Abg. Levetzow (fraktionslos) will der Gehaltssperrung nicht zustimmen. Man wolle dadurch einen gewissen Druck ausüben auf den Beamten, der gar nicht in der Lage sei, eine diesbezügliche Vorlage zu machen. Nach weiterer Debatte wird der Titel „Staatssekretär" nach den Anträgen der Kommission unter Streichung der Gehaltserhöhung bewilligt.
Landesnachrichten.
* Altensteig, 7. Febr. Endlich eine gute Schlittenbahn! sagte sich gestern früh mancher, der während der letzten Stürme und Schneegestöber ins Zimmer gebannt wurde und sich jetzt aus seiner Klause hinaussehnte. Während am Samstag der Schnee noch sulzig und kaum durchzukommen war, bewirkte der nachts eingetretene Frost von —11° H., daß der Schnee auf den Straßen die erforderliche Festigkeit erhielt und daß somit eine perfekte Schlittenbahn — die erste in diesem Jahre — erstand. Von Ausflügen per Schlitten hinaus in die prächtige Winterlandschaft wurde nun den Tag über ausgiebiger Gebrauch gemacht sowohl von einzelnen Personen, als auch Familien und Vereinen und es haben die Gastwirte der Umgebung einen guten Tag zu verzeichnen. — Um unserem von hier scheidenden Hm. Stadtpfarrer Hetterich noch eine dankbare Aufmerksamkeit zu erweisen, brachte der Kriegergesangs-Verein demselben am Samstag abend ein Ständchen.
* Walddorf, 6. Febr. Rasch tritt der Tod den Menschen an! Die alleinstehende 60 Jahre alte Händlerin Anna Maria Walz wollte Mittwoch abend am Brunnen Wasser holen. In der Nähe ihrer Behausung wurde sie vom Schlage ereilt und sank zu Boden. Da sie von niemand beobachtet wurde, blieb sie die Nacht über liegen und vom herrschenden Schneesturm wurde sie vollständig mit Schnee bedeckt. Ihr Leichnam wurde nun Donnerstag früh beim Schnse- schäufeln unvermutet aufgefunden und wurde durch die Untersuchung ein Schlaganfall konstatiert.
* Einen Ehrentag seltenster Art feierte in Nagold der 67jährige Jakob Masapp in der dortigen Apotheke. Derselbe trat am 1. Februar 1848, also vor nunmehr 50 Jahren als Apothekerknecht ein und ist mit kurzer Unterbrechung seither darin thätig. Es darf dieser Fall treuer Pflichterfüllung wohl erwähnt werden; dem Jubilar sind Auszeichnungen und Geschenke zu teil, geworden.
* Vom Lflinde, 3. Februar. Das Kgl. Eoang. Konsistorium erläßt eine Bekanntmachung betr. den Termin des Schulaustritts im Jahr 1898. Nach derselben haben in den Gemeinden, in welchen auf Grund des kirchlichen Gesetzes vom 29. Juli 1888 die heurige Konfirmation auf Sonntag Judika den 27. März festgesetzt ist, die Neukonfirmierten die Schule bis zum 16. April zu besuchen.
* Böblingen, 4. Febr. In einer der letzten Wocken hat ein geriebener Gauner den hiesigen Platz zur Ausführung eines Schwindels benutzt. Derselbe fragte nämlich von hier aus, unter Angabe einer hier gar nicht existierenden Firma, telephonisch bei dem Goldwarenfabrikanten R. in Stuttgart an, von welcher Firma in Pforzheim er seine Goldwaren beziehe. Ohne Zweifel hätte er dann auch gleich nach Pforzheim telephoniert, nachdem ihm Herr R. ahnungslos
Aödut Kamid und sein Kof.
Von Dionys Rosenfeld (Konstantinopel).
Die furchtbaren Schlachten im Balkangebirge waren geschlagen, Rußland hatte Pyrrhussiege erfochten, und die Türkei lag nach einem heldenmütigen Kampfe, der die Bewunderung der Welt hervor- gerufcn und dem Marschall Osman Pascha mit Recht den Ehrennamen „Ghazi" (Sieger) eingetragen hatte, verblutet und ohnmächtig danieder, zwar besiegt, aber trotzdem mit unvergänglichem Ruhme bedeckt.
