doch wesentlichen Gesetzentwurf einzubringen, weil sie gemeint habe, die Session sei vielleicht für eine gründliche Behandlung der Materie zu kurz und zu belastet. Seine Partei sei mit dem Inhalt und der Fassung der Vorlage im wesentlichen einverstanden. Einzelne Wünsche blieben freilich noch übrig. Das liege hauptsächlich daran, daß der Kampf gegen die Unsittlichkeit nicht nur Sache des Staates, sondern auch der Kirche, der Schule, der Familie sei. Man müsse besonders gegen die materialistische Weltanschauung der wohlhabenden Klassen in den Großstädten Vorgehen. Redner wendet sich sodann gegen die Ansichten des Abgeordneten Bebel über die Prostitution, welche dieser in seinem Buche „Die Frau" und anderswo äußert. Wenn man die Not der äußeren Lage als Entschuldigung für die Sünde annehme, so beleidige man damit viele Arme und notleidende Mädchen, welche anständig bleiben. Der Heruufsetzung des Schutzalters bis auf 18 Jahre stimme der allergrößte Teil der politischen Freunde des Redners bei. — Abg. Bebel (Soz.): Wir sind bereit, einem Teile der Bestimmungen des Entwurfs zuzustimmen. Im übrigen aber geht uns der Entwurf teilweise zu weit, teilweise nicht weit genug. Eine Kommissionsberatung dürfte notwendig sein. Soll nicht z. B. 8 175 (widernatürliche Unzucht) einer neuen Prüfung unterzogen werden? Wäre dieser Paragraph eigentlich gründlich durchgeführt und thäte die Polizei hierin ihre Schuldigkeit, so bekämen wir einen Skandal bis in die höchsten Kreise hinein, wogegen Panama, Leckert-Lützow und Tausch gar nichts wären. Noch immer giebt es Bordelle, so in den Städten Magdeburg, Lübeck, Bremen, Hamburg, Nürnberg, Leipzig, Mühlhausen i. E. u. a., wo die Polizei selbst Kuppeldienste thut. Redner bespricht sodann die Zustände in Aachen und Straßburg i. E., sowie in Hamburg. Er wendet sich darauf gegen den Abg. Schall. Die Unsittlichkeit sei zur Zeit der großen Blüte der Religiosität sehr groß gewesen. Man dürfe die Zunahme der Unsittlichkeit nicht allein aus moralischen, sondern zumeist aus ökonomischen Gründen erklären. Eine große Anzahl von Aerzten, Rechtsanwälten und Beamten können von ihrem Gehalte eine Frau nicht standesgemäß ernähren. Sie heiraten daher entweder nicht oder nach Geld. Das weibliche Geschlecht müsse mit demselben Maße gemessen werden, wie das männliche. Redner erinnert an den Fall Köppen. Den Frauen müßten gleiche politische Rechte gewährt werden, wie den Männern. Dann würden Zehntausende der bitteren Not entrissen werden, welche sie der Protistution in die Arme treibt. Arbeiterinnen, Kellnerinnen, Sängerinnen erhalten verschwindende oder gar keine Löhne. Die Verführung trete fortwährend an sie heran und meistens seien die Verführer aus den Kreisen der sog. besseren Gesellschaft, Offiziere, und Studenten. Schreibt doch ein konservatives Blatt: Die sittlichen Anschauungen der heutigen Studentenschaft seien erschreckend gesunken. Sie seien verlumpt. Bei dem Zuhältertum müsse man übrigens trotz des gewiß unmoralischen Charakters dieser Menschenklasse einen gewissen letzten Rest von natürlicher Zuneigung nicht verkennen. Sehr energisch tritt Redner für die Strafbarkeit des Mißbrauchs des Dienst- und Arbeitsverhältnisses seitens des Arbeitgebers ein. Die Bestimmungen des Entwurfs über die Ausstellung von
Abbildungen rc. scheinen ihm Redner, über das Ziel j hinauszuschießen. Dann könnten auch die Figuren auf der Schloßbrücke und dem Präsidentenstuhl im Hause anstößig sein. (Heiterkeit.) Redner beantragt Kommissionsberatung. — Abg. Fürst Radziwill (Pole): In den Aeußerungen des Vorredners sei vieles richtig gewesen. Seine Partei sei für den Entwurf eventuell mit einigen Zusätzen und Verbesserungen. Darauf vertagt sich das Haus aus morgen 1 Uhr.
