Eröffnung der Versammlung und als von denselben endlich verlangt wurde, der Einberufer möge doch eine Ansprache halten, stand derselbe unter vielem Räuspern auf — eS ist ein ehrsamer Meister, der den Knieriemen besser zu handhaben versteht, als große Reden zu halten — und erklärte: „Wähle ein Jeder, wie's recht ist." „Einverstanden!" war der ungeteilte jubelnde Beifall, und sicher ist keiner der Anwesenden anders als in dem Bewußtsein nach Hause gegangen, nämlich „zuwählen, wie's
" * Nagold, 8. Juni. »Rasch tritt der Tod den Menschen an!" Dieses mußte gestern die Familie des Stattonsmetsters in Gündringen erfahren. Der Vater war zum Vesper nach Schietingen gegangen. Kaum hatte er sich zu einem Glas Bier gesetzt, so machte ein Herzschlag seinem Leben ein plötzliches Ende. Der sonst kräftige, 45 Jahre alte Mann hinterläßt eine Frau mit 2 Kindern.
* Freudenstadt, 7. Juni. Heute nachmittag wurde in Hallwangen der russische Staatsrat Schmid aus Bialystock in Lithauen beerdigt. Der Verstorbene, ein geborener Hallwanger, studierte in Tübingen Theologie und wurde dann Hauslehrer und später Professor am Gymnasium inBtalystock. Seine Tüchtigkeit wurde durch verschiedene Auszeichnungen, besonders auch durch Verleihung des Titels Staatsrat, anerkannt. In seiner neuen Heimat hat er sich besonders auch der Ev. Kirche angenommen. Während der letzten Wochen hielt er sich zu seiner Erholung in Stuttgart und Freudenstadt auf. Als er aber am 5. Juni nach Stuttgart reisen wollte, machte zwischen Eutingen und sHerrenberg ein Herzschlag seinem Leben ein Ende. Zwei seiner Söhne sind russische Offiziere.
* Stuttgart, 8. Juni. In anbetracht des zu erwartenden großartigen Stetnobstertrags wird der württ. Obstbauverein Heuer eine Ausstellung, mit welcher zugleich auch ein Verkauf verbunden sein soll, veranstalten. — Der Stuttgarter Gemeinderat in seiner Mehrheit will, nachdem das erste Gesuch ab- gelehnr wurde, aufs Neue um Einreichung eines Krematoriums (Leichenverbrennungs-Ofens) auf einem der hiesigen Friedhöfe beim Ministerium des Innern petitionieren.
* Stuttgart, 9. Juni. Für das heurige Kaisermanöver ist nach St. Bl. vorläufig folgende Zeiteinteilung in Aussicht genommen: Sonntag 10. Sept. Eintreffen Sr. Maj. des Kaisers in Karlsruhe, Montag 11. Sept. Parade des 14. Armeekorps bet Karlsruhe. Dienstag 12. Sept. Parade des 13. Armeekorps bei Stuttgart. Mittwoch 13. Sept. Korpsmanöver des 13. Armeekorps in zwei Parteien gegen einander. Donnerstag 14., Freitag 15. und Samstag 16. September Manöver des 13. gegen das 14. Armeekorps. Wo die Manöver sich abspielen werden, läßt sich jetzt mit Bestimmtheit noch nicht sagen. An den Katsermanövern wird auch das zum 15. Armeekorps abkommandierte 8. württ. Inf.-Regt. Nr. 126, Großherzog Friedrich von Baden, weiches von Beginn des Regimentsexerzierens an zur 54. Jnf.-Brig. übertreten wird, teilnehmen. Sodann wird über die Zeit der Korpsmanöver auf 14 Tage eine weitere Division, bestehend aus 12 Referve-Jnfanterie- Bataillonen, welche in 4 Regimenter und diese in 2 Brigaden eingeleilt werden, formiert; Kavallerie und Feldartillerie wird diese Division aus den Linientruppen zugeteilt erhalten.
fürchten Sie nicht, daß Fräulein Hagen von dieser Freundschaft Kenntnis erhalten wird?"
