* Maulbronn, 27. Dez. Das hiesige evangelisch theologische Seminar mußte wegen Ausbruchs der Influenza vorigen Mittwoch geschloffen werden.
* Vom Lande, 28. Dez. Gegenwärtig kommt häufig die Klage vor, daß an vielen Orten das Vieh (Rindvieh) an Darmverstopfung leide. Von bewährter Seite erfahren wir, daß die Ursache dieses Nebels einesteils in der Verfütterung von Salz, andernteils in der Verfütterung des in allzu trockenem Zustande ausgewachsenen Heues oder Oehmdes bestehe. Die Tiere kommen mit einem riesigen Durst zum Brunnen, namentlich wenn ihnen noch vorher Salz gefuttert ward, und ziehen sich infolge des zu schnellen Saufens leicht eine Darmverkältung zu, welche oben angeführtes Uebel verursacht. Bet richtiger Behandlung kann das Uebel wieder in 8—10 Tagen gehoben werden. Gut wird aber jeder Viehbesttzer thun und leicht das Uebel selbst dadurch zu verhüten suchen, wenn er bei der Verfütterung von Salz das richtige Quantum und beim Tränken die nötige Temperatur des Wassers beobachten wird.
* (Ein WortSchubarts.) Die Mordversuche der Anarchisten gegen Kaiser und Kanzler, gegen die französische Kammer u. s. w., erinnern lebhaft an ein Wort Schubarts, das für unsere Zeit so bezeichnend ist, daß man glauben könnte, es sei geradezu für dieselbe geschrieben. Schubart sagt in seiner deutschen Chronik vom 24. September 1790: „Ein allgemeiner Verschwörungsplan soll, von Avramelech und Moloch in der Hölle geschmiedet, dem Klub der Propaganda zu Parts mitgeteilt worden sein, um sich nun durch ganz Europa zu verbreiten. Freiheit und Gleichheit sollen die zwei Haupträder dieses teuflischen Maschinenwerks sein. Die Volksbetrüger brauchen diese Artikel, um die nach Freiheit und Gleichheit rasenden Thoren aufzugeißeln, daß sie alle Ordnung zerstören, auch im Wahnsinn politische Selbstmörder werden. Diese Betrüger sind leicht daran zu erkennen, daß sie Religion und Gesetze verlachen und wie weiland die deutschen Bauern, in den unseligen Bauernkriegen, Allgemeinheit der Güter predigen. Also keine Finanzen! keine ReligionI keine Gesetze!!! Der Weise, Fromme. Redliche im Land ein Raub der Schurken, Gotteslästerer und Gauner! Dies Höllenprojekt soll dahin gehen, ganz Europa zu verwirren, alle Throne zu erschüttern, alle Szepter zu zerbrechen, alle Rechte umzustürzen, um selbst der Verdammung und dem Tode im allgemeinen Brande zu entgehen. Hundertmal schon schrieb man mir dies aus Deutschland und aus Frankreich — und ich glaubte es nicht; denn so ganz durchteufelt konnte ich mir die Menschheit nie denken. Nun aber bin ich überzeugt, daß eine solche schwarze Gesellschaft da ist, daß sie sich wie Miltons Teufel im Pandämonium versammeln, und daß sie sich rühmen, in allen europäischen Ländern Freunds zu haben. Und nun ist es auch meine Pflicht, oie zahlreichen Leser meiner Chronik zu warnen vor diesen Teufeln, die man am Schwefelgerüche erkennt, und meine lieben Brüder, die Deutschen, aufs neae zu ermahnen, daß sie Religion und bürgerliche Ordnung über alles schätzen und so unter dem Schatten sanfter Gesetze ein geruhiges und stilles Leben führen, in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit."
