stellt ist, kann man daraus entnehmen, daß nach der amtlichen Schätzung der Herbstertrag aus den Markungen Stuttgart, Heslach und Gablenberg Heuer durchschnittlich nur auf 1 Hektoliter sich belaufen wird. Dieses Resultat bildet seit einer geraumen Reihe von Jahren das geringste, denn selbst in mittleren Jahrgängen wurden pro Morgen 36 Hektoliter geerntet. Wie die Qualität des Heurigen ausfällt, hängt von der Witterung des Oktober ab. Die Vorbedingungen für eine treffliche Qualität, welche der aus den besten Weinjahren gleichkommen kann, sind vorhanden, nachdem durch das prächtige Wetter der letzten Wochen das Holz der Reben hart geworden ist. Ueber- haupt haben sich in letzter Zeit die Rebstöcke von alten Schäden erholen können, so daß die Aussichten für das nächste Jahr nicht besser sein können. Zu Beginn des Frühjahrs bestand allgemein die Befürchtung, daß bis zur Hälfte des Bestandes die vom Wtnterfrost beschädigten Stöcke ausgemerzt werden müßten. Erfreulicherweise haben sich aber dieselben so gut erholt, daß der Ausfall kaum bemerkt wird.
* Winnenden, 18. Septbr. Ueber den Stand der Weinberge läßt sich wenig Gutes berichten; die Trauben haben zwar dank der guten Witterung nette Fortschritte gemacht, so daß Hoffnung ist, daß dieselben wenigstens reif werden, aber ihre Zahl ist eine äußerst kleine, so daß beispielsweise ein hiesiger Weingärtner, der im Vorjahre 4 Eimer kelterte, seinen heurigen Ertrag auf höchstens 150 Liter schätzt!
* Heilbronn, 19. Septbr. Der Kriegszustand auf dem hiesigen Rathause dauert fort. Es ist nunmehr durch Regierungsrat Holland aus Ludwigsburg eine Disziplinar-Untersuchung gegen den Oberbürgermeister Hegelmaier eingeleitet, auf deren Ausgang man begreiflicher-
' weise allgemein sehr gespannt ist. In der Stadt Heilbronn besteht allgemein die Ueberzeugung, daß Herr Hegelmaier im Interesse der Bürgerschaft und des Gemeinderats von seinem Amte entfernt werden müsse, da man mit ihm nicht mehr forthausen könne.
* (Verschiedenes.) In der Schöhnhut'- schen Schraubenfabrik in Cannstatt wollte der 40 Jahre alte Mechaniker G. Bantleon nach den Lagern der Transmissionen sehen und wurde hiebei infolge von Unvorsichtigkeit von einem Transmisstonsteil erfaßt, gegen die Seilscheibe und die Wand gerissen, wodurch ihm der Kopf vom Rumpfe abgetrennt und etwa 1 Meter weit weggeschleudert wurde. Der Verunglückte war ein sparsamer und fleißiger Arbeiter; er hinterläßt eine Witwe und ein 9 Jahre altes Kind. — In der Stadt Laupheim hat sich ein Antisemitenverein gebildet. — Am Sonntag den 13. ds. Mts. feierte die Gemeinde Dagers- heim das 400jährige Jubiläum ihrer anno 1491 erbauten Kirche.
* Amberg. Der Reichstagsabgeordnete Siegle hat nach dem ,Fränk. Kour/ auf seiner
Besitzung Friedensfels angeordnet, die heurige Ernte an Roggen nicht zu verkaufen, sondern zur Milderung des hohen Getreidepreises für die landwirtschaftlichen Arbeiter zurückzubehalten und den Roggen zum normalen Preise des Vorjahres mit 8,25 Mk. statt um 12 Mk., wie er jetzt bezahlt werden muß, das ganze Jahr hindurch für den eigenen Bedarf der Familien abzugeben.
* Berlin, 18. Septbr. Dem „Berliner Tagblatt" wird aus Bagamoyo gemeldet, die Ueberreste der Expedition Zelewski seien mit den Lieutenants Tettenborn und Heydebreck, den Unteroffizieren Kay und Wutzer sowie mit 65 Mann gestern nachmittag dort eingetroffen.
* Der „Temps" weiß aus Berlin zu melden, man verhandle dort gegenwärtig wegen der Erleichterung des Paßzwangs für die Franzosen, welche nach Elsaß reisen. Deshalb seien Fürst Hohenlohe und Herr v. Köller in Berlin, und Graf Arco sei von Paris dahin berufen, um sein Gutachten abzugeben über den Eindruck, welchen eine solche Maßregel auf die Franzosen machen würde. Man scheine zu fürchten, daß sie als Zeichen der Schwäche oder als Eingeständnis der Unmacht ausgelegt würde. Im Princip scheine aber die Sache, d. y. die Aufhebung oder Erleichterung bereits entschieden.
