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Sonntag, 16. Januav

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1898.

D Der freigesprochene Esterhazy.

Mit gutem Recht bezeichnet man die gesamte Drey- fus-Affäre als das militärische Panama Frankreichs. Die Franzosen haben ein schlechtes Gewissen, das sie durch noch schlechtere Komödien zu betäuben suchen. Esterhazy wurde bekanntlich von Mathieu Dreyfus be­schuldigt, den Zettel (boräersau) geschrieben, d. h. gefälscht zu haben, auf Grund dessen der Kapitän Dreyfus allein verurteilt wurde. Das Kriegsgericht, das über Esterhazy abzuurteilen hatte, legte seinem Spruche aber nicht diese Anklage zu Grunde, sondern sprach den Major Esterhazy von der Anklage des Landesverrats frei. Ja . . . daß Esterhazy-Walsin ein Landesverräter sei, war weder von den Freunden der Dreyfussache noch von deren Vertretern in der Presse behauptet worden. Die Regierung hat die Sache aber absichtlich so gedreht, daß über Esterhazy in einer Sache entschieden wurde, wegen deren ihn niemand angeklagt hatte. Seine Freisprechung ist mithin in keinem Falle eine neue Belastung für Dreyfus.

Daß Dreyfus Jude ist und die antisemitische Presse Frankreichs von vornherein energisch gegen ihn Partei ergriffen hat, verwirrt die Angelegenheit außerordentlich. Ohne diesen Umstand säße Dreyfus für den man außer seinem unschuldig Verurteiltsein nicht die geringste Sympathie zu haben braucht! nicht auf der Teufels­insel. Täppisch, linkisch und unehrlich arbeitet eben derGegenkundschafterdienst" des franz. Generalstabes.

Es sickert jetzt aus den Prozeßverhandlungen hin­durch, daß nicht der deutsche, sondern der russische Botschafter sich einesKundschafters" bedient haben soll, um die Kriegsbereitschaft seinestreuen Verbündeten" zu erfahren, von dem er direkt keine Auskunft zu er­halten vermochte.

DasBordereau" ist von den französischenGegen­kundschaftern" nicht aus einem Papierkorb der deutschen, sondern der russischen Botschaft gestohlen worden!

Und ist denn in den Augen der Franzosen das Ver­brechen so groß, demtreuen Verbündeten" Nach­richt über die französische Kriegsbereitschaft zu geben!?

Also der Ehrenmann Major v. Esterhazy-Walsin läßt aus dem Büreau-Popierkorb der befreundetsten Macht einen Zettel stehlen, auf Grund dessen ein französischer Offizier des Landesverrats für schuldig befunden und nach der Teufelsinsel verbannt wird! Die Schreibsachverständigen waren zwar darüber nicht einig, ob die Handschrift des Bordereaus diejenige Dreyfus' sei oder nicht! Thut nichts; Dreyfus, auf den Esterhazy den Verdacht gelenkt hat, wird verurteilt und mit größter Zähigkeit Hallen Regierung, obere Militärbehörden und öffentliche Meinung daran fest, Dreyfus ist schuldig damit ist die Sache abgethan!

Das, was man den Prozeß Esterhazy nennt, ist vom Anfang bis zum Schluß eine einzige Kette von Verletzungen des Rechts und der Billigkeit. Esterhazy ist beschuidigt, den verhängnisvollen Zettel geschrieben zu haben. Er giebt im ersten Schrecken zu, die Aebn- lichkeit der Handschrift des Zettels mit der seinigen sei verblüffend", und seine späteren Erklärungen dieses erschreckenden Umstandes erweisen sich als Phantasien. Auch treffen bei ihm, dem ruinierten, leichtsinnigen Offizier, alle psychologischen Motive zu, die man beim Hauptmann Dreyfus vergeblich gesucht hat. Trotzdem behandelt ihn die Untersuchung nicht wie einen An­geklagten, sondern wie einen Unschuldigen, der um jeden Preis vor seinen Verfolgern geschützt werden muß. Nicht gegen ihn richtet sich die Untersuchung, sondern gegen diejenigen, die gegen ihn zeugen; nicht bei ihm wird z. B. Haussuchung gehalten, sondern bei dem Hauptbelastungszeugen Picquart. Um den Zettel, das einzige 6orpu8 äslioti, kümmert sich die Unter­suchung zuerst gar nicht, und als sie es thun muß, thut sie es in einer Weise, die jeder regelrechten Untersuchung Hohn spricht.

