* Mannheim, 19. Okt. Der unter dem Verdacht der Mittäterschaft bei der Ermordung des Kunstmüllers und Kaufmanns Gerson Herz in Billigheim gleichfalls verhaftete Buchhalter wurde wieder aus der Haft entlassen, da man ihm weder eine Mittäterschaft noch eine Mitwissenschaft nachzuweisen vermochte. Die Ehefrau Herz, welche den Mord angestiftet hat, bot, um ihre Haftentlassung zu erwirken, eine Kaution in Höhe von 100,000 Mk. an, jedoch wurde das Gesuch rundweg abgeschlagen.
* Breitenbronn, Bayern b. Wertheim, 18. Okt. Der hiesige Jagdpächter F. ging gestern abend mit seinem Schwiegersohn auf die Jagd. Letzterer stellte sich am Rand eines Gehölzes auf, ohne daß F. dies gewahrte. Als der Schwiegersohn sich bewegte, glaubte F. ein Wild vor sich zu haben und schoß auf denselben aus nächster Nähe. Man kann sich den Jammer des Unvorsichtigen kaum vorstellen, als er inne ward, daß er seinen in voller Jugendkraft blühenden Schwiegersohn getötet hatte.
* In Mainz wurde dieser Tage bei der Vornahme von Erdarbeiten ein römisches Haus mit einer wohlerhaltenen vollständigen Emaillewerkstätte, Schmuckstücken und Arbeitsgerät aufgedeckt.
* Aus Koblenz, 18. Okt., meldet man der „Fr. Ztg.": In einer Wirtschaft bei Pfaffendorf wurde durch einen Gendarm eine Falschmünzerbande ermittelt. Der Sohn des Wirtes ist flüchtig; einer der Fälscher wurde hier verhaftet.
* Neisse. Zum Tode verurteilt wurde am 13. d. vom hiesigen Schwurgericht Hedwig Schmidt aus Gießmannsdorf, die ihr eigenes zweijähriges Kind, um sich desselben zu entledigen, da sie selbst mit Nahrungssorgen zu kämpfen hatte, erwürgt und auf dem Friedhofe am Jerusalemer Thor in Neisse verscharrt hatte.
* Berlin, 19. Oktbr. Die Kaiserin hat 50 000 Mk. aus den überschießenden Mitteln der Schloßfreiheitslotterie der Stadt Berlin für arme Wöchnerinnen geschenkt.
* Berlin, 20. Oktbr. Die kurze türkische Erwiderungsnote an Rußland, welche den Verkehr mit den Vasallenstaaten aufrecht erhält, ist den Kabinetten des Berliner Vertrags mitgeteilt worden. — Die dauernden Kosten der Militär- Vorlage betragen im ersten Jahr 57, im Höhepunkt 65 Millionen Mark.
'Berlin, 20. Oktbr. Die „Voss. Ztg." meldet aus Wien: Der Wagen, worin der Erzherzog und die Erzherzogin Karl Ludwig nach dem Bahnhof von Wiener Neustadt fuhren, geriet in einen Graben. Der Erzherzog stürzte in den Graben, der Erzherzogin, welche unter den Wagen zu liegen kam, ging ein Hinterrad über die Beine. Der Kutscher ist schwer verletzt.
* Kaiser Wilhelm hat u. a. auch durch ein eigenhändiges Schreiben die Königin - Regentin Christine gebeten, bei der Taufe seiner Tochter Pate zu sein. Die Königin erklärte sich sofort zur Annahme der Patenstelle bereit. In Spanien
ist dieser Akt des Kaisers mit freudiger Genug- thuung begrüßt worden.
* Berlin, 20. Okt. Die Mitteilung der „Berl. Polit. Nachr.", wonach der Reichskanzler die finanziellen Wirkungen der Militärvorlage auf das Unerläßlichste beschränkt habe, aber die Mehrkosten trotzdem 65 Millionen dauernd betragen, von denen nichts mehr gestrichen werden könne, wirkt einigermaßen beunruhigend, da die Gerüchte von der unter Umständen eintretenden Auflösung des Reichstags hiedurch an Halt gewinnen.
