gelangt, hatten sie den Einfall, einen angetrunkenen Kameraden ein wenig „abzukühlen" und banden ihm mit Taschentüchern einen Stein um den Hals. Ihre Absicht war, den Arbeiter in die Liege zu werfen und ihn dann vermittelst eines in der Nähe befindlichen Kahnes wieder aufs Trockene zu bringen. Der Kahn war aber angekettet, weshalb es den Leuten nicht möglich war, den ins Wasser gestoßenen, mit dem Tode ringenden Menschen zu retten. Einer der Leute sprang schließlich in den Fluß, zog aber nur die Leiche heraus.
* Berlin, 1. Mai. Dem Bundesrat ging heute der Gesetzentwurf über die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres zu. Damit wird bestätigt, daß die Regierung das Septennat aufzugeben und zu anderweitiger Feststellung der Heeresstärke überzugehen beabsichtigt.
* In dem Gesetzentwurf betr. die Feststellung der Friedenspräsenzstärke, welcher dem Bundes- > rat vorgelegt sein soll, ist nach Angabe der „Voss. Ztg." eine Erhöhung der Friedcuspräsenz- stärke des Heeres um nicht weniger als 11000 Mann vorgesehen. Die Feldartillerie soll um 51 Batterien oder um 6000 Köpfe vermehrt werden, abgesehen von der Bespannung sämtlicher sechs Geschütze des 1., 15., 16. und 17. Armeekorps. Die Infanterie soll um 5000 Mann vermehrt werden, um sämtlichen Bataillonen des ettässischen, ostpreußischcn und westpreußischen Armeekorps den hohen Etat zu geben.
* Berlin, 2. Mai. Die Debatte, welche sich im preußischen Abgeordnctenhause am Dienstag an die Vorlage über das Sperrgesetz knüpfte, war von einer Lebhaftigkeit, welche stark an die Zeiten des Kulturkampfes erinnerte. Die Redner des Zentrums verlangten gegenüber der Vorlage, die nur die Zinsen des Spcrrfonds in Form von Renten zu gunsten der katholischen Kirche verwenden will, das ganze Kapital zur Verteilung an die früher gesperrten Geistlichen. Wenn man das nicht wolle, so möge der Staat sein Geld und die Kirche ihre Freiheit behalten. Diesen Forderungen gegenüber machte der Kultusminister geltend, daß es sich bei den Sperrgeldern nicht um ein Eigentum von Geistlichen handle, sondern um Einstellung öffentlich rechtlicher Leistungen, die in den Staatssäckel zurückgeflossen seien. Die Regierung wolle den Katholiken mit der Vorlage ein Geschenk machen, welches zum Frieden beitragen solle. Auch die Redner der andern Parteien betonten die friedenstiftende Tendenz der Vorlage und rieten dem Zentrum zur Verständigung in einer Kommission, die denn auch in einer Zahl von 21 Mitgliedern beschlossen wurde.
* Eine konfessionelle Statistik der Reichstagsabgeordneten ergiebt der „Köln. Volksztg." zufolge, daß in der neuen deutschen Volksvertretung 2!2 Evangelische, 147 Katholiken, 3 Reformierte, 5 Israeliten und 20 Konfessionslose — letztere zur sozialdemokratischen Partei gehörig — sitzen werden.
* Der Entwurf des Gesetzes betreffend die
Ausführung des Reichsgesetzes über die Jn- validitäts- und Altersversicherung, für welchen der Antrag der Kommission auf Zustimmung geht, stellt für unsere Ortsvorsteher eine sehr bedeutende Geschäftsvermehrnng in Aussicht. Diese Thatsache ist vor dem Entwurf auch bereits ins Auge gefaßt und bestimmt worden, daß da, wo die durch den Vollzug der Kranken-, Unfall-, Jnvaliditäts- und Altersversicherung anfallenden Arbeiten vom Ortsvorstand nicht bewältigt werden können, ein besonderer Beamter zu bestellen sei. Infolge dessen wird den Gemeinden begreiflicherweise ein nicht unbedeutender Aufwand erwachsen. Diese unausbleibliche Wirkung des neuen Gesetzes wurde auch in der Kommission angeregt und die Notwendigkeit einer finanziellen Besserstellung der Gemeinden durch Schaffung eigener Einnahmen an Stelle von Beiträgen durch die Staatsre- i gierung zum Gegenstände eingehender Erörterung gemacht.