Uns Deutsche interessiert die Angelegenheit nicht mehr, seitdem die deutsche Botschaft in Paris ihre ihr durch das Gerücht zugewiesene Mitschuldsrolle an die russische Botschaft abgetreten hat. Aber Wilson, Panama, Dreyfus, Esterhazy das sind Namen, die die Gerechtigkeit unter der dritten Republik in Frank­reich im häßlichsten Licht erscheinen lassen.

Deutscher Reichstag.

* Berlin, 13. Jan. Erste Beratung des vom Zentrum eingebrachten Gesetzentwurfes betreffend die Abänderung und Ergänzung des Strafgesetzbuches (sog. iox Heintze.) Abg. Spahn (Zentr.) be­gründet den Gesetzentwurf. Das Reich habe die Aufgabe, die Sittlichkeit zu schützen. Die Zustände würden immer bedenklicher. Die Zahl der geschiedenen Ehen habe sich seit 16 Jahren verdoppelt. Deutsch­land habe von allen Staaten die meisten Ehescheidungen und auch die meisten, welche auf böswilligem Ver­lassen beruhen. Die Zahl der unehelichen Kinder und der Sittlichkeitsverbrechen nehme ständig zu. In Berlin gäbe es 24000 Dirnen, in anderen Städten liege es verhältnismäßig nicht anders. Ein großer Prozentsatz der Selbstmorde hänge damit zusammen. In dem Gesetzentwurf seien die Verhandlungen der seiner Zeit angesetzten Kommission verwertet worden. Redner hebt insbesondere die neue Fassung des Z 184 hervor, wonach strafbar ist, wer unzüchtige Schriften, Abbildungen, Darstellungen feilhält rc., wer sie zur Verbreitung herstellt oder zum Zwecke der Verbreitung vorrätig hält rc., ebenso, wer Gegenstände, die zu unzüchtigem Gebrauche bestimmt sind, ausstellt. Die Staaten seien nicht gar stark und gesund, wenn ihre Finanzen gesund sind, viel wertvoller sei ein sittlich gesundes Volk. (Beifall.) Abg. Schall (kons.): Die konservative Partei habe nur darum davon Ab­stand genommen, ihrerseits einen gleichlautenden oder

Ti« Interpellation vetr. Zola s Brief in der französischen Kammer.

Paris, 13. Jan. Nachdem Graf Mun seine Absicht betr. eine Interpellation angekündigt hatte, suspendierte die Kammer die Sitzung, damit der Kabi- netschef Mölme und der Kriegsminister Billot, die der Sitzung nicht beiwohnten, herbeigeholt werden konnten.

Nach der Suspension bestieg Mäline die Tribüne und erklärte: Die Regierung begreift die Entrüstung, die sich der Kammer bemächtigt hat bei der Lektüre der abscheulichen Angriffe, die Zola gegen die mili­tärischen Richter geschleudert hat, die in Freiheit ihres Gewissens geurteilt haben. (Beifall.) Die Regierung teilt diese Entrüstung, sie hat beschlossen, den Artikel Zola's der Justiz zu überweisen, obwohl sie sich nicht verhehlt, daß die Strafverfolgung gewollt ist, um die beklagenswerte Aufregung im Lande zu verlängern. Aber die Regierung wird die Ehre der Armee und die Autorität der Justiz verteidigen.

Graf Mun nimmt von der Erklärung Mslines Akt, verlangt jedoch, daß der Kriegsminister hier auf den Artikel Zolas antworte. Der Artikel mit den An­griffen gegen den Kriegsminister, den Generalstab und die Offiziere des Kriegsgerichts sei in allen Straßen verbreitet. Man kündigt den Wiederbeginn einer Cam­pagne an. Der Kriegsminister muß abermals diese Angriffe und Verleumdungen zurückweisen.

Kriegsminister Billot konstatiert, daß er heute das vierte Mal zur Verteidigung des ergangenen Urteils das Wort ergreife. Die Armee verachtet schweigend die Beleidigung, aber es ist schmerzlich, daß in Gegen­wart Europas, das uns betrachtet, Verleumdungen gegen Heerführer geschleudert werden, die in der Stunde der Gefahr das Kommando führen sollen. Der Minister brandmarkt Namens der Armee dieantipatriotische Campagne." (Beifall.) Jaurös sagte, es werde nicht gelingen, die auf dem Chef der Armee lastenden Verantwortlichkeiten im Dunkel zu verbergen. Die

