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über den „Beobachter" und den „Wegweiser-Kalender". Von letzterem wurden pro 1898 45000 Exemplare abgesetzt. Von lautem Beifall begrüßt bestieg jetzt K. Haußmann die Rednertribüne, um über „die Lage im Reich" zu sprechen. Es würde höchst erwünscht sein, wenn ein klarer Luftzug in die innere deutsche Politik komme. Der ohnehin schon verödete Reichstag werde bald in zwei Lager gespalten sein: in das Lager des Unmuts und in das Lager des Uebermuts. (Beifall.) Was die auswärtige Politik anbelangt, so erkenne man kein stetes Steuerruder mehr. Die deutsche Politik fange an chinesisch zu werden. Wenn man auch die Chinafahrt als große historische That bezeichnen wolle, die Demokratie sehe nationale Phrasen noch nicht für nationale Politik an. Die Missionare seien nur ein Vorwand, vor allem auch, um das Zentrum geneigter für die Flotten- bewilligung zu machen. Im Grunde handle es sich immer um eine merkantile Frage. Der Handel könne auch ohne Kolonien blühen. Kiao Tschau könne noch zu allerhand Verwickelungen führen und uns Millionen kosten. Auf die Militärschraube werde die Schiffsschraube folgen. Weiter kommt noch die Frage des Rechts und der Moral in Betracht. Zu den Kieler Reden übergehend, meinte Haußmann, es gefalle dem Volke nicht, daß der erste Diener des Staates als Heiland und Erlöser angeredet wird. Das Volk habe aus der ganzen Affäre die Lehre zu ziehen, daß es für seine Stellung kämpfen muß; deshalb sollte die Volkspartei schon jetzt vorbereiten. — Rechtsanwalt Mayer-Ulm kritisierte die „Militärstrafreform" und es wurde einstimmig eine Resolution angenommen, wornach man die Vorlage als unbrauchbar und unannehmbar bezeichnete. — Ueber die Flottenvorlage sprechend, gab Reichstagsabgeordneter Galler der Hoffnung Ausdruck, das Zentrum möge den Tirpitz'schen Projekten gegenüber dasselbe Rückgrat bewahren wie gegen die Hollmann'schen. Es wurde zu diesem Zweck eine Resolution des gleichen Wortlauts angenommen, wie sie Dr. Quidde in einer Versammlung in den Zentralsälen zu München vorgeschlagen hatte. — Die politische Situation im Lande schilderte der Abgeordnete Schmidt-Besigheim, welcher als Zielpunkt seiner Angriffe sich die Deutsche Partei ausersehen hatte wegen ihrer Haltung in der Frage der Abschaffung der Lebens- länglichkeit der Ortsvorsteher. — Rechtsanwalt Dr. Elsaß-Stuttgart, welcher sich über die Verfassungsrevision verbreitete, stellte vor allem die Forderung auf, daß die Zahl der Abgeordneten der Volkskammer nicht vermindert werden dürfe. Unsinnseies, zu behaupten, das Volk sei noch nicht reif für die Listenwahl. Jedenfalls werde die Volkspartei nicht daran schuld sein, wenn die Berfassungsrevision scheitert. — Als weiterer Redner kam Kammerpräsident Payer zum Wort, um über die Steuerreform und das Umgeld zu sprechen. Er meinte, die Steuerreform habe den von der Volkspartei gewollten Zweck so gründlich erreicht, daß es zweifelhaft sei, ob auch die erste Kammer und die K. Regierung dem von der Volkskammer gnt- geheißenen Gesetzentwurf zustimmt. Dagegen gilt die Maximalgrenze von 6 Prozent bei der Einkommensteuer nicht als demokratischer Grundsatz. Falle beim Um- geld der demokratische Vorschlag die Hälfte aus Steuermitteln aufzubringen, und die Hälfte bei den Wirten
LefefrucH t.
Wer mit dem Leben spielt, Kommt nie zurecht;
Wer sich nicht selbst befiehlt, Bleibt immer Knecht.
Leidenschaft und Ließe.
(Fortsetzung.)
