bürgerlichen Elemente doch gelangen sei. In die Freude mischten sich ernste Erwägungen. Mit überraschender Klarheit habe es sich gezeigt, welche Kluft bestehe zwischen dem Bürgertum und den Angehörigen der arbeitenden Kreist. Es sei im Interesse des Vaterlandes, künftig sich der notwendigen Aufgabe zu widmen, eine Versöhnung herbeizuführen. — Im ersten Wahlkreis wurden 376 giltige Stimmen mehr abgegeben, als in der ersten Wahl, ungiltig waren 316 Stimmzettel, Siegle gewann 4962, Kloß 2497 weitere St. Man darf annehmen, daß letztere von der Volkspartei herrühren, da sämtliche Anhänger von Kloß schon in der ersten Wahl ihre Stimmen abgegeben haben dürften. Da nun am 15. Juni 5842 Stimmen für Haußmann abgegeben wurden, so folgt, daß auf Siegle sich etwa 3550 volksparteiliche Stimmen vereinigt haben; die übrigen 1400 Stimmen, die er gewann, liquidieren sich durch die 376 mehr abgegebenen, die 460 Antisemiten und etwa 600 katholische Wähler, die im ersten Wahlgang für Gröber gestimmt hatten. Es hat somit der größere Teil der Volkspartei für Siegle gestimmt und damit die Absicht der Führer Payer und Haußmann vereitelt, »mit Kraft" für den Sozialdemokraten cin- zutreten.
* Stuttgart, 26. Juni. In der gestrigen Versammlung der Notstandskommisston teilte der Vorstand der Landesproduktenbörse Kreglinger mit, daß folgende Futtermittel zur Verfügung stehen: Süßes österreichisches Heu 25 Wagen, Wicken 1000 Sack, Pserdezahn-Mais, Buchweizen, Senfsaat, Spargel, Erbsen, Johannes-Roggen, Stoppelrüben, Klee, Biertreber. Die Ortsvorstände und die Vorstände der landwirtschaftlichen Vereine sollen umgehend ihre Bestellungen bei der Kommission machen.
* Stuttgart, 26. Juni. Heute vormittag 12 Uhr erschienen auf telephonischen Auftrag des Königs 4 Mitglieder der Notstandskommission, bestehend aus dem Direktor Hans v. Ow, dem Vorstand der Landesproduktenbörse Kreglinger und den Oekonomieräten Ege und Stockmaier bei dem König. Der König erkundigte sich genau nach dem Umfang des Notstandes und nach den bereits geschehenen Schritten zu dessen Hebung. Der König drückte zugleich sein tiefstes Bedauern über diesen Notstand aus und versicherte die Deputation, daß seine Regierung alles thun werde, was zu dessen Bekämpfung irgendwie möglich sei. Mit großer Befriedigung nahm der König von der Mitteilung Kenntnis, daß von den gestern Notleidenden zur Verfügung gestellten 400 Waggons Mais 80 Waggons bereits an die Notleidenden verkauft und zu einem guten Teil an dieselben von Mannheim unterwegs seien. Der König wünschte auch fernerhin über den Notstand selbst, wie über die dagegen angewendeten Mittel unterrichtet zu werden.
* Stuttgart, 26. Juni. Nach einer von der Staatsschuldenzahlungskasse ausgestellten Berechnung beläuft sich ihr Geldbedarf für das Eiatsjahr 1893/94 über Abzug der an dem Zinsbedarf von dem Effen- bahnbaufonds zu deckenden Summe von 3900 Mk,, sowie des Zuschusses der Grundstocksverwaltung von 4 617823 Mark 87 Pfennig zum Tilgungsfonds auf 19 588 312 Mk. 86 Pf. Es werden daher auf Grand des Artikel 4 des Staatsschuldenstatuts vom 22. Febr.
Elisabeth bat ihn um seinen Besuch, sie beklagte sich bitter darüber, daß er noch nicht gekommen war, um ihr zu raten und beizustehen; sie sprach die zuversichtliche Erwartung aus, daß er nach Empfang dieses Briefes nicht länger zögern werde, die Freundschaft, die er ihr zugesagt habe, auch durch die That zu beweisen.
