fassungsreform zu stände zu bringen. Die Vorredner, insbesondere Dr. Kiene und v. Sandberger, haben die Gründe für den Regierungsentwurf so vollständig vorgeführt, daß er dem kaum noch viel hinzuzusetzen brauche, umsomehr als das Haus sich in der Regel durch Ministerreden nicht umstimmen lasse. Redner tritt nochmals für den Regierungsentwurf ein, an dem die Regierung festhalten werde. Im übrigen werde, wie vorauszusehen sei, der Art. 24 abgelehnt werden. Nach Stellungnahme des anderen Hauses werde ja die Zweite Kammer nochmals vor diese Frage gestellt werden, dann sei die Lage mehr geklärt, er wolle deshalb heute die Abstimmung nicht aufhalten. Der Antrag Dr. Kienes genüge auch nicht. — Abg. Haußmann- Balingen konstatiert in einer längeren Rede, daß das Haus niemals dem Art. 24 zustimmen werde. Der Antrag des Vizepräsidenten Dr. Kiene sei ein taktischer Fehler: man sollte hier eine möglichst geschlossene Phalanx bilden. Redner kritisiert sodann eingehend die Ausführungen des Vizepräsidenten. Der seitherige Zustand habe zu keinen Unzuträglichkeiten geführt, auch nicht nach der Zeit, wo die Steuerfreiheit der Standesherren aufgehoben worden sei. Die Erste Kammer sollte den Volkswillen achten und die Reform nicht an diesem Punkte scheitern lassen. (Beifall.) Mitberichterstatter v. Geß: Man könne den Rat des Ministerpräsidenten, den Art. 24 anzunehmen, nicht befolgen. Man müsse an dem ablehnenden Standpunkt festhalten, das Volk steht in dieser Beziehung hinter uns. (Beifall.) — Kanzler v. Weizsäcker sieht auch keinen Grund ein, das Recht des anderen Hauses zu vermehren. — Abg. Haug wird dem Antrag v. Sandberger zustimmen. Er wolle auch kein Volksrecht aufgeben, ein Vorrecht der Zweiten Kammer bestehe ja noch und es werde dieses Haus immer die maßgebende Entscheidung haben. Die geltend gemachten Befürchtungen könne er nicht teilen. — Vizepräsident Dr. Kiene: Niemand habe behauptet, daß in seinem Antrag ein Recht aufgegeben sei. Die konservativen Interessen werden auch künftig im Hause vertreten sein. Er hält an seinem Antrag fest. — Es kommt zur Abstimmung. Der Antrag v. Sandberger- v. Wöllwarth auf Wiederstellung des Regierungsentwurfs wird mit 64 gegen 21 Stimmen abgelehnt, ebenso der Antrag des Vizepräsidenten Dr. Kiene mit 61 gegen 23 Stimmen. Schließlich wird der Kommissionsantrag auf Streichung des Art. 24 mit 64 gegen 21 Stimmen angenommen. Es folgt nun Art. 25, betreffend dieStrafverfolgung der Abgeordneten. Während der Tagung der Stände bezw. Kommissionen sollen die Abgeordneten immun sein. Derselbe wird angenommen. Ebenso die Art. 26 und 27. Damit ist der Entwurf in zweiter Lesung durchberaten.
«i»rrl>-SnacheLchLerr.
* Altensteig, 2. April. Fürst Bismarck vollendete am 1. April sein 83 Lebensjahr. Es ist kein sehr erfreuliches Jahr, auf das der Altreichskanzler zurückschaut. Mehr denn je haben sich bei ihm in der letzten Zeit die Beschwerden des Alters fühlbar gemacht; sein altes Leiden hält ihn schon seit Monaten an den Fahrstuhl gebannt, und das ist bei dem lebhaften Temperament des Fürsten eine doppelt schwere Prüfung. Das aber, worin das abgelaufene Jahr
„Ist das nun wieder ein Kompliment oder nicht?" bemerkte sie. „Was meinen Sie dazu, Paul, sind Launen ein Reiz bei dem weiblichen Geschlecht?"
