Der große Mann geht seiner Zeit voraus,
Der Kluge geht mit ihr auf allen Wegen,
Der Schlaukopf beutet sie gehörig aus,
Der Dummkopf stellt sich ihr entgegen.
Durch Kampf Mn Sieg.
Roman von G. Struder.
Fortsetzung.
Die beiden Männer schüttelten sich kräftig die Hand, wie zur Bekräftigung dieser Worte, und nunmehr entgegnete der ältere von ihnen: „Das war wacker und mannhaft gesprochen, mein lieber Freund. Nach meiner Ansicht ist Ihre Ehre überhaupt nicht geschädigt worden, denn jemand, den ich wegen seiner Handlungen nicht zur Rechenschaft ziehen kann, der kann auch meiner Ehre wirklich nicht zu nahe treten. Andernfalls müßte ja auch dieser Gaul meine Ehre beschimpfen können, wenn er in seinem Zorne ausschlägt und mir einen Tritt versetzt. Doch sprechen wir überhaupt nicht mehr von jenem Vorfälle und reden wir lieber von etwas anderem, was Sie aufzuheitern imstande ist. Schon vorhin erwähnte ich, daß es genug schöne und auch reiche Mädchen in der Nähe gibt, welche einem so stattlichen Alaune, wie Ihnen, gern ihre Hand reichen würden. Was meinen Sie, wenn Sie einmal unter den Töchtern des Landes sich Umsehen! Wie denken Sie zum Beispiel über die mutwillige Juanita, das einzige Töchterchen des Wirtes „Zur Stadt Montevideo", wo wir heute zu Mittag speisten? Sie ist ein allerliebstes, heiteres und gutherziges Mädchen, und ich habe deutlick gesehen, wie sie mehrere Male verstohlen mit unverkennbarem Interesse ihre Blicke auf Ihnen ruhen ließ."
„Vor der Hand ist mir jeder Gedanke an Liebe vergangen", bemerkte Alfred schwermütig, wobei er zu lächeln versuchte. „Außerdem aber würde, wenn einmal mein Herz nach einem Weibe, nach einer Gefährtin für das Leben Sehnsucht empfinden sollte, vor allen anderen diejenige Anspruch auf meine Neigung haben, der ich so viel zu verdanken habe, indem sie mir nicht nur zweimal das Leben rettete, sondern auch stets mit ebenso herzlichem wie aufrichtigem Wohlwollen gegen mich sich benahm.
„Wie, Sie reden doch nicht etwa von jener Indianerin, der Namun, wie Sie dieselbe nannten?" ries Herr Hartung betroffen aus, doch ruhig fuhr Alfred fort: „Allerdings rede ich von der Namun, und zwar in vollem Ernste. Von Liebe, was man unter dieser Bezeichnung gewöhnlich versteht, war zwischen uns — wenigstens auf meiner Seite — nie die Rede, aber ich habe das unerschrockene und wackere Mädchen stets gut leiden können. Mag sie nun wegen ihrer Abstammung als eine Art tiefer stehenden Wesens betrachtet werden, so steht sie in meinen Augen um so höher wegen der Hochherzigkeit ihrer Gesinnung und des Adels ihres Charakters, und schon mehrere Male habe ich in der letzten Zeit darüber nachgedacht, ob nicht, wenn ich zur Be-
Wer in die Dornen greift, Verwundet sich die Hand; Was dir nicht schaden soll, Prüf' vorher mit Verstand.
Die Tierdudr.
Von Onkel Otto.
Otto hatte zum Geburtstag eine Schachtel mit geschnitzten Tieren bekonimen, die schön bunt bemalt und obendrein noch glänzend lackiert waren. Da gab es schön gestreifte Zebras, gefleckte Giraffen, semmelgelbe Löwen, braune Tiger, Büffel, Bären und Wölfe zu sehen. Auch ein mächtig großes Rhinozeros, ein weißer Eisbär, ein grauer Elefant mit rot-gelbem Sattel und Vogel Strauß fehlten nicht. Mußte eine solche Menagerie den Knaben nicht entzücken?
Doch dies war noch nicht alles. Außer diesen Tieren hatte Otto noch eine Hürde sowie ein aufstellbares Menageriezelt aus schön bemalter Pappe mitbekommen, worin er die wilden Bestieen unterbrachte. Mehrere Male des Tags stand er vor diesem Zelt und rief:
„Kommen Sie herein, meine Herrschaften, jetzt eben beginnt die Fütterung sämtlicher Raubtiere! Erster Platz kostet gar nichts, zweiter Platz noch weniger und dritter Platz erst recht nichts; Kinder zahlen die Hälfte. „Tut! Tut! Tut!
