* Tettnang, 26. Okt. Reichlicher Schneefall hat die ganze Seegegend in ein winterliches Kleid ge­hüllt. Der Schaden, den die Schneelast an noch mit Früchten behangenen Obstbäumen anrichtete, ist be­deutend. Aeste wurden abgedrückt; auch junge Bäume fielen der schweren Last zum Opfer.

* (Verschiedenes.) In Jagstheim wurde am Sonntag nacht die Frau des Bahnwärters Wörtz bei Ausübung des Ablösungsdienstes ihres Mannes von dem gegen 10 Uhr passierenden Zuge erfaßt und ihr der linke Arm unter der Schulter abgefahren. Außerdem erlitt sie noch schwere Verletzungen am Kopse. Die Verunglückte wird schwerlich mit dem Leben davonkommen. Die vor einiger Zeit einem Schüler des Stuttgarter Konservatoriums ge­stohlene wertvolle Geige ist samt dem Dieb wieder in Stuttgart eingeliesert worden. Der bei dem Oekonomen Frick inJrrendorf bedienstete Hierony­mus Beck von Berenthal war mit dem Lenken der Pferde am Göppel der Dreschmaschine beschäftigt, als eine Schraube sich gelöst zu haben scheint, die die Deichsel nach rückwärts schlug und den Knecht mit solcher Wucht auf den Unterleib traf, daß er noch abends verschied. In Glatten ist das Is-Zähr. Kind des Joh. Gg. Walz dadurch ums Leben gekommen, daß die Wiege, in welcher es lag, umstürzte, und das Kind unter das Bettchen und die Wiege zu liegen kam. Bis die Magd, welche es beaufsichtigte, von einer kurzen Beschäftigung in der Scheuer zurückgekehrt war, war das Kind erstickt. In Heilbronn stürzte am Dienstag abend ein 20jähr. Maurer von einem etwa 7 Meter hohen Gerüst herab, wobei er sich so schwere Kopfverletzungen zuzog, daß an seinem Aufkommen gezweiselt wird. Aus Tuttlingen wird geschrieben, daß infolge anhaltenden Regens und Schneesalls die Donau aus ihren Ufern getreten sei und das untere Donauthal überschwemmt habe.

* München, 23. Oktbr. (Ein Wahnsinniger im Gerichtssaal.) Eine aufregende Szene spielte sich heute vormittag im zweiten Sitzungssaale des Amtsgerichts München I bei Beginn der Verhandlungen ab. Es betrat nämlich plötzlich ein großer Mann mit statt­lichem Vollbart den Gerichtssaal und begann heftig zu gestikulieren, wobei er schrie:Ihr habt es alle mit dem Teufel, im Namen der heiligen Dreifaltigkeit und des heiligen Teufels seid ihr alle verhaftet!" Gleich­zeitig fing er an, heftig um sich zu schlagen, die Bänke im Sitzungssaale herumzuwerfen und fürchterlich zu brüllen. Der Vorsitzende des Gerichtes, die beiden Schöffen und der Gerichtssekretär waren momentan über den Vorfall ganz erschrocken. Nun aber traten der Gerichtsdiener und zwei als Zeugen vorgeladene Gensdarmen an den offenbar Wahnsinnigen heran und beförderten ihn mit Gewalt aus dem Gerichtssaal. Bei dem Transport in eine Detentionszelle, wozu noch weitere zwei Gensdarmen nötig wurden, brüllte der Mann wie ein Wütender, schlug mit Händen und Füßen um sich, legte sich auf den Boden und fing sogar zu beißen an, so daß die Gensdarmen vollauf zu thun hatten, den robusten Mann zu überwältigen. Wie sich nachträglich herausstellte, ist der Bedauerns­werte ein Stationsmeister der hiesigen Trambahn. Da er stark nach Spirituosen roch, so ist wohl die An­

nahme nicht ungerechtfertigt, daß er in einem Anfalle von Delirium gehandelt hat.

