werten Waren das bare Geld der Landbewohner einstecken, während der ansäßige Geschäftsmann gerade gut genug ist, seine Waren, die doch auch bezahlt sein wollen, auf Borg herzugeben. — Auch das Gesetz über die Sonntagsruhe ist es, mit dem die ländlichen Geschäftsleute sich nicht befreunden können; sie müssen oft über die beste Zeit ihre Verkaufslokale geschloffen halten, während den Wirtschaften keinerlei Beschränkung auferlegt ist.
* Calw, 29. Dez. Die schon fünf Tage andauernde Kälte von 12" L hat auf der Nagold eine herrliche Eisbahn zuwege gebracht, die von alt und jung bei prächtigstem Sonnenschein eifrigst benützt wird. Die Bierbrauer sputen sich, die Eiskeller mit dem kristallhellen Eis aus der Nagold zu füllen.
* Neuenbürg, 29. Dez. Gestern abend hat sich im sog. Vorstädtle ein sehr bedauerlicher Unglücksfall zugetragen. Eine Frau ließ zwei ihrer Kinder mit einem Kerzenlicht auf kurze Zeit allein im Zimmer, um auf der Bühne etwas zu besorgen. Sie hatte den Kindern zuvor versprochen, ihnen nach ihrer Rückkunft den Christbaum anzünden zu wollen. Kaum war die Mutter fort, so nahm das ältere, 7jährige Mädchen das Licht und zündete den Baum selbst an. Als es dabei den unteren Lichtern zu nahe kam, fingen seine Kleider Feuer, was es in seinem Eifer erst bemerkte, als dieselben lichterloh brannten. Durch das Davonlaufen des Kindes wurde die Flamme immer mehr angefacht, so daß es der Mutter und den Hausbewohnern erst nach längerer Zeit gelang, dieselben zu löschen. Die arme Kleine litt die Nacht hindurch die schrecklichsten Qualen, denen sie heute vormittag 11 Uhr erlag.
* Stuttgart, 29. Dezbr. Von der weitgehenden Fürsorge der ev. Oberkirchenbehörde für die in die Fremde wegziehenden ev. Frauen und Mädchen unseres Landes zeugt ein Erlaß dieser Behörde vom 7. v. M., worin die Geistlichen aufgefordert werden, den aus ihren Gemeinden in die Fremde ziehenden Frauen und Mädchen sachgemäßen Rat zu erteilen, um den mannigfachen Gefahren zu begegnen, welche ihnen namentlich in großen Städten und im Ausland drohen. Zu diesem Zweck wurde sämtlichen Geistlichen ein von der ev. Gesellschaft in Stuttgart zusammengestelltes Verzeichnis evangelischer Mägdeherbergen zugesandt, in welchen weibl. Dienstboten gute und billige Verpflegung und gewissenhafte Beratung finden, und wo auch alleinretsende Frauen, die nicht gerne in einem Hotel wohnen wollen, gute Aufnahme finden. Ferner wird auf die segensreiche Wirksamkeit des deutsch evang. Vereins in Amsterdam hingewiesen, welcher dafür sorgt, daß die dort ankommenden Frauen und Mädchen an den Bahnhöfen empfangen, weiter geleitet und in jeder Hinsicht beraten werden, wenn der Verein vorher brieflich in Kenntnis gesetzt wird. Endlich wird der Beachtung der Geistlichen ein noch wenig bekannter Verein empfohlen, der
den Schutz in die Fremde ziehender Mädchen zum Zweck hat, und dessen Thätigkeit nicht auf Eine Stadt oder Ein Land beschränkt >st: den Internationalen Verein der Freundinnen junger Mädchen, dessen Vorsteherin in Württemberg Fräulein Hirtlin in Stuttgart Kurze Straße Nro. 6 ist.
'Stuttgart, 29. Dezbr. Leider greift auch hier die Influenza wieder in recht unangenehmer Weise um sich. So bringt das heutige amtliche Totenregister zwei Fälle von Influenza. Hoffen wir, daß dieser böse Gast, welcher seit drei Jahren zu erscheinen pflegt, möglichst bald ohne viele Opfer von der Bildfläche wieder verschwinde.
* Stuttgart, 30. Dez. Vor der zweiten Instanz sind der Witwe des bekannten Restaurateurs des hiesigen „Kaiserhofs" Pfalz, welcher, wie man sich erinnern wird, auf dem Darmstädter Bahnhof verunglückte, von der hessischen Ludwigsbahn 70,000 Mk. und weitere 30,000 M. für Erziehungsgelder der Kinder zugesprocheu.
