Abg. Schädler bei. Abg. Ackermann (kons.) wünscht eine Beschränkung beider Gewerbe. Abg. Geyer (soz.) trat für den Hausierhandel ein, betrogen werde man gerade in den großen Geschäften. Abg. Ltebermann v. Sonnenberg (Antis.) schlug vor, die Juden sollten nur mit selbstgeferttgten Waren handeln. Abg. Ulrich (soz.) betonte die Wichtigkeit des Hausierhandels. Abg. Buel (Zentr.) will auch für diesen die Sonntagsruhe. Staatssekretär v. Bötticher versprach, der Frage näher zu treten.
* Berlin, 10. Dez. Der Präsident teilt mit, er werde die Interpellation über die KriegS- brauchbarkeit der Gewehre auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung setzen. Der Bundesratsbevollmächtigte preuß. Kciegsminister v. Kaltenborn eröffnet die 1. Beratung der Militärvorlage, indem er die militärischen Gesichtspunkte bei Einbringung der Vorlage aufführt. Die Vorlage solle die ungerechte Verteilung der Last der allgemeinen Wehrpflicht, sowie ihre unzureichende Wirkung in militärischer Beziehung beseitigen. In der Kommission werde er erweisen, daß das Ausbildungspersonal zur Durchführung der Präsenzerhöhung genüge, ohne daß eine Gefährdung der Armeeorganisation eintrete. Die Vorlage führe eine Verjüngung der Armee herbei und schaffe die beste Organisation im Frieden, sowie die sicherste Bürgschaft für den Erfolg im Kriege, v. Hüne (Zentr.) erklärt, die zweijährige Dienstzeit entspreche, die gesetzliche Festlegung vorausgesetzt, den Windthorst'schen Resolutionen und werde als wirtschaftliche Erleichterung begrüßt. Das Zentrum werde die Vorlage strenge prüfen, hoffe aber mit der Regierung sich verständigen zu können. Richter (d.fr.) führt aus: Die Freisinnigen bewilligen, was zur Einführung der zweijährigen Dienstzeit erforderlich ist. Die Einführung derselben sei ein Triumph des Laienverstandes über die militärischen Fachmänner. Das Programm der Freisinnigen verbiete die Annahme der Vorlage, da sie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unberücksichtigt gelassen habe. Der Reichskanzler werde bei einem willigeren Reichstag auf die weitergehenden Forderungen zurückkommen. Angesichts der Soldatenmißhandlungen müsse man sich fragen, ob nicht die Unteroffiziere und Offiziere bereits zu jung seien. Der Penstonsetat werde sich um 6—8, das Extraordinarium des Mtlitäretats um 200 Mill. erhöhen. Reichskanzler Graf Caprivi: Richter sei zwar ein gewiegter Zahlenstatistiker, aber das innerste Wesen des Soldaten könne er doch nicht ganz beurteilen. Dafür könne nur die höchste entscheidende Stelle ein Urteil haben. Ich bin von der Notwendigkeit der Vorlage für die Fortexistenz Deutschlands so überzeugt, daß, wenn der Reichstag mir seine Verantwortung auch noch auf die Schultern legen wollte, ich sie ruhig übernehmen würde. (Beifall.) Durch die Vorlage sollen jährlich 60 000 junge Leute mehr eingestellt werden, so daß in 12 Jahren (nach Abrechnung des Ab-
angs) 450000 Mann mehr an den Feind gerächt werden können.
Laude-sachnchtea.