* Berlin, 26. Okt. Heute nachmittag wurde die in der Klödenstraße wohnhafte Witwe Limberg mit ihren drei Kindern im Alter von sechs, vier Jahren und sechs Monaten in ihrer Wohnung tot aufgefunden. Es liegt offenbar Mord und Sebstmord vor. Die Witwe Limberg war verlobt mit einem Heizer. Trübung des Verhältnisses soll die Ursache der That sein.

* Berlin, 26. Okt. Frau Justizrat Levy liegt infolge der erhaltenen Messerstiche nunmehr an Brust­fellentzündung schwer krank darnieder.

* Berlin, 27. Okt. Gegen die Handwerkervor­lage hat sich der Zentralverein der Leder-Industrie, dem außer den Fabrikanten auch mittlere und kleinere Gerber angehören, ausgesprochen.

* DieHamburger Nachrichten" machen über das Verhältnis zwischen Deutschland und Rußland eine Aufsehenerregende Mitteilung, die falls sie von Friedrichs- ruh inspiriert sein sollte, von geradezu historischer Be­deutung wäre. Das Blatt schreibt: Schon bald nach dem Thronwechsel und dem Ausscheiden Gortschakows war das gute Einvernehmen der deutschen und der russischen Politik hergestellt und blieb in dieser Ver­fassung bis 1890. Bis zu diesem Termine waren beide Reiche im vollen Einverständnis darüber, daß, wenn eins von ihnen angegriffen würde, das andere wohlwollend neutral bleiben solle, also wenn beispiels­weise Deutschland von Frankreich angegriffen wäre, so war die wohlwollende Neutralität Rußlands zu gewärtigen, und die Deutschlands, wenn Rußland un- Provoziert angegriffen würde. Dieses Einverständnis ist nach dem Ausscheiden des Fürsten Bismarck nicht erneuert worden, und wenn wir über die Vorgänge in Berlin richtig unterrichtet sind, so war es nicht etwa Rußland in Verstimmung über den Kanzler­wechsel, sondern Graf Caprivi war es, der die Fort­setzung dieser gegenseitigen Assekuranz ablehnte, wäh­rend Rußland dazu bereit war. Wenn mau dazu die gleichzeitige polonisierende Aera, die durch die Namen Stablewski und Koscielski gekennzeichnet ist, politisch in Anschlag bringt, so wird man nicht zweifel­haft sein können, daß die russische Regierung sich fragen mußte: welche Ziele kann dieser preußische Po- lonismus haben, der mit den Traditionen Kaiser Wil­helms I. so flagrant in Widerspruch steht? Die Si­tuation war schon durch die Caprivische Haltung in der europäischen und in der polnischen Politik für Rußland eine solche, daß diese Macht, so groß sie ist, sich doch über die Zukunft Gedanken machen mußte." Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Auslassungen Gegen- äußerungeu von anderer Seite nach sich ziehen werden.

* Berlin, 27. Oktober. DerReichsanzeiger" schreibt, bei der öffentlichen Besprechung der jüngsten Enthüllungen" derHamb. Nachrichten" über deutsch- russische Beziehungen bis zum Jahre 1890 ist vielfach der Wunsch hervorgetreten, die Regierung möge auch ihrerseits das Wort zur Sache ergreifen. Wir sind zu der Erklärung ermächtigt, daß dies nicht geschehen wird. Diplomatische Vorgänge der von denHambg. Nachrichten" erwähnten Art gehören ihrer Natur nach zu den strengsten Staatsgeheimnissen, die gewissenhaft zu wahren auf einer internationalen Pflicht beruht, deren Verletzung eine Schädigung wichtiger Staatsinte­

ressen bedingen würde. Die kaiserliche Regierung muß daher auf jede Klarstellung verzichten. Sie wird jenen Auslassungen gegenüber weder Falsches berichtigen, noch Unvollständiges ergänzen in der Ueberzeugung, daß die Zuversicht in die Aufrichtigkeit und m die Vertragstreue der deutschen Politik bei anderen Mächten zu fest begründet ist, als daß sie durch derartigeEnt­hüllungen" erschüttert werden könne.

