Königin Olga den Kranz nieder. Später machte die Kaiserin einen kurzen Besuch im Wilhelmspalast. — Der Kaiser hat sich bet der Kritik höchst befriedigt über die heutige Parade ausgesprochen. Der Kaiser sprach sich u. a. dahin aus, die heutige Parade sei eine der hervorragendsten, die er je mitgemacht habe.
* Stuttgart, 15. Sept. Um 5 Uhr 30 Min. fand im Weißen Saal des K. Restdenzschlosses große Paradetafel statt. Gegen den Schluß der Tafel erhob Sich Seine Majestät der König und brachte folgenden Toast auf Ihre Kaiserlichen Majestäten aus: Eure Kaiserliche Majestät wollen gestatten, wenn ich das Wort ergreife, um Sie und Ihre Majestät die Kaiserin herzlichst willkommen zu heißen von Seiten Meines Hauses, Meines Landes, Meines Volkes und in erster Linie Meines Armeekorps, dem der heutige Tag gilt. Zweimal war es Meinem Armeekorps vergönnt, vor den Augen seines damaligen obersten Kriegsherrn, des unvergeßlichen, verehrten Kaisers Wilhelm I., Proben seiner militärischen Ausbildung abzulegen und anerkennende Worte zu finden. Am heutigen Tage war es ihm vergönnt, Euer Mäjestät die Probe abzulegen, daß wir nicht gerastet, daß wir weiter auf dem gewonnenen Boden gearbeitet haben. Auch aus dem Munde Euer Majestät Worte der Anerkennung und Zufriedenheit zu vernehmen, war ein hoher Stolz, ein Glück für uns, dessen uns allezeit würdig zu zeigen wir bestrebt sein werden. Aber nicht allein das Armeekorps, nein, das ganze Volk jubelt Euren Majestäten zu. wie Sie aus den strahlenden Blicken und den jauchzenden Zurufen entnehmen konnten. Sie erblicken alle in Eurer Majestät den Träger der deutschen Kaiserkrone, den Hort des Friedens und in Ihrer Majestät der Kaiserin das leuchtende Vorbild der deutschen Frau; und so haben sie Eure Majestäten begrüßt und willkommen geheißen und oft und zu aller Zeit herzlich begrüßt. Diesen Gefühlen gebe Ich Ausdruck, indem ich Sie auffordere, mit mir einzustimmen in den Ruf: Seine Majestät der Kaiser, unser oberster Kriegsherr, und Ihre Majestät die Kaiserin, sie leben hoch! hoch! hoch! Hierauf erwiderte Seine Majestät der Kaiser: Eurer Majestät spreche Ich den herzlichsten und wärmsten Dank aus im Namen Ihrer Majestät der Kaiserin und in Meinem für die gnädigen Worte, die Sie soeben an uns gerichtet haben, und für den freundlichen Empfang, den Wir seitens Eurer Majestät, Ihres ganzen Hauses und Ihres Volkes haben entgegennehmen können. Die Stuttgarter und Ich, Euer Majestät, sind alte Bekannte, und Ich habe unter den verschiedensten Gelegenheiten die Möglichkeit gehabt, zu beobachten, in wie warmer und herzlicher Weise das Württb. Volk an seinem Königshause und auch am Deutschen Reiche hängt, sei es bei Veranstaltung froher Festlichkeiten, sei es auch unter dem Ausdrucke tiefsten Schmerzes über einen Heimgegangenen geliebten Souverän. Stets hat das württembergische Volk der hohen Eigenschaft entsprochen, deren sich dereinst schon ein großer Vorfahre Eurer Majestät rühmen konnte, daß er überall, wo es sei, sein Haupt getrost in den schoß seiner Unterthanen legen könne. Der heutige Tag hat aber zu gleicher Zeit den bewährten Teil der württem- bergischen Söhne vor unseren Augen Vorbeigehen
lassen, und es erfüllt Mich mit hoher Freude, daß das rückhaltlos beifällige Urteil Meines hochseligen Herrn Großvaters von damals von Mir heute an derselben Stelle hat wiederholt werden können. Ich wünsche Eurer Majestät und dem württembergischen Armeekorps vor. Herzen Glück zu dem heutigen Tage. Das Korps steht auf der Höhe der Ausbildung und wird auch so bleiben: dafür sorgt der militärische Sinn und Eifer Eurer Majestät, Ihrer Generale und Offiziere. Das Korps steht in dem Kranze der Armeekorps, die zum Schutze des deutschen Reiches, zum Schutze des europäischen Friedens stets gewärtig sind, glänzend da. Ich hoffe und wünsche, daß zu allen Zeiten dem Korps diese herrlichen und guten Eigenschaften bewahrt bleiben mögen. Ich trinke auf das Wohl Eurer Majestät, Ihrer Majestät der Königin, des gesamten Hauses und aller würtiem- bergischen kampferprobten Söhne. Die Alten und die Jungen, Hurrah! und nochmals Hurrah und zum drittenmal Hurrah!
