Deutsche gewesen, wenn auch wir diesen gesunden Grundsatz befolgt hätten, anstatt unsere Manöverkunste alljährlich vor Massen fremder Offiziere aufzuführen. Aber daß die Russen unmittelbar nach der Anwesenheit des deutschen Kaisers an der deutschen und öllerceichischen Grenze ihre ernsthaften Manöver veranstalten, während sie den kaiserlichen Besuch mit leeren Schaustücken abspeisen, veuselben Monarchen, der ihnen, wie sein Vorgänger, Jahr aus Jahr ein den Anblick der deutschen Manöver gegönnt, das sei doch ein starkes Stück. Der Artikel erwähnt dann weiter die unfreundlichen Auslassungen der russischen Presse, namentlich des „Nowoje Wremja", wornach Rußland auf eine etwaige Zurückziehung seiner Truppen von der Grenze nicht eingehen könne, weil es zu den gewaltigen Anstalten der Armierung und Truppenanfülluug seiner Westgrenze genötigt worden sei durch die gleichartigen, aber früheren Maßregeln der deutschen und der österreichischen Regierung. Nachdem die Korrespondenz dann das Gerücht erwähnt hat, Fürst Bismarck, damals noch Kanzler, habe bei der Anwesenheit des Zaren zu Berlin im Oktober vorigen Jahres seinen Kaiser veranlaßt, diesen Besuch dem Zaren anzubieten, kommentiert sie anch die Verleihung des St- Andreas-Ordens an den Reichskanzler Eaprivi und sagt dazu geheimnisvoll: „Das steht recht tröstlich aus für die Friedenssehnsüchtizen. Wir wollen niemandem die süße Speise vom Munde nehmen, sonst könnten wir der Süßigkeit dieses Symptoms einen Tropfen hinzufügen, der seine Süße in unauslöschliche Bitterkeit verwandelte."
* Seitens der Sozialdemokraten wird für einen Massenaustritt aus der Landeskirche lebhaft, namentlich in der Umgegend Berlins agitiert, und es sollen zu diesem Zwecke nächster Tage mehrere Volksversammlungen abgehalten werden, obgleich der Vorstand der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion sich mit Entschiedenheit dagegen ausgesprochen hat.
* Eine blutige That, die sich in der Nacht vom Samstag auf Sonntag zugetrageu, wird aus Berlin gemeldet. Der wegen Diebstahls und anderer Vergehen schon öfters, zuletzt mit Zuchthaus bestrafte Arbeiter Andreas Behrendt unterhielt mit der 18jährigen Anna Marie Hartmann, Tochter der Schankwirtswitwe Hartmann, Cuvrystraße Nr. 14, ein Liebesverhältnis, das die Mutter begreiflicherweise nicht dulden wollte. Aber alle Mahnungen derselben blieben bei dem Mädchen fruchtlos. Samstag abend verließ Behrendt mit der Hartmann den Schenkkeller und kehrte nicht mehr zurück, so daß der Mutter alsbald bange Sorgen aufstiegen. Sonntag früh fand man denn auch die beiden im Bodenverschlag des Hauses als blutüberströmte Leichen. Behrendt hat zuerst das Mädchen und dann sich selbst erschossen. In der Tasche der Unglücklichen wurde ein Brief gefunden, worin sie der Mutter schrieb, da diese die Einwilligung zur Hochzeit nicht gegeben, so haben sie den Tod gesucht.
Ausländisches.
* Wien, 7. Sept. Die „Wiener Zeitung" veröffentlicht eine kaiserliche Verordnung vom 6. September, wodurch die Regierung ermächtigt wird, 2 Millionen Gulden aus Staatsmitteln zur Bestreitung der erforderlichen Ausgaben anläßlich der Überschwemmungen in Böhmen, Nieder- und Oberösterreich, Schlesien und Vorarlberg zu verwenden.
* Paris, 7. Sept. Die Zeitungen bringen
spaltenlange Berichte über Duelle, welche infolge der boulangistischen Enthüllungen kontrahiert worden sind. Gestern früh fand in La Cliuge, einem holländischen Städtchen bei Axell in der Nähe von Gent, das Duell zwischen Rochefort und Thiäbaud statt. Jener griff mit einer außerordentlichen Heftigkeit an, und in weniger als einer halben Minute hatte Thisbaud drei Wunden weg, eine an der Schläfe, eine an der Wange und eine an der Hüfte. Rochefort wurde überall in Belgien und Holland mit großer Sympathie ausgenommen.
