Württembergischer Landtag.
Kammer der Abgeordneten.
* Stuttgart, 27.April. (30. Sitzung.) Heute begann die Kammer mit der Beratung des Elsenbahnetats, die von dem Berichterstatter von Leibbrand mit einer längeren Erörterung über die Lage unserer Eisenbahnen eingeleitet wurde. Die Lage sei, geschäftsmäßig betrachtet, keine gute, und wir haben daher alle Ursache, den Bahnen unsere volle Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die Zahl der Züge hat sich von 281 im Jahre 1890 auf 336 im Jahre 1891 vermehrt. Bezugnehmend auf den vielgerühmten österr. - Ungar. Zonentarif bemerkte der Redner, daß die Aussichten des österreichischen Zonentarifs für uns keineswegs verlockend seien und daß bei uns der Kilometertarif festzuhalten sein werde. Wir müssen uns bet der Lage unserer Verhältnisse hüten, den Ratschlägen dogmatischer Verkehrsapostel zur Vornahme eingreifender Reformen in unserem Tarifwesen zu folgen. Einer weiteren Vermehrung der Züge werde wohl nicht das Wort zu reden sein, und auch die Einrichtung von Arbeiterzügen mit verbilligtem Tarif, wie dies in der Nähe Berlins etngeführt ist, werde bei uns wohl nicht durchzuführen sein, ebensowenig wie die Verbilligung des Tarifs für Musterkoffer. Die Verkürzung des Aufenthalts der Personenzüge auf den Stationen sei wohl in Betracht zu ziehen. Die Frage der Einführung schwerer Lokomotiven zur Beförderung schwerer Güterzüge werde wohl besser bei der Detailberatung zur Sprache kommen. Was die Verkürzung der Dienstzeit der Stations- und Bahnwärter, sowie des Fahr- und Lokomotivpersonals anbelangt, so habe die Regierung in dieser Richtung bereits Schritte gethan. Was die Einführung der Sonntagsruhe im Eisenbahnverkehr betrifft, so meint Redner, es könnte dabei nur der Güterverkehr in Betracht kommen. Nach dem Berichterstatter nahm der Verkehrsminister Ministerpräsident Dr. Frhr. v. Mittnacht das Wort.
* Stuttgart, 28. April. (31. Sitzung.) Man trat heute in die Etnzelberatung des Eisenbahnetats ein und genehmigte pro 1893/95 als Einnahmen aus dem Personen- und Gepäckoerkehr 12,600,000 Mk. resp. 12,800,000 Mk., aus dem Güterverkehr 22,100,000 Mark resp. 22,400,000 Mk. Sodann kam man zu den persönlichen Ausgaben, wobei verschiedene Petitionen verlesen wurden. Die Petitionen der Eisenbahnsekretäre um gerechtere Regelung des Dienstaltervorrückungssystems und der Kanzlei-Assistenten um Einstellung einer Gehaltsklaffe von 1680 Mk. statt 1650 Mk. sollen nach dem Anträge der Kommission der Regierung zur Kenntnisnahme mitgeteilt werden. Es geschieht dies, wobei übrigens der Ministerpräsident sowohl als der Referent Verwahrung dagegen einlegen, als ob die Kanzlei-Assistenten Anspruch darauf haben, den Beamten des mittleren Dienstes gleichgestellt zu werden, v. Sch ad meinte, er sei nicht sehr angenehm erbaut durch das Wettrennen der Beamten um Besserstellung ihrer ökonomischen Lage. Der vorliegende Gegenstand zeige, daß wir uns bei solchen Dingen vorsehen müssen.
LaadeSaachrichtea.
* Altensteig, 30. April. Die hiesige freiwillige Feuerwehr hat nun auch wieder begonnen, ihre
wäre es auch mir, wenn mein Mann eine längere Reise unternehmen wollte, aber ich mache ihm den Vorschlag nicht, weil ich voraus weiß, daß er sich nicht dazu bewegen lassen wird."
„So werde ich ihn machen," erwiderte Grüner, „er muß ja die Vortrefflichkeit desselben einsehen. Mir steht er hier auch im Wege; Fräulein Hallstädt kann heute oder morgen uns besuchen, und ich gedenke das Eisen zu schmieden, so lange es warm ist."
