Erscheint Dienstag, Donnerstag, SamStag und Sonntag «it der GratiS-Beilage »Der Sonnlags- Gast."
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Donnerstag, 31. August
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1899.
Wom Kriegsgericht in Kermes.
* Rennes, 28. August. Paras-Jval, ein Schreibverständiger sucht die Theorien des Bertillon zu widerlegen und weist ihm nach, daß er total willkürlich verfahren ist; wo die Maße nicht stimmten, da fälschte er sie ruhig; wo Züge, die sich decken sollten, sich nicht deckten, da verschob er sie von ihrer Stelle oder änderte ihre Form. Im Grund hat Bertillon wohl längst erkannt, daß sein System falsch ist. Etwas hält ihn aber ab, eS einzugestehen: Die Eigenliebe. — Auch der Marine-Jngenieur Bernard weift nach, daß die Grundvoraussetzungen Bertillon-, das Bordereau sei künstlich angesertigt, falsch sei, damit falle dar ganze System über den Haufen. — TeysonniereS, einer von dem Kleeblatt, das das Begleitschreiben DreysuS zuschrieb und Zola im Prozeß 30000 FrS. Geldbuße abnahm, weil er sie als Lügner und Betrüger im Dienste des Generalstabes geschildert hatte, hält seine Aussage aufrecht, wird aber von dem Richter BeauvaiS sehr in die Enge getrieben. Dieser hält ihm dar Bordereau und Esterhazy'sche Schriften vor und zwingt ihn zum Geständnis, daß beide große Aehnlich- keit haben. Der Sachverständige Caravay ist von seinem früheren Irrtum zurückgekommen. Er hat eben früher die Esterhazy'sche Schrift nicht gesehen. Seither hat er die Ueberzeugung gewonnen, daß Esterhazy da-Begleitschreiben geschrieben hat und nicht DreysuS. Couard, will sich den Kopf abhauen lassen, wenn Esterhazy das Bordereau geschrieben hat. (Heiterkeit.) Was DreysuS betreffe, so spreche er sich nicht aus. Schristkenner Varinard bleibt gleichfalls dabei, daß Esterhazy das Begleitschreiben nicht geschrieben haben könne. Mit der Vernehmung dieser Biedermänner ist die Sitzung beendigt. Der Kommandant Carriere beantragt, daß der Präsident eine Vernehmungskommission an da- Kriegsgericht in Paris erlasse, um die Zeugenaussage de- Oberst Du Paty de Clam zu erhalten. Der Präsident stimmt zu.
* Renne-, 29. August. Oberstleutnant Cordier, früherer Mitarbeiter des Nachrichtenbureaus, ist heute der erste Zeuge. Er kommt in Civil. Cordier bespricht verschiedene Fälle des Verrats militärischer Geheimnisse, die im Gcneral- stab stattfanden. Cordier ist sicher, daß an keinem einzigen drefer Verrätereien DreysuS schuldig ist. Sandherr hat olle Fälle untersucht und nicht« gegen DreysuS gefunden, was schon daraus hervorgeht, daß er von der damals gegen DreyfuS schwebenden Untersuchung keine Mitteilung gemacht hat. Man hat unter anderem vom Verrat artilleristischer Geheimnisse gesprochen; dieser wurde von einem damals verhafteten Feuerwerker begangen. Der Feuerwerker war rin deutscher Spion; seltsamer Weise aber merkten die deutschen Auftraggeber nicht, daß ihr Korrespondent verhaftet wurde. Der französische Gcneralstab also fing Briefe auf, die an den Spion kamen, und beantwortete sie. So haben wir, sagt Cordirr, den Herren aus der anderen Seite (Heiterkeit) falsche Zeichnungen von Granaten geschickt. Vielleicht hat man diese falschen Zeichnungen später als Verrat de- DreysuS aufgrfaßt. — Cordier bespricht dann die anderen Indiskretionen, darunter eine ganz ungeheuerliche, die die Artillerie und sogar das Marineminister,um betrafen. Damals, erzählt er, wurde uns gesagt, der Verräter sei ein Mann von 45 Jahren, der die Ehrenlegion trage. Cordier ruft, aus DreyfuS