Bismarck ebenso unterscheidet wie der Inhalt seiner Reden an ihn erinnert. Denn während Fürst Bismarck bei jeder seiner Reden augenscheinlich innerlich kämpfte, während er, fortwährend von den Gedanken belastet, nach dem Ausdruck rang, häufig die Periode abbrach, die Konstruktion änderte, spricht Herr v. Bülow, wie wenn er die schönsten elegantesten, formvollendetsten Sätze nur so auS der Pistole zu schießen brauchte. Da ist nirgends ein Stocken, nirgends ein Bedenken, alles kommt fertig und glatt zu Tage.

* Hamburg, 14. Februar. Unter dem Vieh- bestand, den ein Dampfer aus Moorburg brachte, wurde die Maul- und Klauenseuche konstatiert. Die Ladung wurde beschlagnahmt und der Dampfer poli­zeilich abgesperrt.

* Köln, 15. Februar. In der seit Montag an­dauernden Schwurgerichtsverhandlung gegen drei Straßenräuber, die im Oktober und November v. I. in den Vororten mehrere Raubanfälle verübt und ihre Opfer durch Messerstiche und Revolverschüsse schwer verletzten, wurde heute Nachmittag das Urteil gesprochen. Die Geschworenen erkannten die Angeklagten in allen Punkten des Mordversuchs, des Straßenraubs und der schweren Körperverletzung für schuldig. Der Staatsanwalt beantragte hierauf gegen zwei Angeklagte 37 und gegen einen 28^/z Jahre Zuchthaus. Das Gericht verurteilte die Straßenräuber zum höchsten Strafmaß von 15 Jahren Zuchthaus, Aberkennung der Ehrenrechte auf 10 Jahre und Stellung unter Polizeiaufsicht. Der Vorsitzende des Gerichtshofs be­tonte, daß das Gericht seit Jahren keine so verwegene Verbrecherbande abgeurteilt habe.

* Straßburg, 12. Febr. Der hiesige Konkurs­verwalter Richter ist nach Verübung erheblicher Unter­schlagungen an Massegeldern flüchtig geworden. Richter, über dessen Vermögen Konkurs eröffnet ist, wird steckbrieflich verfolgt. Der Fall erregt großes Aufsehen.

AuslSndisch-S.

* Budapest, 14. Febr. Mehrere sozialistische Führer, die als die Urheber der oberungarischen Bauernbewegung gelten, wurden polizeilich aus der Hauptstadt verwiesen. Jm Szabolczer Komitat kamen Verstärkungen aus Kaschau und Erlau an. Heute sind auf telegraphische Bitte weitere Truppen nach dem Szabolcszer Komitat abgegangen. In Doeghe mußte die Einquartierung der Truppen mit Waffengewalt vorgenommen werden.

* Pest, 14. Febr. In der heutigen Sitzung der Abgeordneten ereignete sich ein für die Regierungs- Partei höchst peinlicher Auftritt. Der langjährige Abgeordnete dieser Partei, Gedeon Rohonczy, gestand ganz unverblümt ein, die Wahlen hätten 3 Millionen Gulden gekostet; er selbst habe für seine Wahl, trotz­dem er keinen Gegenkandidaten gehabt, von der Regie­rung fünftausend Gulden erhalten. Das nötige Geld hätten solche hergegeben, die dafür Adels- und sonstige Titel und Würden sich erkaufen wollten. Die Ent­hüllungen wurden widerspruchslos angehört und wirkten auf den Regierungsbänken niederschmetternd. Der Ackerbauminister kündigte heute scharfe Maßregeln gegen die sozialistische Presse an.