„Griesheim wird dich darin nicht hindern!"
„Direkt vielleicht nicht, aber ich fürchte, daß er indirekt meine Hoffnungen vernichtet. Schon in Andermatt konnte er es nicht unterlaßen, Hallstädt im Spiel zu betrügen; der alte Herr ist nicht so dumm —"
„Er hat's nicht bemerkt."
„Diesmal vielleicht nicht, aber —
„In meinem Salon wird in Gegenwart Hall- städts nicht gespielt werden."
„Das beruhigt mich nicht," sagte Grüner. „Griesheim wird sich wenig um dein Verbot kümmern. Wenn Hallstädt den Betrug merkt, bricht er sofort jeden Verkehr mit uns ab und die Schande deines Mannes fällt auf uns zurück."
„Und glaubst du so sicher, die Hand Theodores gewinnen zu können?"
„Ja. ich glaube es!" Und wenn ich dieses Ziel erreicht habe, dann werde ich ein anderes Leben beginnen."
„Sind die guten Vorsätze schon gefaßt?" fragte Elisabeth. „Ein anderes Leben? Glaubst du denn, Hallstädtwerdedirsofort ein großes Kapital auszahlen?"
Thätigkeit aufzunehmen. Heute nachmittag fand zunächst die Frühjahrsmusterung statt, welcher der Beginn der Uebungen nachfolgt. Im Anschluß an die Musterung wurden die Neuangemeldeten in das Corps eingereiht und verpflichtet und die Dienstaltersab- zeichen und Diplome vergeben. Nachher fand im Gasthof zur „Linde" die Corpsversammlung statt, wo der Kommandant Hr. C. W. Lutz den Rechenschaftsbericht vom letzten Jahr ablegte. Die Vereinskasse vereinnahmte 85 Mk. 63 und verausgabte 61 Mk. 39 Pf., somit bestand am Schluß des Jahres ein Ueberschuß von 24 Mk. 24 Pf. Die Lokal-Unter- stützungskaffe für verunglückte Feuerwehrleute, deren Fonds zum größeren Teil aus Vermächtnissen besteht, hatte auch in diesem Jahre wieder keine Unterstützung zu leisten und kann der angefallene Zins kapitalisiert werden. Beklagt wurde vom Kommandanten, daß der Stand der Mitgliederzahl ein so schwankn- der sei. Das ungute Verhältnis komme von dem leidigen Umstand her, daß bei den Arbeitern immer ein starker Wechsel» stattfindet. Abhilfe könnte dadurch geschaffen werden, wenn sich auch die Beamten und alle ansässigen Bürger der Feuerwehr anschlöffen und die Proben regelmäßig besuchten. Die Feuerwehr zählt heute 230 Mann. Im letzten Jahr wurden außer den gesetzlichen 6 Einzelproben der I. Comp. 4 der übrigen Compagnien und die 2 vorgeschriebenen Hauptproben abgehalten. Allarmiert zur Hilfeleistung wurde die Feuerwehr im letzten Jahr nur einmal, nach Warth. Der Kommandant schloß mit dem Ausspruch herzlichen Dankes an alle Mitglieder für die geleisteten Dienste und mit der ernstlichen Ermahnung zu fernerer treuer Pflichterfüllung.
* Altensteig , 1. Mai. Dank des herrlichen tagsüber ununterbrochenen Sonnenscheins ist die Baumblüte Heuer ca. 3 Wochen bälder eingetreten als in früheren Jahren. Fast jeder Baum steht im schönsten Blütenschmuck und es sind die Aussichten auf eine segensreiche Obsternte die günstigsten. Im übrigen lechzt die gesamte Vegetation nach dem erquickenden Naß, das ihr nunmehr seit etwa 7 Wochen versagt worden ist. In großer Sorge sind deswegen d e Viehbesitzer, zu deren Schrecken die Heupreise immer mehr in die Höhe gehen. Der Zentner wird gegenwärtig mit 5 bis 6 M. bezahlt. Da ist es kein Wunder, wenn die Landwirte jetzt mißmutig in die Zukunft fchauen und sich sagen, wo soll das noch hinaus. Hoffentlich hat der gnädige Himmel ein Einsehen und spendet bald einen ergiebigen Regen, damit das alte Sprichwort sich aufs neue bewahrheitet:
Wenn die Not am größten,
Ist Gottes Hilfe am nächsten.
