübt blickten Engelchen und Teuselchen sich an. Es wurde Abend, und in dieser Gegend des Waldes war kein einziges Moospolster zur Nachtruhe.
„O, guck', da ist ein Licht!" schrie Teuselchen plötzlich. „Am Ende wohnt da der gute Einsiedler." Und richtig, so war's.
Als die kleinen Wandrer bescheiden anklopften, öffnete ihnen ein alter, weißbärtiger Mann die Tür der aus Borken und Rinde gebauten Hütte und lud sie gütig ein, hereinzukommen. Der Einsiedler hatte so liebe Augen, daß beide gleich solch Zutrauen faßten, als kannten sie ihn schon lange, lange. Sie kletterten auf seine Knie und erzählten ihm ihre Erlebnisse.
„Aber sieh' mal, Einsiedler", schloß Teuselchen seinen Bericht, „diese Federn sind wohl noch nicht genug? Wir sind so schrecklich schwer, die Schmetterlingsflügel waren uns viel, viel zu klein! Und das Ende zum Himmel ist so weit!" Sehnsüchtig guckte Teuselchen durchs winzige Hüttenfenster in die Wolken.
„Möchtest du denn so gern dorthin?" fragte der Einsiedler. Teuselchen antwortete inbrünstig: „So furchtbar gern."
„Und ich auch!" rief Engelchen. „Bitte, bitte, mache uns doch Flügel!"
„Nun müßt ihr erst schlafen, Kinderlein." Der Einsiedler brachte beide Kinder zu Bett, das heißt, ins schöne, duftende Heulager. O, wie flink die zwei einschliefen ! Nicht eher wachten sie auf, bis ihnen die liebe Sonne die Näschen kitzelte, daß sie niesen mußten. Nein, aber die Freude! Jedes von ihnen hatte zwei schöne Flügel auf dem Rücken und Teuselchen war schneeweiß geworden und sah ganz so lieb und strahlend aus wie Engelchen. Der Einsiedler aber war fort.
„O, der liebe, gute, gute Einsiedler, nun können wir ihm nicht mal danken; aber vielleicht treffen wir ihn bald im Himmel wieder,, er ist ja schon so alt!" Jauchzend umfaßten sich Engelchen und Teuselchen und schwangen sich empor zu lichten Höhen. Sie wußten nicht, daß der Einsiedler der liebe Gott selber gewesen war. Der aber nimmt alle in seinen Himmel aus, die ihn darum bitten.
Auflösung des Rätsels aus voriger Nummer:
Spitze — Spritze.