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Rolle, die er im Prozeß Schluchter spielte, für ihn schwer belastend sein, dazu kommt die Ungeheuerlichkeit der Anschuldigung von Schluchten» Seite, der behauptet, der verhängnisvolle Stoß der Frau ins Wasser sei von Bauer ausgeführt worden. Dieser zum Tod verurteilt gewesene und zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigte Verbrecher hätte wohl keinen Grund und nicht« zu erhoffen, grundlos einen Menschen zur Mittäterschaft an einem so schweren Verbrechen zu beschuldigen, und vor die Geschworenen zu bringen.
Ulm 24. Aug. (Regen!) Endlich ist auch hier etwa« ergiebigerer Regen gefallen. I» den letzten 14 Tagen hatte sich der Himmel mehrmals umdüstert und jedesmal wurde die Hoffnung rege, e» werde zu einem regrnspendenden Gewitter kommen. Jedermal aber wurde die Hoffnung zunichte und hier in Ulm mußte man zusehen, wie sich auf der Alb oder im Jllertal die Wolken ihrer Last entledigten. Gestern endlich halten wir auch unter Tag« einige Gewitter, die reichlichen Regen abgaben. Immerhin war die Befeuchtung der Erde, die draußen auf den Arckern metertiefe Riffe aufweist und staubtrocken ist, «och lange nicht hinreichend, um eine verspätete Begrünung hervorzurufen, doch dürfte wenigstens da» Stürzen der Stoppelfelder jetzt möglich sein.
Oedenwaldstetten OA. Münsingen 24. Aug. (Zur Warnung.) Ein 5jährige« Mädchen erwischte in einem unbewachte» Augeu- bick einige Tollkirschen. Bald zeigten sich die Wirkungen der giftigen Frucht. Da« Kind schwebte in höchster Lebensgefahr. Den Bemühungen eine« sÄrzte» gelang e« noch in letzter Stunde, da» gefährdete Leben zu reiten.
Biberach 24. Aug. (Immer »och keine Spur.) Am kommenden Sonntag wird e» schon 4 Woche», seit der 16jährige Sohn eine» hiesigen Buchbindermeisters spurlo» verschwunden ist. Trotz Ausschreiben» der Kgl. Staatsanwaltschaft konnte bi» jetzt über den Verbleib de» Buben nicht» erfahren werde».
München 24. Aug. Der deutsche Kronprinz traf heute abend 6,45 Uhr von Hopfreben im Bregenzer Wald kommend auf dem hiesigen Hauptbahnhof ei» und setzte sogleich mit dem zur Abfahrt bereitstehenden Schnellzug seine Reise über Würzburg nach Altona und Bremen fort.
Berlin 24. Aug. Gegenüber der Meldung eine» hiesigen Blatte», daß der 15 Januar 1912 al» Termin der Reichstag »wählen in Au»- ficht genommen sei, wird dem Wolff'schen Bureau von amtlicher Seite mitgeteilt, daß darüber noch keinerlei Bestimmung getroffen ist.
Altona 24. Aug. Die Stadt ist in Erwartung de» Kaiser» und der Kaiserin prachtvoll geschmückt.
Pari« 24. Aug. Zur Unterstützung der Annahme, daß der D iebst ahl im Louvre lange
vorbereitet gewesen ist, wird mitgeteilt, schon im Jahre 1910 habe der Berichterstatter einer amerika- kanischen Nachrichtenagentur bei einer Pariser Agentur angefragt, ob es wahr sei, daß die Mona Lisa au» dem Louvre gestohlen worden sei. Eine halbe Stunde später erhielt er die Antwort, daß da» fragliche Bild sich an leinem Platz befinde. E« würde, so meint man, der Polizei leicht sei», festzustellev, von wem die Anfrage in Newyork ausging und wer die Antwort dorthin gemeldet hat.
Bad Kissingen 23. Aug. Der kürzlich zum zweitenmal au« dem Heilbronner Gefängnis entflohene Hochstapler und Abenteuer» Max Schiemangk, genannt Graf de Paffy- Schiemangk, wurde al» hier sich aufhalteud vermutet. Der Oberwachtmeister klopfte vorgestern abend gegen 10 Uhr an der Zimmertür in einem Kurhau» an und rief: „Schiemangk, machen Sie auf, die Polizei ist da!" Der Man» lag schon im Bett, worauf dessen Frau öffnete. Mit geladenem Revolver trat der Wachtmeister in da» Zimmer und erklärte den vermutliche« Schiemangk für verhaftet. Vor der Zimmertür standen noch zwei Schutzleute mit geladenen Revolvern und im Hautflur zwei weitere Schutzleute. Der nichtkahnende, vor Schrecken zitternde Man» legitimierte fich dem Oberwachtmeister als Armenrat au» Nürnberg.