* DerReichsanzeiger" veröffentlicht die Ernennung des Freiherrn v. Richthofen zum Direktor der Kolo- nialabteilnng im auswärtigen Amt unter gleichzeitiger Verleihung des Karakters als wirklicher Geheimer Legationsrat.

* Das Geschwader, welches Mitte November unter dem Kommando des Kontreadmirals Prinz Heinrich eine dreiwöchige Fahrt nach Schweden antreten wird, setzt sich zusammen aus den PanzerschiffenKönig Wilhelm",Sachsen",Württemberg", dem Kreuzer Gefion" und dem AvisoWacht".

* Das Heiraten der preußischen Offiziere unter An­knüpfung an eine Heiratsannonce in einer Zeitung ist vor nicht langer Frist durch Kabinettsordre verboten worden. Es wird darin angekündigt, daß Offiziere, die auf diesem Wege eine Heirat eingehen, den Ab­schied erhalten.

* Flensburg, 23. Okt. Das hiesige Schwur­gericht verurteilte den Arbeiter Sellhorn aus Husum wegen vorsätzlicher Brandstiftung in 11 Fällen zu 15 Jah­ren Zuchthaus und 10 Jahren Ehrverlust. Sellhorn hatte als Mitglied der Feuerwehr, um sich durch das Er­scheinen als erster auf der Brandstätte die hiefür aus­gesetzte Prämie zu verdienen die Brandstiftung verübt und im Ganzen dadurch 16 Wohnhäuser eingeäschert.

* (Noch eine Sübelei.) Aus Aurich meldet dieRhein. Wests. Ztg.": In der Nacht vom Sonn­tag zu Montag geriet ein Hauptmann mit einem Wirt in dessen Lokal in Streit, und brachte ihm mit dem Säbel mehrere schwere Kopfwunden bei. Eine Lebensgefahr soll für den Verletzten nicht bestehen.

Ausländisches.

* Wien, 25. Okt. Der König von Griechenland empfing gestern nachmittag den Grafen Goluchowski in längerer Audienz. Später begab sich der König in die englische Botschaft und konferierte dort längere Zeit mit dem Botschafter.

* Laut einer Privatmeldung desNeuen Wiener Journals" wurde der bekannte Schulinhaber Drucker in Wien mit Hinterlassung von 30000 Gulden Schulden flüchtig. Straf-Anzeige ist gegen ihn bereits erstattet. Drucker soll nach Rußland geflüchtet sein.

* Temesvar, 26. Oktober. Der Honvedmiuister Baron Fejervary sagte in einer Programmrede als Abgeordnetenkandidat, er trete für unveränderte Auf- rechtcrhaltung des staatlichen Verhältnisses mit Ungarn ein, da Ungarn nur dabei gewinne. Die falschen Propheten, welche am Ausgleich rütteln, würden Ungarns Ruin berbeifnhren. Die Wehrkraft sei, dank den Opfern des Landes derart organisiert, daß das Ansehen der Monarchie und in derselben dasjenige Ungarns nach außen bedeutend gestiegen und die Monarchie sich gegen jede Eventualität gesichert fühle. Ungarn müsse entsprechend den Kraftanstrengungen

Erst wägen, dann wagen. Erst suchen, dann fragen. Erst prüfen, dann klagen, doch nimmermehr zagen.

Die fetLfarne KeircrL.

Roman nach dem Amerikanischen von August Leo.

(Fortsetzung.)

Beim Anbück dieses Ringes welchen, wie man sich erinnern wird, Derrick Duvar Elix Sever vom Finger gezogen hatte, um ihn seiner Schwester zu zeigen zum Beweise, daß ihr unglückliches Opfer tot sei beim Anblicke dieses Ringes und des leichen­blassen, schmerzverzerrten Gesichtes seines Freundes sah Mark aus, als ob er ohnmächtig werden wollte, doch er sprach kein Wort die Stimme versagte ihm.

Hauptmann Sever stand von dem Stuhle auf, auf den er kraftlos gesunken war, ging auf ihn zu und faßte ihn mit eiserner Hand an der Schulter.