Jetzt war es zu spät zur Umkehr; Melitta mußte hier bleiben, lächeln und freundliche Worte sprechen, während ihr Herz sich krampfhaft zusammenzog in der Vorahnung eines bitteren Kummers.
Sie hatte gewähnt, stets sorgenfrei und glücklich leben zu können, sie hatte sich in der süßen Hoffnung gewiegt, dem ihr so sehr verhaßten Manne nie wieder zu begegnen, allein das unerbittliche Geschick wollte sie nicht verschonen, es hatte ihr nur Zeit gelassen, aber jetzt war es da.
Sie erkannte deutlich, was die höhnischen Blicke der Baronin bedeuteten; diese Frau war ihr niemals gewogen gewesen, es galt jetzt einen Kampf, den Kampf um ihr Glück.
Frau Ballung kam der Eintretenden entgegen; sie sah blaß und niedergedrückt aus. Mit krampfhaftem Drucke preßte sie Melittas Hand m der ihrigen. „Wie froh bin ich, daß ihr gekommen seid!" sagte sie leise.
Melitta konnte nicht antworten; die Kehle war wie zugeschnürt, eine heiße Angst bemächtigte sich ihrer — was würde der heutige Tag noch bringen?
zu belassen, so müßten wir die Verantwortung auf unsere Gegner abwälzen. Es sei aber nicht der Bedeutung der Sache entsprechend, wenn das Umgeld bei dem kommenden Wahlkampf in den Vordergrund gedrängt würde. Ueber den Gesetzentwurf betr. die Lebenslänglichkeit der Ortsvorsteher referierte Brauereibesitzer Bräuchle-Aalen, welcher den nicht wiedergewählten Schreiber-Schultheißen ein angemessenes Wartgeld zubilligen will, von den Bauernschulzen aber meint, sie können sich nachher wieder in ihrem angestammten Berufe nützlich machen. Die Pensionsfähigkeit sollte erst nach 30jähriger Dienstzeit beginnen. Eine von ihm vorgeschlagene und von der Versammlung angenommene Resolution lautet: „Die volksparteiliche Landesversammlung begrüßt die auf Abschaffung der Lebenslänglichkeit abzielende Gesetzes-Vorlage. Sie dankt ihren Abgeordneten für die energische Vertretung des Volkswillens und erklärt es für eine Fälschung derselben, wenn die Abschaffung der Lebenslänglichkeit für die gegenwärtigen Ortsvorsteher vereitelt werden will durch Festsetzung der G-meindeverpflichtung zu lebenslänglicher Nachzahlung nicht nur des Gehalts sondern auch der Gebühren an die nichtwiedergewählten Ortsvorsteher." -- Auf Vorschlag von Bräuchle und Rechtsanwalt Keppler-Crailsheim wurde der 30. Jan. zur Abhaltung von Versammlungen im ganzen Lande zur Besprechung des Ortsvorstehergesetzes bestimmt. — Nach 3 Uhr wurde der Parteitag, an welchen sich ein gemeinsames Mittagsmahl reihte, geschlossen.
* Mit Beginn des Jahres ist das neue Handwerkergesetz in Kraft getreten, nach welchem derjenige, welcher unbefugt den Meistertitel führt, mit Geldstrafe bis zu 50 Mk. belegt wird.