*O Gott, daß Brot so teuer ist und Fleisch und Blut so billig". Dieser bittere Notschrei der arme« Nähterin in Hoods Gedicht hallt jetzt durch ganz Italien wider, besonders in den adriatischen Ge­meinden, wo die hungernde Bevölkerung die Mehl- vsrräte und Bäckerläden plünderte und die städtischen Behörden für ihr Leben fürchten mußten. Ein römischer Arzt schildert den Anblick der Bettlerschareu in allen größeren Städten und nicht zum wenigsten in Rom selbst als entsetzenerregend. Zahlreiche Bemühungen werden gemacht, die furchtbare Hungersnot zu mildern. An einzelnen Stellen wurde Brot umsonst verteilt, und auch ärztliche Menschenliebe war nicht müßig. Professor Ceili, der den Lehrstuhl für Gesundheits­pflege in Rom inne hat, belehrte die Bäcker, wie man einem Laib Brot mit den geringsten Kosten den höchsten Nährwert geben kann. Älle diese lobenswerten Bestrebungen werden aber nach der Ansicht unter­richteter Italiener gegen das große Elend der Be­völkerung nicht viel fruchten, die Entbehrung sei eben so groß in geistiger wie in leiblicher Hinsicht und in erster Linie hervorgerufen durch die Erhaltung großer Streitkräfte zu Lande und zur See, welche die Mittel der Bevölkerung übersteigt. Die Volksschulen sind schleckt besorgt, die Lehrer ungenügend besoldet, und die Gesundheitspflege in den Schulen spottet jeder Regel. Besonders verderblich wirkt auch der häufige Wechsel in der Verwaltung.

Tilsit. ,'Eine Brieftasche mit 32000 Rubel Inhalt hat hier ein nach Berlin reisender Russe ver­loren. Ein Angestellter des Bankhauses Gudowius, der im dortigen Bahnhofsgebäude eine staatlich genehmigte Wechselbank unterhält, fand nämlich im Gange des vor- bezeichneten Gebäudes eine Brieftasche mit dem mit­geteilten Inhalt. Wie vermutet wird, hat der aus dem Nachbarreich kommende Reisende ein Billet nach Berlin gelöst und hierbei die Tasche an sich zu nehmen vergessen oder dieselbe, statt in der Rocktasche zn bergen, vorbeigesteckt, ohne den Verlust sogleich zu be­merken.

sj Daß Rußland thalsächlich kriegerische Anstalten im Schwarzen Meere trifft und mehr als 60 Bataillone zum Einrücken in das türkische Armenien bereit hält, scheint sich trotz aller erhobener Zweifel doch zu be­stätigen.

* Konstantinopel, 13. Febr. Wie ich anten­tisch erfahre, schreibt der Korrespondent derFrkf. Ztg.", hat König Georg durch einen Spezial-Courier ein eigenhändiges Schreiben an den Zaren gesandt. In demselben erkennt der König mit tiefem Danke an, daß in Folge der mächtigen Initiative Rußlands, England und Frankreich sich angeschlossen haben, um die Kriegsentschädigungs-Anleihe zu garantieren. Er bittet den Zaren, feinen Einfluß auch weiter dahin zu verwenden, daß die Anleihe von vier auf fünf Millionen erhöht werde, damit Griechenland mit der restlichen Million Pfund seinen Haushalt restaurieren könne. Der König bittet ferner den Zaren auf der Kandidatur des Prinzen Georg zu bestehen, die das Rußland verbrüderte griechische orthodoxe Volk als eine Kompensation seiner erduldeten Leiden betrachte.

* Newyork, 14. F.'br. Das Repräsentantenhaus nahm einen Beschlußantrag an, der den Präsidenten um die Uebermittelung der Korrespondenz mit der

Haus-Bonn schilderte in der Einleitungsrede die Kämpfe des bedrängten Deutschtums gegen die slavische Hoch­flut in der Ostmark. Zuftlmmungstelegramme wurden an die Reichsratsabgeordneten Schönerer und Wolf, an die deutsch-österreichische Studentenschaft und an Bismarck abgesandt. Dem Großherzog wurde ein Huldigungsgruß übermittelt.

ss Heftige Erdstöße wurden in mehreren Orten längs der Lahn verspürt; die Möbel und Bilder schwankten.

* Berlin, 15. Februar. Nach einem' Telegramm aus Brüssel meldet die Jndependance belge, in Pariser Regierungskreisen sei die Revision desDreyfus-Prozesses absolut beschlossene Sache. Der Rücktritt des Minister­präsidenten Meline und des Kriegsministers Billot sei, weil sie sich in der Affaire allzusehr engagiert hätten, nur mehr eine Frage der Zeit. Die türkischen Blätter eifern, wie aus Konstantinopel gemeldet wird, gegen Bulgarien und beschuldigen dasselbe, den Frieden zu bedrohen.