zeigend, aus: Dieses Signalement paßt doch nicht auf DreyfuS! (Bewegung.) Wohl aber paßt es auf einen gewissen Herrn, den man nicht mehr in Untersuchung ziehen und verurteilen kann. Cordier erzählt nun, wie man nach der Verhaftung des DreyfuS Nachrichten über DreyfuS eingezogen in Frankreich und in Mülhausen. Die elfteren Informationen waren so schlimm als möglich. Man meldete, DreyfuS sei ein Spieler und Weiberjäger. Je weiter di« Untersuchung vorrückte, um so besser wurden die Informationen über DreyfuS. Es stellte sich heraus, daß mehrere DreyfuS spielten; Niemand aber konnte sagen, daß der Hauptmann DreyfuS darunter war. Was seine Beziehungen zu Frauen anlangt, so liefen die Informationen darauf hinaus, daß DreyfuS im Augenblick seiner Verheiratung nicht berechtigt war, den Jungfernkranz zu tragen. (Stürmische Heiterkeit.) Man erfuhr aber auch, daß DreyfuS nach seiner Verheiratung ein solider Ehemann geworden ist. Alles andere, was gegen DreyfuS vorgebracht wurde, bestand in Redereien seiner Kameraden. Meine Zweifel an der Schuld DreyfuS begannen, als ich erfuhr, daß man im Prozeß dar Bordereau, von dem ich wußte, daß eS im September eingetroffen lst, au- dem April datierte, und als ich die infame Kampagne sah, die später gegen Picquart geführt wurde, welchen ich als einen absoluten Ehrenmann kenne. Ich habe an die Schuld DreysuS geglaubt; jetzt glaube ich entschieden an seine Unschuld. (Bewegung.) Freilich, nach seiner Verurteilung waren wir alle beruhigt. Der Unglückliche auf
seiner Insel glaubte, alle Welt im Ministerium beschäftigte sich mit seiner Rehabilitierung; in Wirklichkeit dachte kein Mensch an ihn. (Bewegung.) — Major Lauth bestreitet in der Aussage Cordier- mehrere Punkte von nebensächlichem Interesse. Unter anderem sagt er auch, der Oberst Cordier sei Antisemit gewesen, habe mit Eifer die „Libre Parole" und den „Jntransigeant" gelesen und habe einmal geäußert: „Wir brauchen keine Juden im Generalstab!" Cordier antwortet : Dar ist vollkommen richtig. Ich war Antisemit, aber ich bin ein ehrlicher Mann und niemals werde ich falsche Zeugenaussagen gegen einen Juden machen und werde einen Juden niemals eine- Verbrechens beschuldigen, weil er ein Jude ist! (Große Bewegung und Beifall.)
— Als nächster Zeuge erscheint der ehemalige Kriegsminister v. Freycinet. Er sagt, er sei ein dem Tode naher Greis und wünsche, daß wieder Friede in Frankreich werde. (Bewegung.) Er kenn« kein Faktum, woraus hervorgehe, daß ausländisches Geld für die Revisionskampagne verwandt wurde. Freycinet sagt ferner, die Kampagne zu Gunsten DreyfuS' habe in Frankreich keine eigennützigen Motive, wohl aber im Auslande. Der Präsident fragt Cordier, was er als Freund SandherrS von dem Bestechungsversuch wisse, den die Brüder DreysuS bei Sandherr unternommen haben sollen. Cordier teilt mit, Sandherr habe mit ihm von diesem Besuch ausführlich gesprochen, habe auck über Belästigung geklagt, habe aber mit keinem Wort erwähnt, daß ihm Geld ange- Koten worden sei. Hier interveniert Plötzlich zur allgemeinen Verblüffung General Mercier. Er erbittet das Wort und sagt: Ich schließe mich vollständig den Worten des Obersten Cordier an. Ich habe Sandherr nach Besuch der Brüder DreyfuS gesehen; er hat mir gesagt : Matthieu DreysuS habe ihm den Eindruck eines wackern Mannes gemacht. Dieses Eingreifen MercierS in einem der Verteidigung günstigen Smne ruft eine wahre Sensation hervor. Es scheint, daß nach den Erlebnissen der letzten Tage sogar das Gewissen des Generals Mercier sich zu rühren beginnt.
