unter dem konzentrierten Feuer von drei Interessen­gruppen neue Steuervorlagen ausgearbeitet haben. Die eingehende Darlegung der Notwendigkeit neuer Steuern füllt den letzten Teil der Rede des Staats­sekretärs aus. Fritzen (Zentr.) bespricht die einzelnen Etatpositionen, überall eingehende Prüfung fordernd und verheißend. Er verweilt dann eingehend bei dem Kolonial-, Militär- und Marineetat, bespricht die Vorgänge in Hannover, wobei er die Beseitigung des Totalisators fordert, definiert die Grenzen, innerhalb deren die Marine zu halten sei und betont die Not­wendigkeit der Schuldentilgung auf dem Wege der Verlosung. Bebel (Sozd.) will nichts wissen von einer Kolonialpolttik, welche diejNiedermetzlung wehrloser Eingeborener als Förderung der Kulturaufgaben be­zeichne. Er geht dann auf die allgemeine politische Lage ein, für die das Anwachsen der Militärausgaben bezeichnend sei. Erscheinungen aber wie in Hannover und im Elsaß, wo man im Manöver Kavallerie gegen gedeckte Infanterie habe anstürmen lassen, legten die Frage nahe, ob bet Ausbruch eines Krieges die Leitung unserer Armee in solchen Händen sein werde, daß man dem Ausgange des Krieges vertrauensvoll entgegensehen könne. Die Erfahrungen, welche die Marine bet den letzten Manövern mit ihren Panzer- kolofsen gemacht haben, gehörten eben dahin. Die Frage, ob diesem Treiben, der Steigerung der Rüst­ungen, durch friedliche Vereinbarung ein Ende zu machen sei, werde immer dringlicher. Der allgemeine Notstand wachse, und trotzdem neue Steuer«. Kann man sich da über die Zunahme der Unzufriedenheit wundern? Der vorliegende Etat ist allerdings so an­gelegt, daß Ersparnisse kaum möglich sind, wenn man nicht beispielsweise durch ein anderes Verabschiedungs­system den Penfionsetat entlastet. Redner wendet sich der Reichsfinanzreform zu, die durch Preußens Finanzlage nicht gerechtfertigt sei. Das Reich habe überhaupt keine Veranlassung, für Defizits der Einzel- staaten aufzukommen. Warum greift man nicht auf eine Einkommensteuer zurück, statt die indirekten Steuern zu vermehren, welche dis große Masse der Bevölkerung belasten und den Versprechungen des Reichskanzlers und den Erwartungen des Reichstags zuwiderlaufen. Redner erläutert das an den neuen Steuern. Den Proletariern tst's einerlei, von wem sie regiert und ausgebeutet werden, aber die Gerech­tigkeit verlangt, daß diejenigen, die allen Vorteil haben, die Lasten dafür nicht den LeisLungsunfähigen zuschieben. Wer hätte das von einem ehemaligen Atheisten und Kommunisten erwartet? Aber wenn man die Wirkung betrachtet, die seine Steuergesetze haben werden, dann könnte man allerdings glauben, daß Miguel noch Sozialdemokrat ist; sie arbeiten uns in die Hände. Der Krtegsminister Bronsart protestiert auf's Schärfste dagegen, daß Bebel aus den Vorgängen des Hannover'schin Prozesses von ein­zelnen Offizieren auf die Qualität des gesamten Osft- zterkorps Schlüsse ziehe. Das sei eine Agitation, die auf die Anklagebank gehöre. Die deutschen Offiziere würden ihren Aufgaben jederzeit gewachsen sein. Kein einziges Offizierkorps dulde oder begünstige das Ha- zardspiel. Die Armee bedarf keiner Vorschläge von Außen, sie kann sich selbst helfen. Finanzministsr Miguel rechtfertigt seinen, von Bebel veröffentlichten

Jugendbrief durch sein damaliges Alter und legt seinen inneren Entwicklungsgang dar, der ihn vom Sozialismus abgebracht. Wozu Bebel den Brief ver­öffentlicht habe, sei ihm unklar, blos denunzieren wolle er doch. Staatssekretär Hollmann weist Be­bels Angriffe auf die Flotte zurück, die sich auf die Autorität eines Mannes stützten, der zum ersten Male die See gesehen habe. Deutschlands Flotte ist kriegs­tüchtig, wenn einzelne Schiffe zu alt sind, so bewilli­gen Sie Geld für neue.

