* DerSchwäb. M." schreibt: Der Offen­burger Wucherprozeß erheischt ein Nachwort in der Presse. Die Schuldigen sind mit Recht mit erheblichen Strafen belegt, und es ist so­mit dem öffentlichen Rechtsgefühle die gebührende Genugthuung geworden. Die Verhandlungen haben ein Bild von der traurigsten Verkommen­heit und der Hast nach unerlaubtem Gewinn entrollt, und andererseits aufs Neue erwiesen, daß weite Schichten des Volks noch immer vom Wahne einer kaum zu begreifenden Leicht­gläubigkeit befangen sind. Wir glauben aller­dings nicht, daß mit der Aufhebung der Offen­burger Wucherergemeinschaft der Giftpflanze des Wuchers auf dem Lande die Wurzeln ab­geschnitten worden sind; immerhin werden sich aber die Nichtertappten, dank der wohlthätig wirkenden Abschreckung, fortan etwas größere Zurückhaltung in der Ausübung ihres Ge­werbes auferlegen. Der Staat kann und soll nicht der Vormund der Bürger sein; er hat nicht das Recht, sich um die persönlichen Ver­hältnisse jedes Einzelnen zu bekümmern; ver­trete ein Jeder seine eigene Sache. Wir wollen aber bei diesem Anlasse nicht verfehlen, die Aufmerksamkeit namentlich der ländlichen Be­völkerung auf den vor kurzem begründeten Schutz­verein gegen den Wucher, der in Karlsruhe seinen Sitz hat, zu lenken. Möge sich ein Jeder, der Grund zur Befürchtung hat, daß er widerrechtlich ausgebeutet worden ist, an diesen Verein wenden, der gerne bereit ist, kostenlos Auskunft und Rechtsbeistand zu gewähren. Und da diesem wohlthätig wirkenden Verein zur Be­kämpfung des Wuchers Angehörige aller Kon­fessionen angehören, so soll auch, wie dieBad. nat. lib. Korresp." betont, um der Gerechtig­keit willen heroorgehoben werden, daß der Wucher auch bei Angehörigen der verschiedenen Konfessionen leider als ein erlaubtes einträg­liches Geschäft betrachtet wird. Er zu be­kämpfen, und seine Folgen zu verhindern, ist die Pflicht aller ehrlichen Leute.

* Nürnberg. Ein hiesiger Architekt ist von einem türkischen Unternehmer mit der Er­richtung einer Bierbrauerei in Konstantinopel beauftragt worden, nachdem nicht ohne Schwierig­keiten die Genehmigung der türkischen Regierung für diese Brauerei, welche die erstein der Türkei sein soll, erlangt worden ist. Eine zweite bayrische Bierbrauerei soll dann in Sofia er­richtet werden.

* Leipzig. Wie aus guter Quelle ver­lautet, haben nicht weniger wie 71,000 von den etwa 150,000 dortigen Steuerpflichtigen am ersten Zahlungstermine die fällige Steuer nicht entrichtet, sondern mußten erst amtlich gemahnt werden.

* Berlin, 50. Juli. Der Endabschluß des Reichshaushaltes pro 1890/91 ergibt an Mehr gegenüber dem Etat an ordentlichen Einnahmen 22ftz Mill., ordentl. Ausgaben 7ftz Mill., so daß der reine Ueberschuß 15 Mill. Mk. beträgt.

* Berlin, 31. Juli. Der Erfolg des

i Stuttgarter Liederkranzes auf dem Tivoli spottet aller Beschreibung, lieber sechstausend Personen waren anwesend. Viele Volkslieder wurden stürmisch wiederholt verlangt. Nach Schluß des Konzerts ertönte endloser Beifall, Hochrufe, Rufe: Wiederkommcn! Zum Schluß wurde dieWacht am Rhein" von der ganzen Volks­menge gesungen. Von Seiner Majestät dem König Karl ist ein Glückwunschtelegramm an den Liederkranz eiugetroffen.

* Berlin, 31. Juli. Das Komite zur Errichtung des Kaisersteines auf Helgoland er­hielt die Mitteilung, der Kaiser gedenke persön­lich am 10. August der Enthüllung des Denk­mals anzuwohnen.

* Berlin, 31. Juli. Dem Kaiser soll nach seiner Rückkehr ein in der Ausarbeitung begriffener Bericht über die jüngste Handwerker­konferenz vorgelegt werden. Der Bericht wird sich voraussichtlich gegen die von den Hand­werkern geforderte Einführung des Befähigungs­nachweises aussprechen.

* Berlin, 31. Juli. DerReichsanzeiger" publiziert die Ernennung v. Goßler's zum Ober- prüsidenten von Westpreußen.