* (Verschiedenes.) Das alte Jahr hat für
viele Familien in Bietigheim einen recht denkwürdigen, traurigen Abschluß gefunden. Vor einigen Wochen war es die Diphtherttis, die unter der Ktnder- welt gar manches schmerzliche Opfer forderte, und gegenwärtig ist es die Influenza, welche derart auftritt, daß nicht nur fast Tag für Tag eine Beerdigung stattfindet, sondern gestern z. B. lagen fünf Tote zugleich hier, darunter die beiden ältesten Frauen hiesiger Stadt, wovon die eine im 94., die andere im 85. Lebensjahre stand. Gänzlich verschont ist wohl keine Familie von dieser heimtückischen Krankheit, doch wurden bis jetzt mehrentcils ältere Personen und diese oft jählings weggerafft. Eine Besserung erwartet man nur von dem Umschlag der gegenwärtigen Witterung. — InAltburg, OÄ. Calw, brach bei dem Bauern Jakob Friedrich Proß Feuer aus, welches sich ungeheuer rasch verbreitete, auch die Nachbarhäuser von Jrion und Krauß ergriff und alle drei Gebäude vollständig einäscherte. — In Gmünd hat der Tod über die Weihnachtsfetertage reiche Ernte gehalten. Es starben nicht weniger als sieben Kinder im Alter von 2—10 Jahren an Diphtheritis und sechs Erwachsene, meist Männer im besten Mannes- altev, an Influenza mit hinzuzetretener Lnngmem- zändung. — In Ulm entwendete ein angeblicher Tapezier aus Heilbronn einem in gleichem Gafthause logierenden Amerikaner aus dessen Kleidung 164 Nk. Der Bestohlene bemerkte den Verlust noch rech- eilig, so daß es gelang, den Dieb, ehe er das Mllzans verlassen, festzunehmen. — In Künzelsaa trat am Abend des Christfestes zum erstenmal die Tätigkeit der elektrischen Straßenbeleuchtung in Kraft. — In Rottweil wurde durch die Geistesgegenwart eines Eisenbahnbeamtcn bei der Abfahrt des Mit gsschnell- zugs auf dem dortigen Bahnhof ein Menschenleben von sicherem Tode errettet. Der Zug war schon in Bewegung, als ein Reisender noch das Trittbrett bestieg. Ec rutschte auf dem Glatteis aus und fiel zwischen die Räder. Ein Schaffner bemerkte den Unfall und drehte den Hahnen der Luftbremse, so daß der Zug mit gewaltigem Ruck augenblicklich stillstand. Der Kopf des Reisenden, dessen Frau und Kinder sich im Wagen befanden, war kaum einen Fuß von den Rädern entfernt.
* Konstanz, 27. Dez. Auf der Burg Hohen- zollern werden demnächst vier neue Geschütze mit 8 Centimeter Kaliber aufgepflanzt werden, um an Freuden- und Gedenktagen von hoher Warte ihre Salven zum Festgruß erdröhnen zu lassen. Diese neue Armierung erfolgt nach der „Konst. Ztg." auf persönlichen Wunsch des Kaisers, den er anläßlich seines Besuches auf der Burg diesen Herbst ausbrückte.
* Der Unbekannte, der vor etwa 14 Tagen im Walde zwischen Schwetzingen und Walldorf den Sohn des Heuhändlers Ries aus Mingolsheim meuchlings überfiel, tödlich verletzte und seiner Barschaft von 117 Mark beraubte, wurde durch einen Beamten der Kriminalpolizei in Mannheim verhaftet.
"München, 29. Dez. Gestern ist aus dem Speyerer Postzug eine der Postverwaltung gehörige Kassette mit 11,000 Mk. abhanden gekommen.
* Berlin, 29. Dez. Von wohlunterrichteter Seite wird gemeldet, daß gestern nach Entgegennahme
der Vorträge des Reichskanzlers, des FinanzmintsterS und des Kriegsmintsters der Kaiser über die im Reichstage zu befolgende Politik Beschluß gefaßt hat. Danach wird der Reichskanzler im Einverständnis mit dem Ftnanzminister sich begnügen, die Deckung für die Militärvorlage zu erlangen und seine ganze Kraft auf die Durchdringung des russischen Handelsvertrags konzentrieren.