Gustav sah sich jetzt in die peinliche Notwendigkeit versetzt, einen Entschluß fassen zu müssen; er überreichte dem Freunde den Brief, der, nachdem er ihn gelesen hatte, mit bedenklicher Miene das Haupt schüttelte.
»Ich würde nicht hingehen", sagte Friedrich, „dein Ausbleiben wird sie erkennen lassen, daß sie nichts mehr von dir zu erwarten hat."
„Sage ich ihr das nicht in dürren Worten, so wird sie an ihren Hoffnungen festhalten und in späteren Briefen mich mit Vorwürfen überschütten", erwiderte der Advokat nachdenklich; „schon aus diesem Grunde ziehe ich Offenheit vor."
„Du wirst dir selbst eine unangenehme Szene bereiten."
„Mag sein, aber einmal muß sie doch die volle Wahrheit erfahren. Du hast ja auch einen Brief erhalten."
„Von Hallstädt", erwiderte Friedrich und inseinen Augen leuchtete es freudig auf; er schreibt mir, daß er übermorgen den Wanderstab weiter zu setzen gedenke, vorher wolle er aber noch einmal den Rigi besuchen und dort übernachten. Er ladet mich zu dieser Partie ein —"
1837 (Reg.-Bl. S. 107) nach getroffener Ueberein- kunft mit dem ständischen Ausschüsse der Staatsschuldenzahlungskasse folgende Staatseinnahmen zum Bezug angewiesen: a) direkte Steuern von dem Grundeigentum. von den Gefällen, Gebäuden und Gewerben 4470000 Mk., b) direkte Steuern von Apanagen, Kapital- und Renten-, Dienst- und Berufseinkommen 3718312M.86Pf.,o)Wirtschaftsabgaben3000000M,, ä) Reinertrag vom Eisenbahnbetrieb 8400000 Mk. zusammen 19588 312 Mark 86 Pfennig.
* Stuttgart, 26. Juni. Unter der Ueberschrift „Bei Philippi sehen wir uns wieder" droht die soz. Tagwacht der Demokratie, die sie im Stich gelassen, Rache. Sie schreibt: „Hast Du schon einmal gehört, lieber Leser, daß Versprechen und Halten zweierlei ist? Wer das hält, was er verspricht, ist ehrlich, ist charaktervoll, — wer es nicht thut, ist unehrlich, ist
charakterlos.Was rhat die Stuttgarter Volks-
Partei? Sie versprach den sozialdemokratischen Kandidaten als Gegner der Militärvorlage und der indirekten Steuern zu wählen, und an tausend ehrliche Demokraten haben es auch gethan, aber über viertausend schwenkten ab, ... . sie brachen ihr gegebenes Wort und fälschten damit die öffentliche Meinung. Wir wollen die Folgen dieser Handlungsweise heut, nicht erörtern, für die Volkspartei werden sie keine guten sein; es kommt ihr „Philippi", wo wir uns Wiedersehen werden. Die „reaklionäre Masse" soll an uns denken.
* Auch in diesem Jahre sind die Regiments- und Bataillonskommandos angewiesen worden, Soldaten zur Unterstützung ihrer Angehörigen bei der Ernte, soweit die dienstlichen Interessen dies gestatten, in die Heimat zu beurlauben. Bei d eser Gelegenheit machen wir darauf aufmerksam, daß Gesuche von Privatpersonen um zeitweise Beurlaubung von Soldaten am besten an die Regiments-Kommandos, als die zur Gewährung solcher Gesuche zunächst berechtigten Behörden zu richten sind.