^ Paris, 8. Sept. In einem Manöverbericht aus dem Norden Frankreichs konstatiert Jules Richard, der sehr erfahrene militärische Berichterstatter des „Figaro", daß im Offizierskorps heute noch viele Anhänger Boulangers sind. „Die Offiziere wünschen ven Krieg und sind nicht Militärs geworden, um ihr ganzes Leben lang in den Garnisonen zu faulen. Sie glaubten, Boulanger sei die Revanche, fei die Eroberung von Elsaß-Lothringen. Im oberen Kricgsrat — es ist dies das oberste Militär- kolleginm in Frankreich, das sich aus den verdientesten Generalen zusammensetzt — faßte ein General einen anderen, und zwar einen Kavallerie-General, unterm Arm, und sagte zu dem Generalissimus (Saussier): Hier sind wir nur zu unser drei Antiboulangisten." — „Und ich glaube", erwiderte der Kavallerist, „daß wir nur zwei sind." Und er machte seinen Arm los.
* London, 8. Septbr. „Times" meldet aus Sansibar: Die Versuche, den Dampfer „Reichstag" flott zu machen, sind mißlungen; man befürchtet, der „Reichstag" werde ein völliges Wrack werden.
" lieber den Grundbesitz des Zaren macht die russische „Petersburger Zeitung" einige interessante Mitteilungen. Sie berechnet,'daß die im Privatbesttz des Beherrschers von Rußland befindlichen Ländereien über anderthalb mal so groß sind, als die Landgüter aller englischen Lords zusammengenommen, ja noch größer als das Gesamtareal der Latifundien der nordame- rikanischen Millionäre. Der Czar besitzt nämlich 51 Millionen Hektar Land als persönliches Eigentum, also ein Gebiet, welches dem Flächenraum von ganz Frankreich nahezu gleich kommt.
* Aus Kurland schreibt man der „Köln. Ztg.": Die baltischen Blätter brachten in diesen Tagen die knappe Mitteilung, der Oberlehrer der Religion am Mitau'schen Gymnasium, Feyer- abend, sei um seine Entlassung eingekommen. Die Nachricht bestätigt sich, das Entlassungsgesuch ist aber durch Umstände veranlaßt worden, die als unerhörte bezeichnet werden müssen. Eine Schöpfung des letzten Herzogs von Kurland, besteht das Mitausche dz-miEium illuAi-e seit 1775 als eine protestantische Lehranstalt, deren Schüler zum allergrößten Teil dem lutherischen und dem reformierten Bekenntnis angehören. Der neuernannte Direktor der Anstatt, der von der katholischen zur griechischen
ein Brand verursacht worden, infolge dessen ein Wohn- und Oekonomiegebände vollständig abgebrannt ist. — In Heiningen setzte am Samstag ein Fuhrknecht einen 6jähr. Knaben auf das Pferd; der Knabe fiel an einem Abhang herab und war sofort tot. Dem Knecht, der das Kind retten wollte, wurde der Fuß ab- gcdrückt.
* Kehl, 4. Sept. Der Bau einer festen Rheinbrücke zwischen Straßburg und Kehl ist ein Bedürfnis geworden für den sich immer mehr und mehr zwischen dem Reichslande und Baden entwickelnden Verkehr. Die Renchthal- bäder, die große Badestadt Baden, das ganze Hanauerländel ist auf Straßburg angewiesen und ein täglicher Verkehr von durchschnittlich 15,000 Menschen und über 200 Fuhrwerken über eine mannigfacher Gefahr ausgesetzte Schiffbrücke kann nur eine Ausnahme bilden. Dies haben die Stadt Straßburg und der Amtsbezirk Kehl eingesehen und haben sich vereinigt, auf ihre Kosten den Plan einer festen Brücke ausarbeiten zu lassen. Oberingenieur Louter in Frankfurt a. M. hat nun einen Plan ausgearbeitet, dessen Ausführung einschließlich der Straßenverlegungen auf 2,000,000 Mk. zu stehen kommen wird. Die Brücke soll auf dieselben Pfeiler der Eisenbahnbrücke zu liegen kommen, eine Fahrbahn von 8 Meter und auf jeder Seite Trottoirs von 3,80 Meter Breite führen. Das eine Trottoir soll in der Mitte die Straßenbahn aufnehmen. Die Höhe des Gitters vom Bohlenbeleg gerechnet ist auf 7,50 Meter angenommen. Das Projekt stößt aber bei den beiden Eisenbahnverwaltungen der Generaldirektion der Reichseisenbahnen sowohl als auch der Direktion der badischen Staatsbahnen auf Widerstand. Beide halten die Pfeiler und Fundamente der Eisenbahnbrücke für nicht stark genug, selbst bei Anbau die neue Brücke zu tragen. Die Straßenbauverwaltungen beider Länder wünschen aber die Ausführung des Planes.