* Stuttgart, 30. Dez. Das württem- bergische Königspaar trifft zu den bevorstehenden Feierlichkeiten anläßlich der Vermählung des Herzogs Albrecht mit der Erzherzogin Margarete Sophie am 21. Januar vormittags in Wien ein und wird durch den Kaiser und die Erz- herzöge empfangen. In der Hofburg wird in Vertretung der Kaiserin die Erzherzogin Maria Therese (die Mutter der Braut) die Honneurs machen. Nachmittags ist Familiendiner und Hofkonzert. Am 22. ist Galadiner und Hofball; am 23. Renunziation der Braut, Galavorstellung in der Hofoper und Soiree bei dem Erzherzog Karl Ludwig.
* Vaihingen a. E., 28. Dez. Ein Holzbildhauerlehrling wagte sich beim Schlittschuhlaufen an eine nicht fest überfrorene Stelle, wo die Enz eine Tiefe von 4 Meter hat, brach ein und sank sofort unter. Der in unmittelbarer Nähe befindliche Hermann Beck, Schüler der 10. Klaffe des Obergymnafiums in Cannstatt, Sohn des Malzfabrikanten A. Beck auf der Seemühle, sah dies noch rechtzeitig, riß vom Uferholz schnell entschlossen einen Ast ab, den er, sich auf das Eis legend, dem mit dem Tode Ringenden hinstreckte und hatte die Genugtuung, obwohl selbst in Lebensgefahr, den jungen Mann zu retten. Am Ufer rieb er den Geretteten sofort zur Wiederbelebung mit Tüchern und trug ihn dann in Gemeinschaft zweier Kameraden seiner geängftigten Mutter nach Hause. Ehre diesem jungen Manne!
* Riedlin gen, 30. Dezbr. Die hiesige „Riedlinger Zeitung," wohl die älteste Zeitung Württembergs, tritt mit dem 1. Januar 1893 ihren 180. Jahrgang an. Sie wurde 1714 von Valentin Ulrich gegründet, bis 1820 in Grüningen als „Riedlinger Zeitung" gedruckt, von da an in Rtedlingen, schon damals zweimal wöchentlich. Die Zeitung ist seit 1714 im Besitz der Familie Ulrich und vererbte sich immer vom Vater auf Sohn.
* (Verfchiedenes.) In Ulm stähle« 2 Knaben aus dem Schaukasten eines Uhrenmachers 7 silberne Uhren. Bei dem Versuche, sie auf dem Bahnhof zu verkaufen, wurden sie bemerkt und verhaftet. Einer der beiden Gutedel ist der 13jährige Sohn eines angesehene« Bahnbeamten in Neu-Ulm. — In einem Gasthaus in Heilbronn übernachtete ein Fremder, der sich als israelitischer Handelsman« ins Nachtbuch eingetragen hatte. Derselbe verschwand aus dem Gasthaus in aller Frühe unter Mitnahme zweier Bett-Teppiche und eines Tischteppichs im Gesamtwert von 45 Mk. und unter Zurücklassung seiner Zechschuld. — Mehr als „gesegneten Appetit" entwickelte dieser Tage ein biederer Handwerker in einem Orte an der Lone. Derselbe verzehrte an einem Abend so nacheinander 2 Portionen Wärst, eine Portio« Käse und — gewiß ist es nicht zu hoch gegriffen
— 50 Stück Sardinen, natürlich jeweilig mit dem nötigen Quantum Brot. Nach Vollendung dieser schweren Arbeit meinte der Betreffende: So jetzt hau' ne doch wieder en schöna Durst.
— Prosit!
* Wiesbaden, 31. Dez. Ueber das Vermögen der Aktiengesellschaft „Wiesbadener Bade- Etablissement" wurde gestern Abend der Konkurs eröffnet.
* Aus Bayern, 27. Dez. Der Bericht des k. Aurelian über die Wemdinger Teufelsaustreibung wird an die Wemdinger Wallfahrer massenhaft verkauft, und zwar in einem in der Buchdruckeret von A. Hellmuth in Wem- ding hergestellten Abdruck. Der Mann der Frau Herz hat gegen den Verbreiter des Berichts gerichtlichen Schutz angerufen.
* Berlin, 29. Dez. Der „Preuß. Staats- anz." schreibt: Angesichts der Gefahr der Einschleppung und des Aufloderns der Cholera verfügten die Minister des Innern und des Kultus, um einer neuen Verbreitung nach Möglichkeit vorzubeugen, die Anzeigepfltcht bei allen choleraverdächtigen Fällen und die Anordnung besonderer Mittel, um eine rechtzeitige Anzeige möglichst zu sichern.
* Berlin, 31. Dezbr. Der „Vorwärts" veröffentlicht Angaben aus hundert angeblichen Welfenfondsquittungen. Die Quittierenden werden ohne Namensnennung charakterisiert, die Daten und die quittierten Summen angeführt.