* Der Erste des „Wonnemonds" 1890, für manche ein Gegenstand banger Sorge und Befürchtungen, ist, wie ans den bis jetzt vorliegenden Berichten zu entnehmen, fast überall ruhig verlaufen und es sind die von ängstlichen Gemütern befürchteten Arbeiterrevolten ausgeblieben: zur Ehre der Arbeiter sei es gesagt. Freilich haben sie, indem sie die Demonstration auf eine Feier am Abend des 1. Mai beschränkten und hiemit der von ihren Führern ausgegebenen Parole folgten, auch in ihrem eigensten Interesse gehandelt: daß allenfallsigen Gewaltthätigkeiten mit der ganzen Strenge des Gesetzes begegnet worden wäre, darüber werden sie sich selbst klar geworden sein, nachdem in den meisten Garnisonsstädten, die zugleich Fabrikstädte sind, das Militär mit scharfer Munition versehen in den Kasernen konsigniert blieb, bereit, jeden Aufstandsversnch niederzuschmettern. So wäre denn der gefürchtete Tag dank der Besonnenheit der Arbeiter und der Energie der Behörden ohne Blutvergießen vorübergegangen; sicher werden die Arbeiter aus einer auf dem Boden der Gesetze sich bewegenden Agitation, wenn sie es verstehen, ihre Forderungen zu mäßigen und nicht Unerfüllbares zu verlangen — zu diesem Unerfüllbaren aber rechnen wir (abgesehen von den Bergleuten) den Achtstundenarbeitstag — Nutzen ziehen, während Gewalt eben wieder Gewalt erzeugt. Die Arbeiterwelt hat einen wahren Freund an unserem erhabenen Kaiser; an ihr liegt es, seine wohlwollenden Pläne und Absichten nicht durch Forderungen unerreichbarer Art zu Nichte zu machen!
Ausländisches.
* W i e n, 3. Mai In Ostrau ist die Lage wieder ernst. Die Arbeiter der Gräflich Wilczek'schen Kohlengruben wollten gestern gewaltsam ihre Kameraden nach achtstündiger Arbeit aus den Schachten hervorholen, weil nur acht Stunden gearbeitet werden dürfte. Das
Militär schritt ein und trieb die Leute mit dem Bajonnet zurück. Abends unterließen die Arbeiter die Anfahrt. Eine Erneuerung des Kohlenstreiks ist wahrscheinlich.
* In Galizien sind in den letzten Tagen Bauernunruhen ausgebrochen. Die Bauernschaft des Bezirks von Kolomea beschloß, auf den Gütern des polnischen Adels keine Feldarbeiten mehr zu verrichten. In verschiedenen Ortschaften wurden die Gutshöfe mit Steinen beworfen, die Scheiben zertrümmert, die Dienerschaft geprügelt. Bei einem dieser Aufstände ist eine Person erschlagen worden. Gegen einen Advokaturkandidaten, welcher, wie es heißt, die Bauernschaft verhetzte, wurde Untersuchung eingeleitet.
* Paris, 3. Mai. Die Streiks in Roubaix und Tourcoing erregen hier Besorgnisse; man zählt bereits über 100,000 Streikende. Nach einer Meldung der „Times" steht die Aufhebung des Paßzwanges unmittelbar bevor.
* Paris, 4. Mai. In Roubaix hat in der Nacht ein Zusammenstoß zwischen dem Militär und den Streikenden stattgefunden, wobei mehrere Personen verwundet wurden.
* Die französische Regierung hatte für den 1. Mai ganz ungewöhnliche Vorkehrungen getroffen. Das Hauptereignis war die gewaltsame Besitzergreifung des Pariser Stadthauses durch den Seinepräfekten Pouble auf des Minister Constans Befehl, trotz des heftigsten Protestes des Gemeinderates, der in denselben Räumen eben zusammentrat. Um 3 Uhr traf der Präfekt ein und ergriff vom Stadthause Besitz, indem er Befehl gab, die Thüren zu schließen. Diese Thatsachen erregten den Grimm der radikalen Presse, die Constans einen „Staatsstreichter" nennt und ihn zugleich wegen der Brutalität seiner Beamten angreift. Thatsächlich ging die Polizei rücksichtslos und unterschiedslos vor. Der Marschall Mac Mahon, der ruhig vor den Tuilerien spazieren ging, wurde von den Polizisten grob angefahrcn und thätlich beleidigt und gestoßen.
