In weiter Ferne erblickte Alfred jetzt von der Spitze eines Hügels aus mehrere kleine Lichter, wie von erleuchteten Fensterscheiben herrührend, als er aber gleich darauf nach links seine Augen wandte, unterschied er in dem düsteren Dämmerlichte auf der Ebene die Gestalten von vier Reitern welche in voller Karriere auf sie beide zusprengten. Zwar waren dieselben noch zu weit entfernt, als daß er ihre Um­risse deutlicher hätte erkennen können, aber soviel vermochte er doch wahrzunehmen, daß es vier kräftige und vortrefflich berittene Männer waren, die augenscheinlich in keiner guten Absicht sie zu erreichen suchten.

Jetzt heißt es vorwärts, so schnell als die Gäule laufen können", schrie Herr Hartung. Kräftig sauste die Peitsche nieder und die bereits ermüdeten Tiere rafften sich zu einer äußersten Krastanstrengung auf.

Aber auch die vier Verfolger, die von der Seite aus auf die beiden zuritten, spornten die Pferde zu rascherem Laufe an, und Alfred schien es so als kämen dieselben immer näher.

Mit einem Male zeigte sich ein leuchtender Schein am Horizonte und gleich darauf stieg dort der Mond in voller Pracht am Himmelsgewölbe empor. Seine Strahlen ver­breiteten ganz plötzlich ein Helles Licht über den Kamp, sie fielen auch auf die Gestalten der vier Reiter und ermöglichten es den Flüchtlingen, selbst deren Gesichtszüge, wenn auch nur undeutlich, zu erkennen.

Alfred hatte wiederholt seine Blicke nach den Verfolgern gewandt, um von dem Aussehen derselben und ihren Absichten sich zu überzeugen, und da unterlag es bald auch für ihn keinem Zweifel mehr, daß die elfteren, wie Herr Har­tung längst richtig erraten hatte, nur Schlim­mes gegen sie im Schilde führten. Deut­lich bemerkte er, daß drei von ihnen, allem Anscheine nach echte Gauchos, bereits die Lassos wurfbereit in der Hand hielten, wäh­rend der vierte, ein untersetzter Mann und unverkennbar der Anführer der Bande, seine Gefährten fortwährend ermunterte, schneller zu reiten. Derselbe schwang lebhaft seine Reitpeitsche in der Luft, mit der er zuweilen nach den Flüchtlingen hindeutete, wobei er so laut sprach, daß der Klang seiner Stimme bis zu den letzteren mitunter hindrang.

Wiederum sah Alfred sich nach den Ver­folgern um und aufmerksamer als je hefteten sich dabei seine Blicke auf den Anführer, als er plötzlich einen lauten Schrei der Ueberraschung ausstieß und gleichzeitig mit einem mächtigen Ruck sein Pferd zum Stehen brachte.Karamba, es ist Don Enrique!" rief er in gewaltiger Aufregung aus.Jetzt reite ich nicht weiter, vor dem Schurken fliehe ich nicht. Mag daraus entstehen, was da will, lieber will ich mutig zugrunde gehen, als daß jener Elende denkt, ich hätte mich vor ihm gefürchtet."

Um Gotteswillen, kommen Sie doch", erwiderte Herr Hartung, der ebenfalls sein Pferd angehalten, mit ängstlicher Hast.In wenigen Minuten sind wir in Sicherheit, aber kein Augenblick ist zu verlieren."

Reiten Sie nur, ich bleibe, ich kann nicht anders", versetzte Alfred mit unheimlicher Ruhe.

Wenn alles Zureden nichts hilft, so muß ich denn zum äußersten Mittel greifen, um den Folgen ihres Unverstandes vorzubeugen", sprach Hartung.

Mit einer raschen Bewegung hatte Herr Hartung dabei Alfreds Pferd an den Zügeln erfaßt und riß dasselbe herum, sodaß es wieder der Estanzia den Kops zukehrte, und dann versetzte er ihm mit der Peitsche rasch nacheinander mit voller Wucht mehrere Hiebe auf die Unterschenkel und die Beine.

Das feurige Tier schlug zuerst mehrere Male wild nach hinten aus, dann aber senkte es plötzlich den Kopf und stürmte trotz aller Anstrengungen, die Alfred machte, um es zu halten, so schnell vorwärts, daß Herr Hartung ungeachtet seines besseren Pferdes Mühe hatte, demselben beizubleiben.

Erst nach einigen Minuten gelang es Alfred sein Pferd zum Stehen zu bringen, und zu seiner Ueberraschung be­merkte er jetzt, daß sie sich dicht vor der Estanzia Hartung be­fanden. Ein kolossaler rauhhaariger Hund kam ihnen ent­gegengeeilt nnd sprang mit freudigem Gebell abwechselnd an beiden Personen empor, doch Alfred beachtete das treue Tier, das in der letzten Zeit schnelle Freundschaft mit ihm ge­schlossen, nicht in: geringsten.