* Stuttgart, 15. September. Um halb 9 Uhr abends begann der große Zapfenstreich. Unter den Klängen des Pariser Einzugsmarsches zogen sämtliche Mustkkorps des Armeekorps in den Schloßhof, begleitet von 200 Soldaten mit Magnesiam- fackeln. Zehn Musikstücke wurden unter der Direktion von Musikdirektor Stütz-Ulm mit glänzender Präzision ausgeführt. Die Fürstlichkeiten hörten vom Schloßbalkon zu. Als der Kaiser erschien, ertönten stürmische Hochrufe. Alle Wege und Plätze rings um das Schloß waren von den Menschenmassen dicht besetzt. Der Schloßplatz glänzte in festlicher Beleuchtung. Verschiedene Prtvatgebäude, insbesondere das Hotel Marquardt, waren prachtvoll illuminiert.
* Stuttgart, 16. Sept. Da der Kaiser das für seine Abreise vorgesehne Zeremoniell, das dem des Empfangs gleichen sollte, abgelehnt hatte, waren heute abend 9 Uhr 40 Minuten nur der König, Mitglieder des Königlichen Hauses, der Ehrendienst ec. auf dem Bahnhof zum Abschied erschienen. Letzterer war sehr herzlich. Der Kaiser war in zufriedenster Stimmung und dankte wiederholt dem König für den ihm bereiteten Aufenthalt. Kurze Zeit nach dem Kaiser reiste die Kaiserin (nach Kassel) und dann der Kronprinz von Italien ab. Mit letzterem reiste der Erbgroßherzog von Baden. Die anderen Fürstlichkeiten find zum Teil schon vorher abgereist. Der Reichskanzler Caprivi geht nach Berlin.
* Oeh rin gen, 14. Sept. Der Zimmermannslehrling Nagel von hier, welcher unlängst in einer selbstverfertigten Höhle im Stackenhofener Wald durch Stationskommandanten Rebmann von hier aufgegriffen wurde und welchem 14 Diebstähle, darunter vier erschwerte, zur Last gelegt sind, machte heute nacht einen Fluchtversuch aus dem hiesigen Gertchtsgefäng- nts, welcher jedoch noch rechtzeitig entdeckt wurde. Nagel, welcher im dritten Stock des Gefängnisses untergebracht ist, brach ein Loch durch die dicke Kerkerwand; die selbstverfertigten Strohzöpfe wollte er als Leine zum Herablassen benützen.