Der „kranke Mann" schien ein toter Mann zu sein, und selbst seine besten Freunde hatten nur ein Achselzucken für ihn.
Unmöglich schien es, daß ein Reich, welches militärisch und finanziell ruiniert war, dessen Staatskassen leer waren, das seinen finanziellen Verpflichtungen nicht mehr Nachkommen konnte, welches die reichsten und für den Staatssäckel ergiebigsten Provinzen verloren und im Innern sowohl mit einer allerdings vielfach künstlich geschürten Unzufriedenheit zu kämpfen hatte, als auch auf Schritt und Tritt eine Bevormundung der europäischen Mächte ertragen mußte, sich je wieder würde aufraffen können, um so weniger, als überall gute Freunde ihre Dienste anboten und hinter jedem dieser Freundschaftsdienste eine neue Gefahr drohte.
Und zu alledem die Menge von Flüchtlingen aus Bulgarien und Serbien, welche die Türkei überschwemmten, für welche Abhilfe geschaffen werden mußte, und die noch die allgemeine Not, die
seinen Lieferanten dort namhaft gemacht hatte, wenn ihm der Boden nicht zu heiß gewesen wäre. Er begab sich demzufolge direkt nach Vaihingen a. E., von wo aus er dann die Bestellung nach Pforzheim ausführte. Er ersuchte dabei die betreffende Firma, ihm schnellstens nach Vaihingen, wo er gerade geschäftlich zu thun habe, für einen bestimmten Betrag (angeblich 600 Mk.) Blattgold zu senden. Die Firma, im guten Glauben, die Bestellung sei von R., führte den Auftrag aus und so kam der Gauner in raschesten Besitz des Goldes. Der Betrug kam natürlich alsbald heraus, jedoch konnte man von dem Thäter bis jetzt noch keine Spur entdecken.
* Für das 50jährige Geburtsfest des Königs am 25. Februar, zu welchem verschiedene Fürstlichkeiten erwartet werden, hat der König als Predigttext 1 Mos. 32, Vers 26: „Ich lasse Dich nicht, du segnest mich denn" gewählt. (Die Ernennung des Herzogs Albrecht zum Generalmajor und Kommandeur der 27. Kavalleriebrigade wird an Königs Geburtstag erfolgen. Der Stab der Brigade wird von Ulm nach Stuttgart verlegt werden.)
* Stuttgarts. F-br. Wie der „Staatsanzeiger" mittsilt, ist Ende vorigen Monats die erste Austeilung von Unterstützungen an die Gewittergeschädigten des Unterlandes erfolgt. Es sind 10,402 Gesuche eiuge- laufen; an die beteiligten sieben Oberämter wurden 1,600,000 Mk. verteilt, ferner an die Geschädigten der übrigen Bezirke des Landes etwa 90,000 Mk. Der Rest soll später zur Verteilung gelangen.
* Vom Unterland. 5. Febr. Im neuesten „Kirchlichen Anzeiger" übt der evangelische Pfarrer Gmelin von Großaltdorf an der Regierungsvorlage über die Verfassungsrevision und Kammerrcform Kritik. Die Reform ist nach ihm ganz nach dem Parteivorteil des Zentrums zugeschnitten. Die hohe Aristokratie (die Fürsten und die Grafenß die großenteils im Auslande wohnt, dort ihren Ständeeid abgelegt hat, und insofern vom Auslande abhängig ist, sollte nicht, wie das Zentrum wolle, in ihrem vollen Bestand in der ersten Kammer erhalten, und dazu auch noch mit Ausnahmsprivilegien, wie sie kein einziger Volksabgeordneter habe, und sie sich sonst nicht finden werden, z. B. dem Stellvsrtretungsrecht, das vom Zentrum auch dem Bischof zugedacht sei, ausgestattet sein, sondern möglichst reduziert, und durch möglichst viel niederen Adel, der dem wirklichen Volksleben doch viel näher stehe, ersetzt werden. Der- hohe Adel sei weist katholisch, der niedere vorwiegend evangelisch. Daß der ersten Kammer ihr „katholisches Gesicht", d. h. die katholische Mehrheit erhalten bleibe, entspreche nicht dem Bewußtsein von dem, was in einem zu zwei Drittel evangelischen Volke als richtig empfunden werde. Ebenso entspreche die vorgeschlagene Einführung des Kreisproporzes statt des Landproporzes den Wünschen und Parteiinteressen des Zentrums, aber nicht dem Landesinteresse. Besonders aber wendet sich Gmelin gegen das Wahlrecht der guten Städte, das vom Zentrum „mit einer Art Leidenschaft" festgehalten wird, „wie jederman weiß, wegen der guten Stadt Ellwangen".