* Berlin, 28. Nov. Bet der Fortsetzung der 1. Etatslesung ergreift der preußische Finanzminister Miguel das Wort, um die Erwägungen darzulegen, welche die Regierungen zu den vorliegenden Deckungs­vorschlägen geführt haben. Er sehe persönlich kein staatsrechtliches Hindernis für die Erhebung direkter Steuern durch das Reich; aber die Einführung einer direkten Reichsbesteuerung sei tatsächlich unzulässig und unausführbar, da die verschiedenen Einzelstaaten erst gezwungen werden müßten, zum Zweck der Ein­führung der Reichssteuer ihr Steuersystem umzuge­stalten, oder besondere Reichsbehörden hiefür errichtet werden müßten. Es wäre das ein mit dem föde raiiven System Deutschlands unvereinbarer Eingriff in das innerste Wesen der Einzelstaatei!. Uebervies belaste die Einkommensteuer weit überwiegend dk I mittleren Klassen. Es sei daher richtiger, die Ge­nußmittel zu besteuern, welche Jedermann willkürlich entbehren kann. Für V» Deutschlands sei der Wein ein Genußmittel der wohlhabenden Klaffen. Es dürfte schwer fallen, indirekte Steuern zu finden, welche weniger wie die vorgeschlagenen die schwächeren Schultern drücken. Gegen eine Wehrsteuer liegen die gleichen Bedenken vor wie gegen eine Einkommen­steuer. Der Minister legt die Nachteile einer Erb­schaftssteuer dar, von welcher ebenfalls dis Mittel­klassen am meisten betroffen würden. Die Tabak­steuer anlangend, so mache sie in der vorgeschlagenen Form den inländischen Tabakbau frei und entlaste den kleinen Tabakbauer im Westen. Sie vermindere den Konsum nicht so, wie die brutale Gewichts­steuer; sie treffe den Tabak nach seinem Werte. Die agitatorischen Behauptungen der Interessenten können hieran nichts ändern.^

Lasbessschrchteg

* Alten steig, 29. Noödr. Seit Beginn der kälteren Jahreszeit wird wiederholt über kleinere Un­fälle berichtet infolge unvorsichtiger Behandlung der sog. Bettflaschen. Viele haben die Angewohnheit, die mit heißem Wasser gefüllten, hermetisch verschlossenen Wärmeflaschen bis zu ihrer Benützung in der Ofen­röhre aufzubewahren. Da das Wasser so sehr leicht zum Sieden kommt, sucht es sich einen Ausgang zu schaffen, wobei die Flasche explodiert. Es ist deshalb dringend vor dem Aufbewahrer: der Wärm flaschen in geheizten Oefen zu warnen, da unter Umständen sich die Explosion auch auf den ganzen Ofen ausdehnen und so leicht einen größeren Brand oder sonstiges in seinen Folgen unberechenbares Unglück Hervorrufen kann.

* Alten steig, 29. Nov. Am Montag führte der Knecht des Joh. Gg. Schleeh von Hühnerberg Langholz nach Calmbach. Beim Abladen daselbst wurde er von einem tn's Rollen gekommenen Stamme

getroffen, zu Boden geschleudert und kam unter den Klotz zu liegen. Der bedauernswerte Mann gab kurze Zeit nachher seinen Geist auf.

* Reutlingen, 27. Nov. Bäckermeister Bertsch wurde gestern einer schweren Operation unterworfen. Die Operation selbst ging gut vorbei, doch ist das Befinden des Herrn Bertsch heute wieder ein so schlim­mes, daß die Hoffnung auf Wiederherstellung in weite Ferne gerückt ist. Dtemer, der nun ärztlicherseits auf seinen Geisteszustand untersucht werden soll, be­findet sich in seiner Haft ganz wohl und äußertauch heute noch keine Spur von Rene.