Dann nahm er eine Klingel und läutete. Alsdann wurden sämtliche Tiere einem geehrten Publikum vorgestellt, wobei immer bezüglich Lob und Tadel der Elefant am besten, das Rhinozeros aber am schlechtesten wegkam. Denn dieses ungeschlachte Tier, das wie ein Ochsenfrosch dasaß, konnte der kleine Otto nicht leiden; lieber waren ihm da noch die gefräßigen Löwen und Tiger, die so niedlich die Zähne fletschten.
Die Eltern und Geschwister hatten ihre Freude daran, als sie sahen, wie emsig sich Otto mit der Tierbude beschäftigte; nur wenn er immer von neuem den Ausrufer machte, hielten sie sich die Ohren zu und riefen: „Nun aber sei still,
Gchwarzwälder Dor»«tagsblatt.
lohnung für ihre Aufopferung meine Hand ihr reichte, ich
derjenige wäre, welcher den schönsten Lohn für eine solche Handlungsweise fände."
Herr Hartung hatte vor Erstaunen beinahe die Reitpeitsche aus der Hand fallen lassen. „Wenn ich nicht wüßte, wie wenig Sie zum Scherzen aufgelegt sind, so müßte ich glauben, Sie versuchten mit mir einen schlechten Spaß. Können Sie denn im Ernste daran denken, ein braunes Mädchen, eine Indianerin, zu Ihrer Gattin zu erheben, denn um eine vorübergehende Liebschaft mit ihr anzuknüpfen, dafür halte ich Sie doch zu ehrenhaft — und haben Sie sich auch die Folgen überlegt, welche für Sie entstehen müssen, wenn es hieße, der weiße Herr Rehardt hat sich so tief herabgewürdigt, daß er eine arme Indianerin heiratete?"
„So weit sind wir vorläufig noch nicht", sprach Alfred gelaffen, „wenn ich aber einmal mich fest zu jenem Schritte entschließen würde, so wäre der Gedanke an das, was die Welt am Ende über mich denken könnte, meine geringste Sorge. Ter Welt liegt ja nichts daran, wenn einer arm und unglücklich wird und mehr als töricht wäre es daher, wenn ein solcher beklagenswerter Mensch, sobald die Gelegenheit ihm sich bietet, sich selbst und einen anderen zu beglücken, dieses Glück dem Urteile der herzlosen Menge unterordnen wollte. Glauben Sie ja nicht, daß ich etwa eine heftige Leidenschaft zu dem Jndianermädchen gefaßt habe, obwohl die unstreitbare, wenn auch etwas wilde und eigentümliche Schönheit der Namun ein derartiges Gefühl wohl erklärlich machen könnte.
Auf diese in erregtem Tone gesprochenen Worte erwiderte Herr Hartung nichts. Nachdenklich schaute er vor sich hin, mit einem Male fuhr er aus seinem Brüten auf und sagte: „Wir haben noch zwei Leguas bis zu meiner Estanzia zurückzulegen, und ich schlage vor, daß wir wieder Galopp reiten, damit wir nicht zu spät eintreffen."
„Dasselbe wollte ich Ihnen soeben vorschlagen", entgegnete Alfred kurz, und nunmehr ging die Reise in flottem Galopp weiter.
Die Nacht war inzwischen während der eifrigen Unterhaltung der beiden Männer hereingebrochen, und der vorhin noch gelblich-grüne Kamp hatte ein grauschwarzes, bleifarbiges Aussehen erhalten. Der Mond war noch nicht aufgegangen, und die Sterne am Himmel zeigten einer: auffallend matten Glanz, so daß die Ebene in ein trübes Dämmerlicht gehüllt war, welches höchstens auf zweihundert Schritte das Erkennen eines Gegenstandes ermöglichte.
Alles war totenstill in der Runde. Das einzige Geräusch verursachte das Aufstampfen der Rosse auf dem harten Kampboden, sonst ließ sich nicht der leiseste Laut in dieser düsteren Umgebung vernehmen.