Jetzt, wo in der Natur sich alles entfaltet, hat auch das „Tannenblatt" sich aus dem seitherigen Rahmen herausgearbeitet und eine etwas größere Gestalt angenommen. Es will dadurch bezweckt werden, daß auf den verschiedensten Gebieten der Berichterstattung eingehenderes und vielseitigeres geboten werden kann, namentlich soll in Zukunft auch der Rubrik „Haus- und Landwirtschaftliches" ein erhöhtes Augenmerk zuteil werden. Die Redaktion hofft dadurch den Beifall der geehrten Leser zu erringen. — Der heutigen Nr. ist der Eisenbahn- und Postfahrplan-Auszug für den Sommerdienst 1893 beigegeben.
Rohrdorf, 30. April. (Korrespondenz.) In der verflossenen Nacht um 11 Uhr entstand in der Nähe des hiesigen Orts in dem der Stadt Nagold gehörigen Waldteil Hörnlein ein Waldbrand. Die hiesige Feuerwehr rückte aus und wurde bald über das Feuer Meister. Die Brandfläche beträgt etwa 100 ar. Der entstandene Schaden ist nicht unbeträchtlich. Die Entstehungsursuche ist noch nicht bekannt.
* Nagold, 28. April. Eine raffinierte Betrügerei übte der erst kürzlich aus der Strafanstalt entlassene S. von Unterjettingen aus. Derselbe stellte sich selbst eine Vollmacht aus, welche mit dem Orts- stegel und den Unterschriften vom Schultheiß und 2 Gemeinderäten versehen ist. Mittels dieses Schriftstückes gelang es ihm, in Herrenberg 900 Mk. zu erschwindeln. Nachdem erauf demStutlg.Pferdemarkt ein freies Leben geführt hatte, wurde er gestern verhaftet.
* Freudenstadt, 27. April. In Grünthal ereignete sich heute mittag ein bedauerlicher Unglücksfall. Um einem Nachbar bet der Taufe seines Erstgeborenen eine Ehre zu erweisen, wollte ein Veteran von 1870/71 einige Schüsse abgeben; hiebei zersprang die Waffe und verstümmelte die Hand des Schützen. Zwei Aerzte, aus Dornstetten und Freudenstadt, brachten dem Verunglückten die erste Hilfe.
* Calw, 27. April. Heute Donnerstag Mittag 1 Uhr wurde Dr. xllil Hrrm. Gundert hier unter einer außerordentlich zahlreichen Beteiligung von Nah und Fern zu Grabe getragen. Mit dem Verstorbenen, den ein hochbegabter Geist, reiches W ffen und echte Frömmigkeit zierten, hat ein arbeitsvolles, segensreiches Leben seinen Abschluß gefunden. Jahrzente- lang war er als Missionar in Ost-Indien thäkig. Seit dem Jahre 1859 hat er sich gleichfalls in den Dienst der Mission gestellt, indem er als Mitarbeiter und Nachfolger des sel. vr. Barth die Leitung des Calwer Verlagvereins übernahm. Am Grab sprachen Dekan Braun hier, Ausschußmitglied Künzler im Namen der Basler Mission und Dekan Berg von Heilbronn im Auftrag des Calwer Verlagvereins. Die erhebende Feier wurde erhöht durch Gesänge des Kirchengesangvereins und der versammelten Gemeinde. Dem Vollendeten, der ein Alter von 80 Jahren erreichte, wird hier und in weiten Kreisen ein gesegnetes Andenken bewahrt bleiben.
* Calw, 28. Apnl. Vom 1. Mat an haben wir hier einen Milchausschlag. Die hiesigen Viehbesitzer werden „angesichts des unerhörten Futtermangels und des horrenden Heupreises" den Preis der Milch auf 16 Pf. (bisher 14 Pf.), die auswärtigen Milch- Händler auf 15 Pf. (bisher 13 Pf.) per Liter erhöhen.