Landesnachrichten.
* Altensteig, 15. Jan. Der Liederkranz brachte seinem langjährigen Vorstand, Hm. C. W. Lutz, am Mittwochabend aus Anlaß dessen Wiederverehelichung ein Ständchen. Es wurden die 3 Lieder gesungen: „Befiehl du deine Wege", „Erhabene Macht der Töne" und „Die Abendglocken klangen". Für die erwiesene Ehre dankte Hr. Lutz bewegten Herzens in verbindlichster Form, wie auch für die Gratulation, welche ihm eine Deputation des Liederkranzes noch besonders darbrachte.
* In Tein ach ist der überall rühmlich bekannte Gasthof zum Hirsch nach dem Tode des bisherigen Besitzers auf den jüngsten Sohn, Adolf Andler, übergegangen.
* Calw. Bei dem am 7. November 1897 hier abgehaltenen Bezirkskriegertag wurde die Gründung einer Sterbekasse für die Kriegervereine des Bezirks Calw beschlossen. Die damals genehmigten Statuten dieser Kasse sind nunmehr mit dem 1. Januar d. Js. in Kraft getreten und es sind der Bezirkssterbekasse bis jetzt rund 600 Mitglieder der genannten Vereine beigetreten. Durch diesen erfreulichen Zugang zu der Kasse ist letztere jetzt in der Lage, aus den bezahlten Eintrittsgeldern beim Todesfälle eines Mitglieds eine Unterstützung von 60 Mk. an die Hinterbliebenen ausbezahlen zu können, eine Summe, die sicherlich mancher bedrängten Familie als eine willkommene Hilfe in der ersten Not erscheint. (C. W.)
* Vom Lande, 13. Januar, wird dem Süddeutschen Korrespondenzbureau geschrieben : Von einer Firma Hahn u. Comp, in Berlin, Rosenstraße 18, wurden in letzter Zeit namentlich Eisenbahn- und andere Beamte mit Angeboten aus Tricothemden durch Reisende belästigt und durch deren aufdringliches Wesen schließlich zum Kauf veranlaßt. Inzwischen sind derartig bestellte Waren eingetroffen und die genannte Firma berechnete ein Hemd zu Mk. 8.50 und ein Unterbeinkleid zu Mk. 8.50, während der reelle Wert für ein Hemd höchstens 3 Mk., für das Unterbeinkleid höchstens Mk. 2.50 ist. Bei einer leichteren Qualität berechnet die Firma ein Hemd zu Mk. 7.50 und ein Unterbeinkleid ebenso, während hier der reelle Wert für das Hemd nur Mk. 2.60 und für die Unterhose Mk. 2.22 ist. Zu den letztgenannten reellen Preisen sind diese Kleidungsgegenstände in jedem ordentlichen württembergischen Geschäft zu haben. Wir möchten deshalb die Leser dringend davor warnen, sich eine Ware aufschwatzen zu lassen, die sie mit etwa dem 3fachen Preis des reellen Wertes zu bezahlen haben.
* Stuttgart, 13. Jan. (Landgericht.) Der oftbestrafte, 33 Jahre alte, ledige Schreiner Albert Kaufmann von Aalen beschwindelte im November und
j Dezember v. I. in sieben Fällen Personen zu Eßlingen und Mettingen durch falsche Vorspiegelung um kleinere Geldbeträge, indem er u. a. angab, er könne sie von verschiedenen Leiden kurieren, er müsse aber die Arzneien in Stuttgart holen. Den Betrogenen brachte er dann für das erhaltene Geld wertlose Flüssigkeiten. Bei seiner Verhaftung nannte er sich Julius Schneider aus Philadelphia. In Anbetracht seiner Vorstrafen verurteilte die Strafkammer denselben wegen sieben Betrugsverbrechen im Rückfalle zu der Zuchthausstrafe von 2 Jahren, einer Geldstrafe von 1050 Mk., eventuell weiteren 70 Tagen Zuchthaus, auch wegen falscher Namensangabe zu 2 Wochen Haft, welche durch Untersuchungshaft verbüßt sind.