Etwa eine viertel Stunde waren beide schweigend über den Kamp dahingaloppiert, als plötzlich Herr Hartung sein Pferd zum Stehen brachte und dabei Alfred aufforderte, ein gleiches zu tun. „Stille, stille," sprach er alsdann leise, „ich meine ein Geräusch wie von mehreren Reitern gehört zu haben, und das kommt mir verdächtig vor. Wir sind bereits auf meinem Grund und Boden angelangt, aus dem um diese Zeit niemand etwas zu suchen hat."
Beide horchten aufmerksam, und nun unterschied auch
wir haben's ja schon ein dutzend Mal gehört; dies Geschrei ist ja zum Ausderhautfahren!"
Otto freilich war anderer Ansicht. Denn nach seiner Meinung brachte der Tumult erst den rechten Effekt in die Geschichte, umsomehr, als sich seine Bestien so mäuschenstill verhielten, rvas eigentlich ganz unschicklich war.
Als der Abend kam und Otto zu Bett gehen sollte, fragte er seine Mutter, ob sie es ihm erlaube, seine Vergesellschaft mit ins Schlafzimmer nehmen zu dürfen.
Doch die Mutter schüttelte den Kopf.
„Nein, mein Sohn," sagte sie, „das wollen wir lieber bleiben lassen, denn solch wilde Bestien .gehören nicht ins Schlafzimmer! Schließlich würden sie dich dann über Nacht auffressen, und wir hätten kein Ottchen mehr. Dagegen erlaube ich dir, die Menagerietiere in der Wohnstube vor der Schwelle des Schlafzimmers aufzuftellen, damit du deine Lieblinge, solange wir noch auf sind und die Lampe brennt, durch die geöffnete Tür betrachten kannst."
Otto war damit zufrieden und baute vor der Tür des Schlafzimmers eine förmliche Karawane der verschiedenartigsten Tiere auf. Dann umarmte er sein Mütterchen, gab ihr einen Gutenachtkuß und ließ sich ausziehen. Bald lag er im warmen Federbett, sagte sein Gebet und schaute dann seelenvergnügt hinüber ins Wohnzimmer, wo sich sein Spielzeug befand . , . O wie reizend es doch war, eine solche bunte Tiergesellschaft zu besitzen . . .
Doch — wie sonderbar! Der Elefant, der dem Zuge voranschritt, schien sich zu bewegen; seine runzelige Haut wurde glatt, und er schwoll auf wie ein Luftballon, der mit Gas gefüllt wird. Hei, wie er den Kopf nach links und rechts bog und mit dem langen Rüffel baumelte!
Aber auch die anderen Tiere bewegten sich und wurden zusehend größer. Der Bär tanzte auf den Hinterbeinen, und Vogel Strauß versteckte den Kopf in den Falten des Türvorhangs. Und nun sperrte gar das plumpe Rhinozeros sein großes Maul auf, um zu gähnen. Otto lachte. „Na
Alfred ein dumpfes Geräusch, welches aus weiter Ferne zu ihm zu dringen schien. „Halten Sie einen Augenblick die Zügel meines Pferdes", fuhr der erstere hastig fort, worauf er mit großer Gewandtheit aus dem Sattel sprang und dann sein Ohr dicht gegen den Kampboden hielt.
Gleich darauf erhob er sich wieder und schwang sich eilig auf sein Pferd. „Es find vier Reiter", flüsterte er erregt, „die aller Wahrscheinlichkeit nach nichts Gutes im Schilde führen. Entweder wollen sie Pferde stehlen oder sie haben noch schlimmeres vor. In jedem Falle werden dieselben gut bewaffnet sein, und da tun wir am besten, wenn wir dafür sorgen, daß wir sobald wie möglich zwischen unsere sicheren vier Wände kommen."
„Wie, zwei bewaffnete Männer wie wir sollten die Flucht ergreifen, wo Ihr Eigentum gestohlen werden soll?" rief Alfred entrüstet aus. „ Nie und nimmer soll dies von meiner Seite geschehen, lieber biete ich allein den Hallunken die Stirn."
„Klugheit und Courage sind zrvei ganz verschiedene Dinge", versetzte Hartung, „und wenn ich auch eben so stark und rüstig wie Sie wäre, so vermöchten wir beide dennoch gegen vier Räuber nrit der größten Tapferkeit nichts auszurichten. Denn gesetzt selbst den Fall, daß jeder von uns einen der Schurken niederschießen würde, was bei dieser Dunkelheit doch immer eine sehr zweifelhafte Sache ist, so würden doch im nächsten Moment die beiden anderen uns mit ihren Lassos oder auch mit ihren Messern kampfunfähig gemacht haben."