Mit zornig blitzenden Augen drehte er sich im Sattel um, ob die vier Verfolger noch zu sehen, aber keine Spur war zu erblicken. Sie hatten jedenfalls Kehrt gemacht und waren hinter einem Hügel verschwunden.

Das war ein schlimmer Streich, den Sie mir gespielt haben, Herr Hartung", sprach er, mühsam Atem holend mit vor Aufregung bebender Stimme.Sie haben mich entehrt vor jenem Buben, der kein anderer war, als mein grimmigster Feind, der frühere Hausmeister der Estanzia Durazno."

Um so dankbarer sollten Sie mir dafür sein, daß ich Sie vor dem Schicksal errettete, demselben in die Hände zu fallen", entgegnete der alte Herr ernst.Denn nach dem, was Sie mir von jenem Menschen erzählten, wäre in diesem

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Ihr Leben ganz sicher verloren gewesen, ganz abgesehen von der sonstigen schmählichen Behandlung, die er Ihnen hätte angedeihen lassen. Dort aber zu fliehen, wo Flucht die einzige mögliche Rettung vor einer drohenden Gefahr bieten kann, das ist ebenso wenig Feigheit, wie es kein Beweis von bewunderungswürdigem Mute ist, wenn man mit dem Kopfe gegen eine Windmühle anrennt. Und nun wollen wir ab- steigen und auf den gehabten Schrecken uns mit Speise und Trank erquicken. Dort kommt bereits Antoni uns entgegen. Das Gebell des treuen Hektar hat ihm unsere Ankunft ver­raten.

Die Estanzia des Herrn Hartung konnte sich hinsichtlich ihres Wertes und Reichtums mit der Estanzia Durazno in keiner Weise vergleichen. Weder besaß das zu derselben ge­hörige Grundgebiet den Umfang der letzteren, noch war die Zahl des Viehes eine nur annähernde so kolossale, noch auch wiesen die auf ihr befindlichen Gebäulichkeiten die grandiosen Proportionen und den Luxus in der Bauart, so­wie in der Ausstattung der einzelnen Zimmer auf, w.elche Alfred auf jener so sehr bewundert hatte.

Was aber der Estanzia Hartung an Pracht und Groß­artigkeit abging, das wurde in den Augen Alfreds ersetzt durch die musterhafte auf ihr herrschende Ordnung und die echt deutsche, so freundliche und behagliche Einrichtung in allen Wohnräumen und in der Umgebung des Verwaltungs­sitzes.

Herr Hartung war ein großer Freund von Gartenbau, speziell von Obst- nnd Gemüsezucht. In dem umfangreichen Garten, welcher an dem Hauptgebäude sich anlehnte, standen prächtige Obstbäume, voll von den schönsten europäischen Früchten, wie Pfirsiche, Aprikosen, Birnen, Aepfel und Pflaumen : in den zahlreichen Gemüsebeeten zog er mit großer Sorgfalt die feinsten Gemüse, wie sie selbst auf der sonst so vorzüglich bestellten Tafel in Durazno niemals erschienen waren, und an den den Garten ringsumgebenden Wänden entlang endlich hatte er überall Weinstöcke angepflanzt, von deren Zweigen kolossale goldgelbe und blauschwarze Trauben herabhingen.

Am Ende des Gartens war eine mit wildem Wein dicht überzogene Laube errichtet, in welcher Herr Hartung sich mit besonderer Vorliebe aufzuhalten pflegte, um von dort aus seine Augen an dem Anblicke des wohlgepflegten Ter­rains laben zu können. Hier wurde auch das erste Früh­stück, aus Tee, Brot und kaltem Fleisch bestehend ein­nommen, und in dieser Laube finden wir auch am Morgen, nach dem im vorigen Kapitel erzählten Ereignisse Herrn Hartung und seinen Verwalter, wie Alfred von ihm genannt wurde, vor dem Frühstückstische beisammen.

Alfred sah aus, als hätte er eine sehr schlechte Nacht verlebt. Ein müder, abgespannter Ausdruck lag auf seinem Antlitze, und teilnahmslos schaute er vor sich hin und hin­aus auf den üppig blühenden Garten.

Auch Herr Hartung war nicht so mitteilsam wie sonst. Seine Miene war ernst und schweigend, wenn auch

mit ungeschmälertem Appetit, verzehrte er sein Frühstück. Endlich jedoch schob er den Teller zurück, wischte sich sorg­fältig den Mund mit seiner Serviette ab und sagte:Diesen Morgen habe ich eine Mitteilung erhalten, die zu unserem gestrigen Abenteuer in einer gewissen Beziehung steht. Ein Freund in San Jose schreibt mir nämlich, ich solle von jetzt an stets die größte Wachsamkeit und Vorsicht auf meiner Estanzia walten lassen, da auf dem hiesigen Kamp eine Räuberbande ihr Unwesen treibe. Zahlreiches Vieh sei in den letzten Tagen gestohlen worden, und gestern habe man sogar zwischen Rosario und San Jose einen wohlhabenden Almazenero (Krämer) ermordet und völlig ausgeraubt vor­gefunden. Die Polizei in San Jose und Rosario sei alar­miert, aber dieselbe sei viel zu schwach, um mit Erfolg gegen die Räuber Vorgehen zu können, und bis zum Eintreffen von Verstärkungen aus Montevideo tue daher jeder Kanrpmann sehr wohl daran, wenn er vor jener Bande ängstlich auf seiner Hut sei. Ich meine nun, daß wir gestern abend dieser Bande in den Weg gelaufen und nur mit knapper Not einer schweren Gefahr für Leben und Eigentum entronnen sind. Ist das nicht auch Ihre Ansichl, Herr Rehardt? Aus Ihren Mitteilungen über jenen Don Enrique muß ich schließen, daß derselbe alle zu einem Räuberhauptmanne er­forderlichen Eigenschaften besitzt, und sein Verhalten gestern abend zwingt mich zur Annahme, daß er ein solcher bereits geworden ist."