Da ist ein Geheimnis, das man vor mir ver­birgt," sagte er mit fester, ernster Stimme.

Ja," gestand Mark mit gebrochener Stimme, es ist wahr. Doch ich habe geschworen. Nichts zu sagen."

Und wenn Du hundert Eide geschworen hättest Du mußt es mir sagen I" donnerte Hauptmann Sever.Willst Du, daß ich hier vor Deinen Augen wahnsinnig werde? Wenn ich wahnsinnig werde, er­würge ich Dich, wenn Du nicht sprichst!"

Er erhob die Faust und schüttelte sie wie im Krampfe.

Wenn Du nicht augenblicklich sprichst und mir Alles sagst, schwöre ich Dir"

Er stockte seine Hand fiel herab.

Gott vergebe mir, Van !" stöhnte er,Gott helfe mir!Aber Du siehst," ries er, beide Hände mit einer wild verzweifelten, flehendenBewcgungausstreckend, ich bin meiner nicht Herr, bis ich Alles weiß. O, Mensch! Mensch! Nach alledem, was ich durchge­macht, ich bitte Dich in des Himmels Namen, foltere Du mich nicht noch so!"

Das will ich nicht!" ries Mark. Sieh dort auf die Uhr. Lasse mir fünf Minuten Zeit ich bitte Dich, nur fünf Minuten, alter Junge! und ich schwöre, Dir dann Alles zu sagen!"

Sever machte ein Zeichen der Zustimmung.

Er versuchte nicht zu sprechen, und Mark eilte hinaus. Er ging geradezu zu den Gemächern der Mrs. St. Ulm, klopfte zwar hastig an, wartete jedoch kaum auf die Erlaubnis einzutreten.

Elix Sever wie wir sie von jetzt an nennen müssen stand mitten im Zimmer, ganz in Weiß gekleidet; ihr schönes Haar breitete sich sin natürlichen Wellen über ihre Schultern aus und hüllte die an­mutige Gestalt fast bis an die Kniee ein, und ihre weitgeöffneten, rotbraunen glühenden Augen waren erwartungsvoll auf die Thür geheftet.

Sie hatte die Aufgeregtheit in ihres Bruders Sümme erkannt, und als er ihr vor der Thür zurief, daß er es sei, fühlte sie, daß die Krisis gekommen.

Was giebt es?" keuchte sie, als er in's Zimmer stürzte.Was ist geschehen?"

lDu mußt sprechen, Elix, oder ich muß es

> und ich will es auch; ich weigere mich, länger zu schweigen!"

Elix drückte die Hände auf das hochklopfende Herz.

Es ist keine Zeit! Sprich schnell und sage, daß ich ihm Alles sagen darf oder daß Du selbst es thun willst, Elix. O, mein Herz, habe ich Dich so erschreckt?"

Mrs. Sever's Augen blickten an ihm vorüber und hefteten sich an eine Gestalt, die hinter ihm im Korridor stand.

Bleich wie eine Tote und schwankend wie ein Rohr, doch mit einem himmlischen Strahle in den schönen Augen und dem seligen Lächeln eines Engels auf ihren Lippen, beugte sie sich vor und streckte die Hände aus.

Magnus!" jauchzte sie, als Hauptmann Sever, welcher seinem Freunde gefolgt war, in das Zimmer stürzte und sie in seine Arme zog.

Ist dies das Geheimnis?" rief er zwischen den zahllosen Küssen, als Elix schwach, aber mit entzücktem Lächeln an seiner Brust ruhte.

In wenigen kurzen, schnellen Worten erzählte ihm Mark oder wir sollten lieber sagen Van die Hauptsachen, die Einzelheiten auf die Zukunft ver­schiebend.

Ob ich sie erkannt hätte?" rief der Hauptmann.

O, ich würde doch diese Augen erkannt haben" er küßte dieselben innigund wenn das das Einzige gewesen wäre, was von ihr übrig geblieben."

Was die WorteLiebe" undVergebung" an­betrifft, die wurden gar nicht ausgesprochen. Wozu