— Ein Mitglied des Kriegsgerichts fragt Freycinet, ob er eine persönliche Ansicht über die gegen DreyfuS schwebende Anklage habe. Freycinet antwortet, er habe keine. — Labori fragt: Kennt Herr von Freycinet eine That- sache, welche ihm erlaubt, anzunehmen, daß ausländisches Geld im RevisionSprozeffe eine Rolle spielte? Freycinet (mit Bestimmtheit): Nein! Der Präsident wiederholt: Kennen Sie kein besondere- Faktum? keine Geldsendung? Freycinet: Nein! Labori bittet den Präsidenten, den Senator Freycinet zu fragen, was er von den Bestechungs- Anschuldigungen denke, die eine gewisse Presse gegen Scheurer- Kestner, Trarieux, Ranc, Brisson, die Mitglieder des Kas- sationshofeS rc. erhoben hat. Der Präsident weigert sich, diese Frage zu stellen. (Bewegung.) Labori bittet dringend, diese Frage wenigstens in Bezug aus Scheurer-Kestner zu erlauben. Der Präsident bleibt bei seiner Weigerung; die Loyalität Scheurer-KestnerS stehe hier nicht in Frage. Labori ringt noch einige Zeit vergeblich gegen den Präsidenten ; plötzlich erklärt Freycinet ungefragt: Ich nehme keinen Anstand, hier zu sagen, daß Scheurer-Kestner mein Freund ist und daß ich die größte Hochachtung vor ihm habe. (Bewegung.)
Tsrservslitik.
Die Bergarbeiterbewegung fängt wieder an, hohe Wellen zu schlagen. Ganz still sind die Gewässer ja nie gewesen; augenblicklich arbeiten die Führer des sozialdemokratischen Verbandes wieder mit Hochdruck, um Fluten hervorzubringen. In den Berggewerbe-Gerichten saßen im allgemeinen ruhige Knappen, ernste Männer, die von den sozialdemokratischen Verbandsleitern nichts wissen wollten und die mit den Werksbesitzern im allgemeinen recht gut standen, solche wenigstens nicht als ihre Feinde ansahen. DaS soll nun anders werden; das sozialdemokratische Organ der Berg- und Hüttenarbeiter bläst zum Sturm, „die Bergleute werden bei der nächsten Wahl zu den Berggewerbegerichten vorsichtig auswählen müssen, keine Hohlköpfe und Werksdiener wählen . . . . Zur Wahlagitation, Kameraden! Thut den Scharfmachern nicht den Gefallen, säumig zu sein." ES ist das drittemal, daß im Ruhrgebiet die BerggewerbegerichtSwahlen stattfinden; sie dürften im Oktober angesetzt werden. Die sozialdemokratischen Leiter des Verbandes verbreiten nun überall die Nachricht, daß die beiden Organisationen im Ruhrgebiet (der Verband und di« christlichen Bergleute) sich „ins Einvernehmen gesetzt haben, um den Sieg der Zechenpartei überall zu vereiteln." Es wird sich ja zeigen, ob dar richtig ist; auf das tiefst« aber würde es zu bedauern sein, wenn in den Berggewerbegerichten nur ausgesprochene Parteigänger der Sozialdemokratie säßen, Leute, die bei der
Aburteilung sich häufig in erster Linie von ihrem sozialdemokratischen Standpunkt leiten lassen.
