Sonntagsruhe herbeigeführten Mißstände sei­tens der Regierung keine Berücksichtigung fän­den, sei unbegründet. Die Regierung werde bemüht sein, die Ausführungsbestimmungen mög­lichst zu mildern, die Beschwerden zu prüfen und thuvlichst zu berücksichtigen.

* Berlin, 27. Sept. Nach derVoss. Z." ist es den Tauchern gelungen, die kürzlich beim Verladen in Wilhelmshafen ins Wasser ge­stürzte Krupp'sche Kanone wieder aufzufinden. Dieselbe liegt 50 Fuß tief. Der Boden soll ausgebaggerl und das Geschütz mit starken Ketten umschlungen und emporgewunden werden.

* Ein Berliner Blatt veröffentlicht die Jahreseinkünfte verschiedener Bankdirektoren. Hiernach beziehen bei der deutschen Bank 13 Direktoren jeder 60 000 Mk., bei der Bank für Handel und Industrie 8 Direktoren jeder 93 000 Mk., bei der National-Bank sür Deutschland 2 Direktoren jeder 160 000 Mk., bei der Jnter- national-Bank 2 Direktoren jeder 175 000 Mk., bei der Dresdener Bank 4 Direktoren je 193 000 Mark, bei der Berliner Handelsgesellschaft 3 Direktoren jeder 230000 Mk., bei der Disk. Gesellschaft endlich 4 Direktoren jeder 550 000 Mark jährlich. Man vergleiche dagegen den Gehalt irgend eines deutschen Ministers oder des Reichskanzlers mit seinen 36 000 Mk. Derartige Zahlen werden für die Sozialdemokratie zehn­mal mehr Anhänger als alle sozialistischen Agitatoren zusammen mit ihren Reden gewinnen können. Man sage nur nicht, der Neid ver­biete derartig hohe Einkünfte. Wenn die Frei­sinnigen und anderen Parteien wirklich sich als Freunde des Volkes erweisen wollen, dann müssen sie dafür sorgen, daß in Deutschland derartige Einkünfte künftig nicht mehr möglich sind, denn was hier an wenig Stellen zuviel aufgehäuft wird, das fehlt bei Tausenden von Familien am notwendigsten.

* Von einer zärtlichen Ehefrau, welche die­ser Tage ihrem Ehemann bei einem Streite mit einem Messer die Nasenspitze abschlug, be­richten Berliner Blätter. Der mißhandelte Gatte hat merkwürdigerweise nicht einmal ärzt­liche Hilfe in Anspruch genommen; er hat viel­mehr der Brave ist seines Zeichens Schuh­macher auf eigene Faust eine Kur unter­nommen. Sein Geselle mußte nämlich auf Weisung des Meisters die abgehackte Nasenspitze mittels Nadel und Zwirn annähen; der Ver­band wurde von dem Gesellen mittels einer Leinwandbünde, auf welche reichlich Pech auf­getragen war, ausgeführt, so daß die Nasen­spitzewie gegossen" im Gesicht saß! Nunmehr hat sich aber, nachdem die seltsame Flickerei ruchbar geworden war, die Behörde in das Mittel gelegt und den Verletzten veranlaßt, so­fort ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.

* Die Stiche giftiger Fliegen sind in diesem Jahre häufiger als sonst. Dieser Tage wurde die Frau des Schlächtermeisters H. in Berlin von einer Fliege gestochen. Kurze Zeit darauf

stellte sich eine heftige Entzündung ein, die sich bald dem ganzen Körper mitteilte. Am Frei­tag früh gab die Frau unter den gräßlichsten Schmerzen ihren Geist auf.

9.6.8. Charlottenburg, 28. Septbr. (Telegramm.) Von vorgestern auf gestern sind hier 17 Fälle asiatischer Cholera festgestellt worden, jedoch sämtliche leichterer Art.