* Stuttgart, 26. Nov. Wie groß die Zahl der christlichen Sekten in Württemberg ist, beweist eine Statistik. Nach derselben zählt Württemberg außer 1406 648 Evangelischen und 609 594 Katho­liken noch 7451 Christen sonstiger Konfession und zwar: 3282 Methodisten u. Mitglieder der evangelischen Gemeinschaft, 1639 Baptisten, 509 Zwinglianer und Reformierte, 454 Apostolische und Jcvingianer, 416 Templer und Jsrusalemsfreunde, 229 Nazarener und Neukachler, 204 Meunoniten, 136 Freireligiöse, 133 griechisch und russisch Katholische, 128 Dissidenten, 67 Alt-Katholische, 56 der englischen uns schottischen Kirche, Presbyterianer, 4l Darbtsten, 25 Dealsch- Katholikea und 22 der evangelischen Brüderkirche.

* Ulm, 27. Nov. Der im Bankrott befindliche Kommissionär Martin Neuburger ist entwichen und wird steckbrieflich verfolgt. Die Unterbilanz soll 200 000 Mk. betragen. Es sind Wechselreitereien namentlich mit München aufgedeckt worden, auch Be­trügereien, weshalb gestern sein Buchhalter ebenfalls ver­haftet wurde. Ein Bauer bei Ravensburg schuldete demMuburger 3000 Mk., Neuburger ließ den Bauern Blankowechsel unterschreiben und setzte dieselben mit dem Betrag von 13000.M. in Umlauf. Die Wech­sel sind in 4 Wochen fällig und dem Bauer wird wahrscheinlich vergantet werden.

«(Verschiedenes.) InRtedlingen wurde der hiesige Karpfenwirt von einem Metzger durch einen Messerstich lebensgefährlich verwundet. Ja Klein­bottwar begehrte ein Durchreisender vom Orts- Vorsteher Nachtquartier; es wurde ihm der Arrest zu diesem Zwecke angewiesen. In der Nacht bemerkte man in dem Arrest Feuer, welches zwar gelöscht wurde, aber der Fremde konnte nur noch leblos herausgebracht werden. Ein Bauersmann von Tiefenhülen verlor seinen Gerstenerlös im Betrage von 300 Mk. Einem Schäfer von Fellbach wurde, wahr­scheinlich durch einen herrenlosen Hund, seine Schaf­herde zerstreut; zwei Tiere lagen mit Bißwunden am Halse tot beiseite, zwei andere hatten durch einen Sprung von der turmhohen Leberwand des Kappel- berges das Genick gebrochen und eines scheint sich verirrt zu hahen. JnRottwetl wurde auf dem Bahnhof ein Beutel voll Geld von über 400 Mk. ge­funden; der Eigentümer ist von Dettingen. In Ebingen brachte ein verheirateter Gerbergehilfe die Hand so unglücklich in die Lohmühle, daß sie ihm radikal weggerissen wurde.

* Ein Original von einem Engländer Namens Mentol M>, der seit etwa 8 Tagen in einem der ersten Hotels Wiesbadens wohnt, erregt, wie

in der Stimmung, darauf einzugehen, daß ihr, so sehr sie auch nach Selbstbeherrschung rang, die Thrä- nen in die Augen traten.

Einer der Herren sah es. Ja es war klar, sie hatte eine Neigung, sie erwartete den geliebten Mann.

Er war der einzige, der Mitleid mit dem armen Mädchen hatte und der doch plötzlich fühlte, sie war ihm teurer geworden als er geahnt, denn weshalb wäre ihm sonst das Blut so stürmisch in die Schläfe gestiegen? Und weshalb that ihm plötzlich das Herz weh?

Kommen Sie, gnädiges Fräulein, die anderen hoben eine nervenangreifende Luftigkeit; solchen Lärm kann man auf die Dauer nicht aushalten!" sagte er und bot ihr den Arm.

Ich danke Ihnen, Herr Assessor!" gab sie leise und mit warmem, dankbaren Tone zurück.