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Man war sich seither nicht klar darüber, an welche Macht DreysuS Staatsgeheimnisse verkauft haben sollte. Wohl wurde Deutschland genannt, gleichzeitig aber wies man auch aus Rußland hin. Seitdem der Prozeß im Gange ist, weiß man, daß es sich lediglich um Deutschland um den Oberst von Schwartzkoppen handelt, an welchen DreyfuS sein Vaterland verraten haben soll. Für uns Deutsche ist dadurch die Unschuld DreyfuS zur Gewißheit geworden, denn der Kaiser hat vor dem französischen Präsidenten versichern lassen und unsere Regierung hat im Reichstag er feierlich bestätigt, daß sie mit einem Spion DreyfuS nie etwa- zu thun gehabt hat, und wir glauben unserem Kaiser und unserer Regierung. Hätten Graf Münster und Graf Bülow gelogen, so enthielte «in solches Gebühren eine Beleidigung Frankreichs. Dann müßte diese Lüge zu den schwersten internationalen Verwickelungen führen. Ein Botschafter, der überführt ist, de» Präsidenten der französischen Republik belogen zu haben, kann unmöglich noch einmal von dem Staatsoberhaupt oder von dem Ministerium Frankreichs empfangen werden, kann bei ihnen nicht beglaubigt bleiben. — WaS wird angesichts der Wirren in Frankreich aus ? der Weltausstellung werden? Wenn eS heute schon an ! einem Sonntag Straßenkäwpfe giebt, wobei nahezu 300 i Menschen verwundet werden, wenn ein Antisemitenhäupt- ling mehrere Wochen einen förmlichen Krieg mit der Regierung führen kann, wie soll dann im nächsten Jahr der Fremdenzufluß aus aller Welt sich nach demselben unsicheren Paris richten? Für Frankreich steht bei der Weltausstellung nicht nur dar Ansehen des Landes, sondern auch ein Gewinn oder Verlust von Hunderten von Millionen auf dem Spiel. Unermeßliche Summen sind für die Vorbereitung der Ausstellung ausgeweudet worden, vom Staat, von großen Gesellschaften, von Unternehmern aller Art. Unruhen würden Hunderttausende abhalten, im nächsten Jahre nach Paris zu kommen. Die Ausstellung kann mit einem unerhörten Fehlbetrag schließen. Frankreich bedarf der Beruhigung. Tritt diese Ruhe nicht bald ein, so wird es zu spät sein.
Einige holländische Zeitungen werden nicht müde, für ein deutsch-holländischeS Bündnis einzutreten, und vor allem für eine wirtschaftliche Vereinigung. Der „Haag'sche Courant" widmet in einer seiner jüngsten Nummern fünf Spalten dieser Angelegenheit. Gerade jetzt suche Deutschland sein Binnenland mit dem Meere durch bequeme Wasserstraßen zu verbinden und seine Ausfuhr nach den eigenen Häfen zu lenken. Die Verwirklichung dieser Absichten werde nur noch durch die damit verbundenen großen Kosten hinausgeschoben. Versäume Holland jetzt, seine Häfen Deutschland gewiffermassen als Ausfuhrhäfen anzubieten, und lasse es womöglich geschehen, daß Belgien seine Interessen begreife und zu Gunsten Antwerpens mit Deutschland eine nähere Verbindung eingehe, so werde eS diese- Versäumnis bald mit dem Niedergang Amsterdams und Rotterdams zu büßen haben und „im Kamps« von Welthandel und Weltindustrir erdrückt werden". Aoer der Schreiber des Artikels greift noch weiter auS, indem er dem Gedanken an einen großen mitteleuropäischen Bund nachgeht. Sei zwar eine politische Einheit zwischen den europäischen Staaten zunächst undenkbar, so lasse sich doch leicht eine ökonomische Herstellen. Haben doch sogar französische Stimmen aus dir Notwendigkeit hingewiesrn, durch einen französisch-deutschen WirtschaftS- verband den Kamps auf Leben und Tod gegen die amerikanische Industrie auszunebmen. Ebenso müßten sich Dänemark, Holland, Belgien, die Schweiz und Oesterreich-Ungarn um Deutschland scharen zu einer Einheit von Landwirtschaft, Handel und Industrie, Post- und Münzwesen. Auch die südeuropäischen Staaten würden dann nicht mehr lange mit dem Anschluß zaudern. Dadurch werde einerseits im Innern ganz von selbst einer Ausgleichung der Handels-, Gewerbe- und Arbeitergesetzgebung und einem politischen Zusammenschluß der Nationen der Weg geebnet; und nach außen ständen sich nicht mehr Staaten, sondern Weltteile gegenüber, was für die Erha tung des Frieden- eine sicherere Bürg- schast sei als der Dreibund und die in sich selbst unsinnige russisch-französische Allianz. .... Mit Recht weist man auf Luxenburg als Beweis, wie ein Land unabhängig sein kann, frei in der Verwaltung seiner eigenen Angelegenheiten, auch wenn eS zu einem großen Staatenbunde gehört. Nun — auf derartige Weise würden auch die Niederlande die Vorrechte ihrer Freiheit und Unabhängigkeit vereinigen können mit den Vorteilen, die sich daraus ergeben, «in Teil eine- verbundenen germanischen Mitteleuropas zu sein. -
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