* Ein schreckliches Ende hat ein alter Ren­tier gefunden, der seit einer langen Reihe von Jahren in einer kleinen Dachwohnung des Hau­ses Mühlenstraße 15 in Pankow hauste und als menschenscheuer Geizhals bekannt war. Es ist dies der Rentier Johl, der aus Oesterreich stammte und dort einige vermögenslose Brüder hat, die als Offiziere im Heere stehen. Vor einer langen Reihe von Jahren ist Johl nach Berlin eingewandert, ebenfalls mittellos; durch glückliche Grundstücksspekulationen und später durch große Börsenspekulationen gewann er em großes Vermögen, welches die Steueretnschätzungs- kommisston auf 240 000 Mk fixierte und dem­gemäß zur Besteuerung herangezogen hat. Trotz seines Vermögens lebte Johl schlechter als der ärmste Kesselflicker. Nur zweimal in der Woche ging er aus, um auf dem Wochenmarkre jedes­mal für 20 Pfennige Suppenknochen zu kaufen; neben trockenem Brote war die aus diesen Knochen bereitete Brühe seine einzige Nahrung. Seine Wohnung durfte niemand betreten, er hielt der Kurse halber drei Zeitungen, erhielt auch oft Briefe von seinen Banquiers, doch nie­mals durfte der Briefträger die Wohnung be­treten. Derselbe mußte vielmehr Briefe und Zeitungen vor der Thüre niederlegen, dann klopfen und sich schleunigst entfernen. Die Post­sendungen waren nun seit einiger Zeit nicht mehr von der Thüre weggenommen worden, und als die Hausbewohner endlich den Amts­vorsteher benachrichtigten und die Wohnung er­öffnet wurde, fand man die Leiche des alten Mannes. Einen tieftraurigen Anblick gewährte ein an der Wand hängendes großes Heckgebauer, in dem sich zwanzig Kanarienvögel befanden. Dieselben waren bis auf drei verhungert und verdurstet. An dem Umherliegen der Federn und an äußeren Verletzungen, abgesressenen Zehen rc. ließ sich erkennen, daß sich die armen Tierchen gegenseitig angefressen hatten. Die Leiche Johls befand sich bereits in weit vorge­schrittener Verwesung, vor dem Munde lag ein Haufen vertrockneten und verfaulten Blutes, Mund und Augen stände.: offen; der arme Reiche hatte in seiner letzten Stunde keine Men­scheuseele gehabt, die ihm die Augen zugedrückt hätte. Der Körper war nur mit alten Bein­kleidern und einer Jacke begleitet, wie sie Straf linge tragen müssen. Das Hemd fehlte, der Mann hat nie eins getragen. Der Arzt kon­statierte, daß die Leiche schon mindestens eins Woche gelegen haben muß und Blutsturz mit Herzlähmung als wahrscheinliche Todesursache anzusehen ist. Mit einer einzigen Pferdedecke, i welche sich in der Wohnung vocfand, wurde die

Leiche umhüllt und vermittelst eines Kohlenwa­gens nach der Leichenhalle gebracht.

* Trier, 26. Sept. Reichard, der Ver­fasser der Schrift über die Trierer Rockfahrt, wurde wegen Beschimpfung der Reliqntenver- ehrung und Beleidigung des Bischofs Korum zu 6 Wochen und der Verleger Sonnenburg zu 3 Wochen Gefängnis verurteilt.

* Kiel, 26. Sept. DieKölnerVolksztg." meldet: Auf dem Panzer Baden entlud sich während des Reinigens ein Geschütz. Ein vor dem Geschütz stehender Matrose wurde zer­schmettert.

* Amtlicher Cholerabericht. In Hamburg 126 Cholera-Erkrankungen und 47 Todesfälle, in Altona 11 Erkrankungen und 7 Todesfälle, in Schillersdorf 3 Erkrankungen und 2 To­desfälle.

* Hamburg. 26. Sept. Die Gesamtzahl der an Cholera Erkrankten betrug nach amt­licher Meldung bis zum 24. Sept. einschließ­lich 17 157, die Zahl der Todesfälle 7339.

' Zur Linderung desdurch die Cholera in Hamburg hervorgerusenen Notstandes wird die baldige Abhaltung eines Spieltages für ganz Deutschland in Vorschlag gebracht, derge­stalt, daß an diesem Tage alle Gewinne im Kartenspiel, Kegelschieben, B-ll ird, Schach u. s. w. vereinnahmt und an das Hilsskomite in Hamburg eingesandt werden. Auch wir können die gute Idee nur zu recht fleißiger Ausnützung em­pfehlen.

Ausländisches.

* Wien, 27. Sept. Im Bukowinar Zoll­defraudationsprozeß sprach der Staatsanwalt für die Verurteilung aller Angeklagten, ins­besondere sei erwiesen, daß Hofrat Trzeninckt ein gemeiner Verbrecher sei.

* In Zürich wurde in der Nacht zum Sonntag in ein Goldwarengeschäft emgebrochen und u. a. auch Uhren im Werte von t5000 Fr. geraubt.

* Ueber die Blutthat in Heiden (Appenzell > erhält die N. Z. Z." folgenden näheren Bericht: Heiden, 23. Sept.