* Eine ernste, mit teilweise versteckten Spitzen versehene Betrachtung über die Militärvorlagc stellen die „Hamburger Nachr." an. Sie bemerken im Eingang, daß sie keinen Anlaß haben, die unverbürgten, einander widersprechenden Nachrichten über den Inhalt der Vorlage fortlaufend zu registrieren, und fahren dann wie folgt fort: Ob die Kosten der Vorlage 50 oder 80 Millionen betragen, ob 60 oder 70,000 Mann Rekruten mehr als bisher eingestellt werden sollen, ob das Septennat durch ein Quinquen- nat oder durch eine andere Frist ersetzt werden soll, ob das Scheitern der Vorlage die Demission des jetzigen Reichskanzlers oder die Auflösung des Reichstages zur Folge haben würde — das alles sind Fragen, die erst in zweiter Linie in Betracht kommen. Zunächst handelt es sich darum, ob die militärisch-politische Lage überhaupt zwingt, eine Militärvorlage von derartigen Dimensionen einzubringen. In dieser Beziehung haben sich die offiziösen Auslassungen über die Vorlage bisher schweigsam erwiesen. Ebensowenig ist Authentisches darüber bekannt, auf welche Weise die Kosten aufgebracht werden sollen, falls die Bewilligung der Vorlage aus Gründen der Sicherheit des Reiches als notwendig nachgewiesen werden sollte, was wir vorläufig nicht als sicher annehmen. Wir haben schon neulich auf die Bedenken hingewiesen, welche sich gegen die Bewilligung solcher Forderungen ohne vorherige Bereitstellung der Mittel erheben. Vor allem aber halten wir auf Grund der Preßauseinandersetzungen der letzten Wochen nur um so mehr an unserer Ansicht fest, daß jede numerische Verstärkung des Heeres, die auf Kosten der Ausbildung der Truppen und der Festigkeit erprobten Formationen erfolgt, ihltzn Zweck verfehlt und gefährlich ist. Wir sind der Ansicht, daß dem Reichstage durch die Militärvorlage eine Aufgabe zugewiesen wird, deren Lösung hohe Ansprüche an seine intellektuellen und moralischen Eigenschaften erhebt. Sein Verantwort- lichlichkeitsgefühl kann auf harte Pro ben ge st e llt w e r d e n, es kann die Notwendigkeit eintreten, den Standpunkt der Volksvertretung der Regierung gegenüber mit Entschiedenheit zu wahren, es ist möglich, daß das, was militärisch als notwendig angesehen wird, volkswirtschaftlich schädlich erscheint. Es kann unter solchen Umständen, wenn der Reichs
Aie Tochter des Gauklers.
Original-Roman von Bebh. Echätzler-Perafini.
(Nachdruck
verbalen.^
<ttorl,etzung.)
Graf Waldemar ging müden Schrittes durch die einsamen Gänge seines Schlosses nach dem alten Bibliothekzimmer.
Niemand störte ihn dort. Er trat zu einem verschlossenen Schranke, öffnete denselben und entnahm ihm einen alten Folianten, in Schweinsleder gebunden.
Es war die Familien-Chronik des Hauses Felsberg.
Blatt um Blatt bog sich unter den zuckenden Fingern des Grafen. Immer derselbe Schluß — immer dasselbe Ende!
Rasend schleuderte Graf Waldemar das Buch in die Ecke und schloß sich tagelang in seine Zimmer ein.
Franziska weinte bittere Thränen, als nur die Wärterin mit dem Kinde wiederkam.
Ihr Waldemar, ihr Gatte liebte sie nicht mehr. War es denn denkbar, daß er so gesprochen hatte!? Nur ein wilder Traum war's. Aber es kam niemand, um sie daraus zu wecken.
Kein Grund war zu finden, um dieses rätselhafte Benehmen zu entschuldigen. Er ließ sie allein zu einer Zeit, wo sie gedacht, ihm das Glück und den Frohsinn wiederzubringen, indem sie dem alten Stamme der Felsbcrg eine neue Blüte schenkte.
Wo war der Anfang dieser düsteren Sorge — wo das Ende?
Beides in Nacht gehüllt!
Schluchzend drückte die Mutter ihr Kind an sich.
Der Vater floh sein eigen Blut.
Am dritten Tage schon starb das kleine Wesen.
All' die Mutterliebe und Sorge hatte nichts über das Leben des kleinen Jungen vermocht.
tag sich nicht, wie bet den Handelsverträgen, unter Pression nehmen läßt, wenn er nicht ab- dizieren und an seinem Prestige unwiederbringliche Einbuße erleiden will, zu Konflikten kommen, die in Militärsachen dem Auslande gegenüber besser vermieden bleiben. Aus diesem Grunde halten wir eine baldige Bekanntgabe der Grundzüge der Vorlage mit derjenigen Begründung, die überhaupt zur öffentlichen Verhandlung bestimmt ist, für geboten. Wenn auf diese Weise der bisher in der Luft schwebenden Diskussion eine reale Unterlage gegeben wird, dürften sich für das, was im Reichstage zu erlangen ist und was nicht, eher als bisher Anhaltspunkte gewinnen und vor der Einbringung der Vorlage berücksichtigen lassen.