* Stanley kam in der Rede, die er im Verein für Erdkunde zu Brüssel hielt, auch auf die Entdeckung des Urwaldes am Aruwimi und das Volk der Zwerge zu reden. Wir geben seine Schilderung nach einer Uebersetzung der „Köln. Ztg.": Wir bahnten uns den Weg mit der Axt: Palmbäume, Mahagoni-, Gummibänme fielen, altehrwürdige Vertreter der Fauna von 40 Jahrhunderten. In diesem Dickicht, wohin die Sonne nimmer dringt, mußten wir von 6 Uhr morgens bis 7 Uhr abends die Axt gebrauchen. Drei Monate dauerte die Mühseligkeit, da gelangten wir zu den Zwergen. War das eine Ueberraschung! Ein kleiner Adam und ein kleines Evchen kamen mir entgegen, niedlich und nett, der Adam mit einem Busch von Papageicnsedern aus dem Haupt. Wir traten den kleinen Menschen mit einer wahren Ehrfurcht entgegen. Sie waren überrascht, sie zitterten vor uns Ungeheuern, vor den Sanst- bariten und Sudanesen, mehr aber noch vor
Die Pflegekinder des Kommerzienrats.
Novelle von Carl H artm an n-P lon.
(Fortsetzung.)
„Dann ist sie ja wieder hier und sobald wir den Kauf der Villa fest abgeschlossen, kannst du ja schon einen nachbarlichen Besuch dort machen."
„Das hätte ich auf alle Fälle doch schon morgen gethan, da ich vom Grafen Hohenfels nicht allein einen Gruß zu überbringen, sondern der Gräfin Jsabella auch ein Medaillon zu überreichen habe, welches sie dort im Parke verloren und das ich das seltene Glück hatte, am letzten Tage wiederzufindcn."
„Das nenne ich aber wirklich Glück!"
„Es rechtfertigt wenigstens meinen sofortigen Besuch."
„So wünsche ich dir denn auch noch ferneres Glück, mein Sohn! Nur nicht verzagt, du sollst sehen, cs wird alles einen glücklichen Verlauf nehmen."
„Ist es dir recht", fuhr er fort, „wenn wir einen kleinen Spaziergang machen? Etwas Bewegung in frischer Luft nach dem Essen kann nicht schaden, wir gehen durch die Parkstraße zurück, nehmen bei der Gelegenheit die Villa in Augenschein, schließen, wenn möglich, den Handel gleich ab und du hast noch heute den Vorteil, bei deiner Auserwählten eine Fensterpromenade zu machen und ich gehe mit."
„Wohl der Gräfin Scheck wegen?" sagte Heinrich lächelnd.
„Nichts weniger als das! Vor der habe ich eigentlich eine geheime Angst, ich habe sie oftmals gesehen, aber sie kann einen entsetzlich von oben herab arischen."
„Ich bin gern bereit, mitzugchen, will aber vorher meine Uniform mit einem Zivilanzuge vertauschen. Ich bitte daher, mich einen Augenblick
zu entschuldigen. Stehen die Koffer, die ich von Hamburg aus hierherschickte, in meinem Schlafzimmer?"
„Ja."
„Dann werde ich mich beeilen."
Heinrich entfernte sich in das Nebenzimmer und während dessen Abwesenheit wanderte der Kommerzienrat vergnügt lächelnd im Zimmer auf und ab, wobei ihm einzelne Worte, wie .herrlich, herrlich! — Onkel einer Gräfin! — Verwandt mit den Waldsees! — Vielleicht später Geheimer Kommerzienrat und ein kleines Bändchen im Knopfloche! — Prächtig!" laut entschlüpften.
Nach etwa zehn Minuten kam Heinrich zurück. Der Kommerzienrat dachte, als er ihn durch die Thür treten sah: „Wirklich, ein Aristokrat vom Kopf bis zum Fuß, es fehlt ihm weiter nichts, als der Titel." Und er hatte recht, alles an dem jungen Manne: das feine Gesicht, der hohe Wuchs, die Haltung, die elastischen Bewegungen, — war nobel und in der That aristokratisch.
Sie gingen zusammen ins Wohnzimmer zurück. Nachdem der Bankier es ausgesprochen, daß sie beabsichtigten, einen Spaziergang zu machen, holte Katharina sogleich dessen Hut und Sommerpaletot und half ihm beim Anziehen des letzteren.
„Ich danke dir, Käthe, sagte Heinrich, „für deine freundliche Aufmerksamkeit."
„Was meinst du?" fragte sie.
„Die hübsche Guirlande um meine Thür."
„Du nrußt schon damit fürlieb nehmen, Heinrich", sagte sie lächelnd, aber durch ihre Worte klang wiederum ein leiser Spott hindurch, „ich hätte dir so gern einen Lorbeerkranz gewunden, um dich für deine Kriegsthaten zu belohnen, aber von getrockneten Lorbeerblättern geht es doch nicht und frische hatte ich nicht und da ich doch nicht Buchsbaum