* Bezüglich der Vorkommnisse in Ostafrika schreiben die „Hamb. Nachrichten": Die Niederlage wäre voraussichtlich dem Reich erspart geblieben, falls Wißmann Höchstkommandierender geblieben wäre, der waghalsige Touren zweifelhaften Wertes nicht unternommen, alle Improvisationen und Velleitäten vermieden hätte. Die Organisation, nach welcher der Zivilgouverneur stets mir mehreren Militärs konferieren müsse, passe nicht für Ostafrika. Es wäre freudig zu begrüßen, wenn die letzten Vorfälle eine Aen- derung dieser Organisation herbeiführen würden. Bismarck habe wohlweislich die von Wißmann seinerzeit erbetenen festen Instruktionen abgelehnt, da von Berlin aus nicht entschieden werden könne, was in Ostafrika zu geschehen habe.
* Der bekannte Berliner Korrespondent der „Neuen Züricher Ztg." schreibt diesem Blatte: Heute hörte ich von einem politisch erfahrenen Mann ein ganz hübsches Wort. Er sagte: „Der europäische Frieden gleicht einem alten Herrn, der herzleidend ist. Heute Abend legt er sich noch munter zu Bett. Morgen früh kann er aufstehen, Umfallen und tot sein." — Man glaubt hier, daß der am meisten zum Kriege treibende Staatsmann in der europäischen Politik Herr v. Freycinet ist, der hinter seiner vorsichtigen Ruhe einen brennenden Ehrgeiz verbirgt. Er fühlt sich in der Revanche-Idee als Erbe Gambettas, dessen bedeutendster Genosse er zur Zeit der Diktatur während des Krieges von 1870/71 war. Ebenso fühlt er sich und wohl nicht mit Unrecht als Regeneratar der französischen Militärkraft und er ist anscheinend jetzt so weit, daß er das neugeschmiedete Schwert Frankreichs für scharf genug hält, um endlich
damit zuzuschlagen. Nur fehlt ihm noch ein Vorwand dazu, irgend eine Aeußerlichkeit, um die vorsichtig Zögernden unter seinen Landsleuten zu einem kriegerischen Entschluß hinzu- reißen.
* Berlin, 18. Sept. Aus Mailand wird gemeldet, daß Deutschland und Oesterreich von der 12jährigen Dauer des Handelsvertrages Umgang genommen und den italienischen Vorschlag einer 6jährigen Dauer angenommen haben.
* Berlin, 19. Sept. Von einer Meldung aus Erfurt, wonach der Kaiser und der König von Sachsen bet den letzten Manövern in Disharmonie geschieden sein sollten, wollen hiesige informierte Kreise nichts wissen.
* Die Verleihung eines hohen russischen Ordens an den Grafen Schuwalow, Botschafter in Berlin, unter besonderer Anerkennung seiner diplomatischen Verdienste, wird, so schreibt man den M. N. N. aus Berlin, allgemein bemerkt. Schuwalow ist anerkanntermaßen der wärmste Anhänger Deutschlands.
* Berlin, 19. Sept. Der „Reichsanzeiger" meldet: Die Einnahmen an Zöllen und Verbrauchssteuern vom 1. April bis 31. August betrugen 203 618 734 Mk., gegen denselben Zeitraum des Vorjahres 4745 894 Mk. weniger. Zur Reichskasse gelangte die Jsteinnahme abzüglich der Ausfuhrvergütungen und Verwaltungskosten von 263 782 822 Mk., gegen das Vorjahr 235 729 Mk. weniger.
* Einen empfindlichen Verlust hat in Berlin ein Kassenbote der Reichsbank am 15. d. M. erlitten. Derselbe war angewiesen, an verschiedenen Stellen 86,000 Mk. Wechsel einzukassteren. Diese Summe hat er bis auf 8530 Mk. abgeliefert. Die letztere Summe war, wie das übrige Geld, in einen besonderen Umschlag gepackt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Beamte das Geld verloren und der Finder sich einer Unterschlagung schuldig gemacht hat.
* Neustrelitz. Der Teil der Bewohner von Neustrelitz, welcher eine Abrechnung vor dem Richter aus irgend einem Grunde zu scheuen hat, giebt sich geräuschloser, aber deshalb nicht minder aufrichtiger Freude hin. Sein Schuldbuch ist zwar nicht vernichtet, aber doch verlegt. Das Gericht in Neustrelitz hat soeben eine Bekanntmachung erlassen, nach welcher alle für den Monat September angesetzten Gerichtstermine aufgehoben werden. Veranlaßt ist diese Maßnahme durch den vor einigen Tagen stattgehabten Brand im Neustrelitzer Rathaus, bei dem man alle Gerichtsakten schleunigst hatte ausräumen müssen. Die Akten, die jetzt in der Stadtkirche lagern, sind dabei derart in Unordnung geraten, daß Wochen vergehen werden, ehe man wieder an die Erledigung der laufenden Geschäfte wird gehen können.