* (Verschiedenes.) In Tuttlingen sind infolge Durchführung der Wasserleitung für die ganze Stadt für Brandfälle daselbst die Feuerspritzen völlig
entbehrlich, da d e Wasserleitung jede wünschenswerte Wassermenge für Feuerlöschzwecke selbstthätig liefert. Eine Verminderung der Feuerlöschmannschaft und eine Umgestaltung der Feuerwehr ist daher geplant. — In Villingendorf brannte das nahe am Wohnhaus stehende umfangreiche Oekonomiegebäude des Kreuzwirts Wagner mit den gesamten Frucht- und Futtervorräten bis auf den Grund nieder. — In Haigerloch sind die Masern derart aufgetreten, daß — mit Ausnahme der evangelischen Schule — alle anderen Schulen geschlossen werden mußten. — In Dettingen sind elf Kinder an den Masern gestorben. — In Baienfurt (Ravensburg) wurden der Polizeidiener, der Nachtwächter, der Straßenwärter und vier ledige Burschen verhaftet und in das Amtsgerichtsgefängnis zu Ravensburg eingeliefert. Der Polizeldiemr ist beschuldigt, die anderen Verhafteten aufgefordert zu haben, euren verheirateten Mann, der ihm nachgelaufeu sei, zu prügeln, was denn auch so gründlich besorgt wurde, daß der Geschlagene lebensgefährliche Verletzungen erhielt.
* Berlin, 5. Februar. Zu dem Verbot der Einfuhr des amerikanischen Obstes liegt heute folgende Aeußerung des amtlichen Reichsanzeigers vor: Die Veröffentlichung des amerikan. Ackerbaudepartements über die San Josö-Schild!aus veranlaßte hier eine amtliche Untersuchung der Obstsendungen aus Amerika. Pcof. Frank fand am 29. Januar auf Birnen, welche aus einer im hamburgischeu Freihafen eingetroffenen kalifornischen Sendung Obstes herrührten, zahlreiche lebende, vermehrungsfähige Schildläuse. Frank konstatierte die absolute Identität derselben mit der echten San Josö- Schildlaus und erklärte, daß infolgedessen der einheimische Obstbau durch den Import des amerikanischen Obstes in unmittelbare, große Gefahr gebracht ist. Eine Konferenz anderer hervorragender Sachverständigen und ein Gutachten des Kaiser!. Gesundheitsamtes traten dieser Auffassung in allen Punkten bei. Damit war die Notwendigkeit schleuniger Abwehrungsmaßregeln vollauf gegeben. Der Reichsanzeiger schildert dann im Anschluß an Publikationen des Washingtoner Ackerbaudepartements die außerordentliche Gefährlichkeit der Sau Josä-Sänldlaus, sowie die Maßregeln, die die amerikanischen Staaten, besonders Oregon und Briltiich- Kolumbien in dieser Beziehung getroffen haben. Das amtliche Blatt fährt fort: Es ist somit die unabweis- liche Pflicht der Regierung, den einheimischen Obstbau vor der drohenden Verseuchungsgefahr wirksam zu schützen. Daher ist die Einfuhr lebender Pflanzen und frischer Pflanzenabfälle gänzlich, die Einfuhr von Obst und Obstabfällen unter der Voraussetzung verboten, daß bei der an der Eingangsstelle vorgenommenen Untersuchung das Vorhandensein der San Joso-Schild- laus festgestelt wird. Der Reichsonzeiger beweist an dem Beispiele der Reblaus die Gefahr nicht rechtzeitig ergriffener Schutzmaßregeln, während der Colorado? käfer rechtzeitig ferngehalten wurde. Das Blatt kündigt Anordnungen an, die im Jnlande zur Bekämpfung der Schildlaus getroffen werden sollen, und hofft, daß es somit gelingen werde, den deutschen Obstbau, worauf die Existenzbedin ,ungen weiter Volkskreise beruhen, vor der Gefahr zu schützen. — Wie man aus dieser amtlichen Darlegung ersieht, handelt es sich bei
dumpfe Verzweiflung, die überall herrschende Verwirrung vermehren halfen.