„Viele halten sie dafür," erwiderte dieser. „Wir Männer lassen uns einmal gern von lächelnden Lippen und strahlenden Augen kommandieren, und eine kapriziöse Dame befiehlt, überredet und bittet, alles in einer Minute."
„Ich möchte Ihnen wohl mal etwas befehlen, um zu sehen, ob Sie gehorchten. Ich glaubt, Kleopatras größter Triumph war, auch Mark Antonius zu ihren Füßen zu sehen."
„Warum?" fragte Sir Gordon.
„Weil er der tapferste ihrer Verehrer war, und es ein erhebendes Gefühl sein muß, einen Helden bezwungen zu haben."
„Lady Charnleigh," rief Sir Gordon aus, „Ihre Worte lassen mich bedauern, daß ich kein Soldat bin. Wenn ich denken müßte, daß Sie wirklich den Kriegsstand bevorzugten, würde ich morgen in die Armee eintreten."
„Aber Sie vergessen, Sir Gordon, daß nicht jeder Soldat ein großer Held ist," antwortete Leonie. Sie war überglücklich, Sir Walter mußte sie lieben, sonst wäre er nicht eifersüchtig gewesen, Eifersucht sprach aus jedem seiner Worte.
An dem Ende der Galerie angekommen, zeigte Leoni« auf eine mit einer roten Samtportiere verhängte Thür und sagte: „Dort ist ein Gemach, welches ich noch nie betreten habe, es war das Lieblingszimmer des verstorbenen Grafen Charnleigh, in dem er sich
allen seinen Vorgängern glich, das ist die Liebe, die sich aus allen deutschen Gauen auf das Haupt des Alten im Sachsenwalde, des Schmiedes der deutschen Kaiserkrone, ergoß. Diese Liebe und Verehrung eint auch heute noch alle wahren Vaterlandsfreunde indem aufrichtigen Wunsche: Möge dem Altreichskanzler noch ein langer und schöner Lebensabend beschieden sein!
* Stuttgart. 1. April. An Stelle des zum Finanzminister ernannten früheren Präsidenten Zeyer wurde Staatsrat Schall zum lebenslänglichen Mitglied der Kammer der Standesherren ernannt.
* Vor dem Stuttgarter Schwurgericht steht ein Vatermörder, der 41 Jahre alte Goldarbeiter Fauser von Feuerbach. Dieser Mensch hat seinen Vater schon früher so mißhandelt, daß Anzeige gegen ihn erstattet wurde. Vor der Gerichtsverhandlung nahm der Vater seinen Strafantrag zurück, da aber des Sohnes Vergehen allgemeiner Art war, so wurde er dennoch bestraft. Der Sohn drohte nun, er werde seinen Vater noch totschlagen. Vater und Sohn besaßen ein Haus gemeinsam. Es gab von neuem Streitigkeiten, weil der Vater unter der Wohnung des Sohnes Schweine hielt, wodurch sich der Sohn belästigt fühlte. Der Vater traute dem Sohne nun ganz besonders nichts Gutes mehr zu. Auf 1. Fedr. d. Js. wollte der alte Fauser seinen Schwiegersohn Köhler ins Haus nehmen. Sie wollten Gewehre kaufen, wie dem Sohne gesagt wurde, zum Schutz gegen diesen. In der Schwurgerichtsverhandlung bestritt der angeklagte Sohn, daß sein Vater für sein Leben zu fürchten gehabt habe, giebt aber zu, daß alle diese Vorkommnisse allmählich seine Liebe zum Vater in Hatz umwandelten. Den Hergang an dem Todestag seines Vaters, Sonntag, 20. Januar, erzählte der Angeklagte wie folgt: Er habe den ganzen Tag sich mit dem Verputzen einer Kammer befaßt, die neben seines Vaters Schweinestall liegt. Abends gegen 7 Uhr sei sein Vater in den Stall gekommen, was er gehört habe. Er sei nun mit einem Lämpchen in den Stall hinuntergegangen und habe ihm vorgehalten, daß dieser ihn schlagen oder erschießen wolle. Der Vater habe sofort den Futterkübel niedergestellt, beide Hände gegen ibn ausgestreckt und sei ihm damit ins Gesicht gekommen und habe ihn