* Stuttgart, 8. Dez. Es ist leider nicht zu verhehlen, daß auch, wie man dies aus anderen groben Städten hört, in Stuttgart ein gewisser Notstand herrscht, wofür den deutlichsten Beweis die Rechnungsergebniffe der städtischen Almosenpflege liefern. Hiernach mußten dieses Jahr allein je 10,009 Mk. mehr als sonst Beiträge zum Hauszins und zur Beköstigung Armer und Kranker aus der Stadtkaffe geleistet werden und der im städtischen Armenwesen ungemein thätige Gemeinderat Stähle stellte eine solche Erhöhung des Armenaufwands in Aussicht, daß man damit in Stuttgart wohl demnächst 500,000 Mk. erreicht haben wird. Bemerkt mag sein, daß noch zu Anfang der 70er Jahre der Armenaufwand in Stuttgart nicht viel über 50 000 Mk. betrug.
* Stuttgart, 9. Dez. (Dritter Vortrag Lchrempf.) Mit seinem heutigen 3. und zugleich dem letzten öffentlichen Vortrage, den der vormalige Pfarrer Schrempf vor einer überaus zahlreichen Versammlung, darunter dem Konststorialprästdenten Frhrn. v. Gemmingen hielt, kam er endlich auf den Punkt, auf den man längst gerechnet hatte, zu sprechen, nämlich die kritische Beleuchtung der gegenwärtigen Zustände in der evangelischen Landeskirche. Man muß sagen, daß seine Aeußerungen schärfer waren, als man nach den ersten Vorträgen erwarten konnte. Schrempf sagte in erster Linie von der evangelischen Kirche, daß sie weder eine treue, noch innige, sondern gar keine religiöse Gemeinschaft mehr bilde, zumal in ihr das Größte, was ihr Stifter verlangt, die Liebe, fehle. Das religiöse Gemeinbewußtsein sei in ihr erloschen, weil die Kirchenglieder gegenseitig in sich keine Glaubensbrüder erblicken und weil man nicht mehr mit einander bekenne. Ein neues Bekenntnis nach den heutigen Bedürfnissen der Kirchenglieder aufzustellen, suchen die Theologen hintanzuhalten, weil unsere Zeit nicht genug religiös produktiv sei. Der Streit zwischen den beiden Parteiströmungen in der evangelischen Kirche, den OrthodoKn und den Fortschritt- i lern, oder, wie sie oberflächlich genannt werden, den
Gläubigen und den Ungläubigen, sei bereits zum Bürger- i kriege entflammt, in dem es bereits Verwundete und Gefallene gegeben. Die Parteien reden schon nicht mehr mit einander, sondern nur noch über einander und es bilde keine Ausnahme, wenn selbst unter den Amtsbrübern von einer und derselben Kanzel der eine vor dem andern warne. Schon biete auch die Kirche keine Erbauung mehr, sondern eine Versuchung dar. Eine nicht geringe Schuld an diesen Zuständen treffe die gegenwärtigen Hüter und Leiter der Kirche, obwohl nicht zu verkennen sei, daß der ganze Bau der evangelischen Kirche ein verfehlter sei. Haben wir doch in derselben neun Bekenntnisse statt einem, wovon das jüngste 300 und das älteste 1200 Jahrs zählt. Wie wollte man heute in einem Staatswesen mit 9 verschiedenen Verfassungsentwürfen zuwege kommen! Außer den Bekenntnissen, die nur als norm«, norwata zu betrachten sind, besteht aber noch als norm» normans die Bibel, Wozu brauche man also überhaupt noch die Bekenntnisse? In dieser Richtung stehe die evangelische Kirche der katholischen erheblich nach, denn zu den Bekenntnissen sind in der evangelischen Kirche jetzt neuerdings noch die Abweichungen davon getreten. Ihren Ursprung haben dieselben in den Hörsälen der Universitäten, wo fortschrittliche Professoren der Theologie Glaubenssätze aufstellen, die den Pfarrer in direkten Widerspruch mit den Bekenntnissen der Kirche und mithin auch mit seinem Amtseide setzen. Und so sei es gekommen, daß der Universitätsprofessor recht wohl in Amt und Würden verbleiben könne, während der Pfarrer, der ihm nachgeeifert, seines Amtes verlustig gehen müsse. Redner stellt die Behauptung auf, daß in Tübingen sich unter allen Professoren der Theologie keiner