* Berlin, 15. Febr. Zwischen Deutschland und China ist nunmehr die Konzession zweier Eisenbahnen vereinbart worden, nämlich 1. von Kiao-Tschau über Weihsin nach Tsinanfu, der Bezirkshauptstadt, 280 Kilometer, ferner von Kiau-Tschau südwestlich nach Jtschaufu, 240 Kilometer. Die Verhandlungen über Eisenbahnen dauern noch fort und zwar zunächst über die Eisenbahn von Jtschnufu nach Westen.

* Es ist nicht am Platze, daß aus Deutschland an Zola Zustimmungskundgebungen gesandt werden. Nichts kann Zola mehr in den Augen seiner deutschfeindlichen Landsleute schaden, als ein solches Vorgehen. Die Racheschreier werden zuletzt behaupten, Zola stehe im Solde Deutschlands. Auch die Köln. Ztg. erhebt ihre warnende Stimme:Es ist einstweilen noch nicht ent­schieden, ob Herr Zola aus rein idealen Motiven ge- handelt hat oder im Interesse gewisser einflußreicher Elemente, welche den Nachweis der Schuldlosigkeit des Kapitäns Dreyfus geführt sehen wollen. Wir haben aus Kreisen, die zweifellos zu den unterrichtetsten in Europa gehören, mehrfach Aeußerungen vernommen, aus denen hervorgeht, daß der Glaube an die unge­rechte Verurteilung des Dreyfus dort nicht stark ver­breitet ist, sondern daß man eher an dessen Spionage glaubt, wenn sie auch nicht zu Gunsten Deutschlands, sondern eines anderen Staates erfolgt ist. Ueberhaupt haben wir den Eindruck, daß man sich in Deutschland viel mehr als notwendig und angemessen ist, mit der französischen Skandalaffaire befaßt.Lassen wir die Franzosen in ihrem eigenen Fette schmoren!" würde Fürst Bismarck sagen und damit, wie immer, das Rich­tige für Deutschland getroffen haben.

* Um Deutschland zu chikanieren, läßt die Regie­rung der Vereinigten Staaten jetzt die eingeführten Werne nach schädlichen Zusätzen untersuchen.

* Der kommende Mann, der den alten, müden Reichskanzler Hohenlohe ablösen soll, ist der Staats­sekretär des Auswärtigen Amtes v. Bülow. Seine Rede am Dienstag im Reichstag bestätigte das, was man nach Bülows erster Rede vor Weihnachten nur ahnte. Bülow ist nicht nur ein neuer, er ist auch ein ganzer Mann. Der neue Staatssekretär spricht, als wenn er im Parlament aufgewachsen sei. Er zeigt Schlagfertigkeit, Sprachgewandtheit und dabei eine Geläufigkeit, in der er sich von dem Fürsten

Der Prozeß Zola.

* Paris, 14. Febr. Die heutige Verhandlung wird um viertel auf 1 Uhr eröffnet. Der Präsident teilt mit, er habe eine Depesche erhalten von Papil- laud, besagend, er habe niemals gehört, daß Esterhazy die Worte geäußert habe, die Jauröz berichtete. Esterhazy habe gesagt:Ich fühle mich verloren, weil Dreyfus offenbar bei der Abfassung des Bordereaus meine Schrift nachgeahmt hat." Jaurös Aussage sei also eine wahre Fälschung. Jaurös erscheint an der Barre und spricht sein Bedauern aus, daß Papillaud durch Krankheit am Erscheinen verhindert und eine Konfrontation unmöglich sei. Jaurös hält unter Be­rufung auf seinen Eid seine Aeußerungen aufrecht, teilt alle Einzelheiten seiner Unterredungen mit Papil­laud mit und spricht seine Entrüstung darüber aus, daß dieLibre Parole" seine Aussage gefälscht mit­geteilt und daß man die gefälschte Version an Papillaud telegraphiert habe, um ihm ein Dementi zu erleichtern. Papillaud habe in der Unterredung mit ihm (Jaurss) gesagt: Ich bin überzeugt von der Schuld des Dreyfus, aber Esterhazy hat das Bordereau geschrieben, darum wünsche ich, daß unsere Partei nicht mit ihm ginge. Bertillon erscheint und teilt mit, seine Vorgesetzten hätten ihm nicht die Ermächtigung gegeben, die Ber­gleichsdokumente hierher mitzubringen; er könne also die Demonstration über das Bordereau nicht machen. Clemenceau fragt, welche Schritte er bei seinen Vor­gesetzten gethan habe, um die Ermächtigung zu erhalten. Bertillon muß zugeben, daß er keine Schritte bei den Vorgesetzten gethan und daß er seinen Beschluß ledig­