* Vom Bodensee, 12. Jan. In Lindau w urden zwei 17jährige Schreiber von Frankfurter Rechtsanwälten verhaftet, die sich durch großen Geldaufwand verdächtig gemacht und unter falschem Namen ins Fremdenbuch eingetragen hatten. In ihren Socken fand man 3000 Mk. versteckt, die von einer größeren Unterschlagung herrühren dürften. — Das demnächst vollendete Elektrizitätswerk bei Rheinfelden wird mit 1600 Pferdekräften das größte Wasserwerk der Schweiz. Die Kosten betragen gegen 5 Millionen Mark. Die meisten verfügbaren Kräfte sind bereits vergeben, ein größerer Teil nach Baden. Die neue Brücke über den Rhein wird zur Zeit fundamentiert. Die Aluminiumwerke sollen schon in einigen Monaten eröffnet werden, während man die ganze Anlage bis zum Spätherbst fertigzustellen hofft. Die nötigen Stauwehre beeinträchtigen die Schiffahrt auf dem Strome nicht, für welche noch 50 Meter frei bleiben.
— Der Gipfel des Säntis war am Neujahrstage von 20 Fremden besucht.
* (Verschiedenes.) In Dürmentingen herrscht seit einiger Zeit eine DiphtheriOs-Epidemie, so daß letzthin die Schulen geschlossen werden mußten. Die Erkrankungen sind sehr zahlreich, doch ist der Verlauf der Krankheit tm allgemeinen ein gutartiger.
— In Walheim starb die älteste Einwohnerin der Gemeinde, die Witwe des Konrad Bezner. In wenigen Monaten hätte die bis vor kurzem noch rüstige Matrone ihren lOO.Geburstag begehen können. — Als der Bürger Wilhelm Knaus von Heilbronn mit einem Fuhrwerk von Oehringen nach Möhrig fuhr, scheute das Pferd. Knaus wollte abspringen, fiel aber kopfüber auf die Straße, so daß ihm die Gehirnschale eingeschlagen wurde; er starb bald darauf. — Aus dem Schlosse in Bartenstein ist in letzter Zeit eine größere Anzahl wertvoller Gewehre entwendet worden. Die Diebe sind verhaftet. — In Stuttgart wollte ein Knabe die dünne Eisdecke des im sog. Postdörfle befindlichen Bassins betreten, brach aber hiebei ein und ertrank.
* München, 13. Jan. Eine der den gestrigen Hofball besuchenden Damen bat bei Anfahrt zur Residenz einen empfindlichen Verlust erlitten. Sie vermißt eine Brillantbrosche, bestehend aus 8 gelblichen, sogenannten Kap-Steinen, darunter ein sehr großer Brillant als Anhängsel, im Werte von 6000 Mk.
* München, 14. Jan. Umlaufende Gerüchte, daß zwei jüngere Rechtsanwälte im Laufe der letzten
«D_ Lefefrircht.
Wem all' sein Glück geborgen Im Willen Gottes ruht,
Dem bleibt in Weh und Sorgen Ein heiter, stiller Mut.
Leidenschaft und Ließe.
(Fortsetzung.)
Melitta atmete tief und schwer.
„Was kann Ihnen daran liegen, mich öfter zu sehen?" fragte sie mit tonloser Stimme.
