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Delbrück, Wermut h, Lisko und Lindequist. Der Präsident eröff­net die Sitzung um 1^ Uhr. Auf der Tages­ordnung stehen zunächst Rechnungssachen betreffend Kolonialeinnahmen und Aus­gaben. Erzberger (Zentr.) möchte Auf­klärung über die nachträglichen Verrechnun­gen haben und wünscht, daß in Zukunft die Abrechnungen laufend erfolgen. Entweder ist der Etat beim Voranschlag der Militär­lasten nicht richtig aufgestellt oder aber ein zu schnelles Tempo bei der Pensionierung beim Militär in den Kolonieen eingeschla­gen worden. Statt 3^2 Millionen sind für Versorgungen bei der Militärverwaltung in Südwestafrika rund 4^ft Millionen aus­gegeben worden. Noske (Soz.) meint, beim Voranschlag scheine absichtlich manche Position so niedrig angegeben zu sein, um dem Etat ein günstiges Aussehen zu geben. Görcke (natl.) verlangt eine scharfe Revi­sion der Bestimmungen, nach denen die Tro­penzulagen und die Pensionen zu gewähren sind. Im Reservefonds sei mehr Klarheit nötig. Staatssekretär v. Lindequist: In Zukunft wird der Etat für die Kolonieen nach dem Muster des Reichsetats vorgelegt werden. Die Etatsüberschreitungen sind auf die Ausgaben anläßlich des Aufstandes zurückzuführen. Sie ließen sich vorher nicht übersehen. Die Mehrausgaben für die ge­mischte englisch-deutsche Erenzkommission für Nordkamerun konnten ebenfalls nicht vorausgesehen werden. Nach kurzer weite­rer Debatte wurden die vorliegenden Rech­nungssachen an die Rechnungskommission verwiesen. Die Besprechungen der Inter­pellationen über die Lebensmittel und Futterteuerung wurde d fortgesetzt. Graf v. K a n i tz (kons.): 8? ', sind dem Reichskanzler dankbar für die Er­klärung, daß er an unseren jetzigen bewähr­ten Wirtschaftssystem nicht rütteln lassen will. Die heutigen Preise können umso­weniger hoch erscheinen, als die Produk­tionskosten für den Landwirt enorm gestie­gen sind. Der Landwirtschaft stehen die französischen Sozialdemokraten anders gegen­über als die deutschen. Ihr Genosse Cal- wer Zuruf ist schon längst ausgetreten (Dr. Heim ruft: Die Gescheiten treten aus.) Ihr Genosse Calwer konstatierte, daß bei Inkrafttreten des neuen Zolltarifs die Engrospreise für Nahrungsmittel um 3 Prozent, die Detailpreise um 1030 Pro­zent gestiegen sind. Die Einrichtung der Einfuhrscheinsysteme bedeutet für die west­lichen Provinzen geradezu eine Lebensfrage. (Sehr richtig rechts.) Von einer Schädigung der Reichskasse durch die Einfuhrscheine kann