* (Verschiedenes.) In Oberndorf fiel das etwa 3jährige Söhnchen des Schwanenwirts Graf in einem unbewachten Augenblick in einen auf dem
Boden der Küche stehenden Kessel voll heißen Wasser- und starb am darauf folgenden Tage an den erhaltenen schweren Verletzungen. — Von der Strafkammer in Ulm wurde die Müllers Witwe Vögele von Nürtingen wegen Betrugs im Rückfalle zu 1 Jahr 6 Monaten Zuchthaus und zu 1050 Mk. Geldstrafe verurteilt. — Der Wirt Seifried von Erbach sowie 2 Maurer und 1 Dienstknecht, welche am 31. Juli ds. Js. den Landjäger Sauter, der eine Magd verhaften wollte, thätlich mißhandelten, ihm Gewehr und Säbel entrissen, wurden zu 6—9 Monaten Gefängnis verurteilt. — In Sulzbach a. M. sind einem Wirt aus einer unverschlossenen Kommode 85 Mark bar Geld entwendet worden. Von dem Thäter hat man bis jetzt keine Spur. — Zwei Steinfuhrleute aus Bretten, Dickmann und Herd, hatten in Maulbronn Steine geholt. Dickmann hatte auf einem Pritschenwagen einen ca. 60 Zentner schweren Stein. Als es bergab ging, rutschte der Stein vor, der Wagen stürzte um und der Stein erdrückte den Fuhrmann, so daß alsbald der Tod eintrat.
* Karlsruhe, 11. Sept. Ein empörender Schwindel wurde hier aufgedeckt und zur gerichtlichen Aburteilung gebracht. Durch Inserate wurde ein Mittel gegen Lungenschwindsucht in den Zeitungen angepriesen. Auf erfolgte Einsendung von einer Mark erhielten die Reingefallenen einen anonymen Brief, in dem ihnen der Rat erteilt wurde, täglich zweimal je ein Glas ihres eigenen Urins zu trinken. Dem Ortsgesundheitsrut wurde der Fall zur Kenntnis gebracht und bewirkte dieser die Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Der Schwindler wurde ermittelt, vor das hiesige Schöffengericht gestellt und von diesem zu zwei Wochen Gefängnis und zu 10 Mark Geldstrafe verurteilt. In der kurzen Zeit bis zur Ermittelung des Schwindlers hatten 18 Personen das Mittel bezogen. Dieser Fall möge zur Warnung dienen.
* Vom Bodensee, 12. Sept. Der Waffer- stand des Bodensees ist zur Zeit ein außerordentlich niederer. Während der Hafenpegel in Konstanz anfangs September des Jahres 1890 5,77 m, 1891 4,20 m, 1892 4,33 m zeigte, steht heute der Hafenpegel auf 3,34 in.
* Dresden, 15. Sept. Heute vormittag fand in Gegenwart des Königs Albert, sowie der Minister die feierliche Enthüllung des Denkmals für Kaiser Wilhelm I. statt. Oberbürgermeister Stübel hielt die Festrede.
" Glogau. In dem Dorfe Kofiadel ist der Bauer G., der von Polizei wegen als Trunkenbold erklärt worden war, einstimmig zum Gemeindevertreter gewählt worden mit der ausgesprochenen Begründung, daß die Gemeinde dem in seiner Ehre gekränkten Manne eine Genugthuung schuldig sei.
* In Halle a. S. wurden durch Einbruch aus einem Juwsliergcschäft Gegenstände im Werte von etwa 14,000 Mk. gestohlen. Der Einbruch wurde in der Weise bewerkstelligt, daß die Diebe vom Hofraum des angrenzenden Schulgrundstücks die starke Brandmauer durchbrachen und durch das Loch in die Geschäftsräume drangen.
* Der Staatsanwalt von Halberstadt erläßt
Gine Woche. (Nachdruck verboten.)
Kriminal-Roman von M . . . .
(Fortsetzung.)
Percy Barker wurde Goldgräber. San Francisco war sein Ziel. —
Großes Gepäck beschwerte ihn nicht. Ein Ranzel auf dem Rücken, ein Bündel in der Hand, ein Messer im Gürtel — oder im Stiefelschaft und — der unentbehrliche sechsläufige Revolver.
Doch nicht alle werden von dem Glück begünstigt. Und wem es gelingt, mit einem Schlage reich zu werden, den erfaßt ein Taumel auf der schwindelnden Bahn — er verliert den Halt und stürzt rettungslos in die Tiefe hinab — da bedarf es einer harten Stirn, um nicht im Staube liegen zu bleiben. Es ist ein gefährlicher Sturz, der oft gefährliche Folgen nach sich zieht.