* Berlin, 30. Dez. Der „Reichsanzeiger" teilt mit, daß nachdem seit dem 22. Dez. kein Cholerafall gemeldet worden, könne die Seuche im Reichsgebiete als erloschen betrachtet werden. Der „Reichsanzeiger" weist auf die erfolgreiche Bekämpfung der Seuche im Jahre 1893 hin und schließt: Sollte die Cholera auch im. nächsten Jahre auftreten, so könne man ihr mit dem Bewußtsein entgegensehen, in erfolgreich angewendeten Maßnahmen eine wirksame Kampfeswaffe zu besitzen.
° Berlin, 30. Dez. Der „Nattonallideralen Korrespondenz" zufolge soll küasttg der wesentliche Inhalt der Bnndesra'.svorlagcn, soweit sie nicht aus besonderen Gründen geheimgehaltm werden müssen, gleichzeitig mit ihrer Verteilung an die Bundesrats- mitgliedrr durch den Reichs inzeiger bekanntgrgeben werden. Man will dadurch einer verfrühten und lückenhaften Mitteilung der Aktenstücke durch un- bera-cne Berichterstatter oordeugen.
-Berlin, 30. Dez. Zuverlässige Mittelungen aus Friedrichen!) dement-creu alle Gerüchte über die schlimme Wendung im Befinden des Fürsten Bismarck. Der Fürst befinde sich wohl und mache täglich Ausfahrten.
» Aus den fast durchweg sehr trüben WeihnachtS- arttkeln der Presse sei desjenigen des „Vorwärts" über das „Winter-Sonnwsndsest" gedacht, in dem wir folgende Sätze finden: „Und so lassen auch wir den Erweckungsruf erschallen: Kommt her Alle, die Ihr mühselig und beladen seid! Nicht daß wir mit Euch jammern, nicht, daß wir Euch mit Vertröstungen a«f das Jenseits abspetsen, — nein, damit Ihr unsere Mitstreiter werdet in dem großen Freiheitskampfe der Zeit! . . Kommt her zu uns Alle, die Ihr mühselig und beladen seid! Werft von Euch die Demut und Unterwürfigkeit, die Euch die Priester gepredigt und die Arohnvögte der volksausbeutenden Herrscherkasten etngebläust haben! . . . Kommt her zu uns Alle, Ihr Kampfgewillten, die Ihr Euch empört gegen das Unrecht! Erhebet Euch über die Not des Tages! der Lichtbaum ist entzündet allen Völkern, allen Unterdrückten. . . . Der Lichtdaum brennt! Feiert mit uns das Fest der Winter-Sonnenwende, das Fest der beginnenden Menschheitsbefreiung.
* Berlin, 30. Dez. Nach dem „Rcichsanzetger" ist der Austausch der Ratifikationen des deutsch-serbischen Handelsvertrages heute im auswärtigen Amte durch Staatssekretär v. Marschall und den serbischen Geschäftsträger erfolgt. Der Termin für Inkrafttreten des Vertrages ist auf 1. Jan. 1894 festgesetzt.
* Die Unsitte, Personen, die sich setzen wollen, im letzten Augenblick den Stuhl wegzuziehen, hat in dem braunschweigischen Orte Thebinghausen ein Menschenleben gekostet. Einer Dienstmagd wurde der Stuhl von einem Lehrling forrgezogen, die Magd fiel und erlitt eine schwere Verletzung des Rückgrats. Sie
Viktoria rsZia.
Roman von H. von Ziegler.
(Nachdruck verboten.)
„Manöverzeit, Manöverzeit, .
Wie schön sind deine Tage" — sang eine Helle Mädchenstimme in freier Variation der bekannten Tannendaummelodie, und aus dem Erkerfenster von Schloß Hohenburg neigte sich ein blondes Lockenköpfchen, um spähend in die Ferne zu schauen.
„Ei, sieh doch, Ada, du kannst auf einmal dichten? Was doch „Krieg im Frieden" und das zweierlei Tuch zu stände bringt," meinte lächelnd eine zweite Dame, die im Schaukelstuhl ruhte, ein Buch nachlässig in den Fingern haltend.
„Je nun, liebste Viktoria, du siehst das alles seit Jahren aus nächster Nähe", verneigte sich schmollend das kleine blonde Fräul.in, „da verliert es natürlich all seinen Reiz für dich, während wir Landkinder nur selten, aber dann auch mit doppelter Freude Gelegenheit haben, Sr. Majestät Kriegsheer zu erblicken —"
„Oder seine Lieutenants!"
