dieser Boden für ihn weniger gut vorbereitet, als jetzt für seinen Namensvetter und Neffen. Der erste LoutS Napoleon hatte sich durch seine Putsche von Straßburg und Boulogne schon blamiert; besonders bei letzterem, wo er in seinem kleinen historischen NapoleonS- hute frisch gebratenen Speck trug, um einen ihn umkreisenden zahmen Adler anzulocken. Auch die Flucht in Maurerkleidung aus der Festung Ham hatte später nicht zu seiner poetischen Verklärung beigetragen; trotzdem verschafften ihm sein Name und seine Abstammung erst den französischen Prästdentschaftsposten und dann den Kaiserthron.
Von den französischen Präsidenten seit 1871 und von den leitenden Ministern seit jener Zeit hat noch keiner den Franzosen einen besonderen Respekt abzu- nötigen verstanden. Was Wunder, wenn sich nun der Sinn des Volkes in die Erinnerungen der „großen Zeit* flüchtet und daraus Trost für die Zukunft schöpft! Den Trägern des Namens Napoleon kommt das gut zu statten und wenn der aus dem Kaukasus kommende junge Mann es verständig anstellt, — wer weiß, welche Chancen er dann bei seinen der Veränderung leicht zuneigenden Landsleuten hat!
Landesuachrichteu.
* Altensteig, 22. Dezbr. Nach der an der Spitze deS heut. Blattes abgedruckten oberamtlichen Bekanntmachung, betr. das Ergebnis der Viehzählung am 1. Dezember im Oberamtsbezirk Nagold ist der Viehstand gegenüber dem Jahre 1892 um 29,8°/g zurückgegangen. DieseZahlen weisen auf's schlagendste nach, in wie hohem Maße unsere Landwirtschaft durch die versengende Trockenheit des letzten Sommers geschädigt worden ist. Das Oberamt richtet zugleich an die Ortsvorsteher die dringende Mahnung, daß über die Futtervorräte jedes einzelnen Viehbesitzers Erkundigung eingezogen und weitere Hilfemaßnahmen getroffen werden. Für Gemeinden, welche aus Gemeindemitteln schon wesentliche Opfer gebracht haben, werden unverzinsliche Darlehen der Amtskorporatton zur Anschaffung von Futtermitteln in Aussicht gestellt. Unter allen Umständen soll einem weiteren Rückgang des Viehstandes vorgebeugl werden. Die energischen Maßnahmen des Oberanns verdienen wirkliche Anerkennung. — Im Oberamt Calw beträgt der Rückgang 3028 Stück — 28°/,. In einzelnelnen Oberämtern (wie Kirchheim u. T.) sollen infolge des Futtermangels Verluste bis zu 40 °/, zu verzeichnen und namentlich die nördlichen Albthäler am schlimmsten betroffen worden sein.
* Erst in letzter Nr. verzeichneten wir einige Unglücksfälle, welche beim Tannenzapfenbrechen vorgekommen sind und schon wieder ist ein Menschenver- lust zu beklagen. Der erst seit 2 Jahren verheiratete 27 Jahre alle Christian Walz von Walddorf stürzte am Mittwoch nachmittag von einer Tanne herunter und wurde tot vom Platze getragen. Möchten doch die zahlreichen Unfälle bei der gefährlichen Arbeit zu größerer Vorsicht Veranlassung geben.
* Ulm, 20. Dezbr. Die Ziehung der nächsten Ulmer Münsterbaulotterie mit einem Hauptgewinn von 75 000 Mk. findet unwiderruflich, am 16. Jan. 1894 statt.
Gr ist der Orve!
Roman von L. Haidheim.
(Fortsetzung.)
Sie schüttelte den Kopf, sagte aber dann unruhig und traurig: „Es ist »och mehr vorgefallen, Mr. Leuven, Dinge find zu Tage gekommen, schrecklich für uns alle!" Und wieder stürzten Thränen aus ihren Augen.
„Nicht so schrecklich, als wenn Sie Lörrach liebte«, Fräulein Bettina!" sagte Leuven flüsternd und küßte wieder ihre Hand.