keine Rede sein. Das System der Einfuhr­scheine wird viel eher dem Freihandel als dem Schutzzoll gerecht. Die auf die Einfuhr des argentinischen Fleisches gesetzten Hoff­nungen kann ich nicht teilen. Ich bitte, auch der getreidebayenden Bevölkerung gerecht zu werden. Wir wollen uns doch möglichst we­nig in die Abhängigkeit vom Ausland be­geben. Staatssekretär Dr. Delbrück: Die bisherigen Erörterungen haben die streitenden Parteien nicht erheblich einander nähergebracht. Daß eine Teuerung besteht, wird am allerlebhaftesten von den verbün­deten Regierungen bedauert. Die Einfuhr amerikanischen Büchsenfleisches ist durch Ge­setz verboten worden wegen vielfacher Ein­zel- und Massenerkrankungen, die durch sei­nen Genuß eingetreten sind. Die Einfuhr lebenden Viehs aus Amerika ist mit Rück­sicht auf das Texasfieber verboten. Auch die Einfuhr von gefrorenem oder gekühltem Fleisch ist unmöglich mit Rücksicht auf die Bestimmungen des Fleischbeschaugesetzes. Eine vorübergehende Suspension des Z 12 Z. 12 des Gesetzes ist nicht angängig. Der Staatssekretär trägt sodann das im Reichs­amt des Innern gesammelte statistische Ma­terial über die Preisgestaltung der notwen­digsten Lebens- und Futtermittel vor. Im allgemeinen entsprechen die Ernteverhält­nisse denjenigen des Vorjahres. Staats­sekretär Delbrück (fortfahrend): Auch in freihändlerischen Ländern, wie Dänemark und England, sind die Lebensmittel teurer geworden. Unsere Beteiligung am Welt­markt hat sich infolge unserer Wirtschafts­politik ganz ungewöhnlich gehoben. Die Behauptung, daß unser Export sich ungünstig entwickelt habe, ist hinfällig, das beweist der zunehmende Wert des Exports. Der Be­hauptung, daß unser Wirtschaftssystem ver­altet sei, muß mit aller Entschiedenheit ent­gegengetreten werden. Darum kann das Heil auch nicht liegen auf zoll- und wirt­schaftspolitischem Gebiet. (Beifall rechts.) Minister der öffentlichen Arbeiten v. B r ei­te n b a ch: Die Eisenbahnverwaltungen haben auf Veranlassung des Eisenbahnrats eine recht erhebliche Frachtermäßigung ein- treten lassen. Leider ist sie nicht den Kon­sumenten zugute gekommen. Ich werde Vorsorge treffen, daß in Zukunft mit Not­standstarifen das erreicht wird, wozu sie bestimmt sind, nämlich, daß sie lediglich den Verbrauchern zugute kommen. Ein Antrag Bebel auf Vertagung wird gegen die so­zialdemokratischen und die freisinnigen Stimmen abgelehnt. Dr. Südekum (Soz.): Wir werden erst aus der Sterbe­statistik Nachweisen können, wie diese Teue-

Biberach 25. Okt. (Die unter­brochene Trauung.) Gestern sollte um 10 Uhr hier die Trauung eines Hochzeits­paares stattfinden. In festlichem Zuge be­gaben sich die Brautleute mit ihren Ange­hörigen und Verwandten in die Kirche. Als der Geistliche nach vorausgegangenem Got­tesdienst zur Trauung schreiten wollte und die nötigen amtlichen Schriftstücke von dem Bräutigam verlangte, erklärte dieser, der ein Stuttgarter ist, er habe keinerlei Papiere. Alsbald wurde nun das Telephon in Bewe­gung gesetzt und mit dem Stuttgarter Stan­desamt unterhandelt. Wie man hört, waren die Papiere in Stuttgart liegen ge­blieben und so wurde die Trauung verscho­ben. Das Hochzeitsessen mußte indessen in einem hiesigen Easthause abgehalten werden. Der Humor soll dabei sehr gedrückt gewesen sein. Die Trauung wurde dann abends um 6 Uhr nach Ankunft der Schriftstücke nach­geholt.

Vom Bodensee 25. Okt. (Die Pfänderbahn.) Bereits seit 15 Jahren beschäftigte man sich in Bregenz mit einem Bahnprojekte auf den aussichtsreichen Pfän­dergipfel (1060 Meter), ohne jedoch zu einem positiven Ergebnis zu gelangen. Da das Kapital nunmehr gesichert ist, hat man sich jetzt für eine Schwebebahn entschlossen. Im Frühjahr wird mit dem Bau auf den Pfän­der begonnen werden. Nach einer Bauzeit von 9 Monaten wird die Bahn dem öffent­lichen Verkehr übergeben.

Berlin 25. Okt. Im Seniorenkon­vent brachten heute die Nationallibe­ralen folgenden Antrag ein: Der Reichs­tag wolle beschließen, den Herrn Reichskanz­ler um eine Erklärung zu ersuchen: 1. daß das Abkommen über Marokko in allen seinen Teilen nicht zum Abschluß ge­bracht werden wird, ehe der Reichstag als der berufene Vertreter des deutschen Volkes darüber gehört worden ist; 2. daß ohne Ge­nehmigung des Reichstags weder deut­sches Schutzgebiet abgegeben, noch deutsches Kolonialland er­worben werden soll. Nach Be­sprechung des Antrags im Seniorenkonvent zogen die Nationalliberalen den Antrag zu­rück, da sich die Konservativen und das Zen­trum dagegen erklärten.