gekratzt, wogegen er seinen Vater mit beiden Händen am Hals packte. Dieser seinerseits habe ihn auch am Hals gefaßt: wer dies zuerst that, wisse er, Angeklagter, nicht mehr so genau. Im Ringen seien sie mit einander zu Boden gefallen, er selbst sei in immer stärkere Wut geraten und habe immer heftiger gedrückt; da habe sein Vater auf einmal zu drücken aufgehört, noch einige Minuten lang Mund- und Handbewegungen gemacht und sei tot dagelegen. Bei dieser Darstellung fing der Angeklagte zu weinen an. Auf Befragen des Vorsitzenden antwortete er, er habe seinen Vater nicht umbringen wollen, er selbst sei nicht mehr zurechnungsfähig gewesen. Nach dem schrecklichen Auftritt ging er in seine Wohnung hinauf, wo er vernahm, daß man ihn dort gehört habe. Seine Haushälterin ging auf sein Ersuchen später mit ihm in den Stall, und um das Verbrechen zu verdecken, trugen sie nach Angabe des Angeklagten den Toten mit einander zur Abtrittsgrube außerhalb des Hauses, legten ihn dort auf den Bauch, den Kopf in der Flüssigkeit hängend,
viel aufgehalten haben soll. Wollen wir es uns an- sehen?"
„Ein Leben, wie der Graf es führte, bürgt gewöhnlich ein tragisches Schicksal," bemerkte Paul zu Nelly. „Ich hatte immer den Eindruck, als ob der letzte Besitzer von Lighton Hall einen Kummer in sich trug, von dem die Welt nichts wußte."
Er öffnete die Thür, aber Leonie trat schaudernd einen Schritt zurück.
„Ich kann ein gelindes Grauen nicht verwinden," sagte sie, „ich bilde mir immer ein, daß der Graf dort am Tisch sitzt mit steinernem Gesicht und verglasten Augen."
„Treten Sie ruhig ein," erwiderte Paul. „Das Zimmer ist leer, wenn es auch gerade so aussieht, als wäre es kürzlich benutzt."
„Ich hatte angeordnet, daß alles unberührt bliebe; es kam mir so pietätlos vor, hier etwas zu ändern."
Es hatte auch wirklich den Anschein, als ob der Bewohner den Raum eben verlassen hätte. Bücher lagen aus dem Tisch, ein Sessel war an den Kamin gerückt und ein zur Hälfte aufgeschnittenes Journal lag mit dem Falzbein daneben.
Paul Barlow war gleich vor ein großes Porträt getreten, das er sinnend betrachtete. Es war ein hübsches junges Mädchen, mit schönen großen Augen, m denen ein Zug von Ernst und Trauer lag. Unten in der Ecke stand in verblaßter Schrift: „Gefunden und verloren".
Lady Charnleigh sah von dem Bilde zu dem
um den Schein zu erwecken, als wäre er durch einen Unfall hineingeraten. Nachdem der Angeklagte andern Morgens hierher zur Arbeit gegangen war und seine Haushälterin angewiesen hatte, den Tod des alten Mannes zu verheimlichen oder einen Unfall zuzugeben, wurde er nachmittags in Feuerbach festgenommen. Vor dem I. St.-A. leugnete er anfangs die That und schrieb seines Vaters Tod einem Unfall zu, später lenkte er auf 2 andere Personen Verdacht, was er mit Verzweiflung und Angst vor der Strafe entschuldigte. Erst nachdem seine mitverhaftete Haushälterin Leibold alles, was sie wußte, eingestanden hatte, legte auch Fauser ein Geständnis ab. Es wurden nun demselben vom Vorsitzenden alle Einzelheiten des Geständnisses der Leibold und seines eigenen aus den Untersuchungsprotokollen vorgehalten, zum Beweise dafür, daß er die That nicht in plötzlichem Affekt begangen, sonder» sie schon lange überlegt und vorsätzlich ausgeführt habe. Die Sitzung wurde nachmittags 14/2 Uhr abgebrochen. Abends wurde in Feuerbach ein Augenschein vorgenommen. Das Urteil steht noch aus.