lich in Erwägung der Situation aus eigenem Ermessen gefaßt habe. Auf alle weiteren Fragen verweigert Bertillon seine Aussage mit der Erklärung, er habe sein Gutachten 1894 über die Affaire Dreyfus abge­geben und der Gerichtshof Habs verboten über die Affaire Dreyfus hier zu sprechen. Clemenceau spricht sein Erstaunen aus, daß Bertillon am Samstag so mitteilsam über sein Gutachten im Dreyfus-Pcozssse gewesen ist und jetzt plötzlich seine Haltung ändere. Clemenceau möchte wissen, wer Bertillon plötzlich zum Verstummen gebracht hat. Bertillon antwortet ver­legen, seine Situation, da er in die Affaire Dreyfus verwickelt sei, sei sehr schwierig und unangenehm. (Heiterkeit.) Labori fragt, warum Bertillon. welcher der Justiz die Auskunft verweigere, so bereitwillig in Interviews mit Zeitungen Mitteilungen über die Affaire Dreyfus mache. Bertillon bestreitet diese Interviews; Labori legt ihm nun zwei Interviews vor, welche imEcho de Paris" und imSoir" er­schienen sind und worin er versichert, die Schuld des Dreyfus sei zweifellos. Labori kritisiert scharf die Haltung dieser Zeugen, welche versichern, Dreyfus sei schuldig, welche aber jede nähere Auskunft verweigern, sobald man nach den Gründen ihrer Meinung frage. Selbst über so präzise Dinge wie Handschriften-Gut- achten wolle man nicht reden. Das Bordereau sei aber der Hauptpunkt des Prozesses; wenn nachgewiesen werde, daß das Bordereau von Dreyfus sein müsse, wie Bertillon behaupte, könne es nicht von Esterhazy sein. Bertillon möge diesen Nachweis führen. Ber­tillon sagt wieder, er könne hier nicht von der Affaire

Dreyfus sprechen. Präsident: Versichern Sie auf Ehre und Gewissen, daß das Bordereau nicht von Esterhazy ist? Bertillon: Jawohl! Präsident: Welches sind Ihre Gründe? Bertillon: Weil das Bordereau von einem anderen ist. (Gelächter.) Clemenceau zwingt Bertillon, zuzugeben, daß er das Prinzip seines Systems, dessen Mitteilung er unter Berufung auf da- Amtsgebeimnis verweigere, eines Tages dem Advokaten Decori entwickelte, ohne daß Decori von ihm irgend­welche Mitteilung verlangte. Bertillon machte einen immer jämmerlicheren Eindruck an der Zeugenbank. Schließlich springt Labori auf, zeigt auf Bertillon und ruft: Da steht die Anklage im Prozeß Dreyfus! Nur ein Dokument lag vor und da steht der Sach­verständige! (Bewegung und Proteste.) Bertillon, blaß und grau im Gesicht, verläßt die Zeugenbank.

* Paris, 15. Febr. Paul Meyer, Direktor der Pariser Uckunden-Akademie am Institut de France, er­klärt entschieden, das Bordereau sei von der Schrift Esterhazy's. Nun habe er aber gehört, daß die Schreib­experten des Esterhazy-Prozesses anerkennen, das Bor­dereau sei von der Schrift Esterhazy's, aber sie behaupten, jemand Anderer habe diese Schrift nach­gemacht. Meyer sagt, er begreife nicht, durch welche Methoden Experten zu dieser Erkenntnis gekommen sind und er könne nur sagen, daß er sehr begierig sei, diese Methoden kennen zu lernen. Im Allgemeinen könne er nur sein Erstaunen aussprechen, daß man ein so wichtiges und verantwortungsvolles Gutachten Schreibexperten anvertraute, die nach Methoden arbeiten, welche die Wissenschaft nicht kenne. Der Graphologe