* (Verschiedenes.) Auf dem zwischen Weingarten und Ankenreute gelegenen Röslerweiher, der ziemlich tief ist, brach beim Schlittschuhfahren ein etwa 14jähr. Bursche ein. Lieutenant Sehrt vom Jnf.-Reg. Kaiser Wilhelm Nr. 120 wollte den Jungen herausziehen, fiel aber selber durch die dünne Eisdecke. Nur dem Umstande, daß Bretter bei der Hand waren, ist es zu danken, daß beide Verunglückte vom Tode errettet wurden. — Dieser Tage wurde die Leiche des 29jährigen ledigen Schneiders Albert Messerle von Vaihingen a. E., der seit 1. d. M. vermißt wird, aus der Enz gezogen. Wie der Mann ins Wasser geraten, ist bis jetzt nicht aufgeklärt. — Die Verhaftung des Kassiers Feil von Thannhausen zieht manche Leute schwer in Mitleidenschaft. Schon bis jetzt sollen sich die bekannten unterschlagenen Summen auf annähernd 5000 Mk. belaufen. Er hat den Einlegern für ihre Beträge Kassenanlehen-Quittungen ausgestellt, das Geld aber für sich behalten; es sollen meist Nichtmitglieder der Kasse fein. — In Eningen ertrank in einem in der Baumschule des Herrn Rall sich befindenden Bassin ein 9jähriges Mädchen. Zwei andere Kinder waren zugegen, sprangen aber statt Herrn Rall den Vorgang zu melden, in die */» Stunde entfernte Wohnung des Großvaters der Kinder. Weil hiedurch zu viel Zeit verstrich, waren Wiederbelebungsversuche erfolglos. — Der 30 Jahre alte ledige Fabrikarbeiter W. Bott von Calmbach wurde in der Pappefabrik von Lemppenau u. Cie. in Höfen von einer einstürzenden Holzbeuge so schwer verletzt, daß er kurze Zeit darauf starb. — Ein wahres Meifter-
Balbing rief den Neuangekommenen Gästen ein fröhliches „Willkommen" zu. Er stellte Cornaro als einen alten lieben Freund vor; der Künstler verneigte sich lächelnd und sagte, Melitta einen glühenden Blick zuwerfend:
„Ich bin entzückt, meine Gnädige, Sie so schön und blühend wiederzusehen."
Er machte eine Bewegung, Melittas Hand zu küssen; sie zog sich scheu einige Schritte zurück. Ihr Gatte betrachtete diesen Vorgang mit gerunzelter Stirn; die Art und Weise des Künstlers hatte ihn offenbar verletzt.
Äalbing bemerkte die Verstimmung seiner Gäste; er zog Volkmann in ein lebhaftes Gespräch, um ihn den üblen Eindruck vergessen zu wachen, welchen das Benehmen Cornaros hervorgerufen.
Melitta wandte sich zu Rosina; sie machte sich die bitttersten Vorwürfe über ihre Fassungslosigkeit und nahm sich vor, Cornaro mit kühler Ruhe zu begegnen.
Sie vermied vorsichtig die Nähe der Baronin, welche ihrerseits unausgesetzt Konrad beobachtete. Es waren eine Menge Personen, welche Melitta noch nie im Herrenhause getroffen; Herren und Damen, sämtliche Gäste der Baronin, welche vor kurzem von Paris zurückgekehrt war.
Melitta fühlte sich äußerst unbehaglich in diesem Kreise; das Benehmen der Damen kam ihr etwas de- gagiert vor und die Herren überhäuften sie mit Schmeicheleien, an denen sie keinen Gefallen fand. Rosina machte die Honneurs mit gemessener Förmlich
stück von Küferarbeit ist gegenwärtig in Hirsau zu sehen, ein Weinfaß, ca. 3000 Liter haltend, für eine Mainzer Weingroßhandlung bestimmt.
* München,?. Jan. Die Regierung beabsichtigt, die Viehhändlerställe und Gastställe, wo regelmäßig Handelsvieh eingestellt wird, der fortgesetzten tierärztlichen Aufsicht zu unterstellen. '
* Frankfurt a. M. Ein Goldklumpen im Werte von 10 000 Mk. bildete den Hauptgewinn der hies. Rosen-Ausstellungs-Lotterie. Erfreulicherweise ist dieser Gewinn an die richtige Adresse gelangt. Der Bäckerlehrling Emil Rothart aus dem Thüringischen, eines armen Glasbläsers Sohn und bei dem Bäckermeister Schlamp zu Frankfurt a. M. in Arbeit, ist der glückliche Gewinner, der sich das Los von seinen Sparpfennigen gekauft hatte.