„Gehen Sie jetzt, Mr. Leuven, Ihr Freund wartet gewiß mit Schmerzen auf Sie," mahnte Bettina, ungewiß, ob er vom Wein erregt sei oder ob wirklich sein Gefühl ihn so reden und handeln ließ.
„Ich werde gehen, Fräulein Bettina, aber ich werde zurückkommen und Sie fragen, ob Sie mit mir nach England gehen wollen!"
„Sie werden es nicht mehr wünschen, wenn Sie alles wissen; gehen Sie, Mr. Leuven, wir waren schon zu lange bei einander!"
Bitterkeit war alles, was Bettina empfand gegenüber Leuvens Worten.
Wie konnte sie daran denken, daß er über das hinwegkäme, was sie erst heute Furchtbares erfahren hatte und was Lörrach ihm sicher erzählen würde, ja, was sie selbst ihm sagen müßte, wenn es nicht ein anderer that.
„Ich gehe! Sie sehen leidend und fast krank aus, Fräulein Bettina, bedenken Sie, ich bitte, meine
* In Pforzheim hat man bei einem verhafteten Bettler 6000 Mark in Wertpapieren, ebenso viel in einem Sparkassenbuch, eine goldene und silberne Taschenuhr, Schmucksachen u. s. w. gefunden. Der Verhaftete giebt an, er habe alles von seiner verstorbenen Mutter geerbt. Die eingeleitete Untersuchung wird feststellen, inwieweit die Angabe auf Wahrheit beruht.
* Würz bürg, 21. Dez. Wie sich jetzt herausstellt, hat der flüchtige Laodtagsabgeordnete Schmitt von Gerolzhofen, der zugleich Kassier der Kredit- kaffe war, 27,000 Mk. unterschlagen.
* Zu dem Leipziger Spionageprozeß fällt unangenehm auf, daß den verurteilten französischen Offizieren die militärischen Sachverständigen „herzlich" die Hand geschüttelt haben sollen. Wie es in dem entgegengesetzten Falle mit der französischen Herzlichkeit gestanden hätte, braucht wohl nicht erst erörtert zu werden. Aber auch die militärische Standes- Sympathie für Leute, welche eine patriotische Aufgabe erfüllt hatten, hätten doch nicht zu einer solchen Vernachlässigung der nationalen Schicklichkeit zu führen gebraucht. Aber freilich hat sich auch bei dem Tode des Marschalls Mac Mahon ein deutsches Militärdlatt durch seine lyrische Begeisterung angenehm hervorgethan. Es ist bet uns in dieser Beziehung immer wieder das Gleiche.
* Berlin, 18. Dezbr. Der Kaiser hat dem Grenzaufseher Streichhan in Tönning aus seiner Schatulle ein Gnadengeschenk von 250 Mk. bewilligt, da er s. Z. bei dienstlicher Durchsuchung der englischen Lustyacht „Jnsect" den ersten Verdach: gegen die französischen Späher erhob und zu ihrer schließ- lichen Ergreifung mitgewirkt hat.
* Berlin, 20. Dez. Der „Reichsanzeiger" bezeichnet die Zeitungsnachrichten, betreffend einer Aen- dsrung der Militärkonvention zwischen Württemberg und Preußen, als irrig. Die schwebenden Verhandlungen bleiben auf dem Boden der genannten Konvention und betreffen eine zweckmäßigere Regelung der Kommandierung und Versetzung württembergischer Offiziere und umgekehrt, vermittels Anordnung, wodurch die Anciennitätsverhältnisse der beiden Kontingente mehr übereinstimmend erhalten werden. Sicher ist anzunehmen, daß die militärischen Hshettsrechte des Kaisers und des Königs von Württemberg unberührt bleiöen. Alle Ernennungen und Beförderungen werden nach wie vor von den Kontingentsherren befohlen werden.
* Der Abschluß des deutsch-russischen Zollvertrages wird spätestens zum Januar erwartet.