Verwirrung und Unruhe ist verursacht durch den Ausschluß der Oeffentlichkeit und durch die Art, wie dieser Ausschluß funktio­niert hat. Ist es wahr, daß im Prozeß Dreyfus Unregelmäßigkeiten begangen wurden? Wenn man einen revolutionären Akt zum Wohle des Vaterlandes hat verüben müssen, mußte man ihn laut zugestehen, statt ihn wie ein schmachvolles Auskunftsmittel zu ver­bergen. (Beifall links.) Man verlangt Geheimnis für diesen schmerzlichen Hochverrats-Prozeß und zugleich kolportieren die Militärbehörden selbst in den Journalen das Geheimnis der nationalen Verteidigung. (Beifall links.) Jaurös sagt, man werde jedenfalls nicht leugnen können, daß ein an der Affaire nahe beteiligter General die Protektion Rocheforts nachgesucht hat. (Beifall.) Freilich scheint es dem Kriegsminister leichter, Maß- regeln gegen die Presse zu ergreifen, die die militärischen Mißbräuche denunciert, als gegen die Mißbräuche selbst. Man ist im Begriff, die Republik den Generalen aus­zuliefern. (Stürmischer Beifall links, große Unruhe im Zentrum.)

Kriegsminister Billot konstatiert, daß Jauräs die Angriffe Zolas in verschärfter Form wiederholt. Nach­dem Jauräs von einer militärischen Anarchie gesprochen, müsse der Kriegsminister erküren, daß die großen mili­tärischen Führer niemals mehr Respekt vor dem Gesetz und der Disziplin bezeigt hätten. Der Kriegsminister selbst hat die Republik gründen helfen und ist ihr ein treuer Wächter. (Schwacher Beifall.)

Der ehemalige Kriegsminister Cavaignac protestiert als fortschrittlicher Republikaner gegen die Art, wie James von der Armee gesprochen. Das Wohl des Vaterlandes in furchtbaren Stunden wird von dem Respekt abhängen, den Millionen Untergebene vor ihren Führern haben. Man darf nicht den Gedanken ver­breiten, daß an der Spitze der Armee Männer stehen, die fähig sind, in Irrtum zu verharren, den sie als solchen erkannt haben. (Beifall.) Man profitiert da­von, daß die Chefs der Armee nicht sprechen dürfen,

um sie anzuklagen. (Unruhe links.) Man beleidigt die Armee. (Sozialist Millerand ruft dazwischen: Es ist keine Beleidigung der Armee, wenn man den Kriegs­minister angreift!) Cavaignac wirft aber auch dem Ministerium vor, daß es durch sein Zaudern und seine Schwachbeit die Campagne verlängert habe. Sofort zu Anfang hätte der Kr'egsminister die Campagne ab­schneiden können durch die Vorbringung des entscheiden­den Dokuments, das er besitzt. Der Offizier, der Dreyfus zur Degradation führte, hat aus Dreyfus Munde folgende Worte gehört:Wenn ich die Doku­mente einer auswärtigen Macht ausgeliefert, geschah dies in der Hoffnung, mir dadurch andere Dokumente zu verschaffen." Der Offizier hat über diese Worte Bericht an das Kriegsministerium abgestattet. Warum hat der Kriegsminister dieses Dokument nicht bekannt­gegeben ?

Der Kabinetschef Möline antwortete: Hätte die Regierung gehandelt, wie Cavaignac verlangt, hätte sie den Weg für die Revision des Prozesses eröffnet. Die Regierung hatte sich lediglich auf den Standpunkt des Gesetzes zu stellen. Dies hat sie gethan. Wenn die Kammer glaubt, die Regierung habe nicht ihre Pflicht gethan oder habe die entstandene Agitation ver­schuldet, möge sie es sagen. Die Regierung werde wissen, was sie zu thun habe. Möline verlangt ein Vertrauensvotum.

Cavaignac beantragt eine Tagesordnung, die die Zögerungen der Regierung gegenüber den Versuchen zur Antastung des ergangenen Urteils bedauert. Wird abgelehnt mit 317 gegen 192 Stimmen.

Marty bringt eine Tagesordnung ein, die die Erklärungen der Regierung billigt. Wird angenommen mit 313 gegen 141 Stimmen.

Graf Mun beantragt als Amendement hierzu eine Tagesordnung, die die Hoffnung ausspricht, die Regie­rung werde die nötigen Maßnahmen ergreifen, um die gegen die Ehre der Armee unternommene Campagne zu beenden. Wird angenommen mit 251 gegen 120 St.