„Ich kann nicht fliehen, es kommt mir gar zu schmählich vor", wiederholte Alfred, dessen Augen kampfcslustig aufleuchteten, doch nun verlegte Hartung sich aufs Bitten.
„Auch ich bin kein Feigling", sagte er, „aber ich besitze Erfahrung und weiß, daß es frevelhaft und töricht ist, da sein Leben aufs Spiel zu setzen, wo nicht die geringste Aussicht auf einen Sieg sich zeigt. Ich werde mich daher zu retten suchen, wollen Sie aber bleiben und einen alten Mann, der Sie stets in Ihrem Unglücke zu trösten gesucht und wie ein väterlicher Freund Ihnen zur Seite gestanden hat, seinem Schicksale überlassen, so tun Sie dies nur und machen Sie ein solches Verhalten mit Ihrem Gewissen ab. Ich dagegen reite."
Einen Augenblick zauderte Alfred noch, als er aber die bittende Miene des alten Herrn bemerkte, schüttelte er zornig mit denr Kopfe und sagte dann in keineswegs freundlichem Tone: „Nun gut, ich folge Ihnen."
Herr Hartung versetzte seinem Pferde einen kräftigen Hieb mit der Peitsche und schnell wie der Wind stürmten die beiden Reiter über die Ebene dahin.
Alfred vernahm jetzt über dem Husschlage ihrer Pferde nicht das geringste mehr von jenem fernen Pferdegetrappel und schon dachte er, daß sie längst außer dem Bereiche der ihnen drohenden Gefahr seien, als ein Blick auf seinen Gefährten ihn eines anderen belehrte. Das Gesicht des erfahrenen Kampmannes, der fortwährend, um besser zu hören, die eine Hand an das linke Ohr hielt, hatte einen immer besorgteren Ausdruck angenommen und plötzlich rief er aus: „Sie sind keine dreihundert Schritte mehr von uns, aber Gottlob, die Estanzia ist auck bereits in Sicht!"
aber!" rief er, „ich werde gleich aus dem Bette steigen und dir einen Klaps geben! Weißt du denn noch nicht, du ungeschlachte Bestie, daß man sich hübsch die Hand vor den Mund oder die Tatze vor den Rachen hält?"
Bald aber wurde die Geschichte ernster. Die Raubtiere rvurden so groß wie kleine Möpse und marschierten im langen Zuge ins Schlafzimmer. Unter ihren Tritten erbebten die Wände, und wenn eins zu brüllen versuchte, was ganz schrecklich klang, zitterten die Fensterscheiben.
Ottchen verkroch sich etivas tiefer in die Federn und dachte so sür sich: Das ist ja eine nette Bescherung! Kommen die schrecklichen Bestien so mir nichts dir nichts vor mein Bett, um sich im Halbkreis vor mir aufzustellen und mich anzustieren. Was soll da werden?
Doch auf einmal fühlte Otto etwas Warmes am Bein, und als er den Kopf wendete, sah er, wie eben der Elefant den Rüffel unter die Bettdecke schob. Aber jetzt kam auch schon die Giraffe und zupfte am Bettzipfel. Und jetzt streckte gar Vogel Strauß den Kopf zwischen die warmen Betten.
„Bitte zurück!" rief Otto, „das Bett gehört mir; legt euch, wenn ihr schlafen wollt, meinetwegen auf die Diele!
Doch die Tiere taten, als hörten sie nichts, und fuhren fort, in Ottos Bett einen passenden Eingang zu suchen. Da setzte auch schon der Tiger zum Sprunge an, und schwupp! — krallte er seine Tatzen in den weißen Ueberzug der Bettdecke. Gleichzeitig brüllte der Löwe, grunzte der Bär und knurrte der Büffel, während das Rhinozeros zum zweiten Male gähnte und dabei das Maul aufsperrte, als wolle es Otto samt dem ganzen Bett verschlucken.
Schon begann dem Knaben ein wenig ängstlich zu werden, als es einen lauten Krach gab und — Otto erwachte.
Da sah er nun, daß die Morgensonne ins Stübchen schien und die kleinen Holztiere genau so vor der Türschwelle standen, wie er sie am Abend zuvor hingestellt hatte. Lachend sprang er aus dem Bette und rief: ,O wie dumm war ich doch, daß ich mich fürchtete'"