* Emmendingen, 30. März. In Theningen wurde gestern nachmittag ein schreckliches Verbrechen verübt, durch welches zwei Familien in großes Elend gestürzt wurden. Zwei dortige Einwohner, die mit einander verschwägert sind, gerieten, wie man hört, wegen Elbschaftsangelegenheit in Streit, wobei der eine dem andern in der Zornesaufwallung mit einer Haue derart auf den Kopf schlug, daß der Getroffene sofort niederstürzte und nach wenigen Augenblicken tot war. Der Thäter, von Angst und Reue ergriffen, flüchtete sich sofort zu Verwandten nach Gundelfingen, wo er auf erstattete Anzeige durch die Gendarmerie festgenommen und in Untersuchungshaft hierher verbracht wurde.
* Ueber militärische Ungehörigkelten sprach am Mittwoch der Abgeordnete Bebel im Reichstage. Der Soldat Bechtold in Stollhofen bei Lahr, der sich selbst getötet haben sollte, sei geistesschwach gewesen, Geistesschwache aber sollten nicht in die Armee eingestellt werden. Erst wurde dem Vater mitgeteilt, daß Bechtold plötzlich auf dem Kasernenhof verstorben sei; dann wurde ihm gesagt, er habe sich erhängt. Die Besichtigung der Leiche ergab aber kein Anzeichen dafür, wohl aberzeigte sich im Gesicht eine blutunterlaufene Stelle und Kameraden teilten dem Vater mit, daß sein Sohn mißhandelt worden sei. Wenn Civil- ärzte und Civilbehörden dabei beteiligt gewesen wären, dann wäre nicht ein solches Dunkel über diesen Fall verbreitet worden. Die Militärärzte scheinen aber keine erheblichen psychiatrischen Kenntnisse zu besitzen. Redner bittet, einen weiteren Fall zu untersuchen, der sich in Heidelberg zugetragen hat, wo ein Soldat sich wegen harter Behandlung töten wollte und daran nur vom Unteroffizier verhindert wurde. Er liegt jetzt an schwerer Verwundung im Lazarett. Bezüglich der Typhusepidemie in Saarbrücken wird mitgeteilt, daß ein Hauptmann seine Kompagnie damit bestraft habe, daß sie morgens keinen Kaffee erhielt und ungenügendes Mittagessen, ferner zu wenig Kohlen, so daß die Kleider der Mannschaft nicht trocken wurden. Dadurch könnte eine größere Disposition für den Typhus entstanden sein. Der Kriegsminister betrachtet es als seine gerechte
jungen Offizier und fand eine gewisse Ähnlichkeit in den Zügen.
„Wer ist das?" fragte sie'
„Das ist ein Bild meiner Mutter," erwiderte er. und Leonie sah Thränen in seinen Augen.
„Ist es wirklich Ihre Mutter?"
Ganz zweifellos. Sie hatte immer den traurigen Zug in den Augen, und auf dem Bilde ist es ebenso. Bemerken Sie es?"
Sir Gordon und Nelly waren herangetreten und letztere rief aus: „Ein Bild Ihrer Mutter. Herr Hauptmann? Wie wunderbar, daß Sie es hier finden!"
„Ich hatte sie sehr lieb," fuhr Paul fort, „und sie starb, als ich noch ein Kind war. Ich habe eine große Bitte an Sie, Leonie: Darf ich eine Klopie von diesem Bilde anfertiqen lassen?"
„Sie sollen das Original haben," antwortete diese, „und ich werde die Kopie nehmen.
„Nein, das gebe ich nicht zu. Wenn Ihnen der Raum ein unbehagliches Gefühl einflößt, so habe ich meinerseits einen Aberglauben mit dem Bilde. Ich möchte es um keinen Preis hier fortnehmen, es gehört dem Zimmer."
„Gefunden und verloren," flüsterte Leonie. „Welch traurige Worte! Wie viel liegt darin, und was mögen sie bedeuten?"
Sie sah blaß und niedergeschlagen aus, in ihren Augen standen Thränen, uud tiefes Mitgefühl prägte sich in ihrem Antlitz aus. Sir Gordon betrachtete sie ängstlich.
(Fortsetzung folgt.)