1l82

treideaussuhrverbots, Aufhebung der Ein­fuhrscheine rc. wird in Anbetracht der Bedeu­tung dieser Fragen der demnächst stattfinden­den Vollversammlung zur weiteren Behand­lung überwiesen. Anläßlich der Behand­lung dieser Eingabe, deren Tendenz der Vor­stand im Allgemeinen zu stimmt, soll dann auch die Frage der Fleischteuerung be­handelt werden.Der Verein der Indu­striellen des Regierungsbezirks Köln hat an den Reichstag eine Eingabe gerichtet, welche sich gegen die im Entwurf eines Versiche­rungsgesetzes für Privatangestellte vor­gesehene Regelung der Sonderkassen richtet. Ueber diese Eingabe, die zur Unter­stützung unterbreitet worden ist, wird zur Tagesordnung übergegangen. Eine Reihe Gesuche von Bäckermeistern des Kammer­bezirks um Dispensation von den Vorschrif­ten der Ztz 1 und 2 der Min.-Verf. betr. die Einrichtung und den Betrieb von Bäckereien vom 12. März 1909 werden den zuständigen Oberämtern befürwortend vorgelegt. An die K. Zentralstelle für Gewerbe und Handel werden mehrere Gutachten erstattet. Zum Zwecke der Regelung des weib­lichen Lehrlingswesens wird eine besondere Kommission eingesetzt, welche diese Frage weiter behandeln wird, sodaß die nächste Vollversammlung Stellung zur gan­zen Frage nehmen kann. Weiter werden die Stellen der Vorsitzenden der Gesellen- prllfungsausschüsse der Handwerkskammer in Schramberg und Ebingen für den Rest des Jahres neu besetzt. Einige Gesuche um Ab­kürzung der Lehrzeit werden angesichts der besonderen Umstände (Konkurs des Lehr­herrn) genehmigt. Der geschäftsfllhrende Ausschuß des Deutschen Handwerks- und Ee- werbekammertags beschäftigt sich in seiner am 26. ds. Mts. stattfindenden Sitzung mit der Frage der Besserung des priva­ten Submissionswesens und hat die Handwerkskammer Reutlingen um Er­stattung des Referats ersucht. Handwerks­kammersekretär Hermann wird mit der Erstattung des Referats beauftragt,' gleich­zeitig wird eine aus 5 Vauhandwerkern und 2 Baugewerbetreibenden bestehende Kom­mission für diesen wichtigen Gegenstand unter dem Vorsitz von Schreinermeister Vollmer- Rottenburg eingesetzt.

Heilbronn 23. Okt. (Aerger- nis.) Ein blutiges Schauspiel spielte sich gestern vormittag in der Pau- linenstraße ab. Das Pferd des Fuhrwerks des Metzgermeisters Rank scheute plötzlich an

dem vorüberfahrenden Straßenbahnwagen) und sprang direkt auf diesen zu, sodaß die Deichsel entzweibrach und das Pferd zu Boden fiel. Der Straßenbahnwagen wurde beschädigt, konnte jedoch seine Fahrt fort­setzen. Beim Pferde wurde ein Bruch des Hinterfußes konstatiert. Ueber ^ Stunden blieb das Pferd liegen, bis endlich die maß­gebende Persönlichkeit kam und das Tier mitten auf der Straße tötete. Es war ein schauerlicher Anblick. Gibt es in der Groß­stadt Heilbronn keine andere Methode, ein Tier abzuschlachten, als diese, die natürlich in der belebten Straße eine ungeheure Men­schenmenge ansammelte?

Aus dem Oberamt Bracken­heim 23. Okt. (Arbeiterfürsorge.) Wie gesucht die Arbeitskräfte besonders im Zabergäu sind, beweisen verschiedene Ver­günstigungen und Wohlfahrtseinrichtungen der Arbeitgeber. So zahlen verschiedene Fa­briken der Gold-, Zigarren- und Kleidungs­branche dem auswärtigen Arbeitspersonal, das die Bahn benützen kann, die Fahrkosten. Die Knabenanzügefabrik Bleyle in Vrackenheim hat überdies noch eine sehr nachahmenswerte Einrichtung getroffen. Für die Mädchen, die vom oberen Zabergäu mit der Bahn hin und her in die Fabrik zu Vrackenheim fahren und über Mittag am Fabrikationssitz verbleiben müssen, auch für die der nächstgelegenen angrenzenden Ge­meinden, denen das Essen bisher getragen wurde, hat der Fabrikinhaber einen guten und billigen Mittagstisch in Vrackenheim einzurichten verstanden und trägt überdies noch einen respektablen Anteil der Kosten daran.