„Es wird kein Geheimnis bleiben," sagte Varnay achselzuckend, „aber wenn dies ihr Vertrauen zu mir erschüttern kann, dann —"
Er brach ab und überließ es der jungen Frau, den Schluß dieses Satzes zu erraten.
„Beeilen Sie deshalb Ihre Abreise nicht," nahm er nach einer Pause wieder das Wort, „ich werde Ihnen mit Rat und That zur Seite stehen."
„Ich danke Ihnen. Sie glauben also mein Bruder habe nichts zu befürchten?" fragte Elisabeth.
„Ich werde mit den Herren reden und die Angelegenheit zu ordnen suchen. Schlimm wäre es, wenn Ihr Bruder so thöricht sein sollte, die Flucht zu ergreifen; in diesem Falle würde er sich selbst schuldig bekennen und —"
„Erdenkt nicht daran!" unterbrach ihn Elisabeth spöttisch. „Bis zur Beerdigung meines Mannes muß er jedenfalls hier bleiben und auf seiner Seite liegt keine Schuld. Ich werde Ihnen später einmal erzählen, welche Pläne Fräulein Hallstädt verfolgt und welche Bedingungen sie meinem Bruder stellte, — oder sollten Sie darüber bereits unterrichtet sein?"
„Nein," erwiderte er kopfschüttelnd, „ich weiß nur das, was Hallstädt mir berichtete. Kann ich in irgend einer Weise Ihnen dienen? Verfügen Sie ganz über mich—"
„Sie sind sehr freundlich, Herr Doktor, aber einstweilen brauche ich Ihre Freundschaft noch nicht
* Der Bescheid des evangelischen Konsistoriums auf die Eingabe von 80 Latenmitgliedern der evangelischen Landeskirche, Mitglieder, die sich zumeist aus den gelehrten Ständen rekrutieren, ist so ausgefallen, wie es vorauszusehen war. Das Konsistorium hat die verlangten Abänderungen am Apostolicum rundweg abgelehnt. Das Konsistorium wird bet diesem Entscheid von dem Gedanken geleitet, daß die evangelische Landeskirche in Württemberg in unseren Zeitverhältnissen allen Grund habe, „ihren rechtlichen und geschichtlichen Zusammenhang mit der Kirche der lutherischen Reformation festzuhalten." Das Konsistorium gesteht jedoch zu, daß die theologische Begründung und Fassung einzelner Punkte der Berichtigung und Fortbildung fähig und bedürftig seien.
"Hohenheim, 7. Juni. Bei dem 75jährigen Akademie-Jubiläum sprach heute S. M. König Wilhelm folgende denkwürdige Worte: „Ich danke, zugleich im Namen Meiner Gemahlin, für den warmen Empfang, der uns in Hohenheim bereitet worden ist, und spreche meine Freude aus darüber, daß so viele frühere Angehörige der Akademie von Nah und Fern herbeigeeilt sind, um das heutige Jubiläum mitzufeiern. Ich sehe darin ein Zeichen ihrer Anhänglichkeit an meine landwirtschaftliche Hochschule und einen Beweis ihrer Dankbarkeit für das, was sie an derselbe' gelernt haben, um es später im Leben zu verwerten. Ich heiße sie alle hier herzlich willkommen; Ich fühle das Bedürfnis, an diesem Tage bei dem ersten Besuche, den Ich seit Antritt Meiner Regierung in Hohenheim mache, es auszusprechen, wie sehr mir das Gedeihen der Landwirtschaft am Herzen liegt. Ich bin Willens, Alles zu thun, was an Mir liegt und und was meine Regierung vermag, um die Landwirtschaft zu schützen und zu fördern. Ich bitte die hier anwesenden württembergischen Landwirte, dies in ihren Kreisen weiter zu erzählen und zu verbreiten, damit Mein lebhaftes Interesse für die Landwirtschaft zur allgemeinen Kenntnis gelangt. Ich hoffe, daß Mein Bestreben nicht nur zum Segen Württembergs, sondern des gemeinsamen Vaterlandes gereichen werde."
* Ulm, 10. Juni. In Hegelhofen bei Weißenhorn (Bayern) hat heute nacht ein 16jähriges Mädchen seiner Mutter, seinem Großonkel und dann sich selbst mit einem Rasiermesser den Hals durchschnitten.