* Bei den letzten Reichstags-Verhandlungen über die Handelsverträge hat auch die Frage eine Rolle gespielt, ob die bisher Italien und Oesterreich etn- geräumten Zollermäßigungen für Wein und Trauben eine nachteilige Wirkung auf den vaterländischen Weinbau und Weinhandel ausgeübt hätten, lieber diese Frage sind von der Reichsregierunz bei den am Weinbau beteiligten Regierungen Ermittelungen angestellt worden. Das Ergebnis dieser Ermittelungen ist ein durchaus günstiges gewesen, da sich herausgestellt hat, daß die besten einheimischen Weine durch die fremden Erzeugnisse keinen Preisdruck erfahren haben, die geringeren deutschen Weine dagegen durch
Worte — morgen hole ich mir die Antwort darauf."
Und Fräulein Lina aus dem Nebenzimmer, wo sie aufräumte, herbeirufend, empfahl sich Mr. Leuven, um zu seinem größten Erstaunen in seiner Wohnung nicht Lörrach, sondern nur einen Brief von ihm vor- zufinden.
Und in dem Briefe stand weiter nichts, als: „Komm so früh Du kannst nach Warmenau, ich habe Dir unendlich viel zu sagen."-
„Harterott soll selbst das Feuer angelegt haben — seine Witwe ist diese Nacht mit dem Vater abgereist — Lörrach ebenfalls!" hieß es am andern Tage und die kühnsten Vermutungen wurden an diese Thatsachen geknüpft.
Einige Tage redete man von nichts anderem; Gewisses erfuhren nur sehr wenige und diese schwiegen. Dann tauchten andere Neuigkeiten auf und nahmen in gleichem Grade die Aufmerksamkeit in Anspruch. Das war der natürliche Verlauf der Dinge.
Sie kamen immer noch nicht zurück.
Fritz Lörrach wartete schon seit mehr als einer Woche sehnsüchtig darauf, aber immer vergebens. Die Läden vor den Fenstern blieben geschlossen; niemand konnte ihm sagen, wann der Baron eintreffen werde, und so glückselig er die Freiheit begrüßt hatte, jetzt fing er an zu leiden unter diesem Fernbleiben des geliebten Mädchens.
Er erklärte sich dasselbe ganz richtig mir des Barons Verstimmung und bangte sehr vor dessen zorniger Abweisung — aber war nicht Hedwig ihm gut ?
Alle Hoffnung, alle Liebe, die zu Gründen wer
den Verschnitt mit italienischem Weiu Verbeffert wer- den und an Verkaufsfähigkeit erheblich gewonnen haben.
* Die in Oberschlesien erscheinende „Nowiny RaciborSki" schreibt: „Schlesien ist polnisch, das schlesische Volk fühlt polnisch, unsere Sache ist eine gerechte und heilige, demnach ist auch Gott für uns. Das schlesische Volk ist im innersten Wesen religiös wie jedes polnische Volk. ES ist vom Glauben durchdrungen, daß was auf Erden geschieht, nur durch Gottes Willen geschieht. Wir können daher die Medererwerbung Schlesiens nur als ein wunderbares Erblühen einer Gegend ansehen, welche wir für unser Polentum bereits verloren gegeben hatten." — Die „Kreuz-Ztg." bemerkt dazu: „Wenn die Politik, welche gegenwärtig beliebt wird, dahin führt, daß sogar Schlesien sich innerlich unS entfremdet, ist ihr Urteil vor Gegenwart und Zukunft gesprochen. Wir wünschen und hoffen, daß dieser unheilvollen Politik durch ein Machtwort ein Ende bereitet wird, so lange es noch an der Zeit ist!" Hiezu sagen die „Hamburger Nachrichten" : Die „Kreuz-Ztg." spreche nicht aus, von wem sie ein Haltgebieien gegen die Polen erwarte. Es sei nicht anzunehmen, daß irgendwo die Kraft und Entschlossenheit dazu vorhanden sei. Die Ler- söhnungspolitik, welche gegenüber den Polen, den Sozialdemokraten, den Welfen und allen Parteien, die früher als reichsfeindlich galten, getrieben werde und auch zu allen Konzessionen an das Ausland geführt habe, schließe jede energische Kundgebung aus und beruhe auf dem Bestreben, jedem Kampfe, einerlei ob er natürlich und geschichtlich unvermeidlich sei oder nicht, aus dem Wege zu gehen und dafür lieber Opfer zu bringen. Das ganze System erinnere an eine Prämienzahlung für Versicherung gegen unliebsame Störungen durch Kämpfe, welche gegen die inneren wie die äußeren Widersacher des Reiches unausgesetzt geführt werden müssen, wenn dessen Wohlfahrt gesichert bleiben soll. Nur der unablässige Kampf biete eine Garantie gegen Stagnation und gegen die Gefahr, daß eines Tages die nicht bekämpften, sondern versöhnten Feinde, wenn sie sich stark genug wähnen, die Maske abwerfen und den kritischen Moment benützen, ihre längst gehegten Pläne zum Erstaunen der enttäuschten Versöhnungs- Politiker zu verwirklichen.