* (Verschiedenes.) Ein bedauerlicher Unglücksfall hat sich in letzter Woche in Höfen (Wtldbad) ereignet. Am verflossenen Mittwoch spielten Knaben auf einem Bauplatz; ein jüngerer Arbeiter, durch jene erregt, warf nach den Knaben mit einem kleinen Stein; einer der Knaben erwiderte den Wurf, traf aber einen Maurer, worauf dieser einen handgroßen Stein nach dem Knaben warf, der dadurch getroffen wurde. Der Knabe, ein 13jähriger Schüler, konnte noch nach Haufe gehen und den Hergang erzählen; nach 6 Stunden trat Bewußtlosigkeit ein und am Samstag abend 4 Uhr ist er gestorben. Sehr zu bedauern ist der ohnedem schon schwergeprüfte Vater des verunglückten Knaben. Der Thäter ist verhaftet. — Zur Warnung für Kinder mag folgendes bedauerliche Vorkommnis dienen. Das zehnjährige Töchterchen eines Händlers in Heilbronn, welches am Freitag abend in einem Hause in der Fleinerstraße etwas zu besorgen hatte, wollte das Treppengeländer hinabrutschen, wobei es das Uebergewicht bekam und zwei Stock hoch in das Treppenhaus hinabstürzte. Es blieb mit einer schweren Kopfwunde und mit gebrochener Hand, an der der Knochen heraussah, bewußtlos liegen und mußte auf ärztliche Anordnung in den Spital verbracht werden, wo es am Samstag früh
„Und du wirst natürlich die Einladung annehmen!"
„Ich fürchte deine Vorwürfe, wenn du morgen dich wieder langweilst."
„Scherz beiseite, Friedrich, ich rate dir Annahme."
„Kannst du denn zweifeln, daß ich schon dazu entschlossen bin? Ich werde morgen früh mit dem ersten Schiff fahren, und komme ich nicht als Verlobter zurück, dann kann ich meine Hoffnungen zu Grabe tragen."
„Auch in diesem Falle würde ich noch nicht verzagen," erwiderte Gustav, während er eine neue Zigarre anzündete, „und nun komm', ich habe Lust, einen Spaziergang zu machen."-
Am Morgen nach diesem Abend erwartete Elisabeth Varnay mit wachsender Ungeduld, auf dessen Rat und Hilfe sie ihre letzten Hoffnungen baute.
Sollte ihr Bruder wirklich recht gehabt haben, als er den Advokaten Varnay als den Urheber aller Verfolgungen bezeichnete? Sie konnte und wollte das nicht glauben und doch mußte sie es befremden, daß Gustav nicht sofort zu ihr geeilt war, um ihr seinen Beistand anzubieten.
Aus dem Gefängnis drang auch keine Kunde zu ihr und der Polizeibeamte beipachte noch immer die Hausthür, sie hatte ihm sogar im Erdgeschoß des Hauses ein Zimmer einräumen müssen, und es war nicht anzunehmen, daß er sobald wieder abziehen würde.
Endlich kam Gustav; ihre Ungeduld konnte ihm nicht entgehen, als sie ihm entgegeneilte, um ihn zu begrüßen, so wenig wie der Vorwurf, den er in ihren Augen las.
starb. — In Böhringen wurde am Freitag vormittag alt Schultheiß Häring auf der Bühne erhängt aufgefunden. — In hochherziger Weise übermittelte Freiherr v. Bautz der Darlehenskaffe Oedheim das große Geschenk von 3000 Mk. Die Gemeinde ist für die so reiche Gabe um so mehr erkenntlich, als durch die herrschende Dürre auch hier ein Notstand eingetreten und die Kasse nun bester als früher in der Lage ist, helfend und fürsorgend betzuspringen. — In Cannstatt versuchte ein daselbst in Arbeit stehender Glasergehilfe von Welzheim mittels Hobeleisen sich den Hals abzuschnetden. Die Verletzungen sind lebensgefährlich; der Lebensmüde wurde in das Bezirkskrankenhaus verbracht.
* Im Königreich Sachsen wird jetzt seit einem Jahre die Nachweisung kirchlicher Trauung seitens neuanziehender Ehepaare bei der polizeilichen Anmeldung verlangt. Die betreffende Verordnung datiert vom 21. Juni v. und war seitens des Ministeriums erfolgt auf einen Antrag des evangelisch luth rischen Landeskonsistoriums mit Rücksicht auf das von letzterem wiederholt hervorgehobene kirchliche Interesse, sowie darauf, daß der bei weitem größere Teil der mit ihrem Gutachten gehörten politischen Behörden in einem dem Anträge günstigen Sinne sich geäußert hatte. Hierbei ist den Polizeibehörden freigcstellr, in ihnen geeignet erscheinenden, besonders zweifellosen Fällen von der Befragung abzusehen.