So erging es Percy Barker. Er arbeitete im Schweiße seines Angesichts, hatte im Anfänge viel Schwierigkeiten zu überwinden und war oft der Verzweiflung nahe. Aber in der elften Stunde lächelte die Göttin ihn freundlich an — er streckte seine Hand aus und griff in die Speichen des Glücksrades.
So recht genau kannte niemand den Zusammenhang der Geschichte, niemand außer Percy Barker selber. Man erzählte sich von einem ungewöhnlich großen Funde — von einem Manne, der sein Glück für Zeit und Ewigkeit gemacht habe — dieser Tag in Kalifornien würde ihm unvergeßlich bleiben. —
Nur wenige Stunden später, und ein neues Gerücht verbreitete sich in Newyork; dasselbe lautete ganz anders. Die Seifenblase war geplatzt. Percy Barker war wieder, was er gewesen — ein armer Goldgräber.
Doch — sein Name war genannt worden! Und während ich so in den dunklen Zimmern auf- und niederschritt, war es mir, als verstehe ich den Kampf, der in dieser Stunde in seinem Innern getobt haben mußte. Das rote Gold funkeln sehen, zu wissen, daß alles ihm allein gehört — Macht und Glanz, schäumender Wein und schöne Frauen. Er streckte die Hand nach dem Schatz aus, und wie mit einem Zauberschlage sank derselbe zurück in die Eingeweide der Erde — unerreichbar unwiederbringlich — fort auf ewig.
Es war eine wunderbare Geschichte, die noch heute, nach Jahren, an dem Schauplatz, auf welchem sie sich zugetragen hat, nicht vergessen ist. Und wenn sich die Nacht niedergesenkt hat, wenn die Arbeit ruht, wenn die Flasche nicht mehr kreist und der Gesang verstummt — dann erzählt wohl jemand mit flüsternder, geheimnisvoller Stimme von ihm, der den unermeßlichen Schatz gesunden und wieder verloren hat.
Dann seufzen die wilden Gesellen und mehr als einer seufzt tief auf und meint: „Ach, wäre doch ich der Glückliche gewesen! Ich würde es schon verstanden haben, den Schatz zu halten."
Percy Barker kehrte wieder nach New-Iork zurück. Er hatte das Goldgraben satt.
Man betrachtete ihn natürlich mit einer gewissen Neugierde, und selbstredend waren die wunderbarsten Geschichten über ihn im Umlauf.
Unter allen diesen Gerüchten, welche mehr oder weniger Anspruch auf Glaubwürdigkeit machten, beschäftigte sich auch eins mit dem steifen Finger seiner linken Hand.
Darnach hatte sich Percy Barker, der sich in !
Begleitung eines Chinesen auf Reisen befand, eines !
Nachts in einem Walde niedergelegt. Sie waren fern von jeder menschlichen Wohnung, die Nacht war dunkel und der Wald dicht — die Versuchung war zu groß für den gelbhäutigen Sohn Chinas. Er ^
zog sein Messer, er beugte sich über seinen Herrn, und schon blitzte der Stahl über dessen Brust. Da erwachte Percy Barker, wehrte mit der Linken den ,
Stoß ab, der Chinese erschrickt und Percy Barker !
ist gerettet. Den steifen Finger aber behielt er zum Andenken an jene Stunde.
Doch — kein Thema ohne Variationen! —
So erzählt man denn die Geschichte auch folgendermaßen :
Eines Nachts hatte sich Percy Barker mit einem Kameraden im Walde gelagert. Die Nacht war dunkel und der Wald dicht. — Die Versuchung war zu groß für — Percy Barker! Er zog sein Messer, er stürzte sich über den Kameraden, schon blitzt der Stahl über dessen Brust, als er erwacht. Es entspinnt sich ein heißer Kampf, in welchem Barker verwundet wird. Weiter berichtet diese Variation nichts. '
Doch wir kennen die Fortsetzung. Der ehe-