Bern 23. Aug. Nach sechswöchiger regenloser Dürre find in Graubünden und im Tessin starke Gewitter, von schweren Stürme» begleitet, niedergegangen und habe» schweren Schade» an gerichtet.
«arNd-richte.
Stuttgart 24. Aug. (Obstmarkt) Auf dem heutigen Großmarkt galten folgende Preise: Zwetsche« 10—12 A Pflaumen 5—10 A Reineklauden 10—12 A Pfirsiche 30—45 Birnen 8—20 A Aepfel 8—18 ^ per Pfund.
Stuttgart 24. Aug. (Kartoffel- und Krautmarkt.) Dem heutigen Kartoffelgroßmarkt waren 350 Ztr. zugeführt. Preis 4,80—5,50 ^ per Zentner. Dem Filderkraut- markt waren 300 Stück zugeführt. Preis 40—50 ^ per Stück.
Göppingen 23. Aug. Auf dem heutigen Wochenmarkt wiesen die Gemüsepreise eine weitere Steigerung auf. Ein Pfund grüne Bohnen kostete 30—40 das ist ein Prei», der noch nie zuvor erreicht wurde. Ei» Stück Rosenkohl wurde mit 15—18 A Kopfsalat mit 10—15 A Endiviensalat mit 10—12 Blaukraut mit 25—30 ^ (immer da» Stück) bezahlt. Ein Pfund gelbe Rüben kostete 15 A ein Pfund Zwiebeln 12 A ein Pfund neue Kartoffeln 7 A Die Obstz«fuhr war nicht besonder» stark. Aepfel kosteten 15 A Birne« 12—20 Paradiesäpfel 25 A Pflaume« 10—15 A Zwetschgen 18—22 ^ da» Pfund.
Dörzbach OA. Künzelsau 24. Aug. (Vieh preise.) Der Viehmarkt war gut besucht und ziemlich stark befahren. Der Handel war aber gleich Null, da die Viehbefitzer verständigerweise immer noch zurückhalten und vor einem vorzeitigen Absatz absehrn, immer hoffend, daß noch einigermaßen Hrrbstfutter zu erwarten sei. — Der Schweinemarkt zeigte lebhaftere Frequenz; bei etwa» anziehenden Preisen kosteten Milchschweine das Paar 20—36 °^. Für fette Schweine wurden 50 pro Zentner Lebendgewicht bezahlt. — Der Stand der Fleischpreise ist in allen Gattungen 80 ^ pro Pfund.
Jlsfeld 24. Aug. (Holzwaren.) Dem heutigen Holzmarkt, der bedeutendste de» württ. Unterland», war diesmal wegen der Maul- und Klauenseuche nicht ganz so stark befahre» wie sonst. Schnittwaren waren nur in mäßiger Menge vorhanden und wurden bei steigenden Preisen rasch abgesetzt. Auch Kübler- und Küferwaren wurden bald verkauft. Pfähle dagegen, die in große» Mengen zugeführt wurde», erzielte» niedrigere Preise und konnten nur langsam abgesetzt werden. Für da» 100 gespaltene Pfähle wurden 2,80—4,00 für gesägte Pfähle 1,70—3,00 ^ bezahlt.
6. Die Invaliden- und Hinter- bliebensnversicherung nach den Bestimmungen
der Reichsversicherungsordnung.
(Nachdruck verboten.)
1. Verstchernngspflicht.
Mit dem 1. Januar 1912 tritt die Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung ent- sp ech-rid den Bestimmungen des vierten Buches der Reichsversicherungsordnung in Kraft. Die neuen Bestimmungen bieten eine Reihe von Erweiterungen und Verbesserungen gegenüber dem bisherigen Jnvalidevverficherungsgesetz. Die beteiligten Kreise, Millionen von Personen, Arbeitgeber und Versicherte, müssen sich mit den neuen Bestimmungen genau bekannt machen, damit sie die Vorteile. Zweck und Wirkung der Invaliden- nnd Hinterbliebenenverficherung kennen lernen und für sich nutzbar wachen.
Das Gesetz wendet seine Wohltaten in erster Linie Personen in abhängiger Stellung, besonders den Arbeitern, Gehilfen, Gesellen, Lehrlingen und Dienstboten, aber auch sonstigen gegen Entgelt beschäftigten Personen zu; sie alle müssen an der Versicherung teilnehmen, sie sind zum Beitritt gezwungen, für sie alle besteht die Versicherungs- Pflicht.