* Der Kaiser über den deutschen Gesang. Auf dem Kommers des Männergesangvereins in Hannover erzählte der Liedervater Lachner, der Kaiser habe beim jüngsten Hofkonzert geäußert, er könne nur wünschen, daß die Kraft altntederländtscher Volkslieder auf größere Volkskreise wirke. Sie seien außerordentlich begeisternd. Er wünsche ihre Verbreitung in den Schulen.
* Neiße, 18. Dez. Emin Paschas Schwester Melanie Schnitzer sowie seine Tochter Ferida sind gestern von hier für die Dauer nach Berlin über- gestedelt.
"Hamburg, 21. Dez. Im Fahrkartenprozeß verurteilte das Landgericht 22 Etsenbahnschaffner zu Gefängnis von drei Monaten bis zu zwei Jahren und drei Monaten und zu verhältnismäßigem Ehrverlust und 19 Viehhändler zu ein bis 6 Monaten Gefängnis und entsprechenden Geldstrafen; zwei Viehhändler erhielten nur Geldstrafe; fünf Schaffner, zwei Viehbändler wurden fceigesprochen.
Ausländisches.
* Prag. 20. Dezbr. Aus dem Pulvermagazin von Rakonitz (Böhmen) wurden gestern 32 Kilogramm Dynamit gestohlen. Abends fand eine Explosion statt, wodurch das Haus des Advokaten Wolf verwüstet wurde. Die Wolfsche Familie wurde ohnmächtig, aber unbeschädigt gefunden.
* Wie vor kurzem in Chauxdefonds, so wurden letzter Tage auch in Zürich zahlreiche anarchistische Manifeste verbreitet, welche in unflätigster Weife die Propaganda der That anpreisen. Der Aufruf wendet sich speziell an die deutschen Arbeiter, welche auf-
den kann, tröstete ihn, umschmeichelte sein Herz — aber was half das, sie kamen ja nicht zurück, di: er mit fieberhafter Ungeduld erwartete.
Leuven war abgereist. In zwei Monaten sollte er zurückkommen, Bettina heimzuholen in sein eigenes trautes Nest.
„Ich bin am Ziel — sie ist mein und folgt mir gern. — Du mußt hier bleiben, denn im Geschäft bist du «ns jetzt doch nichts nütze!" sagte der treue brave Freund und brachte Fritz das Opfer ohne Besinnen. Daraus ergab sich für diesen nun aber die Notwendigkeit, daß er seine Erbschaftsang-legenh-it selbst in die Hand nahm. — Was er geahnt, erwies sich als nur zu richtig, es blieb eben nicht viel zu erben außer dem «ea erbauten Fabrikgebäude. Die große Schuldenlast hätte Harterott in kurzer Zeit zum Bankerott getrieben.
Was für Lörrach in dieser Zeit unendlich peinlich wurde, war die Bemerkung, daß die ganze Stadt ebenso gut wie die Bewohner von Warmenau und Gasberg von seinem „Liebesverhältnis" mit Hedwig sprachen.
So herzlich man ihm auch die allseitige Teilnahme zeigte, so sehr bedrücke sie ihn, denn immer wieder fühlte er, daß man in ihm fast mehr den hoffnungslosen Liebhaber bedauerte, als den ungerecht Verdächtigten.
Ueber dies alles grübelnd kam er so eines Abends in Warmenau wieder an, und das erste, was ihm Melcher sagte, war die frohe Kunde: „Die Herrschaft ist wieder da."
(Fortsetzung folgt.)