Alfred hatte mit immer größerer Span­nung den Worten des Estanziero gelauscht. Eine tiefe Erregung, wie durch einen plötz­lichen Gedanken hervorgerufen, drückte sich auf seinem Gesichte aus, und kaum war Herr Hartung mit seiner Erzählung zu Ende, als er auffprang und dabei ausrief:Ja, Sie haben Recht, vollkommen Recht, Herr Hartung, und ich weiß jetzt auch, was mir zu tun obliegt. Heute noch reite ich nach San Jose und stelle mich dort der Polizei so lange zur Verfügung, bis jener Schurke un­schädlich gemacht ist."

Wie, unter den gegenwärtigen Verhält­nissen wollen Sie mich verlassen?" versetzte Herr Hartung bestürzt, doch in dem Tone unerschütterlicher Entschlossenheit erwiderte Alfred:Ja ich muß von hier fort, eine innere Stimme befiehlt es mir. Sie haben nichts zu befürchten, denn Sie können stets zehn oder zwölf Knechte um sich haben, und außerdem werde ich alles ausbieten, um so viel wie möglich in Ihrer Nähe sein zu kön­nen. Ich brenne vor Begierde, mit diesem Mordbuben nochmals zusammenzutreffen und ich fühle es jetzt schon, der Gedanke an diesen Kampf und die hierdurch erzeugte Aufregung wird wohltätig auf mich einwirken, sie wird auf eine Zeitlang wenigstens mich dasjenige vergessen machen, was ich in der letzten Zeit erduldet habe. Halten Sie mich daher nicht für undankbar oder rücksichtslos, wenn ich gerade jetzt von Ihnen scheide, und zürnen Sie mir dieserhalb nicht, denn bei Gott, ich kann nicht anders handeln."

In der Erregung, welche ihn erfaßt hatte, ergriff Alfred die Hand des biederen Herrn, der seinen Händedruck aufs herzlichste er­widerte:Ich sehe, es wäre zwecklos",

entgegnete er dann mit unverkennbarer Be­wegung in seiner Stimme,Sie hier zurück­halten zu wollen. Sie haben Ihren Entschluß gefaßt, und ich vermag an demselben nichts zu ändern. Nur wünsche ich, daß Sie nicht ähnliche oder noch schlimmere Erfahrungen ma­chen, als das erstemal, als Sie gegen meine ausdrückliche Warnung Ihren eigenen Willen durchsetzten. Mögen Sie glücklich alle Gefahren überstehen, welche Ihnen drohen, sollte es Ihnen aber bei Ausübung Ihres neuen Berufes jemals an irgend etwas fehlen, so er­innern Sie sich des alten Hartung, der Sie gern hat wie seinen Sohn, und der in Ihnen schon jemand gefunden zu haben glaubte, welcher später dafür sorgen würde, daß die Estanzia Hartung nach dem Tode ihres jetzigen Eigentümers immer kräftiger und blühender sich entwickelte. Als ein An­denken von mir sollen Sie aber das Beste mitnehmen, was ich Ihnen geben kann. Sie sollen mein Pferd haben, welches gestern von mir geritten wurde, und auf welchem im Falle der Not sogleich niemand Sie einholen wird."

Tiefgerührt durch so viel Güte und Teilnahme bedankte sich Alfred in den wärmsten Ausdrücken für dieses wertvolle Geschenk, worauf er sein Zimmer aufsuchte, um sich reise­fertig zu machen.

Von dem auf Durazno verdienten Gelde hatte er sich inzwischen eine neue enganschließende Reithose, sowie hohe Reitstiefel und ein leichtes, für das Kampleben besonders geeignetes Wams angeschafft, und diese Gegenstände zog er­setzt an. In den breiten Ledergürtel unter dem offenen Wamse steckte er ein scharf geschliffenes Kampmesser, sowie einen Revolver, setzte einen ebenfalls neuen breiträndigen Filzhut auf, und dann trug er die unentbehrlichsten, meinen Sack zusammengepackten Wäschegegenstände hinaus ins Freie, um dieselben dem ihm von Herrn Hartung geschenkten und von einem Knechte bereits vorgeführen Pferde auf den Rücken zu binden. (Fortsetzung folgt.)

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