* Aus der deutschen Aktion in Ostasien ziehen unsere Handelskreise erfreulicherweise sofort praktische Folgerungen. Die erst gemeldete Ankündigung der Ham- burg-Amerika-Linie, einen regelmäßigen monatlichen Dampferdienst nach indischen und chinesischen Haupthafenplätzen einzurichten und schon in diesem Monat mit der Entsendung eines Dampfers zu beginnen, beweist eine große Rührigkeit unserer Ausfuhrinteressenten, so rasch wie nur möglich mit allen Verhältnissen des neuen gewaltigen Absatzgebietes sich vertraut zu machen, festen Fuß zu fassen auf einem Markt, der durch Wettbewerber wie England und Frankreich mit aller Anstrengung verteidigt wird. Es muß sich nun zeigen, was deutscher Unternehmungsgeist und deutsches Können auf diesem Gebiete vermögen. Seitens der Regierung finden die Bestrebungen jedenfalls weitgehende Förderung , besonders auch durch Auskunftserteilungen. Wünschenswert wäre die rechtzeitige Einrichtung einer amtlichen Zentralstelle ausschließlich für die Behandlung ostasiatischer Angelegenheiten.
* Am 7. Januar 9 Uhr vormittags passierte das deutsche Geschwader unter dem Salut des englischen Kreuzers Scout und der Festung die Mündung des Suez-Kanals.
* (Von der Post.) Wie die „Deutsche Verkehrszeitung" in einem Artikel über Fehlleitung von Postsendungen mitteilt, ist kürzlich ein Einschreibebrief aus Norddeutschland nach Backnang ins ferne Ausland gelangt; er trug auf der Rückseite die Stempel Tonking, Hai Phong-Hanoi. Das hat zu einer energischen Beschwerde des Absenders geführt, der durch die verspätete schließlich e Ankunft des Brieses am richtigen Bestimmungsorte sehr geschädigt war.
* Unsere nordöstlichen Provinzen dürfen nicht noch polnischer werden, sie müssen deutsch werden! Und deshalb bemüht sich die Regierung, in der Provinz Posen und Westpreußen große polnische Güter anzukaufen, sie in kleine Güter zu teilen und solche an deutsche Bauern zu verkaufen. Seit 10 Jahren wird in dieser Weise dem Deutschtum in jener unruhigen Gegend Eingang verschafft. Neuerdings sollen wieder 100 Millionen Mk. vom preußischen Landtage für solche Kolonisationszwecke gefordert werden.
* Straßburg i. Elf.. 6. Jan. Heute nachmittag halb 5 Uhr stürzte ein vierstöckiger Neubau am alten Weinmarkt, welcher lediglich auS Eisen und Hausteinen
keit; ihr Gesicht war ruhig und unbeweglich, aber in den klaren Augen blitzte es manchmal wie verhaltener Zorn. Zuweilen sandte sie einen forschenden Blick zu ihrem Gatten, welcher das belebende Element der Gesellschaft bildete.
Er sprach tapfer den servierten Erfrischungen zu und nötigte unaufhörlich seine Gäste, doch seinem Beispiel zu folgen.
Man drang in Cornaro, welcher sein Instrument mitgebracht, irgend etwas zu spielen; der Künstler ließ sich eine Weile bitten, dann fügte er sich den Wünschen der Gesellschaft. Melitta flüchtete in die dunkelste Ecke, als er zu spielen begann. Er spielte eine jener süßen, ergreifenden Weisen, die er, wie er damals gesagt, aus Melittas Augen gelesen hatte.
Atemlos, mit fliegenden Pulsen, lauschte die junge Frau. Die vergessene Vergangenheit stieg wieder vor ihr empor und sie vermeinte, ihr Herz müsse brechen vor Reue und Schmerz.
Als sich der Beifallssturm ein wenig gelegt hatte, näherte sich Cornaro der jungen Frau. — „Wollen wir wieder einmal miteinander spielen?" sagte er zu ihr in bittendem Tone.
Sie sah ihn kalt an. „Sie würden an mir eine schlechte Partnerin finden, mein Herr; meine Haushaltungsgeschäfte lassen mir wenig Zeit zum Ueben übrig." „Melitta'."
Sie maß ihn mit einem verächtlichen Blicke. Die Baronin kam mit lächelnder Miene dahergerauscht.
„O bitte, bitte, spielen Sie doch mit Herr« Cornaro."
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