* Aus Anlaß der großen Futternot unternahmen 30 Einwohner von Allmannsweiler (bei Lahr) förmliche Raubzüge in die Kippenheimer Waldungen. Es fanden mehrfache Zusammenstöße mit dem Forstpersonale statt, welches der Uebermacht erlag. Mit Mühe konnten 4 Verhaftungen vorgenommen werden.
* Worms, 8. Juni. Unweit der Hafenanlagen wurde infolge des niederen Wasserstandes ein Eichstamm von ganz gewaltigen Dimensionen im Rhein gefunden. Der Stamm, der ganz festes Holz hat und wohl schon Hunderte von Jahren an dieser Stelle ruht, hat eine Länge von 17 Metern und einen Durchmesser von 88 Zentimetern.
* Berlin, 8. Juni. Der „Reichsanzeiger" konstatiert, daß in zahlreichen Wahlflugblättern Behauptungen bezüglich der Militärvorlage aufgestellt werden, die in wesentlichen Punkten den thatsächlichen Verhältnissen vollständig widersprechen. Insbesondere
in Anspruch zu nehmen, mein Bruder wird alles Nötige besorgen."
Gustav verabschiedete sich; es widerstrebte ihm. dieser Frau gegenüber noch länger die Rolle eines teilnehmenden Freundes zu spielen.
Der Verdacht, daß Griesheim ermordet worden sei, wurzelte bereits zu fest in seinem Innern, als daß er über ihn hinweggehen konnte; nach seiner Ansicht mußte dieses Ereignis einer strengen Untersuchung unterworfen werden.
Er eilte zu dem Polizeibeamten, an den er Hallstädt verwiesen hatte, und er kam in demselben Augenblicke bei ihm an, in dem der Vater Theodores sich entfernen wollte.
„Da ist vorläufig wenig zu machen, Herr Doktor," sagte der Beamte, der Varnay in den Angelegenheiten des Agenten kennen gelernt hatte. „Griesheim ist tot und gegen seinen Schwager liegen keine Beweise vor."
„Beweise allerdings noch nicht," erwiderte Gustav erregt, aber sie könnten leicht gefunden werden. Ich wälze einen anderen Verdacht auf Grüner, einen furchtbaren Verdacht, der sich aber so sehr auf Wahrscheinlichkeit stützt, daß er strenge Untersuchung fordert."
„Sie meinen den Betrug, der an der Versicherungsgesellschaft verübt worden ist? Herr Hallstädt hat mir bereits Mitteilung davon gemacht, aber die Untersuchung kann doch nicht hier, sondern nur in Ihrer Heimat geführt werden!"
„Ich meine etwas anderes. Ist die Leiche Griesheims seitens des Gerichtsarztes untersucht worden?"
„Soviel ich weiß — ja"
betrage die französische Friedenspräsenz 520 000, die deutsche 405 000 Mann, die Normierung der Präsenzziffer als Durchschnittsziffer statt der Maximalziffer sei lediglich eine Geldfrage, dadurch werde kein Mann mehr ausgehoben, kein Rekrut mehr eingestellt, kein Ausgebildeter mehr entlassen. Das Angebot der freisinnigen Volkspartei habe, abgesehen davon, daß die Einstellung von 25 000 Rekruten mehr ohne Erhöhung der Friedenspräsenz eine bare Unmöglichkeit ist, eine Verstärkung der Armee nicht oder nur ganz minimal zur Folge. Eine Verjüngung der Armee werde dadurch überhaupt nicht erreicht.
* Berlin, 10. Juni. Der „Börsenztg." zufolge wären alle Meldungen über einen Deckungsplan betreffs der Mtlitärvorlage mit Vorsicht aufzunehmen.
Die Regierung habe noch keinerlei Beschlüsse in dieser Hinsicht gefaßt. — Demselben Blatt wird aus Arns- walde berichtet, die Konservativen werden größtenteils wieder für Ahlwardt stimmen. j
* Berlin, 10. Juni. In 49 süddeutschen, 115 ^
preußischen, 46 andern norddeutschen Wahlkreisen sind Kandidaten der freisinnigen Volkspartei aufgestellt, darunter, laut Volksztg., 116 mit guten oder mittleren Aussichten.