Berlin 24. Okt.' Im heutigen Se­niorenkonvent des Reichstags verlautete, daß die nächsten Reichstagswahlen am 12. Januar stattfinden sollen.

Berlin 24. Okt. (Reichstag.) Am Bundesratstisch die Staatssekretäre

Das ist immer so," sagte Karoline schnippisch.Damit nicht Tantes Kleider in der guten Stube auf dem Sofa liegen oder der Senator seinen Arbeitsrock anhat. Sie sehen hier sehr aufs Venehmigte."

Das Mädchen mit dem weißen Tüll­häubchen führte sie eine Treppe hinauf in den Salon. Es war sehr fein bei Senators, aber etwas kalt und steif mit blauer Seide überzogene Sofagarnitur, die Tische mit Prachtwerken dicht belegt, auf den Zier­schränken Familienbilder in allen Formaten, an der Wand von einem Stechpalmkranze umgeben das lebensgroße Bild von des Se­nators erster, wunderschöner Frau, die früh gestorben war.

Ein paar Minuten stand das Brautpaar herum, und Karoline machte ihren Verlob­ten auf alle Einzelheiten aufmerksam. Dann kam der Onkel.

Das ist aber nett, Karolinchen, daß Du mir Deinen Bräutigam bringst," sagte er liebenswürdig.Also, Sie wollen uns das Mädel entführen? Nun, herzlichen Glück­wunsch dazu! Und wie das Kind wieder aussieht!"

Der Herr Senator sah recht stattlich aus hellgraue Beinkleider und funkel­nagelneuer schwarzer Eehrock, den er offen

trug, daß man die breite, goldene Uhrkette von einer Westentasche zur anderen sah, ein seidenes Käppchen gegen die Zugluft auf dem Kopfe, der graue Bart spitz zugestutzt, daß man den alten Herrn für einen Fran­zosen von Distinktion halten konnte; nur die Füße wollten wieder einmal nicht recht, weil die guten Rotweine sich mit gichtischen Schmerzen rächten. Und sonst wäre der Herr Senator doch gewiß noch sehr unterneh­mungslustig gewesen.

Zum Worte kam das Brautpaar nicht viel, denn der Onkel Senator redete für drei vom Wetter, von der Eicht, von Unglücks­fällen, die er in der Zeitung gelesen. Er sprach gewählt und mischte gern Fremdwör­ter in seine Rede, leider nicht immer am richtigen Ort. Und nun kam auch die Frau Senator mit den Kindern, zwei blassen, hoch­aufgeschossenen Zungen mit roten Haaren und Sommersprossen, und einem Mädchen, dem das Plappermäulchen keinen Augen­blick stillstand.

Die Begrüßung mit der Frau Tante war sehr gemessen. Sie mochte Karoline nicht; sie mochte überhaupt hübsche Menschen nicht leiden, weil sie zu traurige Erfahrun­gen mit ihrem Gatten gemacht hatte, der noch heute hinter jeder Schürze hersah.

Karoline merkte schon, daß die Tante etwas auf dem Herzen hatte. Diese saß doch nicht umsonst eine ganze Weile still und druckste. Und richtig, nun kam es. Die Lorg­nette der Frau Senator fixierte die junge Braut von oben bis unten.

Würdest Du es nicht doch für richtiger halten, Karoline," sagte die Tante dann, ehe Du weitergehst, noch einmal umzukeh­ren und Dir schwarze Stiefel anzuziehen? Die weißen Stiefel passen doch nicht für eine Brautvisite; und außerdem sind wir mitten im Herbst. Ja, ja, ich weiß ja. Du liebst das Besondere, und Deine gute Mutter ist schwach. Sonst würde sie auch nicht erlaubt haben, daß Du diesen Hut aufsetztest. Das ifi ja beinahe ein Rad, und noch dazu aus blauem Samt und große Federn daran. Kind, Kind, wir leben nicht in dem Sündenbabel Berlin."

Karoline sah zum Fenster hinaus und tat, als ob sie nichts gehört hätte. Sie wußte, daß nichts die Frau Senator mehr ärgern konnte. Diese bekam denn auch so» fort rote Flecken auf den Backen und warf Johannes einen mitleidigen Blick zu. Gleich daraus brach man auf, und das Brautpaar war froh, als es draußen war.

(Fortsetzung folgt.) .