Sie ließen die anderen vorangehen. Unterdes fand sie ihre äußerliche Ruhe wieder.

Mit feinem Takt begann der Assessor Seebald ein unbefangenes Geplauder über naheliegende Dinge, und so hörte sie überrascht von ihm, daß er nach Be­endigung seiner Ferien nach M. übersiedeln werde.

Da wohnen wir ja ganz in der Nähe!" sagte sie, und das war ihm nun wieder neu, gab aber ihrem Gespräch ein besonderes persönliches Interesse.

Wir verkehren sehr wenig in der Stadt," er­zählte Hedwig,fast nur mit den Gutsnachbarn. Papa liebt Gesellschaften nicht, meine Mutter ist tot; zwei Stunden fahren wir doch bis zur Stadt

und ein solches Opfer könnte ich Papa nicht zumuten. Ich mache mir auch nicht viel daraus."

Das sagen junge Damen nicht oft!" meinte er vorsichtig sondierend und dachte: Der Bewußte lebt also in ihrer Nähe.

Sie ging aber nicht weiter auf diesen Gedanken­gang ein, sondern erzählte ihm, den ihrigen folgend, sie kenne eigentlich nur eine Familie in der Stadt, die eines Fabrikbesitzers Harterott, dem das neben dem ihrigen gelegene kleine Gut Warmenau gehört habe, der Herr habe sich nämlich aus der Jagd aus Unvorsichtigkeit erschossen. Weß das Herz voll war, lief der Mund über.

Ah das ist die Geschichte, ich las davon in der Zeitung! Nicht wahr? Vor einigen Wochen pas­sierte der Fall und es schwebt eine Untersuchung wegen Mordes?"

Nein! Das weiß ich wenigstens nicht," sagte sie.

Doch," beharrte er,es war ein interessanter Fall ein Verwandter!"

Ja richtig, der Vetter des Herrn Harterott, er fand den Unglücklichen wir kennen ihn wohl."

Richtig, er hat die Fra« geliebt, heißt es."

Bewahre! Sie meinen wohl eine andere Ge­schichte, Herr Assessor." Das junge Mädchen blieb noch immer ganz unbefangen.

Der Assessor besann sich.Mir ist aber doch so, ich kann mich kaum irren, handelte es sich nicht um eine Erbschaft? Es war ein komplizierter Fall."

Eine Erbschaft? Ach ja, das konnte wohl zu- Lreffen." Und sie gab mit kurzen Worten Bericht.

Dann ist es auch richtig; dieser Herr Lörrach, das war ja der Name, jetzt entsinne ich mich der Sache genau, dieser Vetter des Erschaffenen ist des Mordes verdächtig und zwar durch Aussagen der Witwe. Da die Sache in mein Ressort fällt, so las ich sie mit Interesse. Aber, mein Gott, gnädiges Fräulein, was ist Ihnen?"

Und erschrocken sah der Assessor Seebald nieder auf das schneeweiße, ganz erstarrte Gefichtchen seiner Begleiterin und in zwei große Augen voll des gren­zenlosen Entsetzens.

Fräulein l Gnädiges Fräulein! Habe ich etwas Beleidigendes gesagt?"

Sie schüttelte den Kopf, rang nach Atem.

Nur still! ich bin nur so erschrocken! Ich wir kennen den Herrn! Es ist alles, alles nicht wahr!" schrie sie auf.

Stumm, in heftigster Erschütterung schritt der Assessor neben ihr her.

Das war es also! Für diesen Lörrach interes­sierte sie sich!

Hedwig bedachte gar nicht, daß jedes Wort sie verriet.

Glauben Sie mir, Herr Asseflor, es ist kein Wort wahr davon. Die Zeitungen lügen so schreck­lich ! Papa wirft sie oft ganz wütend auf die Erde. Das ist sicher gelogen. Wir kennen ihn ja. Der ein Mörder! Aber so etwas in die Zeitungen zu schrei­ben ! Und Papa liest sie doch auch. In unserer hat sicher nichts gestanden; er hätte es mir sonst gesagt."

(Fortsetzung folgt.)