* In verschiedenen Wahlkreisen ist den Kandidaten unter anderem auch die Frage vorgelegt worden, ob sie versprechen wollen, im Fall der Wahl ihre parlamentarische Pflichten auch thatsächlich so regelmäßig wie irgend möglich anszuüben. Das ist ein ganz nachahmenswerter Vorgang. Der schlechte Besuch des Reichstags war in der verflossenen Legislaturperiode geradezu zu einem parlamentarischen Notstand geworden, der das Ansehen des Reichstags aufs tiefste geschädigt hat und zeitweise die ganze Gesetzgebungsmaschine lahm zu legen drohte. Es ist bei allen Parteien in dieser Hinsicht gefehlt worden, und sie haben keinen Anlaß, sich gegenseitig Vorwürfe zu machen. Es muß eben auf allen Seiten eine Besserung etntreten. Die Wähler können verlangen, daß der Mann ihres Vertrauens auch wirklich so regelmäßig wie möglich die Pflichten ausübt, die er übernommen hat. Sonst thut er besser, er bewirbt sich lieber gar nicht erst um ein Mandat. Hoffentlich tritt ^ im neuen Reichstag wenigstens in dieser Hinsicht eine Besserung ein.
"Elberfeld, 7. Juni. In dem Prozeß des Teufelaustreibers Pater Aurelian gegen die „Kölnische Zeitung" ist heute von der Strafkammer des hiesigen Landgerichts das Urteil verkündet worden. Das Gericht erkannte auf Freisprechung. (Das vom Reichsgericht aufgehobene Urteil der Strafkammer des Landgerichs Köln hatte auf eine Geldstrafe von 50 Mark gelautet.
"Hamburg. Am Mittwoch nachmittag fuhr eine alte Dame ihren Enkel in einem Kinderwagen auf dem Fußsteig der Bleicherstraße in St. Georg spazieren und sah dann plötzlich, wie ein kleiner Knabe, den Rücken einem daherfahrenden Straßenbahnwagen zugekehrt, zwischen den Schienen stand und ersichtlich das Herannahen des Wagens nicht bemerkte. Die alte Dame stellte den Kinderwagen quer auf den Fußsteig, eilte auf den Knaben zu, riß ihn von der Stelle fort. In demselben Augenblick gewahrte sie aber auch zu ihrem Entsetzen, daß ihr Enkel auf den
„Und hat man nichts Verdächtiges entdeckt?"
„Nur eine kleine Hautabschürfung auf dem Kopfe, die aber keine Bedeutung hat."
„Hm, ich möchte behaupten, daß diese Verletzung von sehr großer Wichtigkeit ist."
„Sie wollen doch nicht den weiteren Schluß ziehen, daß Griesheim ermordet worden sei?"
„Daß ein solcher Mord vorliegen könne — ja, diesen Schluß ziehe ich allerdings."
„Und worauf stützen Sie diesen Verdacht?"
„Auf Gründe, die ich Ihnen bereitwillig auseinandersetzen werde, wenn Sie dieselben hören wollen."
„Reden Sie," nickte der Beamte. „Ich werde Ihre Gründe prüfen."
„Ich komme auf meinen ersten, allerdings noch nicht bewiesenen Verdacht zurück. Die Versicherungs- Gesellschaft ist in einer Weise betrogen worden, die das Gesetz mit Zuchthaus bestraft, und nicht nur an dieser, sondern auch an anderen Betrügereien haben Griesheim und Frau gemeinschaftlich mit Grüner sich beteiligt. Für die gemeinschaftliche Beteiligung habe ich Beweise, sie steht unzweifelhaft fest. Nun ist die Gaunerbande in die Schweiz übergestedelt und hat natürlich die Früchte ihres Betruges mitgenommen. Man versuchte hier ebenfalls gemeinschaftliche Geschäfte zu machen, und anfangs mag auch alles glatt abgelaufen sein, anders aber wurde es und mußte es werden, als die Interessen der einzelnen Personen in Zwiespalt kamen."
(Fortsetzung folgt.)
Auflösung deS Homonyms in Nr. 67: „Thor."