„Sie können noch fragen. Denken Sie an jene Zeit zurück, da ich meine schönsten Melodien schuf, da Sie der Genius waren, der mich zu süßen Liedern begeisterte —"
„Genug!" unterbrach ihn die junge Frau, blaß, aber mit blitzenden Augen. „Rufen Sie mir jene Zeit nicht ins Gedächtnis zurück, denn ich kann dann nur an die erlittene Demütigung denken; für mich giebt es keine süße Erinnerung an Sie, merken Sie sich das. Verlassen Sie das Haus meiner Freundin und ich will ein Zusammentreffen an einem andern Orte mit Ihnen nicht vermeiden, herbeiführen werde ich ein solches nie. Was mein Benehmen anbetrifft, so wird dasselbe stets in den Grenzen kühler Höflichkeit bleiben, indessen will ich wich bemühen, meine Abneigung gegen Sie nicht so wie bisher zur Schau zu tragen. Ich bringe dieses Opfer meiner Freundin, denn Gott weiß es, wie viel es mich kostet, Ihre Gegenwart, wenn auch nur für Stunden, zu ertragen, und nun gehen Sie, wir haben miteinander nichts mehr zu reden."
Er sah sie bewundernd an. Mit der stolzen I Haltung und den blitzenden Augen schien sie ihm > tausendmal schöner und begehrenswerter denn je: die kleine bescheidene Melitta von ehedem warein willensstarkes, selbstbewußtes Weib geworden. Einen Augenblick lang überkam ihn ein Gefühl der Reue, daß er einst in schnödem Uebermut diesen Schatz von sich gewiesen, aber diese edlere Regung dauerte nicht lange.
Er bemächtigte sich hastig der Hand Melittas und sagte, dieselbe fest in der seinen pressend: „Sie sind zum Anbeten, bezaubernd in Ihrem Stolze."
Mit einem leichten Schreckensrufe riß sich die junge Frau von ihm los. In der geöffneten Thür stand Konrad, mit finsteren Blicken auf die kleine Gruppe sehend. Cornaro machte ihm spöttisch lächelnd eine Verbeugung und ging; der Professor machte keinen Versuch, ihn zurückzuhalten.
Kaum hatte sich die Thür hinter dem Künstler geschloffen, so wandte sich Konrad rasch an seine Kousine, mit mühsam unterdrückter Heftigkeit sie fragend?"
„Was hattest du mit jenem Menschen?"
„Bin ich dir Rechenschaft schuldig?"
Frage und Antwort trafen rasch aufeinander; Melitta, noch erregt von der soeben stattgehabten Szene, war keineswegs in der Stimmung, sich waß- regeln zu lassen und Konrad, der Andeutungen der Baronin gedenkend, war empört über die Art und Weise, mit welcher Melitta jeder Erörterung auszuweichen suchte.
Die junge Frau schickte sich an, den Gartensalon
zu verlassen, allein Konrad legte seine Hand schwer auf ihren Arm.
„Du bleibst und stehst mir Rede."
„Wer giebt dir das Recht, so mit mir zu sprechen?" rief sie zornig, indem sie einen Versuch machte, seine Hand abzuschütteln.
„Wer mir das Recht dazu gibt? Die Freundschaft für Volkmann, die Sorge um dich, die ich stets als meine Schwester betrachtet habe. Melitta, sprich, was hattest du mit Cornaro zu verhandeln?"
„Was glaubst du von mir? Wessen willst du mich beschuldigen?"
„Laß mich offen mit dir reden. Die Baronin Königsegg hat mir gestern ganz deutlich zu verstehen gegeben, daß Cornaro dir einst näher gestanden, und dein sonderbares Benehmen gegen den Künstler rechtfertigt nur zu sehr die Worte; du wirst befangen in seiner Gegenwart; du errötest, wenn er sich dir nähert, ich habe diese Wahrnehmung schon in der Residenz gemacht — und er selbst schlägt gegen dich einen Ton der Vertraulichkeit an, der wohl geeignet ist, seltsame Vermutungen wachzurufen. Heute finde ich dich sogar mit ihm allein, so daß es den Anschein hat. als wäre diese Zusammenkunft eine verabredete gewesen; Melitta, sei offen und ehrlich — sage mir alles — gib mir das Recht, diesen Menschen in die ihm gebührenden Schranken zurückzuweisen, wenn du jemals für ihn ein wärmeres Gefühl gehegt, so muß dies längst erloschen sein, denn dies wäre eine Sünde und Verrat an deinem edlen Gatten, der sein ganzes Glück nur in dir findet. Oder Melitta, hättest du