finden dürfte, der wie die Pfarrer auf die Augustana verpflichtet wäre. Wie können aber solche Lehrer die künftigen Pfarrer aus ihren Eid vorbereiten wollen? (Bewegung,) Dies alles wäre nicht möglich, wenn in der Kirche, in der Theologie und der kirchlichen Unterweisung der rechte Ernst herrschte. Daß der ethische Ernst der Kirche längst abhanden gekommen, gehe schon aus der Einrichtung der Konfirmation hervor, wo von den Kindern ungeheuerliche Dinge verlangt werden. So müsse dabei ein I4jähriges Kind die Dreieinigkeit Gottes aus den Zeugnissen der heiligen Schrift beweisen, was selbst einem Universitäts- Professor schwer fallen dürfte, und dies umsomehr, als die zum Beweis angezogene Stelle der heiligen Schrift im ersten Brief Johannis nachweislich eingeschoben worden sei (Bewegung). Wie steht es nun mit der reinen Ueber- lieferung, deren sich die evangelische Kirche so gerne der katholischen gegenüber rühmt? Zum Schluß kam Redner zu der Behauptung, daß es mit der evangelischen Kirche weit abwärts gegangen sei. Sollen wir nun eine neue Kirche bauen? Redner rät davon ab, bittet aber seine Gesinnungsgenossen, die Kirche vor dem Konkurs durch ihr mannhaftes Auftreten und Eingreifen zu bewahren. Wenn übrigens nach dem von Herrn Schrempf heute de- längeren angegebenen Rezepte verfahren werden will, dann könnte die Verwirrung der Geister in der evang. Kirche nur noch eine größere werden.
* Cannstatt, 8. Dez. Die Naturalver- pflegung an bedürftige durchreisende Fremde, welche auf Rechnung der Amtskorporation hier und in Mühlhausen seit 1. Nov. wieder verabreicht wird, wurde Heuer wie noch selten früher so zahlreich in Anspruch genommen, namentlich auch von jüngeren und ganz jungen Leuten, die als Grund Arbeitslosigkeit angeben und früher selten das Geschenk in Anspruch nahmen; im letzten Monat November wurden in Cannstatt 703 Personen verpflegt.
* Vaihingen a. E., 8. Dez. Der Gewerbeverein hat in seiner gestrigen Vollversammlung einstimmig beschlossen, der von dem württ. Schutzverein für Handel und Gewerbe ins Leben gerufenen Bewegung für Beschränkung des Handels der Hausierer und der lästigen, zu einer wahren Landplage gewordenen Detailreisenden sich anzuschließen.
* (Verschiedenes.) Der vor einiger Zeit entwichene Fabrikant K. von Sindelsingen ist der 25 Jahre alte Wilhelm Klein von da. lieber das Vermögen desselben ist vom K. Amtsgericht Böblingen das Konkursverfahren eröffnet. — In einem Orte des Oberamts Göppingen wurde einem Kranken aus Versehen statt der für ihn bestimmten Arznei ein Löffel mit Carbolsäure gereicht, infolge dessen der Kranke lebensgefährlich darniederliegt. — In Waldsee wurden 2 ältere aber sehr »ermögliche Frauen (Schwestern) wegen Unterschlagung in Erbschaftssachen im Werte von über 1000 Mark, verhaftet. — Ein Landwirt von A. hatte vorige Woche zwei fette Schweine geschlachtet und das Fleisch in einen riesigen Zuber e'mgesalzen, einstweilen in der Waschküche, in welcher auch die Futterschneidmaschine und allerlei Ackergeräte standen, verwahrt. Eines Morgens wollte er Futter schneiden und stellte eine Flasche mit Erdöl zum Ausfällen seiner Laterne einstweilen auf den Deckel des Fasses. Die Flasche fiel aber in das Faß, zerbrach an den Steinen und das Fleisch wurde
streifte auch gern mit Sabine im Walde umher, kletterte mit ihr über Stock und Stein und füllte sich seine Botanisiertrommel.