* Die Stellung des Zentrums zur Militärvorlage anlangend schreibt die,K. Volksztg/: „Das Zentrum wünscht keine Krisis, und es wünscht auch nicht, daß der Stern des Grafen Caprivi erlösche. Aber gerade deswegen muß nachdrücklich auf die Unannehmbarkeit der Mt- litärvorlage in ihrer bisher bekannt gewordenen Gestalt htngewiesen werden. Wenn die Zen» trumspresse dieses schon in einem Stadium thut, wo die Entscheidung des Bundesrats noch aussteht, leistet sie allen beteiligten Faktoren den größten Dienst."
* Hamburg, im Okt. Ein seltenes Beispiel von Selbstaufopferung gab Lehrer Ahrendt in Neuengame im Hamburger Gebiet. In einer dortigen armen Familie war die Cholera ausgebrochen. Vater und Mutter lagen krank im engen Raume, in dem sich noch 4 unmündige Kinder aufhalten mußten, ohne Pflege, ohne Hilfe darnieder. Da erbot sich H. Ahrendt, die Pflege zu übernehmen. Er, der seit einiger Zeit verlobt war, stand mit allen Kräften den Schwererkrankten zur Seite. Tag und Nacht wachte er bei ihnen, sorgte für die Kinder, reinigte und kleidete sie, bis, nachdem er zwei Tage und zwei Nächte ohne Ablösung sich der Pflege hingegeben hatte, d'.e Mutter der schweren Krankheit erlag, während der Vater der Genesung entgegenging. Leider sollte nun aber Herr Ahrendt der heimtückischen Krankheit erliegen; auch er wurde aufs Krankenlager geworfen, und obschon zwei Aerzte alles aufboten, den edlen Mann zu retten, es war umsonst. Seine edle Gesinnung bewährte sich noch bis zu seinem letzten Augenblick, indem er die Aerzte vat. allen den Zutritt zu ihm zu versagen, damit die Krankheit nicht noch weiter um sich greife.
* Bremerhaven, 18. Okt. Einem Teil der zahlreichen Rückwanderer hat der Zar nunmehr die Rückkehr nach Rußland erlaubt. Einige reisen mit dem Lloyddampfer „Amerika", der am 27. Oktober Zwischendeckspassagiere nach Baltimore befördert, wieder nach Amerika.
Ausländisches.
* Wien, 19. Okt. Aufsehen erregt in hiesigen politischen Kreisen die unerwartet verfügte Auflösung der Reichcnberger Stadtver-
Man suchte den Grafen auf, der sich noch immer eivgeschlossen hielt.
Nur Friedrich wurde eingelassen.
Am Bogenfenster lehnte der Schloßherr, blässer von Angesicht als je, und schaute auf den Burghof hinunter, als der Alte bei ihm eintrat.
„Nun, Friedrich?" fragte er erwartungsvoll.
Der Alte blickte ihm fest und unbeweglich in das unruhige Gesicht. Dann erwiderte er tonlos:
„Er ist tot, gnädiger Herr!"
Eine lange Pause entstand.
Keiner der beiden Männer rührte sich. Der eine dort am Fenster müde an das Getäfel der Wand gelehnt, der andere aufrecht inmitten des Zimmers stehend, gleich einem steinernen Standbild.
„Es ist gut so!" flüsterte in Gedanken versunken, beinahe unhörbar der Graf.
Friedrich neigte den grauen Kopf und ging hinaus.
Graf Waldemar folgte hinunter zu seiner kranken Gemahlin und der Leiche seines Kindes.
Ohne Kampf war das kleine Leben erloschen.
Unaufhaltsam flössen die Thränen Franziskas.
Ein leises Grauen überkam sie, als Waldemar hereintrat und lange, mit einem sonderbaren Ausdruck im Gesicht, die Leiche seines Kindes betrachtete.
Dann wendete er sich zu ihr und bedeckte ihre weiße Stirn mit Küssen.
„Vergib mir, Franziska, daß ich dein junges Blütenleben an mein Dasein knüpfte! Vergib mir, stille Dulderin, was in der Vergangenheit — vergib, was unbewußt die Zukunft bringen mag!"
Sie zog seinen Kopf zu sich herunter, strich ihm die wirren Haare aus der Stirn und blickte ihm mit unendlicher Liebe in die Augen.
(Fortsetzung folgt.)
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