Eine schreckliche Blutthat versetzte heute Morgen um 5 Uhr die hiesige Bevölkerung in große Aufregung. AuS bisher noch unaufgeklärten Gründen holte des Morgens , um 2 Uhr ein Schreinergeselle Würth von Steinach, Kt. Thurgau, ein geladenes Vetterligewehr, mit 6 Patronen geladen, und kehrte damit wieder in die Wirtschaft zum Badhof zurück, wo er schon vorher L-treit gehabt haben

soll. Morgens 5 Uhr drang er in die Schlafkammer des Wirts ein und drohte, den Ersten, der sich ihm nahe, nieder- zuschisßen. Der Knecht des Badhofwirtes, ein Gärtner Busch, hatte unterdessen den hier sehr geachteten Polizisten Etter herbeigeholt. Sogleich fiel ein Schuß. Der Polizist stürzte, tödlich in die Bauchgezend getroffen, zusammen. Daraus sandte der Mörder dem über die Treppe fliehenden Busch einen Schuß nach, der denselben ins Genick traf und sofort tötete. Kurz vor halb 7 Uhr hörte die zahl­reich vor dem Hause, wo die grauenhafte Lhat geschehen war, versammelte Menge einen weiteren Schuß. Der Mörder hatte sich durch einen dritten Schuß der irdischen Gerechtig­keit entzogen.

* Ein Posten im ftanzöfischen Staatshaus­halt lenkt die Aufmerksamkeitsaufs Pantheon in Paris. Auf dem Gebäude prangt, seiner !

Der falsche Kraf. ^«4^ verboten.)

(Kriminal-Roman von Karl Schmeling.)

(Fortsetzung.)

Vidocq gab seinen Leuten durch das Fenster ein Zeichen und ging dann mit dem gebeugten Gilbert zu Julie, die beide verwundert ein- treten sah.

Liebe Julie," sagte er,wir werden mit dem Herrn eine Spazier­fahrt machen; wenn du ahnst, was vorgeht, so beruhige dich, der Herr ist so gütig, uns vorläufig zusammen zu lassen; doch dein Bruder hat uns verraten!"

Julie benahm sich besser, als man hätte vermuten sollen; in fort­währender Angst traf sie der Schlag eben nicht unvorbereitet.

Also doch!" sagte sie nur in betreff des Bruders und fuhr dann fort:Mut, mein Freund; was du gethan, hast du für mich gethan und ich danke dir dafür; unser Glück war zu groß, um dauernd zu sein. Ich bin wie mein Mann bereit, Ihnen zu folgen, mein Herr."

Beide umarmten sich, und aus Gilberts Augen stürzten Thränen. Vidocq störte das Paar längere Zeit nicht.

Ich werde klingeln," sagte er jedoch dann,gebt dem Diener Eure Befehle, Milhaud."

Gilbert nickte mit dem Kopfe. Vidocq klingelte und Jean erschien.

Madame, unser Gast und ich", sagte Gilbert mit abgewendetem Gesicht,werden eine Spazierfahrt machen. Wir bedürfen keiner Be­gleitung." Jean ging hinaus.

Eine halbe Stunde später fuhren die gedachten Personen und Juliens Sohn in einem offenem Wagen davon. Als sie d'Erville passiert hatten, ritt ein einzelner Reiter eine Strecke vor dem Wagen

her, zwei andere folgten; sie schienen nicht der Gesellschaft im Wagen anzugehören.

Am Abend des nächsten Tages befand sich Gilbert Milhaud und Julie, so gut wie Francois Bennoit, in Paris zwischen Kerkermauern. Für das Kind sorgte Vidocq einstweilen.

21 .

Das Schluß-Drama.

Pariser Skandal! Das Wort ist bekannt und weltberühmt ge­worden. Die alte Zeit hatte viel Begebenheiten zu verzeichnen, welche jene Benennung verdienten.

Die neue indessen nicht minder, und auch das Jahr 1817 hatte seinen Skandal. Es war der Prozeß Milhaud, welcher einige Zeit die Stadt Paris bewegte, ein mächtiger, interessanter Prozeß, wenn auch nicht in juristischer Hinsicht.

Denn Gilbert Milhaud leugnete nicht, sondern bekannte alles, was er verbrochen, der Wahrheit gemäß.

Der öffentliche Ankläger hatte daher nur nötig, durch seine Er­mittelungen die Angaben Milhauds zu bestätigen, eine Ueberführung der drei zur Untersuchung gezogenen Personen war nicht nötig.

Von diesen dreien war überhaupt Francois Bennoit nur als un­sicherer und deshalb festgehaltener Zeuge zu betrachten. Der arme Kerl verzweifelte übrigens fast.

Sechs Monate nach der Verhaftung Gilberts und Juliens be­gannen die Assisenverhandlungen und dauerten drei Tage.

Ob es angemessen war, die Ehe der beiden Personen, weil sie unter falschem Namen und durch Bestechung erschlichen, für ungültig zu erklären, mag jeder für sich allein beurteilen. Der Prozeß brachte die hier erzählten Thatsachen zur Kenntnis des Publikums und endlich ein Urteil, welches Gilbert Milhaud wegen sehr vieler gemeiner Ver-