* Berlin, 31. Juli. Bei der Deutschen Bank ist ein großartiger Vertrauensmißbrauch eines Beamten entdeckt worden. Derselbe, mit der Avstempelung der Tchlußscheine betraut, spekulierte mit einem hiesigen Börsenmakler ge­meinsam in Rubelnotcn, stempelte die Schluß- scheine als Engagements der Deutschen Bank und verdeckte das Gebühren durch Fälschung der Bücher. Die Engagements betragen 5270000 Rubel. Der Verlust für die Bank beläuft sich bei Anerkennung der Engagements auf 1100 000 Mark.

« Es könnte angesichts der jetzt in Kronstadt und Petersburg herrschenden Begeisterung den Anschein gewinnen, als wäre es ein politischer Fehler gewesen, daß Kaiser Wilhelm seit seiner Thronbesteigung zweimal den Zaren besucht hat. Demgegenüber sei an das Vermächtnis des greisen Kaiser Wilhelm erinnert, das dieser noch auf dem Sterbebette an den Enkel richtete: Vor allem stelle dich mit dem Zaren gut." Kaiser Wilhelm II., der seinem Großvater eine hohe Pietät bewahrt, hat dies Vermächnis er­füllt, so weit es in seiner Macht stand. Wenn das Ergebnis kein besseres ist, als es den An­schein hat, so liegt die Schuld wahrlich nicht aus deutscher Sme.

* Schlimme Ueberschwemmungs - Nachrichten kommen aus dem Spreewald, dem Elbe- und Odergebiet. Im Spreewald find die Deiche gebrochen, so daß das entfesselte Element sich zum teil einen Meter hoch über Felder und Wielen ergoß. In drei Gemeinden allein sind 3000 Menschen jeglicher Nahrung beraubt. 6000 Morgen des fruchtbarsten Acker- und Wiesen­landes sind unter Wasser gesetzt. Auch das Vieh entbehrt jeder Nahrung. Unter den schwer heimgesuchten Leuten herrscht eine furchtbare Not. '

* Dorstfeld, 31. Juli. Auf der Grube

heim befindliche Knecht von Schützingen, OA. Maulbronn gebürtig, wurde von einem'Pferde so unglücklich auf den Kopf geschlagen, daß er schwerverletzt ins Krankenhaus nach Rottenburg verbracht werden mußte, woselbst er tags da­rauf unter fürchterlichen Schmerzen verschied.

Vergangene Woche kam zu einer Familie in Heidenheim ein junger Mann in einem etwas herabgekommenen Anzug und gab sich für einen nahen Verwandten aus. Der­selbe wurde gastfreundlich ausgenommen, erhielt Geschenke an Kleidern und Geld, um seine an­gebliche Reise nach Frankfurt fortsetzen zu kön­nen. ^ Aus Dankbarkeit entwendete er vor seinem Abschied eine goldene Uhr; er suchte die­selbe noch am nämlichen Tage bei einem dortigen Uhrmacher zu Geld zu machen; dieser aber schöpfte Verdacht, schickte nach der Polizei und der saubere Patron wurde verhaftet. In Stuttgart wurde bei der Leerung eines Wirtshausabritts die Leiche eines neugeborenen vollständig ausgewachsenen Kindes gefunden. Die Mutter ist bis jetzt unbekannt. In Ostelsheim ist die Scheuer des Mühle­besitzers Münstnger vollständig abgebrannt. In Laupheim wird seit dem 19. Juli der 15 Jahre alte Kaufmannslehrling L. Born­heim vermißt. Derselbe war letztmals -am 20. Juli bei einer Hochzeit in Ochsenhausen gesehen worden. In der Gemeinde Ober­steinach vie Diphtheritis ausgebrochen; es sind 31 Schulkinder daran erkrankt. Der Schulunterricht mußte geschlossen werden. In Glashütte feierte Anwalt Rebmann mit feiner Gattin die diamantene Hochzeit. Nach den erhobenen Schätzungen des heurigen Hagelschlags im Bezirk Laupheim beträgt derselbe über eine halbe Million Mark. In der Nacht vom Montag auf Dienstag brach in einem Schober in Rotten bürg Feuer aus; derselbe war mit Lagerbierfässern und ge­spaltenem Holz gefüllt und brannte gänzlich ab.

Ans dem eine Viertelstunde von Möckmühl entfernten bad. Orte Ruchsen wird folgender bedauerliche Unglückssall berichtet: Mehrere Kinder spielten in einem Grasgarten, in dem an den Bäumen ein Waschseil ausgespannt war, als ein 5jähriger Knabe auf den Ge­danken kam, es einer Seiltänzergruppe, die er kürzlich gesehen hatte, nachzumachen. Er schwang ein Stück Seil über das ausgespannte, machte eine Schlinge um sich, stellte einen Pflug unter das Seil und wollte nun auf das ausgespannte Seil klettern, da fiel unglücklicherweise der Pflug um, das Seil wickelte sich um den Hals des Knaben und er hing sofort frei in ver Luft. Die anwesenden Kinder eilten in das Dorf, um den Fall mitzuteilen, als ein Mann auf einem Einspänner auf der nahen Straße herankam, den Knaben hängen und zappeln sah; er sprang eiligst zu dem Knaben und löste ihn vom Seil; die Zunge soll sich noch zitternd bewegt haben, aber ungeachtet der Be­lebungsversuche war und blieb der Knabe tot.