* Berlin, 31. Dez. Die Veröffentlichungen des „Vorwärts" (soz. dem.) über den Empfang von Gaben aus dem Welfenfonds betreffend 100 Quittungen, aber ohne Namen der Aussteller, wonach Großwürdenträger, Minister, Generale, Richter, Parlamentarier, Zeitungsredaktionen aus Nord- und Süddeutschland, auch französische, ferner Aerzte, Geistliche, Polizisten Summen empfingen. Am 21. Juni 1886 quittieren 3 bayrische Landtagsabgeordnete, eine große süddeutsche Zeitung, zwei hohe Diener Ludwigs II. von Bayern und ein subalterner Beamter desselben.
Die Tochter des Gauklers.
Original-Roman von Gebh. Schätzler-Perasini.
(Fortsetzung.)
Der alte Reitknecht, welcher seit einer Viertelstunde das ungeduldige Pferd seines jungen Herrn bereithielt, kam mit diesem näher.
„Ich habe wirklich höchste Eile, Sabine!"
Er nahm ihre beiden Hände und schüttelte sie herzlich.
„Nein, mein junger Herr," rief Sabine, „so entkommen Sie mir nicht! Reiten Sie gefälligst durch den Park; führen Sie Ihre „Rosinante" am Zügel und unterhalten Sie mich noch eine Weile. Wen habe ich denn, als dich, Undankbarer ? Mama schläft noch, weil sie zu angegriffen vom gestrigen Tage ist; der Doktor hat sich auch verkrochen, und mit Friedrich mag ich mich nicht unterhalten, der macht mir ein zu grämliches Gesicht. Also verfalle ich mindestens zwei Stunden der Langeweile. Hier hast du die Zügel — so! Nun, willst du oder nicht?"
„Was will ich machen?!" lachte Kurt. „Du bist eine Hexe, auf dein Haupt fällt aber alles, was in Hohenhausen passiert, da ich mich unbedingt verspäte!"
„Ich zittere davor!" lachte Sabine, klatschte den geschmeidigen Hals des Rappens und kommandierte heiter: „Vorwärts!"
Und schon im Wegschreiten rief sie dem Reitknecht noch eifrigst zu:
„Was macht denn meine „Mary" jetzt, Anton?"
„Sie frißt!" antwortete trocken der Alte.
Kurt mußte laut auflachen. Seinen Rappen am Zügel führend, gingen sie kichernd zum Schloßthore hinaus.
Der alte Reitknecht zwickte die Augen zusammen und knurrte:
„Es ist doch ein Jammer mit so einem verliebten Paare!"
Draußen lag die Natur im Erwachen; im Thale zerstob der Nebel vor den blinkenden Sonnenstrahlen.
Das junge Paar bog außerhalb des Schloßthores in den Park ein, der sich seitwärts sanft abfallend bis an den Fuß des Berges zog.
Arm in Arm wandelten die Liebenden durch die Lanbgänge.
Ganz vergessen schien Kurt zu haben, daß er doch dem Förster versprach pünktlich da zu sein; er hatte es gar nicht mehr eilig.
Der Rappe wieherte mehrmals laut, und ungeduldig schlug er die Hufe auf den kiesbedeckten Weg; ihm ging es viel zu langsam. Aber sein Herr verstand ihn heute nicht.
Unten, wo der Park an die Landstraße stößt, nahm Kurt endlich doch einen gültigen Abschied und sprang auf sein Pferd.
„Guten Morgen, Sabinchen — und vergiß mich nicht, während ich abwesend bin!"
Der Rappe griff aus.
Kurt schwenkte mit fröhlichem Gruß seinen Jagdhut, und Sabine erwiderte ebenso munter diesen Gruß.
Der Rappe trug seinen Herrn wie der Wind davon.
Noch einige Male wendete Kurt sein Gesicht und schaute nach dem flatternden weißen Tuche; endlich bog er um eine Waldecke und der Spaß war zu Ende.
„So! Jetzt ist er weg!" sagte trübselig Sabine. „Ach was!" lachte sie gleich darauf. „Sei nicht dumm, Sabine! Ein paar Stunden, dann hast du ihn wieder, hast ihn fürs ganze Leben!"
Sie ging, langsam über die Wege schlendernd, gegen das Schloß.
Auf der Lichtung, wo gestern die Festlichkeit abgehalten wurde, sah es noch sehr chaotisch aus. Da stand noch das dicke Fäßchen, worauf der Schullehrer seine Rede hielt; einige umgeworfene Tische, leere Krüge und zerschlagene Gläser lagen umher.
Es war noch sehr früh am Tage.
Die Dienerschaft hatte noch nicht Ordnung geschaffen.