Als er nun in ein Alter kam, wo er sich klar machen mußte, was er als künftigen Lebensberuf erwähle, erklärte er seiner Mutter, die Verwaltung und Betreibung des väterlichen Erbes selbst übernehmen zu wollen.
„Wozu brauchen wir unseren Verwalter?" sagte er. „Laß nur mich das besorgen, Mama; ich fühle einen Drang in mir nach froher Arbeit; ich will Landwirt werden. Kaufen wir die nächsten Gründe noch an und erweitern wir so unser Eigentum."
Franziska war erst verwundert über den Entschluß Kurts. Sie hatte eine geheime Furcht gehegt, Kurt folge einem unwillkürlichen Drang und ergreife die militärische Laufbahn, wie es viele seiner Ahnen und auch sein Vater gethan.
Es hätte ihr leid gethan, den Sohn entfernt in der Residenz zu wissen. Wer konnte sagen, was ihm dort alles geschah! Um so mehr war sie erfreut über den Ausspruch Kurts.
Auch Doktor Bronnig äußerte sich nur günstig darüber. Landwirt war das beste, vor allem das gesündeste für Kurt.
Mit jugendlichem Eifer ging nun dieser an seine sich selbst gestellte Aufgabe. Er ließ sich von dem bisherigen Verwalter, der vorläufig noch beibehalten wurde, in alles einweihen, ritt mit ihm über die Felder und besichtigte die Arbeiten.
Jede Träumerei war von ihm gewichen; er faßte das Leben mit klarem Blicke ins Auge und jugendfrtscher Mut beseelte ihn.
Wie sehnte er sich nach Sabine zurück, wenn er des Tages einige Stunden entfernt war und sie ihn nicht begleiten konnte, was öfter geschah !
Wenn er an sie dachte draußen auf den weiten Fluren, vergaß er sich oft selbst auf Augenblicke. Er fragte sich, weshalb das Gefühl der
Sehnsucht so mächtig in ihm war; aber er fand nicht Antwort. Sabine war seine Schwester — eine liebe Schwester und sie kam ihm doch manchmal vor wie eine Fremde. Er liebte sie mehr als sein Leben und hätte gern alles hingegeben, um ihr einen Wunsch zu erfüllen. Er suchte die seltensten Blumen und brachte sie Sabinen. Wenn sie ihn dann zum Danke umarmte und küßte, so schauerte er oftmals zusammen und bebend preßte er ihre Hände an seine Brust. Er wollte aufjauchzen in Wonne und es schnürte ihm doch wieder die Kehle zu.
Mit feinem Blicke hatte der berühmte Menschenkenner Doktor Bronnig die niemand als ihm auffallende Veränderung im Wesen Kurts bemerkt.
Er wachte zu sehr über den jungen Mann.
Welcher Art die Veränderung war, hatte er sofort herausgefunden.
Es war die Zeit gekommen, wo man die beiden aufklären mußte; was darauf geschah, war leicht vorauszusehen.
Er begab sich zu Franziska und hatte eine längere Unterredung mit ihr.
Sie beschlossen, die Enthüllungen aufzuschieben bis zum Geburtstage Sabinens, der auf einen der nächsten Tage fiel.
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Der Geburtstag Sabinens, wie auch Kurts wurde auf Felsberg stets mit einer kleinen Festlichkeit gefeiert.
Er fiel in den Hochsommer.
Auf den Feldern stand in prachtvollem Gold die Frucht, wie Kurt, der Landwirt, den Seinen freudig mitteilte.
Im schattig-kühlen Park war unter den Bäumen eine kleine Tafel gedeckt. (Fortsetzung folgt.)
Auslöiung des Rätsels in Rro. 145 (Beilage:)
»Schweißhund."
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