Irrtürnev- (Nachdruck verboten.)

Noman von Karl Ed. Klopfer.

(Fortsetzung.)

Für das unglückliche Menschenkind, das zu dieser Zeit nicht unter Dach und Fach gekommen, war es wirklich lebensgefährlich in diesen Regionen, die der ganzen Wildheit des Sturmes ausgesetzt waren. Wie begreiflich war daher die Angst und Aufregung, mit der eine junge Dame, in einen dunklen Plaid gehüllt, den schlüpfrigen Berg- steig emporklomm. Den Hut schien sie schon längst verloren zu haben, der niedliche Sonnenschirm in ihrer Hand war zerbrochen und bildete für die Unglückliche eine äußerst zweifelhafte Stütze. Die Arme schien schon oft gestürzt zu sein, denn ihr aufgeschürztes Kleid war an den Kniestellen mit gelbem Lehm bedeckt und die Volants am Saum hingen in Fetzen herab. Auch die Handschuhe waren an mehreren Stellen geplatzt und zeigten Schmutzflecken. Dabei peitschte der Wind die Be­dauernswerte mit ihrem eigenen Haar, dessen dunkelblonde Flechten in offenen, durchnäßten Strähnen um ihr Köpfchen herumflatterten. Ein Gemisch von Thränen und Regentropfen floß von ihren hochgeröteten Wangen herab.

Endlich hatte sie das Jägerhüttchen erreicht. Mit dem letzten Aufwand ihrer Kräfte erfaßte sie den Balken der Thür und wankte hinein in den wenig einladenden Raum, dessen Boden mit heretnge- triebenen nassen Blättern, Erde und jBaumzweigen bedeckt war, während aus der Lücke im Schindeldache der Regen hereinsprudelte, als hätte er ein Dutzend Mühlenräder zu speisen.

Das Mädchen fand jedoch nicht einmal Zeit, ihre Toilette einiger­maßen zu ordnen; sie mußte ihre ganze Aufmerksamkeit und den letzten Rest ihrer schwindenden Kräfte dazu verwenden, die ihr alle Augenblicke

ein brausender Windstoß zu entreißen drohte. Dann und wann gelang es ihm auch, einige Zoll breit Oeffnung zu gewinnen, und so schnell die junge Dame auch wieder die aneinander gefügten Bretter zu sich heranzog, genügte doch die halbe Sekunde, um einer Masse von Regen­wasser und scharfen Hagelkörnern Einlaß zu gestatten.

Wieder rüttelte der Sturm, welcher neuen Atem geholt zu haben schien, an der schwachen Thür. Mit zusammengebissenen Zähnen stemmte sich die unfreiwillige Einsiedlerin an die Wand und zog die Klinke an sich, aber sie konnte der furchtbaren Macht nicht lange Stand halten; mit einem jähen Ruck wurde ihr die rostige Thürklinke ent­rissen die Thür flog weit auf.

Mit einem lauten Aufschrei, der selbst das Rauschen des Regens, das Pfeifen des Sturmes übertönte, wich das Mädchen zurück auf der Schwelle stand eine hohe, breite Gestalt, mit einem triefenden, schmutz­starrenden Mantel behängt; der Strohhut auf dem lichten Haar war eine formlose, einem gefüllten Schwamm ähnelnde Masse. Aus dem blonden Vollbarte rieselten ganze Miniaturbäche von Regenwasser auf den Mantel nieder. Der Mann, der übrigens nicht minder erstaunt schien, an diesem Orte ein lebendes Wesen, sogar eine Dame, zu treffen, glich in seiner abenteuerlichen Tracht fast einem Wassergott, der hier ab­zusteigen gewillt schien.

Er näherte sich indessen in respektvollster Weise, zog jenen Gegen­stand, der sich kaum mehr den Namen einer Kopfbedeckung anmaßen konnte, und bat mit wohlklingender Stimme um Enschuldigung.

Gei seinen ersten Worten trat die erschreckte Dame an ihn heran und warf einen prüfenden Blick in sein Gesicht, dann ries sie in höchstem Erstaunen:Theodor, Sie hier?"

Olga!" schrie er fast gleichzeitig,wahrhaftig, Sie sind es! Ja, ums Himmels willen, wie kommen Sie in diese entsetzliche Hütte?"