Ulm 23. Okt. Graf Zeppelin hat, wie bereits kurz gemeldet, die Ueber- nahme der Reichstagskandida­tur im 14. Wahlkreis abgelehnt. Die Deutsche Partei überläßt es nunmehr der Volkspartei, einen anderen ge­meinschaftlichen Kandidaten zu suchen, da bekanntlich der Hansabundpräsident Rie­tz e r ebenfalls nicht in Frage kommen kann. Die Volkspartei hat dieses Anerbieten der Deutschen Partei angenommen. Wahrschein­lich aber wird es bei der Doppelkandidatur Hähnle-Kehm sein Bewenden haben.

Friedrichshafen 23. Okt. (Vom neuen Militärluftschiff.) Sämt­liche Probefahrten desI. 2 9" haben die volle Befriedigung der militärischen Fahrt­teilnehmer gefunden. Das neue Militär­luftschiff erfährt in den nächsten Tagen

einige, von der Militärverwaltung ge­wünschte Abänderungen und geht dann end­gültig in militärischen Besitz und Betrieb über.

Berlin 23. Okt. (Reichstag.) Am Bundesratstisch: Reichskanzler von Vethmann-Hollweg und die Staats­sekretäre Delbrück, Wermut h, sowie die Minister Lisko, Schorlemer, Vreitenbach und llnterstaatssekretär Wanschaffe. Auf der Tagesordnung stehen zunächst die Interpellationen des Zentrums, der Sozialdemokraten und der Freisinnigen, betreffend die Lebens- und Futtermittel- teuerung. Dr. Spahn (Zentr.) be­gründet die Interpellation seiner Partei und bemerkt, unbestreitbar bestehe in Bezug auf die gegenwärtigen Lebensmittelpreise ein abnormer Zustand. Vielfach sei von den Gemeinden mit Abhilfemaßnahmen vorgegangen worden, namentlich durch Ein­richtung von Verkaufsständen. Die Er­mäßigung der Eisenbahntarife durch den Staat komme leider zum größten Teil nicht den Konsumenten, sondern dem Handel zu­gute. Die Forderung nach Ermäßigung der Einfuhrzölle sei nicht zu rechtfertigen, wohl aber sei eine Einschränkung des Einfuhr­scheinsystems berechtigt. Zu erwägen wäre die Wiedereinführung des Identitätsnach­weises. Auf keinen Fall dürften aber Maß­nahmen getroffen werden, welche eine Schä­digung der Produzenten zur Folge haben könnten. Scheidemann (Soz.) begrün­dete die Interpellation seiner Partei. Im Ausland, wo dieselben Teuerungsverhält­nisse bestehen wie bei uns, hätten diese be­reits zu Revolten und Krawallen geführt. Unsere agrarische Politik hat Millionen zur Unterernährung gezwungen, nur um einem kleinen Teil der Bevölkerung, den notlei­denden Agrariern, immer wieder neue Vor­teile zuzuschanzen. Weshalb führt man das argentinische Büchsenfleisch nicht bei uns ein? Scheidemann schließt: Die Zölle auf Schlachtvieh und auf alle Futtermittel müs­sen beseitigt werden. Abg. Oeser (Fort­schritt!. Vpt.) fährt zur Begründung der frei­sinnigen Interpellationen fort: Der lücken­lose Zolltarif hat die lückenlose Teuerung herbeigeführt. Das ist nichts anderes als das absichtlich herbeigeführte Produkt unse­rer Wirtschaftspolitik, die bestrebt ist, die Höhe der Lebensmittelpreise beizubehalten. Wir verlangen einen allmählichen Abbruch der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik und

ich habe ihn ja ganz schrecklich lieb. Ich kann's ihm bloß nicht zeigen. Aber, wenn er mich nicht will, dann gehe ich in den See. Ich kann ja ohne ihn nicht leben."