* Neuenbürg, 28. April. Wer gegenwärtig eines der Dörfer unseres nördlichen Schwarzwaldes betritt, der könnte sich wahrhaftig ins gesegnete Unterland versetzt glauben. Jeder Baum, jeder Ast und Zweig, ja jeder Dornbusch steht in üppigstem Blütenschmuck; saftig grüne Wiesen, denen der fast überreiche und überaus dauerhafte Schnee dieses Winters eine anhaltende Grundfeuchtigkeit verliehen hat; zwischen den schimmernden Tannen das jugendliche Grün der Buchen, über uns ein lachender blauer Frühltngshimmel und um uns her eine von Haggeruch und Blütendüften erfüllte Luft — das ist das bezaubernde Bild, das sich dem Wanderer darbietet.
„Habe ich erst die Hand seiner Tochter, so werde ich auch das andere erreichen, das laß meine Sorge sein."
Grüner war ebenfalls ans Fenster getreten, er stand seiner Schwester gegenüber, die gedankenvoll das Haupt wiegte.
„Mir will dein Projekt nicht gefallen," sagte sie, „ich sehe zu große Schwierigkeiten, die du nicht überwinden kannst. Gesetzt auch, es gelänge dir, das Jawort Theodores zu erhalten, Hallstädt wird seine Zustimmung nicht geben, ohne sich zuvor nach dir erkundigt zu haben. Und er könnte dann eine Auskunft erhalten, die —"
„Ist die Sache so weit gediehen, dann werde ich auch dafür sorgen, daß er die beste Auskunft über mich erhält," unterbrach der Bruder sie; „ich kenne Leute genug, die mir für Geld und gute Worte gern einen Gefallen erzeigen."
„Hallstädt hat ebenfalls Bekannte in unserer Heimat!" erwiderte Elisabeth warnend.
„Warten wir's ab — kommt Zeit, kommt Rat!"
„Wenn ich nur wüßte, wer der fremde Herr ist, der jetzt schon seit einer Viertelstunde hier vor dem Hause wie eine Schildwache auf und ab geht."
„Wo ist er?"
„Der korpulente Herr dort."
Grüner trat überrascht vom Fenster zurück.
„Kennst du den nicht?" fragte er. „Es ist der Agent der Versicherungsgesellschaft."
Die Wangen der jungen Frau erbleichten; sie
preßte die Lippen aufeinander und warf einen bösen Blick auf den Agenten, dann trat auch sie zurück.
„Ich habe ihn früher nie gesehen," fagte sie; „was mag er mit dieser Promenade bezwecken?"
„Griesheim sagte uns ja, er sei ihm begegnet; das übrige läßt sich leicht erraten."
„Diese Spionage könnte uns unangenehm werden," sagte Elisabeth.
„Das läßt sich nicht bestreiten," nickte Grüner, während er das Zimmer mit großen Schritten durch- maß; „ich aber kenne meinen Mann, habe ihn damals genügend kennen gelernt und weiß, wie man ihn behandeln muß."
„Was willst du thun?"
„Den Stier bei den Hörnern fassen, das ist der kürzeste" und sicherste Weg. Ich speise heute im Hotel Rigi, warte also nicht auf mich."
Die junge Frau blickte ihn voll ängstlicher Erwartung an.
„Ich weiß doch nicht, ob dies der richtige Weg ist," sagte sie. „Du begibst dich in eine Gefahr."
„Ach was, solche Gefahren fürchte ich nicht, die geheimnisvolle Spionage ist für uns gefährlicher, ihr muß ein Ende gemacht werden."
Grüner ging hinaus und verließ kurz darauf das Haus.
„Sieh' da, trifft man Sie auch einmal in der Schweiz?" fragte er scheinbar überrascht, indem er dem Agenten, der stehen geblieben war, die Hand bot. „Wie geht's, alter Herr? Wollten Sie mich besuchen ?"
(Fortsetzung folgt.)