* Iüterbogk, 18. Septbr. Auf dem Schießplatz explodierte eine Kartätsche, ein Major der Gardeartillerie und ein Waffenschmied sind schwer, ein Hauprmann und 3 Mann leicht verletz:.
ZrrLümer- (Nachdruck verboten.) ^
Roman von Karl Ed. Klopfer.
(Fortsetzung.)
Heinrich trat wenige Minuten darauf bereits mit Frau Weller in die Stube, die dem alten Diener angewiesen war.
In einem großen altmodischen Lederlehnstuhl saß die gebrechliche, gekrümmte Gestalt, den Unterleib in wollene Decken gehüllt, den zitternden Arm auf das neben dem Lehnstuhl stehende Tischchen gestützt, wo die Glocke, welche die Magd herbeirief, im Bereich seiner Hand war. Das Gesicht war auf die Brust gesunken, man sah nur die von tausend Runzeln durchzogene Stirn des Alten und den kahlen, glänzenden Scheitel, den spärliche silberweiße Haarbüschel umrahmten.
Er schien das Geräusch der Eintretenden nicht zu hören, denn er rührte sich nicht. Man hätte ihn für schlafend oder gar für tot halten können, wenn nicht in abgebrochenen Sätzen ein dumpfes, unverständliches Murmeln hörbar gewesen wäre, das aus der eingesunkenen Brust wie aus dem Grabe zu tönen schien.
Sormann ging zögernd auf ihn zu.
„Fabian", sagte er halblaut, „da bin ich nvn! Ich freue mich, Euch wiederzusehen. Wie geht es Euch? Kennt Ihr mich denn nicht?"
Er legte seine Hand dem Greis auf die Schulter, der unter dieser Berührung aufzuwachen schien. Er hob den Kopf und sah den vor ihm Stehenden mit trüben Augen starr an. Seine Lippen zitterten.
Sormann schauerte unwillkürlich zusammen, als er dieses mumienhafte Gesicht auf sich gerichtet sah.
„Es ist Herr Marfeld", rief im Frau Weller ins Ohr, „der junge Herr Robert Marfeld, der Euch zu besuchen gekommen ist."
! Fabian wandte das welke Gesicht der Sprecherin zu, als habe >er sie nicht verstanden. Die Lebhaftigkeit, die er zum Erstaunen der Hausgenossen noch vor einigen Tagen gezeigt hatte, schien mit einem Male verloschen, wie das letzte Aufflackern eines verglimmenden Dochtes.
„Kennt Ihr denn nicht mehr Euren jungen Herrn?"
„Der — junge Herr —" stammelte der Greis, wie sich besinnend, „mein Gott — der junge Herr —- der junge — Herr! Ja, ja, er ist nun auch tot. Morgen — tragen wir ihn hinaus — auf den Gottesacker — in die Gruft, zur gnädigen Frau. Sie wartet — auf ihn.
— Ja, nun liegt auch er — im Sarge. — Aber hört, macht den Deckel — noch nicht zu — ich will ihn noch einmal sehen."
„Was schwatzt Ihr nur da. Wir sprechen ja nicht vom alten Herrn —"
„Vom alten Herrn?" unterbrach er sie hastig. „Der ist ja schon
seit sechzig Jahren tot. Ja, ich — ich Hab' ihm — die Augen zuge
drückt, Hab' den kleinen Edmund — getröstet, Hab' ihn — gehegt und gepflegt. Und auch die Frau Mutter — ist gestorben, alle, — alle
— sind gestorben. Nun auch der junge Herr Edmund —"
„Er spricht von Ihrem seligen Herrn Vater," flüsterte Frau Weller Heinrich zu, der schweigsam vor dem Alten stand. „Er meint mit dem alten Herrn wahrscheinlich den Herrn Großpapa, bei dem er ja auch schon lange gedient haben soll."
„So ist es. Der Arme hat kein Gedächtnis mehr für mich. Er lebt nur noch in seinen alten Erinnerungen. Lassen wir ihn zufrieden. Vielleicht ist er ein andermal bei klarerem Geiste."
Sormann atmete erleichtert auf, als er wieder auf dem Korridor stand.
Da vernahm er schon Schritte im Hausflur. Es waren die erwarteten Gäste.