8. Kapitel.

Am Sonntag Abend noch war Johan­nes Jessen benachrichtigt worden, daß Tante Eesine und Karoline ihn erwarteten. Mit verweintem Gesicht hatte ihn die Cousine empfangen. Sie sah so reizend aus in ihrer verlegenen Hilflosigkeit, daß er sie gerührt an sich zog und auf die Stirn küßte. Und in diesem Augenblicke wurde ihm der Entschluß nicht einmal schwer, mit dem er gekommen war, auf die Reise zu verzichten.

Aber jetzt war es an den Damen, ihn durch Großmut zu beschämen. Tante Eesine teilte ihm mit feierlicher Würde mit, daß sie auf keinen Fall schuld daran sein wollten, wenn er sich etwa die Gunst des Barons ver­scherze; und Karoline setzte das Vertrauen in ihn, daß er in der Baroneß nichts anderes sehen werde, als die Schwester seines kranken Pfleglings. Karoline selbst schluchzte bei die­ser rührenden Wendung noch einmal in ihr Taschentuch. Johannes streichelte zärtlich ihre Hand, die ganz eiskalt vor Erregung war. Dann ging man zum Abendbrot, bei dem der kalte Kalbsbraten nun endlich doch zu Ehren kam.

Und nun wurde alles Nötige beredet,

um noch vor der Reise, die in zwei bis drei Wochen angetreten werden sollte, die Ver­lobung zu veröffentlichen. Denn das war Karolines Bedingung, die ihr einigermaßen den Kummer versüßte: sie wollte als rich­tige, öffentlich anerkannte Braut Zurückblei­ben, wenn Johannes nach Italien ging. Es war in ihr so ein dunkles Gefühl, als um- schleiere sie dann eine Art Nimbus junger Witwenschaft; und sie kam sich vor wie ein ins Weibliche übersetzter Ritter Toggenburg hoffend, harrend, ohne daß sie sich selbst ganz klar darüber wurde.

Und dann wollte sie der verhaßten Alice von Bählow selbst eine Verlobungskarle zu­senden heimlich natürlich, denn Johannes hatte gemeint, es sei besser, der freiherrlichen Familie keine Karten zu senden, da man doch nicht in gesellschaftlichen Beziehungen zu ihr stände und die Zusendung als Zudringlich­keit empfunden werden könnte.

Am Mittwoch brachte Johannes die Ringe ganz breite, flache Goldreifen, denn so hatte es Karoline gewollt, obwohl er lieber die runden genommen hätte, da ihm die anderen zu protzenhaft aussahen. Er meinte, die Ringe sollten doch fürs ganze Leben und daher nicht einer Augenblicksmode unterworfen sein. Aber nun sahen sie doch sehr schön aus, als er seiner Braut den ihri­gen und dann sich selbst den seinen aufge­streift hatte.

Tante Gesine küßte erst ihre Tochter und dann den Schwiegersohn und wischte sich die Augen ab. Man stieß mit Rotwein an und sprach den Nachmittag von nichts anderem, als was wohl die ganze große Bekanntschaft zu der Verlobung sagen würde, die heute Nachmittag im dreimal wöchentlich erschei­nenden Kreisblatte stehen sollte, aber gleich­zeitig auch durch Versendung von Karten an­gezeigt war, die Johannes selbst heute früh auf die Post getragen hatte.

Und dann kamen die stolzen Tage für jede junge Braut: die Tage der feierlichen Besuche, bei denen man sich zum ersten Male in der neuen Würde präsentierte. Karo­line hatte ihrer Mutter nicht eher Ruhe ge­lassen, als bis man nach Lübeck gefahren war, um ein neues Kleid für die Visiten zu kau­fen. Und dann hatten Mutter und Tochter lange im Nebenzimmer miteinander ge- tuschelt, bis schließlich Frau Eesine sich ent­schlossen hatte, den Schwiegersohn beiseite zu nehmen und ihm zu eröffnen, sein schwarzer Rock sei doch schon ein wenig blank und an den Nähten abgescheuert. Sie wolle aber, daß er sich vor den Leuten sehen lassen könne. Darum und hierbei drückte sie ihm einen Fünfzigmarkschein in die Hand solle er mit nach Lübeck fahren und sich in einem Ba­sar für Herrengarderobe einen schwarzen Anzug kaufen.

(Fortsetzung folgt.)

/