"Berlin, 24. Juni. In den beiden ersten Monaten des laufenden Etatsjahres ergaben die Zölle 12 200000 Mk. weniger gegen den gl-ichen Zeitraum des Vorjahrs, dagegen die Zuckersteuer, die Branntweinsteuer, die Brau- und die Salzsteuer ein Mehr von nahezu 6 Millionen.
" Berlin, 27. Juni. An amtlicher Stelle gelten die Vertragsverhandlungen mit Rußland als völlig gescheitert, wenn auch der förmliche Abbruch der Verhandlungen noch nicht vollzogen ist. Eswerden bereits regressive Zollmaßnahmcn gegen Rußland vorbereitet. — Der Vossischen Zeitung zufolge finden gegenwärtig Berechnungen zwischen den Regierungen statt über die vorläufige Deckung der Kosten der Militäroorlage durch Erhöhung der Matrikularbeiträge.
* Berlin, 27. Juni. Bis heute früh sind 166 Stichwahlen bekannt. Davon 25 Konservative, 10 Neichspartsi, 35 Nattonalliberale, 10 freisinnige Vereinigung, 21 freisinnige Volkspartei, 7 süddeutsche Volkspaetei, 8 Zentrum, 7 Polen, 14 Antisemiten, 20 Sozialdemokraten, 7 Welfen, 1 Elsäßer Protestler.
* Berlin, 27. Juni. Die Vosstsche Zeitung behauptet, dem Reichstage werden bei seinem Zusammentritt sofort außer der Militärvorlage Vorschläge zur Linderung der Futternot zugehen.
* Berlin, 27. Juni. Die Strafkammer des Landgerichts verurteilte heute den Rcichstagsabgeord- neten Ahiwardt wegen Beleidigung der gesamten preußischen Beamten, insbesondere des Justizressorts, begangen in seiner Essener Rede, zu 3 Mona-en Gefängnis.
* Die vom Bund der Landwirie herausgegebene „Korrespondenz" erklärt sich m t dem Wahlausfall mehr als zufrieden. Die Signatur der letzten Wahlen sei „die völlige Vernichtung derjenigen Partei, die
Er führte sie zum Divan und nahm ihr gegenüber Platz.
„Verzeihen Sie, wenn ich erst heute komme," sagte er. „Die Ueberzeugung, Ihnen in dieser Lage nicht helfen zu können, hielt mich zurück."
„Und worauf stützen Sie diese Ueberzeugung?" fragte sie vorwurfsvoll. „Können Sie glauben, daß ich an dem Verbrechen beteiligt sei?"
„An diesem? Nein; aber ich glaube an die Schuld Ihres Bruders."
„Auch sie ist noch nicht bewiesen!"
„Die Beweise, die man hier gefunden, sind genügend."
Die Glut des Zornes übergoß das Antlitz der jungen Frau; jetzt mußte es ihr klar werden, daß sie auf die Freundschaft dieses Mannes nicht bauen durfte.
„Sie scheinen sehr gut unterrichtet zu sein," sagte sie mit zitternder Stimme.
„Ich habe mit dem Untersuchungsrichter gesprochen —"
„In meinem Interesse?"
„Auch das, aber leider mußte ich entdecken, daß von einer Wahrung Ihrer Interessen nicht mehr die Rede sein kann."
„Ich verstehe das nicht, Herr Doktor; man beschuldigt mich der Teilnahme an einem Verbrechen, von dem ich bis zur Entdeckung desselben keine Ahnung hatte, man hat mein ganzes Vermögen konfisziert und bewacht mich in meinem Hause wie eine Gefangene, und alles soll ich mir ruhig und geduldig gefallen lassen ?"
(Fortsetzung folgt.)