* Dresden, 8. Sept. Soweit bisher festgestellt worden, sind an der böhmisch-sächsischen Grenze 21 Personen bei der Hochflut ertrunken.
* Berlin, 9. Sept. Der Kaiser wird am 2. Okt. in Schönbrunn bei Wien erwartet, von wo er mit dem Kaiser von Oesterreich und dem König von Sachsen nach Steiermark zur Jagd fährt.
* Aufsehen macht eine schwarzseherische „Politische Korrespondenz" im Septemberheft der Preuß. Jahrbücher, herausgegeben von Hans Delbrück (S. 298 ff.) Es wird da gesagt, der diesjährige Besuch des Kaisers Wilhelm am russ. Hof sei ein höchst unerfreuliches Ereignis, sei mindestens überflüssig gewesen. Man habe in Narwa russischer- seits die Dreistigkeit gehabt, dem deutschen Kaiser eine militärische Komödie vorzufllhren. Der russische Hof habe seinen Gast mit einer Reihenfolge zweckloser Paraden und Bravourstücke gefüttert, und unmittelbar nachher habe die russische Kriegsverwaltung in einem südlicheren Teil der Westgrenze höchst ernsthafte und großartige Manöver angeordnet, zu denen kein fremdes Auge, höchstens einige Franzosen zugelassen werden. Das sei den Russen allerdings nicht zu verdenken, und es wäre besser für uns
ßin weißlicher Geheimpolizist.
Original-Erzählung von Walter Guslow.
(Fortsetzung.)
Julia Harrington kehrte zu ihrem Anfangsthema zurück, zu dem Gelbe, welches sie haben wollte.
„Würde denn dein Kompagnon dir nicht einen Wechsel auf einige Tausend ausstellen?" fragte sie.
„Du vergißt, daß ich in letzter Zeit schon so viel Geld aus dem Geschäft gezogen habe, daß ich ohnehin jeden Tag fürchten muß, Mortons Mißtrauen zu erregen. Einige Tausend mehr könnten dle Katastrophe, welche ich fürchte, herbeiführen.
„Ist mir alles gleich, Georg. Ich sage dir nur, ich m u ß noch diese Woche 5000 Dollar haben; mache es wie du willst."
„Es thut mir leid, Julia, ich k a n n sie dir nicht schaffen."
Da beugte sie sich zu ihm vor und fast zischend kam es von ihren Lippen:
„Warum versilberst du keines der Papiere? Was soll das Zögern?"
„Das wäre eine verhängnisvolle That!" rief er auf, während töt- liche Blässe sein Antlitz bedeckte.
„Aber ich könnte eine der Obligationen verkaufen — ohne Gefahr."
„Nein, nein, führe mich nicht in Versuchung, wir wären beide verloren; meine Pläne sind noch nicht reif. Erst dann kann ich die Papiere zu Geld machen, ohne daß der Verdacht auf mich fiele —"
„Ich weiß, wie es schon jetzt zu machen ist, Georg, ohne daß die geringste Gefahr uns droht", wiederholte Julia.
„Nochmals, führe mich nicht in Versuchung, es wäre uns beiden zum Unheil."
„Dann müssen unsere Wege sich trennen. Tausende sind mir geboten, wenn ich dich verlasse."
„O Julia, du treibst mich zum Aeußersten!" rief er leidenschaftlich aus, indem er das schöne Weib mit heißen Blicken verzehrte.
„Nein, du treibst mich zum Aeußersten, wenn du mir das Geld nicht schaffst! Also, willst du auf meinen Plan eingehen oder nicht? Ich kenne einen Mann, der um ein paar Tausend Dollar sich getraut, einige der Obligationen in bar Geld umzusetzen."
„Um dann in die Hände der Polizei zu geraten", meinte Robertson ironisch.
„Gewiß", gab sie lakonisch zur Antwort.
„Ich weiß nicht, wo du hinaus willst."
„Es kann uns ja nichts besseres passieren, als daß er mit der Polizei zu thun bekommt. Der Mann schwört dann, daß er die Obligationen von Henry Wilbert gekauft hat. Wir müssen es so einrichten, womöglich, daß er einige Male mit Wilbert gesehen wird, was durch Zeugen bestätigt werden könnte und des betreffenden Mannes Glaubwürdigkeit erhöhen würde."
„Wenn uns aber der Mann, den du meinst, schließlich im Stiche läßt?"
„Das ist hier nicht zu befürchten; ich stehe für ihn, Georg, es ist mein Bruder."
„Gut denn", sagte Robertson nach einigem Zögern.
„Ich werde es also einrichten, daß du mit meinem Bruder eine Unterredung haben kannst, aber nicht hier bei mir, es ist besser wo an-