Ein Ende des Elends war nicht abzusehen.
Keine Hilfsquellen, der Kredit für Jahre hinaus erschöpft, die Felder brach liegend, die Straßen und Wege, auf denen der Landmann die wenigen Früchte seines Fleißes hätte verwerten können, unfahrbar — ein unsäglich trauriges Bild!
In jene trüben Tage fiel der Beginn der Regierung des Sultans Abdul Hamid.
Abdul Hamid wurde am 22. September 1842 als der Sohn des Sultans Abdul Medschid in Konstantinopel geboren, steht also jetzt im sechsundfünfzigsten Lebensjahre. Er bestieg den Thron im Alter von vierunddreißig Jahren am 31. August 1876 als der fünfunddreißigste Herrscher aus dem Hause der Os- manen und der neunundzwanzigste seit der Besitzergreifung Konstantinopels.
Abdul Hamid war, bevor er auf den Thron gelangte, in weiteren Kreisen nicht bekannt. Die türkische Hofsitte legt den Prinzen des kaiserlichen Hauses die strengste Zurückhaltung auf. Sie sind fast unbekannt, treten niemals in die Oeffentlichkeit und finden kaum Beachtung. Man steht oft in den Straßen von Konstantinopel prachtvolle Equipagen mit echten Rassepferden bespannt und von berittenen Dienern gefolgt, in denen ein Prinz sich befindet. Europäer bleiben stehen und grüßen ehrerbietig, sonst nimmt kein Mensch von ihnen Notiz, kaum daß man auf eine Frage, welcher Prinz es sei, eine Antwort bekommen kann.
Was Wunder, daß, als bekannt wurde, der Prinz Abdul Hamid habe den Thron bestiegen, die große Menge vor einem Rätsel stand und die wahren und aufrichtigen Freunde der Türkei den jungen Prinzen bedauerten, dem das Schicksal die Krone in einer solch' schweren Zeit zufallen ließ, da das Reich in seinen Grundfesten erbebte.
Wenige — nur sehr wenige kannten den Prinzen, und diese allerdings bückten hoffnungsfreudig in die Zukunft, denn Abdul Hamid war ein Mann wie geschaffen zum Lenker eines Staates in sturmbewegter Zeit. Ein Mann von scharfem Blick, einer fürstlichen Großmut, mit einem Herzen von Gold, von einer bewundernswerten Arbeitslust und Arbeitskraft, dabei bescheiden und anspruchslos in seinem Auftreten, mit seinem durchgeistigten Gesicht an einen Gelehrten erinnernd, langsam und erst nach reiflicher Prüfung Entschlüsse fassend, aber einmal entschlossen, mit rücksichtsloser Energie den Beschluß durchführend, ein Freund der westlichen Kultur und insbesondere der deutschen, dabei aber die altererbte Vätersitte festhaltend, wo es möglich ist — so war Abdul Hamid der Fürst am rechten Platze, als er die Regierung übernahm. Er konnte allerdings den ihm aufge- zwungsnen Krieg nicht vermeiden, die ersten Jahre seiner Regierung waren allein der Sorge um die Abwehr des übermächtigen Feindes und der Erhaltung dessen, was noch zu retten war, gewidmet, aber kaum war der Friede eingezogen, als die ernste stille Arbeit für Abdul Hamid begann, die Arbeit, als deren Ziel verlockend die „Regenerierung der Türkei" winkte.