Voraussetzungen für die Versicherung für den Fall der Invalidität und des Alters, sowie zugunsten der Hinterbliebenen find:
a) Vollendung des 16. Lebensjahres.
b) Beschäftigung gegen Entgelt (Gehalt,
Lohn, Gewinnanteile, Sach- und andere
Bezüge.)
Unbedingt versicherungspflichtig find ohne Rücksicht auf die Höhe des Lohnes, also auch bei einem JahrcSarbeitsverdienst von mehr als 2000 ^L,: alle in
daß er im Grunde nur Sinn für Eva hatte und diese eine gewisse eifersüchtige Regung in Gegenwart der Schwiegermutter nicht ganz verbarg.
Diesmal nahm Fra« Lore diese Tatsache schon mit stiller Resignation al» etwa» Unabänderliche» hi». Später würde e» ja wieder bester werden. Je bescheidener sie sich jetzt zurückhielt, desto sicherer würde ihr EvaS Liebe erhalten bleiben und sie tat ihr möglichste».
Rudi, der innerlich genau so innig an der Mutter hing wie früher, und keine Ahnung hatte, daß seine Braut mit ihr eiferte, merkte e» doch endlich, daß Mama sich meist in Küche und Speisekammer zu schaffen machte, wenn er da war.
Und einmal fragte er sie geradezu, al» sie allein waren, warum sie den» nicht bei ihnen bliebe?
Da strich sie ihm verlegen lächelnd über da» krause, blonde Haar, wie sie e» dem Knaben oft getan, und sagte: „Du gehörst doch jetzt nicht mehr mir allein, mein Junge! Eva kann Dich mit Recht für fich beanspruche«. Später, wenn Ihr Euch eine Zeit eingelebt habt miteinander, dann komme ich zu Euch «ach Schlohstädt und dann wollen wir wieder so recht gemütlich und anregend plaudern, wie in alte» Zeiten, ja?"
Er lachte über die Behauptung, daß er nicht mehr ihr gehören solle. Die Liebe in der Ehe, das sei doch ein ganze» Gebiet. Deshalb werde er immer al» Sohn derselbe bleibe».
Dann sagte er: „Weißt Du, was ich mir ausgedacht habe, liebe Mama?"
„Nun?"
„Du solltest ganz zu an» überfiedel»! Wa» willst Du denn hier allein mit der Barbe in der Villa? Da» wäre doch ein gräßliche» Lebe»
für Dich, so die Zeit allein zu versitze»-»ein, nein, Dein Lebensabend soll warm und behaglich sei« inmitten der Kinder-"
Sie sah ihn mit leuchtende« Augen au. Wie gut er war! Wie
er ihre Lage verstand! Inmitten ihrer Kinder-Da» war ja ihr
heimlichster, süßester Traum.
Aber natürlich ging da» nicht in Wirklichkeit. E» würde kein gut tun. Und dann Astunta, die konnte sie doch nicht verlassen! Zum Frühjahr sollte der Storch eiukehren in der Villa Retiro, da brauchte man sie doch notwendig. Nein — nein — aber danke» mußte sie ihrem Jungen doch au» tiefstem Herzensgrund, daß er ihr in seinem Hause eine Heimat bot. Sie dankte auch Eva, den» sie nahm an, daß Rudi die Sache vorher mit ihr gesprochen hatte.
Eva erschrak nicht wenig und atmete erleichtert auf, al» sie hörte, daß nicht» au» der Sache werden sollte. Da hätte ihr Rudi» weiche» Herz bald einen schönen Streich gespielt. Ueberhavpt, welche Idee! Al» ob nicht tausend Frauen allein lebten-
Gut, daß diese Fahrten nach G. nun bald ein Ende nahmen. E» war höchste Zeit, Rudi einmal frei zu machen au» dem häu»lichen, über Gebühr sensiblen Empfindungskrei». Sie freute sich, daß die Hochzeit für Oktober angesetzt war.
E» ging sehr still und prunklo» dabei zu. Lanzendorf mokierte fich heimlich über Eva» geschmackloses Brautkleid und Rudi» feierlich gerührter Miene. „ES ist so unglaublich, wa» Ihr in Eurer Familie für einen Ueberfluß an Rührseligkeit habt," flüsterte er Astunta zu, „Mama zerfließt ja gerade in Tränen und Rudi sieht drei», al» müßte er eine Leichenrede halten." (Fortsetzung folgt.)