„Was willst Du! Rot und Gold sind einmal schöne Farben, und ich bewundere sie ebenso ehrlich am Onkel Oberst als an seinem Adjutanten."
„Das ist brav, Ada", nickte die mit Viktoria angeredete Dame heiter, „aber nun zügle deine Ungeduld; Papa kann mit seinem Stabe vor einer Stunde nicht hier sein, und wir wollen noch ein wenig zusammen plaudern, denn später sind deine
Gedanken dazu wohl zu sehr in Anspruch genommen. Also morgen früh reiten wir ins Manöver."
.Das heißt, du reitest, Viktoria, wir andern ^terb.ichen fahren solide im Wagen hinterdrein."
„Je nun, mit dem Wagen kann man nie so nahe herankommen, und es läßt sich auch viel schwerer ausweichen oder nachjagen, wenn der Angriff wechselt. Aber ich denke, wir werden schon etwas sehen; Papa muß Bürge dafür sein; er kann uns ja irgend jemanden immer mttschicken, der uns dirigiert —"
„O, das wird köstlich, Coustnchen!" jubelte Ada in die Hände klatschend. „Wie werden wir von allen wegen dieser militärischen Eskorte angestaunt werden, und nicht wahr, nach Beendigang des Ganzen kommen die Herren zum Wagen, um zu frühstücken?"
„Gewiß, das werden sie sich nicht zweimal sagen lassen, Kleine; wir wollen uns in der Nähe des Platzes halten, wo die Ktttik stattfindet, und da sollst du so viele Lieutenants in nächster Nähe sehen, als dein Herz nur begehren kann."
„O, Viktoria, Goldcousinchen, das ist herrlich! Ich möchte dir einen Kuß dafür geben", triumphierte Ada. „Wie ich mich freue, daß das Manöver hier bei uns ist, und daß gerade Onkel Hohenburg fünf Tage zu uns kommt, kannst du dir gar nichr denken. Nicht wahr, Musik hören wir doch auch einmal?"
„Natürlich, Papa kann sie heute Abend zum Souper etwas spielen lassen. -4. propos, Ada, er hat auch einen neuen Adjutanten, Lieutenant Witte», den ich auch noch nicht kenne. Ist dir das nicht sehr interessant?"
„Ach ja, Viktoria. Uebrigens sage einmal, verliebst du dich nicht jedesmal in solch einen Adjutanten ?"
Die Gefragte lachte hell auf und wandte das schöne, jedoch ganz unbewegte Antlitz belustigt der Cousine za. „Nein, liebes Kind, überhaupt gehören für mich die Lieutenants nicht zu den Sternen, die man heiß begehrt; es steht einer so aus wie der andere, sie machen dieselben Komplimente, Redensarten und Witze und — sind meist entsetzlich langweilig."
„Aber, Viktoria, du bist erst zwanzig Jahre und schwärmst nicht für Lieutenants?" brach die blonde lebhafte Cousine in ehrlichem Erstaunen los; „das verstehe ich nicht. So hast du dich auch wohl noch nie verliebt?"
„Nein, noch niemals", lautete die spöttische Antwort, „es muß ein fataler Zustand sein, dies „Hangen und Bangen". Ich glaube, ich bin viel zu kühl veranlagt." „Das muß es wohl sein", nickte Ada ganz überzeugt, „ich versteh: es einfach nicht, denn, Constn- chen, ganz entrs nons, ich bin schon sehr oft verliebt gewesen."
„Was muß ich hören, Herzchen, und immer in schöne Lieutenants?"
„Ach ja, mehrmals, aber dann auch in einen Assessor, einen Forstkandtdaren und — einen Pastor."
„Sieh doch! Stille Wasser sind tief! Ich hätte gar nicht vermutet, daß meine lustige kleine Ada solch ein weites Herz besitzt. Wenn das die Eltern wüßten."
„Ach, liebe einzige, goldene Viktor a, du wirst mich nicht verraten; das wäre ja Treubruch und